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Blog: ETA löst sich auf, Spanien kämpft weiter

11.05.2018: Die letzte bewaffnete Untergrundorganisation in Europa gibt die vollständige Auflösung ihrer Strukturen bekannt. Madrid: keine Zugeständnisse.

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Von Matthias Scantamburlo

Nun ist es endgültig so weit. Die linke baskische Befreiungsorganisation ETA (Euskadi Ta Askatasuna bask. Baskenland und Freiheit) hat in einem öffentlichen Schreiben die „vollständige Auflösung ihrer Strukturen“ und das Ende ihrer politischen Aktivität bekanntgegeben. Offiziell verkündet wurde die Deklaration am 04.05.2018 in Kanbo (franz. Baskenland), in Anwesenheit von Vertretern der regionalen Parteien, aber auch von internationalen Persönlichkeiten wie u.a. Gerry Adams, Leader der irischen Sinn Fein, oder dem irischen Ex-Premier Bertie Ahern. Fast 60 Jahre nach ihrer Gründung mitten in der Franco-Diktatur, 44 Jahre nach dem Attentat an Carrero Blanco, das den Weg zur Demokratie bereitete, und 7 Jahre nach dem einseitigen Waffenstilltand, löst sich die letzte bewaffnete Untergrundorganisation in Europa auf. Es geht damit ein politischer Prozess zu Ende, der - zusammen mit den Aktivisten im Untergrund und den politischen Gefangenen - in den letzten Jahren wichtige Teile der baskischen Gesellschaft miteinbezogen hat.

Zwei Wochen vor ihrer Auflösung hatte ETA öffentlich den verursachten Schaden für die in der Vergangenheit ausgeübten Anschläge anerkannt: „Infolge von Fehlern oder falschen Entscheidungen hat ETA auch Opfer getroffen, die nicht direkt am Konflikt beteiligt waren. Es tut uns aufrichtig leid“, hieß es in der am 20. April 2018 von der baskischen Zeitung Gara veröffentlichten Erklärung. Die öffentliche Entschuldigung gilt als weiterer einseitiger Schritt in Richtung Resolution des Konflikts nach der Entwaffnung vor ca. einem Jahr im französisch-baskischen Bayonne. Dort konnte mit Hilfe von Vermittlern, den sogenannten „Handwerkern des Friedens“, und im Rahmen eines öffentlichen Aktes vor Teilen der baskischen Zivilgesellschaft der größte Teil des ETA Waffenarsenals eingehändigt werden. Frühere Anläufe zur Entwaffnung wurden in den letzten Jahren von Madrid systematisch sabotiert.

Bislang hat die spanische Regierung jeden Schritt der ETA in Richtung Frieden entweder heruntergespielt oder als Theater und Propaganda abgewiesen, Verhandlung jeglicher Art wurden trotz Einberufung einer internationalen Kontaktgruppe verweigert. Die Deklaration des Innenministeriums zur Auflösungsankündigung „ETA habe keines ihrer Ziele erreicht, sie sei politisch besiegt und ihr würden keine Zugeständnisse gemacht“ ist deshalb keine Überraschung.

Zugeständnisse würden vor allem eine Änderung der Politik im Umgang mit den baskischen politischen Gefangenen betreffen. Es gibt im spanischen Staat über 300 baskische politische Gefangene, von denen aber nur 20% in Gefängnissen im Baskenland selbst untergebracht sind. Die anderen sind über das ganze Land verstreut. Die Politik der „Zerstreuung“ wurde vor über 25 Jahren von der sozialdemokratischen Regierung unter Felipe González eingeführt, um Druck auf die ETA und ihr politisches Umfeld auszuüben. Sie verstoßt allerdings gegen das im spanischen Strafvollzug festgeschriebene Recht auf heimatnahe Haftverbüßung. In einem Postkonfliktszenario obsolet geworden, stellt diese als politische Waffe eingesetzte Haftpolitik vor allem eine Schikane für die Verwandten der Gefangenen dar, die teilweise mehrere hundert Kilometer fahren müssen, um ihre Angehörigen 15 Minuten sehen zu können. Einige Familien legen sogar über 1.200 Kilometer (hin und) zurück. Nicht selten sind mehrere bei diesen langen Fahrten verunglückt.

