Von Günther Pallaver
Bei den italienischen Parlamentswahlen 2013 erreichte die Lega Nord 4,0% der Stimmen, bei den Parlamentswahlen im März 2018 kam sie auf 17,3%. Seit Juli dieses Jahres liegt sie bei Umfragen konstant bei 30% und hat seit September die 5 Sterne Bewegung, die bei den Wahlen am 4. März mit 32,7% stärkste Kraft wurde, in der Wählergunst überholt. Lega Chef Matteo Salvini kann derzeit auf eine Zustimmung der Italiener*innen von rund 60% zählen. Allein diese wenigen Daten weisen darauf hin, dass die Lega Salvinis längst nicht mehr die Lega von Umberto Bossi ist.
Neupositionierung
Politisch fast totgesagt, präsentierte sich die Lega 2013 mit einem neuen politischen Angebot, einer neuen internen Organisation und einer erneuerten Leadership mit Matteo Salvini.
Die Lega, einst die Partei des Nordens, agiert heute als gesamtstaatliche Partei, die sich immer mehr nach rechts bewegt. Eine Folge davon ist die offene Feindseligkeit ihrer politischen Klasse wie ihrer Wählerschaft gegenüber Ausländern, Flüchtlingen und Migranten sowie ihre Neupositionierung auf internationaler Ebene unter den Parteien, die gegen Europa agitieren, gegen den Euro sind und die Handelsabkommen in Frage stellen.
Die Forderung nach Föderalisierung Italiens, nach Autonomie und Sezession des Nordens gehört heute nicht mehr zu den politischen Prioritäten. Ganz augenscheinlich kommt diese programmatische Änderung durch die Eliminierung des Wortes „Nord“ aus dem Namen der Partei zum Ausdruck.
Die Lega ist heute eine stark personalisierte Partei mit einer ausgeprägten vertikalen Organisationsstruktur und ist im Vergleich zu Bossis Zeiten weit weniger im Aktivismus der Basis verankert. Die Partei weist heute Aspekte einer rechtsextremen Partei auf, ist rassistisch, xenophob und sexistsich und verwendet eine gewaltsame Sprache. Salvini verglich Sinti und Roma auch schon mal mit Mäusen, „die leichter zu bekämpfen sind als die Zigeuner.“ Für ihn bringen die Flüchtlinge „Krätze, Tuberkolose und Ebola.“ Er forderte in Zügen und Bussen bevorzugte Sitzplätze für die Einheimischen und stellte die ehemalige Parlamentspräsidentin Laura Boldrini als aufblasbare Puppe auf die Bühne.
Italiener zuerst!
Die Lega ist zu einer souveränistischen Partei mutiert, die sich nach außen hin abschottet („Italiener zuerst!“) und die klassischen Themen der nationalistischen extremen Rechten reitet: Kampf der Modernisierung, Kampf gegen die Einwanderung und somit für das ius sanguinis und gegen das ius soli, Kampf gegen die Vertiefung des europäischen Integrationsprozesses und gegen die gemeinsame Währung Euro, Kampf den „demokratischen Gutmenschen,“ wie Gianluca Passarelli und Dario Tuorto in ihrem Buch „La Lega di Salvini“ (2018) schreiben und aus dem die meisten hier präsentierten Daten stammen.
Bei den Parlamentswahlen 2018 hat die Lega auf zwei Themen gesetzt, auf die Einwanderung und den Anti-Europäismus, und hat diese radikalisiert, um ihren Alleinvertretungsanspruch bei diesen Fragen zu untermauern. Im Wettbewerb mit anderen Parteien mit denselben Themen hat die Lega in den letzten Jahren eine einfache Interpretation dieser Probleme mit einfachen Antworten geliefert, eine kohärente Position vertreten und ein klares ideologisches Profil eingenommen. Im Klartext bedeutet dies Vorbehalt bis Ablehnung von individuellen Rechten, Intoleranz gegenüber sozialen Minderheiten und populistische Attacken gegen das politische Establishment.
Im Gegensatz zur allgemeinen Meinung hat es unter der Wählerschaft der Lega keine tiefgreifenden Änderungen gegeben. Die Wählerschaft ist traditionalistisch eingestellt, im Gegensatz zu anderen rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien wählen gleich viel Männer wie Frauen die Partei Salvinis, die im Durchschnitt 50 Jahre alt sind.
Knapp 24% weisen einen formal niederen Bildungsgrad auf, knapp 70% sind beschäftigt, 26% gehen einer autonomen Arbeit nach, rund 25% sind Arbeiter und 20% sind regelmäßige Kirchgänger. Letztere bedient die Lega mit der Forderung nach einem Kreuz in jeder Schulklasse und mit der Subventionierung von Weihnachtskrippen. Salvini schwört mit dem Rosenkranz in der Hand, Italien wieder den Italienern zurückzugeben. Das wurde selbst der Katholischen Kirche zu viel.
