Liu Zongyuan
In der Südschlucht [an eine Klippe] geschrieben
Übersetzung:
南澗中題 柳宗元
秋氣集南澗,
獨游亭午時。
迴風一蕭瑟,
林影久參差。
始至若有得,
稍深遂忘疲。
羈禽響幽谷,
寒藻舞淪漪。
去國魂已遠,
懷人淚空垂。
孤生易為感,
失路少所宜。
索寞竟何事,
徘徊只自知。
誰為後來者,
當與此心期。
In der Südschlucht [an eine Klippe] geschrieben
Herbstluft, die sich in der Südschlucht findet –
Geh alleine durch die Mittagsstunde,
Wo der Windzug streift, mit einem Seufzer,
Waldrand, schwankt noch lange in der Runde.
Kam hier an, sogleich wie nah am Ziele;
Bald darauf, vergaß die müden Wunden.
Algen tanzen kühl in klaren Wassern;
Wandervogel gellt aus dunklem Schlunde.
So entflohen ist schon lang die Seele,
Tränen stürzen, ganz umsonst, zu Grunde.
Einsamkeit kommt auf, fernab der Wege,
Anders fühlend, kaum noch eingebunden.
Mutlos immer – was bleibt da noch übrig?
Ruhlos dennoch – nichts als mich gefunden.
Wer von denen, die einst kommen mögen,
Trifft mein Herz noch an, zu seiner Stunde?
Kommentar
Dieses Gedicht ist im weiteren Zusammenhang der Acht Yongzhou-Aufzeichnungen, Yongzhou ba ji 永州八記, die den Autor als Erfinder einer neuen Qualität der Landschaftsdichtung posthum berühmt gemacht haben, zu lesen. Der Ortsname Südschlucht scheint sich hier als Variation auf die südlich von Yongzhou, dem Amtssitz des Autors gelegene Felsschlucht, shijian 石澗, zu beziehen, die Liu in dem Prosastück Aufzeichnungen von der Felsschlucht, Shijian ji 石澗記, beschreibt. Als die siebte, der insgesamt acht „Aufzeichnungen“ zu landschaftlichen Orten bei Yongzhou, schließt sich diese unmittelbar an die vorausgegangenen Aufzeichnungen vom Felsbruch, Shiqu ji 石渠記an. Der Felsbruch bezeichnet ein Gebiet, das der Präfekt von Yongzhou seinem Untergebenen, Liu Zongyuan, zur eigenen Nutzung zugesprochen hatte. Liu erkundet es, in dem er dem Wasser einer dort austretenden Quelle zunächst entlang der felsigen Ufer folgt, weshalb er der Gegend den Namen „Felskanal“ gibt. Mit Felsschlucht wird in der folgenden Aufzeichnung ein sich daran anschließendes Gebiet bezeichnet, das zwar durch einen lehmigen Bergausläufer von dem ersten abgegrenzt ist, dem Autor aber offenbar zusammen mit dem ersten Gebiet zugeeignet worden war.
Die Beschreibung folgt dem Prinzip einer allmählichen Verinnerlichung des beschriebenen Ortes und enthält deshalb neben den äußerlich formbestimmenden deskriptiven Qualitäten auch stark lyrische. Als Verinnerlichung bezeichne ich hier nämlich das metaphorische Verfahren, über das Liu die Gegenden in der Umgebung seines Verbannungsortes und einstweiligen Amtssitzes zunächst an bloß gegenständlichen Merkmalen identifiziert, sie sich dann aber zusehends, auch durch spontanes Einwirken auf den gegenständlichen Bereich, anverwandelt. So ergibt sich im Verlauf jeder Aufzeichnung eine flüchtige Identifikation mit dem Zufälligen und Willkürlichen, für das Yongzhou und seine gesamte Umgebung innerhalb der existentiellen Selbstverortung des Autors stehen. Der meiner folgenden Übersetzung zugrunde liegende Text wurde meines Wissens zuletzt von Raffael Keller ins Deutsche übertragen (Liu Zongyuan: Am törichten Bach. Aus dem Chinesischen von Raffael Keller. Friedenauer Presse Berlin 2005. S. 11-12). Meine Übersetzung weicht allerdings in einigen, zumindest für den hier gesetzten Referenzrahmen entscheidenden Details von der Kellers ab. Der chinesische Text liefert keinen direkten Hinweis auf den Numerus der Erzählerperson. Einiges spricht für Kellers Entscheidung für den Plural, zumal die Beschreibung gemeinsamer Ausflüge und Spaziergänge in Vers und Prosa zu den traditionellen literarischen Konventionen gehört. Für den von mir gewählten Singular spricht dagegen der letzte Satz.
Aufzeichnung über die Felsschlucht
Nachdem der Felsbruch also erkundet war, stieg ich von der Brücke an aufwärts in nordwestlicher Richtung und sodann an der schattigen Seite des Lehmhügels bis dort hinab, wo die Einheimischen wiederum eine Brücke gebaut hatten. Die Größe des dortigen Gewässers übertrifft die des Felsbruches um ein Dreifaches. Breite Steine bilden ein Flußbett und reichen von einem Ufer bis zum anderen, was mal wie ein Bettlager, mal wie eine Halle aussieht, mal gleicht es einem für ein Gelage bereiteten Festplatz, mal wiederum einem intimen Gemach. Die Wasserfläche breitete sich auf diesem Grund aus wie ein fließendes Gewebe und es klingt dabei als wenn jemand die Qin spielte. Den Rock über die Knöchel anhebend watete ich hindurch, brach mir am andern Ufer Bambusspieße, kehrte das Laub auf und entsorgte verrottendes Holz, sodaß ich eine improvisierte Sitzbank mit acht- bis neunzehn Plätzen herrichten konnte. Das wirbelnde und wogende Gewässer strömte rauschend und plätschernd unter der Bank vorüber, während Reiherfederngehölz und Drachenschuppenfelsen von oben her Schatten spendeten. Hätten die Alten an einem solchen Ort keine Freude gehabt? Und werden nicht die Nachgeborenen hier Gelegenheit finden, meinen Spuren zu folgen? Am Tag dieser Erkenntnis war ich eins mit dem Felsbruch.
石澗記
石渠之事既窮,上由橋西北下土山之陰,民又橋焉。其水之大,倍石渠三之一。亙石為底,達於兩涯。若牀若堂,若陳筵席,若限閫奧。水平布其上,流若織文,響若操琴。揭跣而,折竹箭,掃陳葉,排腐木,可羅胡牀十八九居之。交絡之流,觸激之音,皆在牀下;翠羽之木,龍鱗之石,均蔭其上。古之人其有樂乎此耶?後之來者有能追予之踐履耶?得意之日,與石渠同。