Ticker: Heute vor 80 Jahren

6. Mai 1944: Heute vor 100 Jahren, am 6. Mai 1924, wurde Leokadia Justman – später Lorraine Justman-Wisnicki – in Łódź geboren. Heute vor 80 Jahren hatte sie ihren 20. Geburtstag. Feiern konnte sie ihn wohl nicht im Gefängnis in der Innsbrucker Adamgasse. Vermutlich gratulierte ihr Marysia Fuchs, ihre Kindheitsfreundin, mit der sie nun die Zelle teilen durfte. In ihren Erinnerungen erwähnt Leokadia ihren 20. Geburtstag nicht. Angesichts der Todesangst spielte er wohl eine untergeordnete Rolle. Heute aber möchten wir in ehrendem Gedenken das Glas auf Leokadia erheben und Familie Wisnicki alles Gute wünschen! Noch etwas: Heute haben wir erfahren, dass Paulina Janaszewicz, die jüngste der mit Leokadia in Innsbruck gefangenen Jüdinnen, die am Krankenbett für Leokadia sorgte (mehr dazu im Dezember), noch lebt! Auch auf Paulina ein großes Prosit! 

Projektleiter Markl (links) und Hilfskraft Kössler (rechts) stoßen auf den 100. Geburtstag an
Personalbogen des Gefängnisdirektors Wolfang Neuschmid

Anfang Mai 1944: Waren es seine smaragdgrünen Augen? Warum machte der Leiter des Polizeigefängnisses einen so starken Eindruck auf die Gefangenen? „Die Tür öffnete sich weit und Meister Neuschmid stand in seiner ganzen Pracht auf der Schwelle. Auf seinem schönen Antlitz lag eine königliche Gelassenheit, die uns in ihren Bann zog und den größten Respekt erweckte.“ Regelmäßig visitiert er die Gefangenen, besonders bei wichtigen Ereignissen. Er ist es, der Maria Kudera in die Freiheit entlässt. Und er sieht, dass die getrennten Freundinnen Marysia und Leokadia todunglücklich sind. Marysia bemerkt sein offenes Ohr und sagt, „ich möchte die letzten Stunden meines Lebens mit meiner Kindheitsfreundin verbringen.“

„Die letzten Stunden deines Lebens…“, wiederholt Wolfgang Neuschmid und schaut Marysia lange ins Gesicht. Er erkundigt sich bei der Gestapo mit dem Hinweis, er müsse Justman und Fuchs aus Platzgründen zusammenlegen. Der Fall sei geklärt, antwortet die Gestapo, es spreche nichts mehr gegen die Zusammenlegung. Meister Neuschmid visitiert die Zelle der wieder vereinten Freundinnen. Er ist still und inspiziert die Wand, die beschrieben ist mit Friedensgedichten und Gebeten um Befreiung. Er verharrt bei einem Vers. „Wer hat das geschrieben?“ „Ich…“ sagt Leokadia mit zitternder Stimme, schuldbewusst die Augen senkend. „Du darfst nicht auf die Wand schreiben, das solltest du mittlerweile wissen.“ Mit plötzlich verändertem Ton: „Du hast ein ziemliches Talent. Da musst du was draus machen. Wenn du schreiben möchtest, schreib auf Papier. Poesie habe ich immer bewundert.“ Er gibt ihr ein kleines Notizbüchlein und einen Bleistift. „Und jetzt macht euch fertig für den Ausgang im Gefängnishof und genießt die warme Sonne.“

 

