Von Manuel Mayrl
Am 25. September 2022 finden in Tirol vorgezogene Landtagswahlen statt. 535.112 wahlberechtigte Tiroler_innen haben dann die Gelegenheit mitzubestimmen, wer in der nächsten Legislaturperiode ihre Anliegen politisch vertreten soll. Insgesamt sind 36 Mandate im Tiroler Landtag zu vergeben. Demgegenüber stehen allein auf den Landeswahlvorschlägen der Parteien 506 Kandidat_innen. Während die bereits aktuell im Landtag vertretenen Parteien – ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne, NEOS und Liste FRITZ – die Maximalanzahl von 72 Kandidat_innen benannten, stellen sich für MFG 47, für KPÖ 16 und für MACH MIT 11 Kandidat_innen zur Wahl.
Bei einer solchen Überzahl an Kandidat_innen gegenüber den zur Verfügung stehenden Mandaten stellt sich die Frage, warum Parteien so viele Personen nominieren die zum allergrößten Teil keine reelle Chance haben nach der Wahl tatsächlich in den Landtag einzuziehen bzw. irgendwann nachzurücken. Zum einen sollen sogenannte Solidaritätskandidaturen bei den Wähler_innen ein Gefühl von Vertrautheit und Kompetenz wecken. Häufig geschieht dies durch die Kandidatur bereits sehr bekannter Politiker_innen. Beispiele hierfür sind mit Christine Oppitz-Plörer für die ÖVP, Selma Yildirim für die SPÖ und Georg Willi für die Grünen schnell gefunden. Ihnen ist gemeinsam, dass sie in der Regel auf den hintersten Plätzen des Wahlvorschlages landen, um dadurch den Wähler_innen besser ins Auge zu springen.
Darüber hinaus bieten Solidaritätskandidaturen die Möglichkeit regionale Verankerung und Nähe zu den Wähler_innen und ihren Bedürfnissen zu signalisieren. Bei einer Wahlkampfveranstaltung formulierte etwa der Spitzenkandidat der Tiroler ÖVP explizit "den Anspruch, die gesamte Gesellschaft und das ganze Land abzudecken"1. Wähler_innen in ländlichen Regionen fühlen sich womöglich nicht gut genug repräsentiert von einer Partei, deren Kandidat_innen sich ausschließlich aus Städten rekrutiert und vice versa. Wie sehr achteten die Parteien für den aktuellen Landtagswahlkampf also auf die geographische Verteilung ihrer Kandidat_innen?
Die vergessenen Täler?
Von Tirols insgesamt 277 Gemeiden kommen aus 147 davon zumindest eine_n Kandidat_in. Wenig überraschend zählt Innsbruck die meisten; immerhin ist es auch die bevölkerungsreichste Gemeinde. 105 Personen, und damit jede_r fünfte Kandidat_in, haben laut Landeswahlvorschlag ihren Wohnsitz in der Landeshauptstadt. Gemessen an der Anzahl an Kandidat_innen liegt Hall in Tirol (20) an zweiter, Telfs (18) an dritter und Kufstein (17) an vierter Stelle. In Wörgl, Jenbach, Schwaz und Lienz wohnen jeweils zwölf Kandidat_innen. Mit Ausnahme von Jenbach handelt es sich hierbei zugleich um die sieben bevölkerungsreichsten Gemeinden.
Auffällig ist aber vor allem auch das weitgehende Ausbleiben von Kandidat_innen in manchen Tälern. Auf den Landesvorschlägen der Parteien finden sich kaum Personen die ihren Wohnsitz im Lechtal (2), Hochpustertal (2) oder Paznauntal (1) haben. Auch im Zillertal und Wipptal haben viele Gemeinden keine_n ihrer Einwohner_innen auf den Landeslisten.
Abb. 1: Anzahl der Kandidat_innen in den Tiroler Gemeinden (interaktiv). (Credit: Manuel Mayrl)
Abb. 1: Anzahl der Kandidat_innen in den Tiroler Gemeinden (interaktiv). (Credit: Manuel Mayrl)Das Verhältnis zur Einwohner_innenzahl
Es ist wenig verwunderlich, dass die bevölkerungsreichsten Gemeinden auch mehr Plätze auf den Landeslisten ausfüllen. Doch wie verhält sich die Anzahl der Kandidat_innen zu den Einwohner_innenzahlen der Gemeinden?
Ein Blick auf dieses Verhältnis verändert das Bild. Gemessen an der Einwohner_innenzahl sind es vor allem kleinere Gemeinden, die stärker auf den Landeswahlvorschlägen repräsentiert sind. Bei weniger als 200 Einwohner_innen kommt beispielsweise St. Sigmund im Sellrain auf die höchsten Werte: Die einzige Kandidatin aus dem kleinen Ort, der weniger als 200 Einwohner_innen zählt, entspricht hochgerechnet einer Repräsentation von 5,6 Kandidat_innen pro 1.000 Einwohner_innen. Im Vergleich dazu kommen in Innsbruck auf 1.000 Einwohner_innen 0,8 Kandidat_innen.
