Der Grazer Privatdozent Fritz PREGL (1869-1930) nahm kurz vor seiner Berufung auf den Lehrstuhl der Medizinischen Chemie an der Medizinischen Fakultät der Universität Innsbruck im Herbst 1910 die Arbeiten zur Reduktion der für die chemische Elementaranalyse erforderlichen Substanzmengen (chemische Mikroanalyse) auf.
Am 2. August 1910 schrieb PREGL seinem Grazer Lehrer Karl Berthold Hofmann: "Ihrem bewährten Rate folgend, besuchte ich Prof(essor) Emich und sprach mich ganz offen mit ihm über meine mikroelementaranalytischen Bemühungen aus." In Innsbruck angekommen forcierte PREGL die Arbeit an der Mikroanalyse.
Der Innsbrucker Naturwissenschaftlich-Medizinische Verein lud PREGL bereits wenige Tage nach seinem Ankommen im November 1910 zu einem Vortrag ein. Am 14. November 1910 schreibt PREGL: "Am verflossenen Dienstag hielt ich über Aufforderung des Vor(stands) Prof(essor) (Bruno) Hofmann im naturw(issenschaftlich) med(icinischen) Vereine einen Vortrag über meine Mikroelementaranalyse, der namentlich auf die Fach-Chemiker der philosoph(ischen) Fakultät großen Eindruck gemacht hat."
Viele Fachkollegen, so der Zürcher Richard WILLSTÄTTER, selbst später Chemie-Nobelpreisträger, sandten ihre besten Doktoranden zum Studium der PREGL’schen Mikroanalyse-Methode nach Innsbruck. PREGL selbst schrieb im Mai 1912: "Am Ende des Wintersemesters war ich schwer überarbeitet. Ich habe die Mikroelementaranalyse verbessert, verfeinert, vereinfacht und noch weiter ausgebaut. Sie stellt nun einen fertigen Guß vor. Die Methoden sind bis in die geringsten Kleinigkeiten ausprobiert und die Vorschriften derartig, daß nunmehr Änderungen nur schaden könnten."
PREGL erhielt 1923 den Nobelpreis für Chemie. PREGLs Mikroanalyse hat die Forschung auf dem Gebiet der Vitamine, Fermente und Hormone entscheidend vorangetrieben.
Obwohl PREGL etwa 1911 eine Berufung nach Berlin mit der Begründung ablehnte, es sei ein größeres Glück, "in gewohnter Umgebung ruhig forschen zu können, als wieder die Gemütspein einer Ortsveränderung mitmachen zu müssen", hat er sich in Innsbruck nicht übermäßig wohl gefühlt. Er sprach von "geistiger Vereinsamung" und schreibt jedenfalls im Juni 1913 aus Anlass einer Wiener und Grazer Berufungsoption: "In dieser Woche sollen also die Würfel darüber fallen, ob ich zeitlebens in Innsbruck verbauern soll oder ob ich in die Kulturwelt wieder eintreten darf." (Fritz Pregls hier zitierte Briefe sind 1989 von Alois Kernbauer und Anton Holasek in der Schriftenreihe des Universitätsarchivs Graz herausgegeben worden!)
PREGL, der 1913 nach Graz zurückging, empfahl am 12. Juli 1913 als Berufungskommissions-Referent der Medizinischen Fakultät für seine Innsbrucker Nachfolge Adolf WINDAUS (1876-1959), dem in Anerkennung seiner Forschungen auf dem Gebiet der Konstitutionsaufklärung der Sterine und ihrer Beziehungen zu den Vitaminen 1928 der Nobelpreis für Chemie verliehen werden sollte: "Auf Grund dieses Gutachtens hat mithin der Ausschuß einstimmig beschlossen, der medizinischen Fakultät für den Fall einer notwendig werdenden Wiederbesetzung der Medizinisch-chemischen Lehrkanzel folgende Terne zu empfehlen: Primo loco: Professor Windaus, Freiburg iB., Secundo loco: Professor Panzer, Wien, Tierärztliche Hochschule, Tertio loco: Professor Knoop, Freiburg iB."
