1898 kehrte er mit seiner Familie dorthin zurück und begründete an der Wiener Universität das musikwissenschaftliche Seminar. Der Sohn, Hubert Joachim, begann kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges sein Medizinstudium und führte bis zu seiner Emigration in die USA am 5. August 1938 eine Ordination in Wien.
Wie den Aufzeichnungen von Melanies Neffen, Tom Adler, zu entnehmen ist, blieb sie für ihre Familie ein Rätsel („an enigma“). Sie hielt sich häufig in München und Graz auf oder besuchte Kurorte auf dem Lande. Melanies unabhängiger Lebensstil, ihre gelegentlichen Auftritte mit Herrenhut und Trenchcoat und ihre distanzierte Haltung gegenüber der jüdischen Kultur boten der Verwandtschaft reichlich Stoff für Gerüchte. Sie begann ein Medizinstudium in Wien. 1927 wechselte die bereits 39jährige im fünften Semester nach Innsbruck, das sie 1930 wieder verließ. Ihre Promotion legte sie am 20. November 1936 in Wien ab, hat jedoch nie als Ärztin gearbeitet und sich nirgends niedergelassen.
Nach dem Tod der Mutter zog Melanie endgültig 1938 in den Haushalt des 83jährigen Vaters. Guido Adler wollte angesichts seines hohen Alters nicht mehr die Mühe und Ungewissheit der Flucht auf sich nehmen, obwohl sich durch Freunde im Ausland die Möglichkeit geboten hätte. Melanie Adler blieb daher mit ihrem pflegebedürftigen Vater in Wien. Von seiner Tochter von allen unangenehmen Nachrichten fürsorglich abgeschirmt, starb Guido Adler am 15.2.1941 eines natürlichen Todes. Sein Erbe umfasste neben dem Haus und Kunstgegenständen vor allem die musikwissenschaftliche Bibliothek, die neben seltenen wissenschaftlichen Werken auch Korrespondenzen mit Komponisten jener Zeit, unter anderem mit Brahms, Bruckner, Richard Strauss, Alma und Gustav Mahler enthielt.
Guido Adlers Nachfolger, Erich Schenk, setzte sofort Maßnahmen, diesen Besitz für sein Institut sicherzustellen. Durch Melanie Adlers Versuche, ihr Erbe zu retten bzw. wenigstens als geschlossene Sammlung zu verkaufen, geriet sie zusehends in das Blickfeld der Gestapo, nicht zuletzt, da auch andere Wiener Einrichtungen Teile dieses jüdischen Besitzes beanspruchten und eine „Arisierung“ anstrebten. Mit Hilfe des Innsbruckers Rudolf von Ficker, einem Schüler ihres Vaters, führte sie Verkaufsverhandlungen mit der Stadtbibliothek München. Zugleich versuchte sie über ein Angebot an Winifred Wagner in Bayreuth, einen persönlichen Schutzbrief zu erhalten. Diese ergebnislosen Rettungsversuche dauerten bis Ende des Jahres, in den Weihnachtstagen 1941 verließ Melanie Adler die Dachwohnung in ihrem Haus und tauchte unter, wurde aber vermutlich im Mai 1942 entdeckt.
1945 schilderte Rudolf von Ficker anläßlich der Nachbesetzung der Innsbrucker Lehrkanzel in einem Memorandum, wie er am 8. Mai 1942 im musikwissenschaftlichen Seminar in Wien zufällig Zeuge wurde, „wie dort gerade die Bibliothek Adlers samt allen persönlichen Dokumenten und Zubehör abgeladen und aufgestapelt wurde. Prof. Schenk, den ich vorher nicht kannte, teilte mir zur Aufklärung mit, Frl. Adler habe sich ‚saudumm‘ benommen, sie habe sich gegen das Gesetz vergangen, weil sie gegen die von ihm bei der Gestapo bewirkte Beschlagnahme der Bibliothek protestiert hätte. Sie sei jetzt geflüchtet, werde jedoch von der Gestapo schon gefunden werden und dann heiße es: ‚Marsch, nach Polen!‘“ Am 20. Mai 1942 wurde Melanie Adler nach Minsk deportiert und im Lager Maly Trostinec am 26. desselben Monates ermordet.
Ihrem in die USA emigrierten Bruder, Hubert Joachim Adler, gelang es, das „arisierte“ Eigentum seines Vaters zum Teil wieder zurück zu bekommen. Er verkaufte den Nachlass an das Department of Music an der University of Georgia in den USA. Im Jahr 2000 bot der Sohn von Melanie Adlers Rechtsanwalt, der sie in der Erbsache nicht zu ihrem Vorteil vertreten hatte, dem Auktionshaus Sotheby’s eine bis dahin verschollen geglaubte handschriftliche Partitur Gustav Mahlers, die mit einer persönlichen Widmung an Guido Adler versehen war, zum Kauf an. Dies führte zu weiteren Restitutionsverhandlungen mit dem Enkel, Tom Adler, aber auch zu einer Aufarbeitung der Familiengeschichte.
(Renate Erhart)