Ende April 1944: Seit ihrer Verhaftung war Leokadia von ihrer Freundin Marysia getrennt. Die Gestapo legt Wert darauf, die Kommunikation unter Vertrauten zu unterbinden. Im Polizeigefängnis in der Adamgasse sind viele Gefangene „zur Verfügung der Gestapo“ untergebracht. Das kleine Hausgefängnis in der Herrengasse kann die von der Gestapo festgesetzten Schutzhäftlinge bei weitem nicht fassen. Als Maria Kudera freigelassen wird, ist Leokadia allein in der Zelle, so einsam wie noch nie, und verzweifelt. Sie schlägt ihren Kopf gegen die Wand. „Ich will leben! Wie die anderen Menschen! Ich will in die Sonne gehen, auf die grünen Wiesen und das weite Land, ich will leben! Leben! Nach Hause in meine Heimat! Zu meinem Vater, den du mit Gewalt weggenommen hast. Gott, kannst du mich hören? Gott, wo bist du? ... Keine Antwort.“ Da hört sie den Schlüssel in der Zellentür. Der Wächter lässt Marysia herein. „Jetzt werden wir zusammen sein, unzertrennlich wie siamesische Zwillinge“, sagt Marysia. Aber wie konnte es dazu kommen? Hat die Gestapo das erlaubt? 

Aufnahme von Leokadias Freundin Marysia aus dem Jahre 1945

26. April 1944: Einen Tag nach Jakob Justman, am 26. April, wird auch David Janaszewicz im Lager Reichenau ermordet. Ihre Gräber liegen jetzt nebeneinander in der jüdischen Abteilung am Innsbrucker Westfriedhof. David war der Vater der dreizehnjährigen Pauline, die wie Leokadia im Polizeigefängnis in der Adamgasse sitzt. Für Johanna, Maria und Wanda Kudera hingegen bricht an diesem Tag ein neues Leben an. Sie werden am 26. April aus dem Polizeigefängnis entlassen. Leokadia verliert ihre liebe Zellengenossin Maria, sieht sie euphorisch in die Freiheit ziehen, während sie selbst hinter Gittern zurückbleibt. Doch die Mutter und Schwestern von Marian und Stefan Kudera können nicht wissen, dass ihre Lieben schon zwei Tage später, am 28. April, aus dem Gefängnis beim Landesgericht "Schmerlinger Alm" ins KZ Dachau abtransportiert werden.  

Familiefoto der Janaszewicz. Tochter, Vater und Sohn aus der Vorkriegszeit.
Portraitfoto von Maria Kudera, aufgenommen 1952.

25. April 1944: Was am frühen Abend des 25. April 1944 im Lager Reichenau genau geschah, weiß heute niemand. Ein Augenzeuge hielt es für die grausamste Unmenschlichkeit, die er je gesehen hatte. Selbst bei der Gestapo war man wütend über diesen ungeplanten Mord durch das Lagerpersonal. „Der Weber Jakob Israel Justman, israelistisch, wohnhaft in Innsbruck, Erzherzog Eugenstrasse 29 ist am 25. April 1944 um 19 Uhr 25 Minuten in Innsbruck, Lager Reichenau verstorben,“ sagt die Sterbeurkunde. „Todesursache: Peritonitis (ulc.ventr.perforat). Atemstillstand und Herzlähmung“. Seitdem Jakobs Frau Sofia sich am 17. Oktober 1942 entschieden hat, im polnischen Dorf Gorzkowice anstelle ihrer Tochter den Transport Richtung Treblinka zu besteigen, hängt Leokadia noch mehr an ihrem Vater. Heute erfährt sie nichts von seinem Schicksal. Es wird viele Monate dauern, bis sie es hören und begreifen kann. 

Auszug aus der ausgestellten Sterbeurkunde von Leokadias Vater Jakob.
Die derzeitige Innsbrucker Stadträtin Ursula Schwarzl (links) hält mit Projektleiter Niko Hofinger (rechts) das Portrait von Jakob Justman in der Hand.