Auch die Situation der Gefangenen selbst ist in mehreren Fällen kritisch. Viele von ihnen leiden unter unheilbaren Krankheiten oder gravierenden psychischen Problemen aufgrund der besonders harten Haftbedingungen. Während sich die Situation der ETA-Häftlinge in Frankreich verbessert hat und einige Transfers in nähergelegene Gefängnisse ausgehandelt werden konnten, scheint sich die Lage in Spanien seit dem endgültigen Waffenstillstand im Jahr 2011 eher verschlechtert zu haben. Durchaus gängige Entscheidungen, schwer erkrankte ETA Mitglieder aus humanitären Gründen unter Hausarrest zu stellen, sind seit 2011 in etlichen Fällen vom obersten spanischen Gerichtshof wieder zurückgenommen worden.

Vergleiche mit anderen Friedensprozessen, in denen den Gefangenen eine Amnestie gewährt wurde, lehnt der spanischen Staat mit dem Argument ab, die Gewalt im Baskenland sei von einer einseitigen terroristischen Kampagne ausgegangen. Eine solche Sichtweise widerspricht aber der Tatsache, dass in den Jahren der Gewalt im Rahmen des sogenannten „schmutzigen Krieges“ (guerra sucia) gegen ETA staatlich geförderte Todesschwadronen, u.a. die Grupos Antiterroristas de Liberación (GAL), operierten und dass polizeiliche Willkür und Folter von Seiten der Sicherheitskräfte weit verbreitet waren. Die baskische Regionalregierung hat kürzlich einen Bericht vorgelegt, der mehr als 4.000 Fälle von Folter an ETA-Verdächtigen aufzeigt. Insgesamt forderte der baskische Konflikt über 1.000 Menschenleben. Während ETA um die 850 Opfer zugerechnet werden, schätzt man für die Seite des Staates zwischen 170 und 350. Obwohl in der baskischen Gesellschaft verschiedene Initiativen zur Aufarbeitung des Konflikts geschaffen wurden, lehnen die landesweiten Verbände der ETA Opfer den Dialog generell ab.

Die historisch-politische Auslegung des Endes der Gewalt hat seit dem Waffenstillstand von 2011 längst einen wichtigen Platz in der politischen Agenda eingenommen. Für die baskische Unabhängigkeitsbewegung ist der Konflikt mit dem spanischen Staat noch nicht zu Ende, es gehe nun darum, ihn auf andere Weise zu lösen. Das Ende der Gewalt war dabei ein wichtiger Beitrag für einen neuen politischen Zyklus. Madrid hingegen ist daran interessiert, das Ende der ETA als militärische Angelegenheit darzustellen, wobei für die Untergrundorganisation der Kampf materiell nicht mehr haltbar gewesen sei und der spanische Staat sie besiegt habe.

Eine Einteilung in Sieger und Besiegte zeigt die ideologische Dimension des Kampfs gegen den Terror. Seit der demokratischen Transition wurde dieser als vereinendes Element benutzt, um anti-peripher-nationalistische Ressentiments hoch- und ein in wirtschaftlicher, territorialer und politischer Hinsicht prekäres Staatsprojekt zusammenzuhalten. Nicht zuletzt stellte die Härte des Vorgehens gegenüber der ETA für die staatsweiten Parteien einen wichtigen Faktor im Wettbewerb um Wählerstimmen dar. Nach dem Ende der ETA hat der spanische Staat bereits neue innere Feindbilder gefunden: die katalanische Unabhängigkeitsbewegung. Aussagen wie „ETA ist nicht besiegt, weil in Katalonien der Prozess voranschreitet“ oder „der (katalanische) Prozess ist ETAs Projekt“ (Ex Innenminister Mayor Oreja) gehören zum Alltag in den staatsweiten Medien.

