Projektbeschreibung
In den letzten Jahren ist die Rolle des Leibes in den Kognitions- wie Geisteswissenschaften zunehmend ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. ‚Verkörperte‘ Theorien des Geistes stellen die Annahme der klassischen Kognitionswissenschaft infrage, dass mentale Fähigkeiten wie Wahrnehmung, Denken und Erkennen allein auf Aktivitäten im Gehirn zurückgeführt werden können. Stattdessen argumentieren sie dafür, dass der gesamte menschliche Organismus, wie auch Teile seiner Umwelt sowie das kulturelle und technische Milieu, nicht nur Vorbedingungen des Geistigen sind, sondern selbst zum Geist gehören, so dass eine klare Trennlinie zwischen Geist und Welt, ‚innen‘ und ‚außen‘ gar nicht gezogen werden kann.
Diese Theorien, die in den letzten Jahren unter dem Namen ‚4E Cognition‘ (embodied, embedded, enacted, extended) bekannt geworden sind, haben interessante Anknüpfungspunkte and die klassische christlichen Anthropologie, die bisher völlig unerforscht geblieben sind. So ist in der trinitarischen Anthropologie des heiligen Augustinus der menschliche Geist in seiner Gottesebenbildlichkeit eine Dreiheit von Erinnerung, Einsicht und Wille, die den gesamten Menschen und seine Umgebung einschließt. Die Doktrin der Fleischwerdung Gottes in Jesus Christus, sowie die Hoffnung auf die Auferstehung des Leibes am Ende der Geschichte verweisen ebenso auf eine verkörperte holistische Anthropologie, die jedoch bereits in der frühen Neuzeit zunehmend aus dem Blickfeld entschwunden ist und zunehmend durch einen simplen Leib-Seele-Dualismus ersetzt wurde, selbst dort, wo die klassischen Lehren theoretisch beibehalten wurden.
Das vorliegende Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, auf der Basis sowohl klassischer christlicher Denker wie Augustinus und Thomas von Aquin als auch moderner Vertreter der 4E Cognition, von Maurice Merleau-Ponty bis hin zu Gegenwartsdenkern wie Thomas Fuchs und Alva Noë, eine verkörperte und holistische theologische Anthropologie zu entwickeln, die auch den gegenwärtigen Entwicklungen der empirischen Kognitionspsychologie und der Technikphilosophie gerecht wird. Es versteht sich daher auch als ein Beitrag zum Dialog von Naturwissenschaft, Philosophie und Theologie.