Meng Jiao 孟郊 (751-814)

Schluchtklagen, neuntes Gedicht 峽哀 其九

Übersetzung: 

峽水劍戟獰,

峽舟霹靂翔。

因依虺蜴手,

起坐風雨忙。

峽旅多竄官,

峽氓多非良。

滑心不可求,

滑習積已長。

漠漠涎霧起,

齗齗涎水光。

渴賢如之何,

忽在水中央。

Schluchtflut springt wild über Schwerter, Lanzen;

Schluchtboot auf donnernden Stromwellen schwebt.

In der Hand dieses giftigen Monstrums

Plagt Wetter jeden, der sitzt, sich erhebt.

Schluchtreisende, oft aus Ämtern verjagt,

Bei Völkern der Schlucht meist unbeliebt.

Denn schlaue Geister haben nichts verloren,

Wo Bauernschläue sie lang überlebt.

Lautlos steigt über dem Schaum auf der Dunst;

Licht zäh am schäumenden Wasserreich klebt.

Wozu noch dürsten nach Würde und Rang,

Wo plötzlich inmitten von Wassern man lebt?

Kommentar

Wer Meng Jiaos Schluchtengedichte liest, kommt kaum umhin, an diejenigen Du Fus zu denken. Dieser hat die legendär-zerklüftete Szenerie der drei Jangtzeschluchten, ausgehend von seiner persönlichen Erfahrung dieser landschaftlichen Aura als Ort der Zuflucht vor Bürgerkrieg und politischer Willkür, zum Prisma autobiographischer, zeitgeschichtlicher und kosmopolitischer Reflexion gemacht. Für Meng Jiao fallen die ersten beiden Facetten weg. Sein persönliches Geschick scheint ebenso wenig eine Rolle bei der Entfaltung des dichterischen Gedankens zu spielen wie bestimmte Ereignisse seiner Epoche. Und dennoch liegt eine enge Beziehung der poetischen Drei-Schluchten-Visionen beider Autoren in der Wahrnehmung des Naturphänomens als Bild einer Welt, eines Zeitalters, das in der Spannung zwischen immer noch auseinanderrückenden Extremen nicht zur Ruhe kommt und in dem der Einzelne ebenso keinen Ort der Dauer findet, nur einen Raum der Schau gewaltig-wechselnder Bilder flüchtiger Existenz. Die Dichternatur Meng Jiaos verschiebt dabei den Akzent von der realistisch-kritischen Wahrnehmung Du Fus zu einer mystisch-polemischen. Sein Spott über die aus der großen Welt hierhin verschlagenen schlauen Geister, die an einheimischer Bauernschläue zugrunde gehen müssen, verflucht die Unfähigkeit der Politik, die eigentlich zur Verfügung stehenden Kräfte zu nutzen, während das sich in der Dunkelheit der wilden Wassermassen aufreibende Licht das dunkle Wesen eines Schicksals erahnen läßt, an dem Politik und menschliche Kraft nichts zu rütteln haben.  

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