Das repressive Vorgehen in Katalonien hat mittlerweile eine Vorgehensweise an den Tag gelegt, die im Baskenland seit Jahren gang und gebe war, allerdings sehr leicht mit dem Terrorismusargument gerechtfertigt werden konnte: Illegalisierung von politischen Parteien und sozialen Bewegungen, politische Verfolgung von Aktivisten und Verbot von Zeitungen. Dass sich die Politik des „todo es ETA“ noch voll im Gange befindet, bestätigen die Geschehnisse von Altsasu, einem kleinen Dorf im baskischsprachigen Navarra, wo 8 linksnationalistisch gesinnte Jugendliche wegen einer Gasthausrauferei mit zwei sich nicht im Dienst befindlichen Guardia Civil Polizisten des Terrors angeklagt werden. Ihnen drohen 60 Jahre Haft.

Das Ende der Gewalt im Baskenland scheint auch einen Stillstand hinsichtlich des politischen Status der Region mit sich gebracht zu haben. Die Autonome Gemeinschaft verfügt im Gegensatz zu Katalonien über weitgehende Autonomierechte, vor allem im finanziellen Bereich. Laut Umfragen steht die Forderung nach Unabhängigkeit in der Gesellschaft auf einem historischen Tief. Der konservative Partido Nacionalista Vasco (Baskische Nationalistische Partei PNV), der seit den ersten regionalen Wahlen 1980 das Land ununterbrochen regiert (mit Ausnahme von 2009-2012), paktiert trotz „theoretischer Selbstbestimmungsmehrheit“ mit dem regionalen Ableger der spanischen Sozialisten. Eine nicht ungewöhnliche Koalition im Land der Basken.

Der PNV plädiert seit jeher vage für einen „neuen politischen Status“ und hat seit dem Beginn der Wirtschaftskrise die territoriale Agenda komplett vernachlässigt. Für die Aushandlung von zusätzlichen Kompetenzen ist die politische Couleur der Regierung in Madrid allerdings nicht ausschlaggebend. Zurzeit spielt die Partei das Zünglein an der Waage für die Genehmigung des Budgets der Regierung von Mariano Rajoy, auf dem Verhandlungstisch steht die Abschaffung des Artikels 155 in Katalonien. Die Izquierda Abertzale (dt. patriotische Linke), vereint in der Koalition EHBildu, verfolgt kurzfristig hingegen den Zusammenschluss mit der Foralen Gemeinschaft Navarra, der erste Schritt zu einem unabhängigen und sozialistischen Baskenland. Seit dem Waffenstillstand von 2011 und der Legalisierung des Batasuna Nachfolgers Sortu, die treibende Kraft der Koalition, befindet sie sich jedoch in einer Identitätskrise, die durch die neugegründete Podemos zusätzlich erschwert wurde. Mit ihrem Wahlversprechen eines paktierten Referendums hat letztere 2016 den Einzug in das Regionalparlament geschafft und war bei den Parlamentswahlen eine der erfolgreichsten Parteien im Baskenland. Die Ereignisse in Katalonien haben aber gezeigt, dass es sich dabei um eine reine Wahlstrategie handelt.

Ob die Auflösung der ETA den Weg zu einem neuen politischen Status bereitet ist unklar. Obwohl die Voraussetzungen für politische Verständigung im Baskenland momentan günstiger sind als in Katalonien, erscheinen in einem Staat, in dem eine Gasthausrauferei zu Terrorismus wird, rationale, auf Verhandlung basierende paktierte Lösungen unmöglich.

 

Matthias Scantamburlo ist PhD Absolvent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Regional Manifestos Project an der Universidad de Deusto in Bilbao, Baskenland.

 


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