April 1944: Maria Kudera ist eine lebendige Gefängniszeitung. Sie erzählt Leokadia vom Schicksal der Mitgefangenen, weiß über jede alles zu berichten. Nur über sich selbst spricht sie nicht, sie bleibt eine Sphinx, ein unlösbares Rätsel. Aus Zurückhaltung, und auch wegen der vielen eigenen Sorgen, fragt Leokadia nicht nach. Aber die Herzlichkeit und Freundschaft zwischen den beiden wächst, sie trösten einander in Momenten der Verzweiflung. Maria macht Leokadia darauf aufmerksam, dass, obwohl jeden Freitag Transporte nach Auschwitz abgehen, sie noch immer hier ist. Die Gestapo scheint es nicht eilig mit ihr zu haben. Vielleicht gibt es noch eine Chance zu überleben. Eines Nachts erwachen die beiden durch einen dumpfen Knall: der Wächter ist wohl im Albtraum von seinem Stuhl gefallen. Und auch Leokadia hatte einen sonderbaren Traum. Eine große Gestalt war ihr erschienen und hatte eindringlich gefragt „Glaubst du, oder glaubst du nicht?“ Maria hält den Traum für prophetisch, einen Gruß von Leokadias toter Mutter. Maria umschließt zärtlich Leokadias Hand. Das Wort „Mutter“ löst ihre Emotionen, sie beginnt in ihrer Muttersprache zu sprechen – „Mami, wie lange wirst du mich verlassen…“ „Sie wird dich nicht verlassen. Sie blickt von oben herab und wacht darüber, dass dir kein Leid zustößt.“ Leokadia springt vor Schreck aus dem Bett – „was, du sprichst Polnisch!?“ „Ich spreche Polnisch, weil ich Polin bin.“ Leokadia kann kaum atmen. Maria legt sich nahe zu ihr, umarmt sie und erklärt, dass sie ihre polnische Identität verstecken muss, um ihre Mutter Johanna und ihre Schwester Wanda zu schützen, die mit ihr verhaftet wurden. Maria wusste nicht, dass ihre Brüder Marian und Stefan eine Widerstandsgruppe in Innsbruck organisiert hatten. „Was mit meinen Brüdern ist, weiß ich nicht, und ich bezweifle, dass ich jemals etwas über ihr Schicksal erfahren werde.“ – „Was, die beiden sind deine Brüder? Kazik Babel hat mir von ihnen und ihrer geplanten Revolution erzählt!“ – „Ach, du hast also auch von ihnen gewusst… alle Polen, alle, nur ich, ihre Schwester, habe nichts gewusst. Jetzt ist mir klar, warum mir die Gestapo kein Wort glaubt. Aber ich muss sie überzeugen davon, dass auch meine Mutter nichts damit zu tun hat und wir loyale Deutsche sind, deshalb darf ich nur Deutsch reden… verstehst du mich jetzt?“, fragt sie, indem sie Leokadias Wange an ihr nasses Gesicht drückt. Maria lässt sich ins Kissen zurückfallen und singt mit klarer, aber schwacher Stimme, wie das Murmeln eines Baches:  Noch ist Polen nicht verloren...

 

Blick in die Adamgasse

11. April 1944: Pauline Janaszewicz, Ruth Litman und Regina Rundbaken werden ins Polizeigefängnis Innsbruck eingeliefert. Pauline ist mit ihren dreizehn Jahren die jüngste. Körperlich ist sie schmächtig, könnte noch jünger sein, aber ihr Blick ist ernst und alt. Die drei Jüdinnen aus Polen hatten mit falschen Identitäten in Landeck in der Textilfabrik gearbeitet. Sie wollten sich mit Paulines Vater David Janaszewicz in die Schweiz retten. An einem bestimmten Punkt hatte sie der Landecker Bergführer allein weiter geschickt. Stundenlang waren sie mit schlechten Schuhen durch den knietiefen Schnee gestapft, bis sie vom Grenzer entdeckt und festgenommen wurden. Der Gestapomann Mösinger holte sie persönlich ab. Sie würden selbstverständlich wieder freigelassen, versprach er. Es ging nur um einige Formalitäten. David hatte seinen goldenen Ring vom Finger genommen ihn Mösinger gegeben: „Nehmen Sie doch dieses bescheidene Geschenk von mir an…"

„Ach was, ihr werdet alle frei gelassen!“ Einige Tage waren sie im Lager Reichenau gewesen. Die Frauen wurden von der Gestapo wieder abgeholt. David winkte ihnen in einem erbärmlichen Zustand nach. Leokadia wird ihren jüdischen Kolleginnen aus Polen, die ihr nun räumlich sehr nahe sind, erst später begegnen.