Abb. 2: (Hochgerechnete) Anzahl der Kandidat_innen in den Tiroler Gemeinden pro 1.000 Einwohner_innen. (Credit: Manuel Mayrl)
Abb. 2: (Hochgerechnete) Anzahl der Kandidat_innen in den Tiroler Gemeinden pro 1.000 Einwohner_innen. (Credit: Manuel Mayrl)Geographische Verteilung fällt unterschiedlich aus
Auf den ersten Blick ist in Abbildung 3 erkennbar, dass bei den etablierten Parteien die meisten Kandidat_innen aus Innsbruck-Stadt und/oder Innsbruck-Land kommen. Besonders augenscheinlich ist dieser Fokus bei den Grünen und der Liste FRITZ. Daneben ist auch der Bezirk mit der zweitgrößten – und gleichnamigen – Stadt Kufstein bei den meisten Parteien auffallend stark vertreten.
Insgesamt scheint der Landeswahlvorschlag der ÖVP, im Hinblick auf die Verteilung der Kandidat_innen aus den einzelnen Bezirken, am ausgeglichensten. Veranschaulicht wird dies etwa durch sechs ÖVP-Kandidat_innen aus dem Bezirk Reutte, während alle anderen Parteien maximal zwei Kandidat_innen aus diesem Bezirk aufstellten. Neben der ÖVP kommen aber auch bei SPÖ, FPÖ, NEOS, Liste FRITZ und MFG Kandidat_innen aus allen neun Bezirken auf ihren Landeslisten. Von den landesweit antretenden Parteien haben lediglich die Grünen einen Bezirk der auf ihrem Landeswahlvorschlag überhaupt nicht vertreten ist: Landeck.
In überhaupt nur einigen wenigen Bezirken vertreten sind Kandidat_innen von KPÖ und der MFG-Abspaltung MACH MIT. Den beiden Parteien fehlt derzeit scheinbar die regionale Verankerung in einigen Teilen Tirols, weshalb diese auch nur in einzelnen Bezirken zur Wahl stehen.
Abb. 3: Anzahl der Kandidat_innen pro Bezirk und Partei. (Credit: Manuel Mayrl)
Zusammenfassend scheint es, dass alle Parteien auf eine möglichst breite Abdeckung Tirols durch ihre Kandidat_innen auf den Landeslisten achten, wobei dies nicht allen Parteien im gleichen Maße gelingt. Wie zu erwarten, kommen die meisten Kandidat_innen aus den bevölkerungsreichsten Orten Tirols, wobei gemessen an der Einwohner_innenzahl nicht von einer Überrepräsentation gesprochen werden kann. Allerdings bleiben bei dieser Landtagswahl einige (Seiten-)Täler auf sämtlichen Landeswahlvorschlägen unterrepräsentiert. Da diese Gebiete tendenziell auch zu den am dünnsten besiedelten gehören, mag dies für den Wahlausgang an sich keine große Rolle spielen. Da sie aber bereits bei der Besetzung der Landeslisten nicht berücksichtigt wurden, werden die Bewohner_innen dieser Täler in der kommenden Legislaturperiode Wege finden müssen, um ihre spezifischen Anliegen und Bedürfnisse auf anderen politischen Ebenen und durch andere Beteiligungsformen zu artikulieren.
Wer kandidiert aus meiner Gemeinde?
Sie möchten wissen, welche Personen aus Ihrer Gemeinde auf den Landeslisten der Parteien antreten?
Dann nutzen Sie die interaktive Tabelle:
Tab. 1: Kandidatinnen und Kandidaten pro Gemeinde. (Credit: Manuel Mayrl)
Tab. 1: Kandidatinnen und Kandidaten pro Gemeinde. (Credit: Manuel Mayrl)
Quellen
1 https://www.meinbezirk.at/reutte/c-politik/praesentation-des-vp-kandidaten-teams-in-reutte_a5552077
Landeswahlvorschläge: https://www.tirol.gv.at/buergerservice/landtagswahl-2022/barrierefreies-waehlen/barrierefreie-bekanntmachungen/
Bevölkerungszahlen der Gemeinden (Stand 01.01.2021): https://www.tirol.gv.at/statistik-budget/statistik/gemeindedaten/
Alle Grafiken: Manuel Mayrl
Manuel Mayrl ist Doktorand am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck. In seiner Forschung befasst er sich mit dem Verhältnis zwischen Politik und Medien. der Politikvermittlung in den Medien sowie Methoden der quantitativen Textanalyse.
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