Nach knapp zweijähriger Tätigkeit ging WINDAUS 1915 nach Göttingen. Ihn löste der Münchner Privatdozent Hans FISCHER (1881-1945) ab, der nach ebenfalls kurzer Zeit 1918 Innsbruck Richtung Wien verließ und 1921 nach München zurückkehrte. Ihm wurde 1930 der Nobelpreis für Chemie in Anerkennung seiner Verdienste um die Synthese des Hämins verliehen.
Innsbruck teilt sich bei realer Betrachtung also nur Fritz PREGL als Nobelpreisträger mit der Grazer mikrochemischen Tradition. 1917 erkannte PREGL in seinem großen Handbuch "Die quantitative organische Mikroanalyse" auch den wichtigen Charakter der Innsbrucker Jahre an. Die kurzen Aufenthalte von PREGL, WINDAUS und FISCHER verdeutlichen auch die schwierige materielle und finanzielle Ausstattung der naturwissenschaftlichen Forschung an der Universität Innsbruck in den letzten Jahren der Habsburgermonarchie. Mehrere von PREGL beantragte Sonderdotationen wurden nur unzulänglich bewilligt, obwohl sogar PREGLs Verlust ans Ausland drohte. Auch FISCHERs finanzielle Forderungen blieben in Innsbruck unerfüllt, sodass sich seine wissenschaftliche Arbeitskraft kaum entfalten konnte. Hinzu kam, dass sein Innsbrucker Wirken mitten in die Barbarei des Imperialistischen Weltkriegs fiel, die von der Universität propagandistisch unterstützt wurde.
Nur das Zusammentreffen glücklicher Umstände ermöglichte 1931 die Berufung von Victor Franz HESS (1883-1964). Die Verlegung von HESS' Lehrkanzel von Graz nach Innsbruck war für das Bundesministerium nämlich mit keinen größeren Zusatzkosten verbunden. Die Berufung des nachmaligen Nobelpreisträgers Erwin SCHRÖDINGER war kurz zuvor gescheitert, nachdem Tirols Zeitungsblätter eine Polemik gegen eine „Luxusberufung“ in Zeiten der Wirtschaftskrise entfacht hatten.
Die Innsbrucker Professoren des mathematisch-physikalischen Fachbereichs urgierten die Ernennung von HESS 1930 und stellten dabei die materielle Aushungerung der Naturwissenschaften dar: "Trotz der enormen Steigerung der Frequenz unserer Universität und der hierdurch bedingten erhöhten Anforderung an Personal und Institut ist in den letzten Jahren ein Abbau und eine Reduktion der Lehrstellen der oben erwähnten Fächer eingetreten und nicht ein Ausbau. Es gab im Sommersemester 1925: 2 Ordinarien für Mathematik (Zindler, Gmeiner), 2 Ordinarien für Experimentalphysik (Schweidler, Lerch), 1 Ordinarius für theoretische Physik (Tumlirz), 1 Ordinarius für Kosmische Physik (=Meteorologie und Geophysik - Anm.), 1 Ordinarius für Astronomie (Scheller). Von diesen 7 Ordinariaten sind heute 4 mit Extraordinarien besetzt, ein Ordinariat (Experimentalphysik) wurde gestrichen. Gegenwärtig, vor Besetzung der einen mathematischen Lehrkanzel, ist der Unterzeichnete der einzige Ordinarius obiger Gruppe.“
HESS begann im Oktober 1931 mit seiner Innsbrucker Lehrtätigkeit. Mit seinen Assistenten errichtete HESS in einer aufgelassenen Baubaracke auf dem mit einer Seilbahn von Innsbruck aus erreichbaren Hafelekar in 2300m Seehöhe ein Labor zum Studium der Kosmischen Strahlung. HESS' Hafelekarstation, ein Aushängeprojekt des österreichischen Wissenschaftsbetriebes, von zahlreichen ausländischen Gelehrten besucht, konnte nur zu geringen Teilen aus inländischen Forschungsförderungsmitteln finanziert werden. Die Einstellung der Hilfe von Seite der Rockefeller-Foundation etwa beeinträchtigte den Betrieb der Hafelekarstation ab 1935 stark.
1936 wurde HESS für die Entdeckung der Kosmischen Strahlung der Nobelpreis für Physik zuerkannt. 1937 ging er zurück nach Graz, von wo er im Herbst 1938 nach der NS-Machtergreifung in die USA flüchtete.
(ip)