Materialstruktur in schwarzweiß

Die Struktur von Cäsiumchloridhydrat-Adern (weiß) in Eis (dunkelgrau), aufgenommen bei -50 °C mit der A-ESEM-Technologie.

Eine Ver­bin­dung, die es gar nicht geben dürfte

Cäsiumchloridhydrate dürften nach der gängigen Lehrmeinung gar nicht existieren. Wissenschaftler:innen der Tschechischen Akademie der Wissenschaften haben nun in Zusammenarbeit mit dem Team um Thomas Lörting von der Universität Innsbruck ihre Existenz nachgewiesen. Der Schlüssel zu ihrer Herstellung ist ein spezielles Verfahren, das neue Wege zur Synthese instabiler Moleküle aufzeigt.

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Auf der Erde kommt in der Natur nur eine einzige Art von Eis vor - das so genannte hexagonale Eis. Ob winzige Schneeflocken, massive Gletscher, gefrorene Flüsse und Teiche oder Eiswürfel in Getränken – alle haben die gleiche hexagonale Kristallstruktur.

Es gibt jedoch noch viel mehr Formen von Eis. Bis heute wurden mindestens 20 verschiedene Arten von kristallinem Eis und mehrere Formen von glasigem Wasser (ohne regelmäßige Struktur) in Labors hergestellt. Viele davon benötigen extreme Bedingungen, etwa niedrige Temperaturen oder hohe Drücke. Für glasiges Wasser ist ein extrem schnelles Abkühlen des Wassers erforderlich – Bedingungen, die in der Natur im Allgemeinen unerreichbar sind. Im Labor hingegen wurde in Innsbruck eine Methode entwickelt, die es erlaubt flüssiges Wasser und wässrige Lösungen direkt zu verglasen – diese wird Hyperquenchen genannt.

„Nicht mögliche“ Verbindung in gefrorenen Salzlösungen

Glasiges Wassers bleibt in vielerlei Hinsicht ein Rätsel für Experten. Wissenschaftler:innen des Forschungsteams von Vilém Neděla am Institut für wissenschaftliche Instrumente der Tschechischen Akademie der Wissenschaften (CAS) untersuchten in Zusammenarbeit mit Thomas Lörting vom Institut für Physikalische Chemie die Eigenschaften von salzhaltigem glasigem Wasser – also Eis ohne regelmäßige Kristallstruktur – das aus einer Lösung mit Cäsiumchlorid hergestellt wurde.

Materialstruktur in schwarzweiß
Materialstruktur in schwarzweiß

Diese Art von Eis entsteht durch die extrem schnelle Abkühlung mikroskopisch kleiner Tröpfchen der Salzlösung auf -196 °C oder durch Komprimierung von „normalem“ Eis unter einem Druck von 1,6 GPa bei derselben Temperatur. „Bei einer so schnellen Abkühlung bilden sich im Wasser keine Eiskristalle, so dass das Wasser in einem ungeordneten Zustand gefangen bleibt, wie er für eine Flüssigkeit typisch ist. Beim anschließenden Erhitzen der glasartigen Lösung ordnen sich die Moleküle neu an, und erst dann bilden sich winzige Eiskristalle“, beschreibt Ľubica Vetráková, Forscherin am CAS. Diese Kristallisation aus dem glasartigen Wasserzustand bei niedrigen Temperaturen unterscheidet sich deutlich vom üblichen Gefrieren von flüssigem Wasser.

Diese Eigenschaft hat es den Wissenschaftlern ermöglicht, in diesem speziell präparierten Eis Moleküle zu entdecken, die es nach früheren experimentellen Ergebnissen und Berechnungsmodellen gar nicht geben dürfte. Denn Cäsiumchlorid gehört zu den Salzen, die aufgrund der Instabilität ihrer Hydrate keine Hydrate bilden – es bindet kein Wasser.