Im rechten Lager
„Mit dem MSI? Nie! Nieeee!“ hatte Umberto Bossi 1994 den Neofaschisten zugerufen. Heute hat Salvini keine Berührungsängste mehr, weder in Italien mit der neofaschistischen Partei CasaPound, noch international, wie etwa mit dem französischen Front National von Marie Le Pen oder mit dem orthodoxen Nationalismus von Vladimir Putin. Auf rechtsextremen Positionen hatte sich die Lega allerdings bereits vor der Leadership Salvinis befunden. Wie Passarelli und Tuorto schreiben, „hatten die geäußerten Obszönitäten von Borghezio, Calderoli und Gentilini zur Einwanderung, Religion und zu den Grundrechten fast Töne eines Pogroms angenommen". Der Unterschied zu früher besteht heute darin, dass die Beziehungen und Bündnisse mit neofaschistischen Bewegungen in Italien und in Europa offen zur Schau getragen werden, auf die man mit Stolz verweist.
Dadurch ist es der Lega gelungen, auf elektoraler Ebene zuerst Alleanza Nazionale, dann zum Großteil die Partei Fratelli d’Italia aufzusaugen, um schließlich als Garant für die neofaschistischen Bewegungen wie CasaPound oder Forza Nuova aufzutreten. Auf einer Skala von 0 bis 10 (=extrem rechts) positioniert sich die Wählerschaft der Lega bei 8,2. Wählerschaft und Partei weisen dabei eine hohe Übereinstimmung auf.
Man braucht sich deshalb nicht zu wundern, wenn Salvini 2018 am Tag der Befreiung (25. April) twitterte: „Holen wir unser Land, unsere Freiheit, unsere Zukunft wieder zurück. Die Toten haben keine Farbe. #zuerstdieitaliener.“ Die Befreiung von Faschismus und Nationalsozialismus wurde umgedeutet in die Befreiung von den Ausländern.
Die Wählerschaft der Lega, auf die Salvini sehr professionell zugeht, zeigt in einigen Kernfragen deren traditionalistische und feindselige Haltung. 89% sind für eine starke Führerpersönlichkeit, womit eine autoritäre Einstellung zu Tage tritt. Fast 40% sind dafür, die Abtreibung zu erschweren. Rund 64% sind für den Schutz der traditionellen Familie, 62% gegen die gleichgeschlechtliche Ehe.
83,5% sind der Meinung, dass die Einwanderer eine Gefahr für die italienische nationale Kultur sind, 85% glauben, dass diese auch eine Gefahr für die Beschäftigungslage sind. 74% haben vom „Gerede“ über die Rassengesetze (1938) genug, was auf einen antisemitischen Bodensatz hinweist.
Fern von Europa
Am 3. Mai dieses Jahres erklärte Salvini: „Ich will eine Regierung anführen, die Nein zu den europäischen Wahnsinnsideen sagt und an die erste Stelle die Interessen Italiens setzt.“ Die Haltung zu Europa unterscheidet die Lega heute am eindeutigsten von den anderen Parteien des rechten Lagers in Italien. Die antieuropäische Haltung der Lega beginnt mit dem Übergang vom Föderalismus-Sezessionismus zu nationalistischen und souveränistischen Positionen und löste das „Zuerst der Norden“ mit „Zuerst die Italiener“ ab. In ihrer Anfangsphase war die Lega noch für ein „Europa der Regionen“ gewesen, um den Nationalstaat auszuhebeln. Mit dem Scheitern der Föderalisierung Italiens, mit der aufkommenden Wirtschaftskrise zu Beginn des neuen Jahrtausends kam es definitiv zur Trendwende hin zum Antieuropäismus: gegen die Bürokratie von Brüssel, gegen die Knebelung der italienischen Wirtschaft durch Europa, gegen die kommissarische Verwaltung von nationalen Instanzen. Es darf deshalb nicht wundern, wenn sich Salvini an die Seite von Donald Trump und Vladimir Putin stellt, die beide gegen den europäischen Integrationsprozess intrigieren. Agitierte die Lega früher als subnationale Bewegung gegen den Zentralstaat, agitiert sie heute als gesamtstaatliche Bewegung gegen Europa. Auch die freundschaftliche Verbundenheit mit anderen euroskeptischen und antieuropäischen Parteien wie mit dem französischen Front National, dem belgischen Vlaams Belang oder mit die FPÖ belegt diese Stoßrichtung.
Die Lega-Wähler sind in Italien denn auch die am meisten euroskeptischen. 36% davon (alle Wähler 21%) halten den europäischen Integrationsprozess für ein Übel, nur 19% als etwas Positives (Rest weder noch). Lediglich 19% sehen den Euro als etwas Positives an, 55,4% als ein Übel (alle Wähler 33,6%).
Gäbe es Neuwahlen, würde die Lega laut Umfragen in einer Wahlkoalition mit den anderen Parteien des rechten Lagers die absolute Parlamentsmehrheit erreichen. Mit Matteo Salvini als Ministerpräsident.
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