Anfang April 1944: Der Frühling zieht ins Land. Im Gefängnis ist davon nicht viel zu sehen, außer vielleicht ein blauer Streifen Himmel, der durchs hoch gelegene, vergitterte Zellenfenster schimmert. Unerwartet kommt der Wärter Petzi und bringt ein Paket für Leokadia. Maria Kudera liest den Absender: Anna Lechner. „Das ist meine Vermieterin! Kuchen, Lebkuchen! Brot! Marmelade!“ Was für ein Glück für einen Menschen, dessen Magen schmerzt vor Hunger. Und Frühlingsblumen… Marias Augen strahlten warme Herzlichkeit aus. „Möchtest Du Frau Lechner nicht sehen, um ihr persönlich zu danken?“ Maria stapelt Matratzen und Decken aufeinander, lauscht, ob keine Wache am Gang ist. Die Luft ist rein. Leokadia steigt hinauf, zieht sich an den Gitterstäben zum Fenster hinauf und sieht zum ersten Mal seit drei Wochen auf die Straße hinunter. Gegenüber der Gasthof Sailer, da sitzen Leute an den Tischen und essen Kartoffeln. Die würde auch Leokadia so gern essen. Und da kommt tatsächlich Frau Lechner aus dem Gefängnistor auf die Straße, der kleine Martin an ihrer Hand. „Uhuu, uhuu!“ ruft Leokadia hinunter. Anna dreht sich um, lacht voller Freude. Dann verzieht sich ihr Gesicht, sie beginnt zu weinen. Auch der kleine Martin, er ist schon drei Jahre alt, sieht seine „Lotte“. Er hat Lederhosen an, traditionelle Tiroler Kleidung und einen Hut mit Feder. Er wirft Leokadia ein Kusshändchen zu. Heute, 2024, kann sich Martin an keine Details mehr erinnern, aber das Gefühl hat er nie vergessen: „Wir waren dick miteinander, die Lotte und ich.“  „Nie wieder werd ich deine kleinen, pummeligen Händchen küssen", denkt sich seine Lotte, als sie sich in die Zelle zurücksinken lässt."

Foto des kleinen Martin Lechner in schneidiger Tiroler Heimattracht mit Lederhose und Hut.

Anfang April 1944: Leokadia kommt aus den Fängen von Gerda Jansen frei, sie wird in Zelle 15 verlegt. Hier trifft sie auf Maria Kudera, die vor fünf Wochen inhaftiert wurde. Maria hat feingliedrige, zärtliche Hände, spricht gepflegtes Deutsch, ist scharfsinnig und gebildet, vielleicht zehn Jahre älter als Leokadia. Maria ist eine fromme Katholikin. Sie möchte der verzweifelten Leokadia Mut machen. Leokadia findet Maria, die inständig betet, sonderbar. Andererseits würde Leokadia, die weiß, dass sie eher früher als später nach Auschwitz deportiert werden wird, auch gern hoffen und glauben können. Von ihrer Geschichte spricht Maria nicht – und Leokadia fragt nicht nach. Sie ist froh, eine friedliche Zellengenossin zu haben. Aber warum sitzt Maria hier im Gefängnis?

 

Ende März 1944: Die ersten Wochen ist Leokadia mit Gerda Jansen in Zelle 14 gesperrt. Oder hieß sie Theresia Meyer? Noch nach dem Krieg erinnern sich viele an sie als die Frau mit den vielen Namen. Als Sexarbeiterin hatte sie sich mit Syphilis infiziert, und die Syphilis hatte ihr schon den Verstand geraubt. Sie gibt sich als Berlinerin aus, kam aber wohl aus Bayern. Anfang des Jahres wurde sie im noblen Café München, an der Ecke Erlerstraße und Meranerstraße, festgenommen. Sie hält sich für eine würdige Arierin und hängt dem Führer an, auch wenn die brutalsten Schläger der Gestapo sadistische Spiele mit ihr treiben. Eine Reiningungskraft erinnert sich nach dem Krieg, wie die Frau im Gang in der Herrengasse stand und um ein Glas Wasser bat. „Der Wasserhahn ist doch gleich da drüben“, habe sie gesagt. Da hob Gerda ihren Rock, um der Frau zu zeigen, dass Gesäß und Beine schwarz sind von der Folter, sie nicht mehr gehen kann. Auch während der Zeit in der Zelle mit Leokadia wird Gerda abgeholt und in der Nacht zurückgebracht: die Kleidung klebt am ganzen Leib vor Blut, das Gesicht ist aufgeschwollen und zerschlagen. Sie habe schon viel mitgemacht, aber das war das Schlimmste, was sie je erlebt hat, sagt sie. Als sie erfährt, dass Leokadia Jüdin ist, flippt sie aus, bekommt einen Schreianfall. Sie als Arierin in einer Zelle mit einer Jüdin! Sie wird sich bei der Gefängnisleitung beschweren! Und die Polen sind ja Schuld am Krieg. In der kommenden Zeit macht sie Leokadia das Leben zur Hölle. Bei einem Anfall versucht sie, Leokadia zu erwürgen. Nur mit den ungeahnten Kräften der Todesangst kann Leokadia sie so zurückwerfen, dass kein weiterer Angriff folgt. Ende des Jahres, nach dem Todesurteil, wird die Beziehung zwischen Gerda und Leokadia eine überraschende Wendung nehmen.