Dennoch entdeckten die Teams aus Brünn und Innsbruck mehrere Arten dieser Hydrate in dem speziell präparierten Eis. Sie wiesen ihre Existenz mit einer Kombination aus Kalorimetrie, Röntgenbeugung und modernster Rasterelektronenmikroskopie (A-ESEM) nach, einer einzigartigen Bildgebungsmethode, die das Team um Neděla vor etwa fünf Jahren eingeführt hat. „Dank der A-ESEM-Technologie, die kürzlich die einzigartige Abbildung der Nanostruktur der Oberflächenschicht von Chromosomen ermöglichte, war es erstmals möglich, die 'nicht vorhandenen' Hydrate abzubilden. Zu diesem Zweck wurde das Mikroskop neu mit der ersten Testversion eines einzigartigen Kryohalters ausgestattet, der am Institut für wissenschaftliche Instrumente der CAS für den Einsatz unter umweltverträglichen Bedingungen mit relativ hohem Gasdruck entwickelt wurde“, erklärt Neděla.

Eine Person in einem Labor
Mehrere Personen sitzen vor Bildschirmen

Das Team von Wissenschaftler:innen aus Brünn und Innsbruck (im BIld oben v.l.: Johannes Bachler, Vilém Neděla & Thomas Lörting), am Bildschirm: Ľubica Vetráková und Kamila Závacká (im Bild links im Labor in Innsbruck).

Die Entdeckung des Forschungsteams wurde in ACS Physical Chemistry Au veröffentlicht. Die Arbeit wurde kofinanziert durch das neue CAS Strategie AV21 Programm The Power of Objects:Materialität zwischen Vergangenheit und Zukunft, den Schwerpunkt Functional Materials Science (FunMAT) an der Universität Innsbruck, den Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Neuer Ansatz zur Synthese von instabilen Verbindungen

Die Moleküle sind während der Kristallisation vom Glas extremen Bedingungen ausgesetzt – und dabei geht es nicht nur um niedrige Temperaturen. „Beim Kristallisieren von Eis in einer wässrigen Lösung werden alle im Wasser gelösten Stoffe in die Zwischenräume der sich bildenden Eiskristalle verdrängt. In diesem Zwischenraum ist nur sehr wenig Platz, was die Moleküle viel enger zusammenrücken lässt – die lokale Konzentration der Stoffe nimmt zu, und auch Umgebungsparameter wie der pH-Wert oder die Ionenstärke ändern sich. Das führt dazu, dass chemische Reaktionen in einem solch engen Raum oft anders ablaufen als in einer flüssigen Lösung“, erklärt Vetráková.

Der Ansatz der Brünner und Innsbrucker Wissenschaftler:innen (Bildung von glasartigem Wasser und seine anschließende Kristallisation bei niedrigen Temperaturen) scheint ein vielversprechender Weg für die Herstellung vieler anderer Moleküle zu sein, die als instabil gelten und mit herkömmlichen Methoden nur schwer zu synthetisieren sind. Dies könnte z. B. bei der Synthese bestimmter Arzneimittel Anwendung finden.

Obwohl glasartiges Wasser auf der Erde nicht natürlich vorkommt, ist es im Weltraum weit verbreitet. Kometen und interstellarer Staub enthalten es. Bei der Annäherung eines Kometen an die Sonne erwärmt sich das glasartige Wasser und kristallisiert bei niedrigen Temperaturen, wodurch hochgradig metastabile Substanzen und neue, bisher unbekannte Arten von Molekülen entstehen können. Deshalb könnte die Herstellung neuer Moleküle durch die Kristallisation von glasartigem Wasser bei niedrigen Temperaturen auch der Schlüssel zum Verständnis der chemischen Reaktionen im Weltraum sein.

Publikation: In Spite of the Chemist’s Belief: Metastable Hydrates of CsCl. Kamila Závacká, Ľubica Vetráková, Johannes Bachler, Vilém Neděla, Thomas Loerting. ACS Phys. Chem. Au 2025 DOI: 10.1021/acsphyschemau.4c00093

 

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