 

Einblick in das Innsbrucker Polizeigefägnis, ehemaliges Hotel Sonne am Hauptbahnhof

14. März 1944: Leokadia erwacht erstmals im Gefängnis. Der Beginn eines neuen Alltags, der von chronischer Unterernährung geprägt ist. Vor Hunger kaut man an den eigenen Nägeln, beißt in der Nacht ins harte Kopfpolster. Jedes Mal, wenn ein Wächter vorbeikommt, steigt in ihr die Angst, abgeholt und bald ermordet zu werden.

13. März 1944: Montag früh. Nur Jakob Justman bleibt zuhause, er ist noch krankgeschrieben. Leokadia muss in die Textilfabrik, Marysia und Ignaz an ihren Arbeitsplatz. Die Stunden verstreichen nur langsam wegen der panischen Angst. Am frühen Nachmittag wird Leokadia in der Fabrik Baur & Söhne vom Gestapobeamten Josef Mösinger verhaftet. Mösinger will „Papa“ Jakob in der Wohnung von Anna Lechner abholen. Doch der ist nicht zuhause. Leokadia sieht ihn vom Auto aus in der Museumstraße. Sie versteckt sich, um ihn nicht in Verzweiflung zu stürzen, und kann nur hoffen, dass ihr Vater entkommt. Beim Verhör in der Herrengasse sieht Leokadia, dass auch Marysia, Ignaz und ihr Vater verhaftet wurden.

Der damals dreieinhalbjährige Sohn von Anna Lechner, Martin Thaler, erinnert sich bis heute an den Moment, als Jakob Justman in seiner Wohnung von zwei Männern der Gestapo geschlagen und abgeführt wurde. Jakob und Ignaz kommen ins Lager Reichenau, Leokadia und Marysia ins Polizeigefängnis (im Bereich der heutigen Raiffeisenpassage beim Bahnhof). Marysia in Zelle 13, Leokadia in Zelle 14 – zu einer schwer unter Syphilis leidenden Frau aus Deutschland. Die Frau hat im Sexgewerbe gearbeitet und lebt, wie sich bald herausstellt, unter mehreren Namen.

 

12. März 1944: Leokadia, Jakob, Marysia und Ignaz haben ein Wochenende in panischer Angst im Hasental verbracht und verstanden, dass es keinen Ausweg gibt. Sie wandern zurück nach Innsbruck, um zum Wochenanfang an ihre Arbeitsplätze zu gehen – sonst würden sie sofort Verdacht wecken und möglicherweise auch Andere in Gefahr bringen. Die einzige Chance ist, dass sie doch noch nicht verraten wurden und die Gestapo sich nicht um sie kümmert. Doch die Angst ist drückend. Leokadia erlebt eine der schlimmsten Nächte ihres Lebens, voller Albträume.

 

10. März 1944: Die Angst im Hasental ist kaum auszuhalten. Jederzeit könnte die Gestapo auftauchen. Denn die Gestapo weiß sicher um dieses Ausweichquartier von Frau Lechner, die ohnehin verdächtig ist. Ihr Mann Alois Lechner war in der Zwischenkriegszeit Bezirksinspektor der Innsbrucker Polizei gewesen und hatte kriminelle Taten von illegalen Nationalsozialisten verfolgt. Nach dem Anschluss wurde Alois festgenommen und schon am 19. Februar 1940 in Mauthausen auf der Streckbank zu Tode geprügelt. Auch ihr Sohn Karl war schon als 18jähriger zweimal von der Gestapo festgenommen worden, weil er es nicht lassen wollte, über Hitler zu schimpfen. Noch als Witwe wurde Anna als „KZler Hure“ beschimpft; nur noch ein einziger Händler in ihrer Umgebung verkaufte ihr Lebensmittel. Anna zog sich gern ins Häuschen im Hasental zurück, um bei den Bauern der Umgebung zu schneidern – so gab es genug Lebensmittel. Für die vier Juden aus Polen war das jedenfalls kein gutes Versteck.

 

9. März 1944: An diesem Donnerstag wandert Anna Lechner mit Leokadia, Jakob, Marysia und Ignaz ins Hasental zum Häuschen ihres Bruders. Dort haben die vier drei Tage lang Zeit, um nachzudenken und neue Pläne zu schmieden. Doch bald wissen sie, dass der Bürgermeister des Ortes unweit wohnt und ein besonders scharfer Nazi ist. Es hat keinen Sinn, hier lange zu bleiben.

 

8. März 1944: Zdzisiek Wojtala erscheint um 11 Uhr nicht beim vereinbarten Treffpunkt in der Museumstraße. Leokadia und Jakob Justman gehen besorgt in die Altstadt. Als sie kurz vor Mittag bei der Ottoburg stehen, erkennen sie Zdzisiek in einem Wagen der Gestapo auf dem Weg in die Herrengasse. Schon in der Früh war er in der Fabrik in Zirl festgenommen worden. Leokadia und Jakob wissen, dass auch sie jederzeit verhaftet werden können. Jakob täuscht eine schwere Krankheit vor, sodass er und Leokadia von ihren Arbeitgebern in der Fabrik Baur & Söhne in der Reichenau freigestellt werden. Abends schildern sie Anna Lechner, in deren Wohnung im Schlachthofblock sie als Untermieter wohnen, dass sie in Bedrängnis sind, ohne jedoch zu erwähnen, dass sie Juden sind. Anna Lechner hat einen Plan…

 

7. März 1944: Marian Kudera, Anführer der polnischen Widerstandsgruppe in Innsbruck, die sich vor allem in der Kirschenthalgasse in Hötting organisierte, wird von der Gestapo in der Herrengasse zweimal – untertags und während der Nacht – mehrere Stunden lang gefoltert, bis er gebrochen ist und ein „Geständnis“ ablegt. Zugleich gerät eine Gruppe von Personen, die vor genau einem Jahr, am 7. März 1943, aus dem Ghetto von Piotrków Trybunalski („Petrikau“) mit gefälschten Papieren ausgebrochen waren, in Unruhe. Untertags werden Adam Kaminski („Kazik Babel“) und Wladek Brauner („Majewski“) von der Gestapo verhaftet. Auch sie gehören zur polnischen Widerstandsgruppe. Leokadia Justman und ihr Vater Jakob („Leokadia Gralinski“ und ihr „Bruder“ „Jan Gralinski“), die mit Adam und Wladek nach Tirol gekommen waren, verstehen, dass die Luft dünn für sie wird. In ihrer Angst fahren sie spät abends gemeinsam mit Marysia Rosen („Szymuska“) und Ignaz Rosenthal („Rozpendowski“) nach Zirl, um mit Zdzisiek Wojtala, der ebenfalls mit ihnen gekommen war, über ihre prekäre Situation zu sprechen. Erst um ein Uhr nachts gelingt es ihnen, Zdzisiek aus dem Schlaf zu holen. Sie schmieden einen Plan. Am nächsten Morgen gehen sie unauffällig zur Arbeit in ihren Fabriken, aber um 11 Uhr wollen sie einander in der Innsbrucker Museumstraße wieder treffen.   


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