Forschungsschwerpunkte
Darstellung ausgesuchter Aspekte der wissenschaftlichen Forschungsschwerpunkte
Die Aufgabe der Arbeitsgruppe Biomolekulare Psychotraumatologie und Stressforschung ist es, die biologischen Veränderungen bei chronischem und traumatischem Stress zu identifizieren und die mögliche Reversibilität dieser Veränderung durch klinische Interventionen zu charakterisieren. Hierfür nutzen wir Methoden und Perspektiven der Psychoneuroimmunologie (PNI), von denen einige ausgewählte Aspekte vorgestellt werden sollen.
Untersuchungen der biochemischen und bioenergetischen Veränderungen mitochondrialer Aktivität in Immunzellen mittels high-resolution Respirometrie
Körperlich und auch psychische Belastungen zwingen den Körper in eine Anpassungsreaktion, die auch mit einer erhöhten energetischen Herausforderung assoziiert ist. So müssen die Körperzellen eine höhere Verfügbarkeit von Adenosintriphosphat (ATP) bereitstellen, die über die Mitochondrien in den Zellen erfolgt. Mitochondrien, die „Kraftwerke der Zellen“, sind dabei aber weit mehr als nur Syntheseort des ATP. Sie sind auch an der Biosynthese von Steroiden (z.B. Kortisol) und der Verfügbarkeit von Neurotransmittern (u.a. MAO-A) beteiligt und sie reagieren sensitiv auf physiologische Stressoren und allostatische Belastungen (u.a. freie Radikale und oxidativer Stress, Veränderungen des pH-Wert), die eine Gefährdung der zellulären Integrität darstellen. Als Regulatoren der Apoptose können sie somit auch über das Schicksal Stress-geschädigter Zellen bestimmen. Kurzzeitige Belastungen und deren Stress-assoziierte biomolekulare Konsequenzen sind in der Regel reversibel. Chronische und traumatische Belastungen hingegen können zu physiologischen Veränderungen führen, die mit biologischen Alterungseffekten (Verkürzung von Telomerlängen, epigenetische Alterungsprofile, epigenetic clock) und deren Konsequenzen für die körperliche und die psychische Gesundheit assoziiert sind.
High-resolution Respirometrie (HRR)
Jede Form von gerichteter Arbeit, hierzu zählen auch biologische Prozesse, benötigt Energie. In den Zellen des Körpers ist die Währung der biochemischen Energie das ATP, welches in den Mitochondrien über den Prozess der Oxidativen Phosphorylierung bereitgestellt wird. Leistung ist definiert als Arbeit pro Zeit. Kommt es bei Patientinnen und Patienten, z.B. nach chronischen Stressbelastungen, zu einer Reduktion der psychosomatischen Leistung, kann dies auch durch eine Reduktion der ATP-Produktion in den Mitochondrien bedingt sein. In einer ersten Studie konnte gezeigt werden, dass konventionelle Vollblutproben dazu genutzt werden können, bioenergetische Profile der mitochondrialen Atmungsaktivität in Immunzellen zu generieren (s. Abbildung 1). Dabei zeigte sich auch ein Dosis-Wirkungs-Effekte der klinischen Symptomschwere der Depression auf die mitochondriale Atmung (s. Karabatsiakis et al. 2014, Translational Psychiatry). Das hierfür eingesetzte Verfahren und die apparative Technologie (O2K-Oxygraph) stammen vom Innsbrucker Unternehmen Oroboros Instruments GmbH, welches gemeinsam mit der AG im Rahmen von Kooperation an der Charakterisierung von Blutproben chronisch oder traumatisch-belasteter Personen arbeitet.
Psychoneuroimmunologische Methoden zur Untersuchung biomolekularer Korrelate von chronischen und traumatischen Stressbelastungen: Die Rolle struktureller und funktioneller Genomstabilität in Immunzellen, Biochemisches Profiling in Blutserum und die Detektion von Biomarkern für oxidativen Stress und allostatische Belastungen.
Telomerlängen als Maß allostatischer Last und biologischer Alterung
Telomere sind nicht-kodierende, repetitive Sequenzen [beim Mensch: (TTAGGG)n] an den Enden der Chromosomen, die sich – bedingt durch biologische Prozesse – mit jeder Zellteilung verkürzen. Dabei wirken sie wie die Endkappen der Schnürsenkel am Schuh, in dem sie die DNA vor physiologischen Verschleißeffekten (u.a. DNA-Schädigung und Strangbrüche durch freie Radikale, UV-Strahlung oder Veränderungen des intrazellulären pH-Werts) schützen. Verkürzungen der Telomerlänge in Immunzellen spielen neben einer Vielzahl organischer Leiden auch bei psychischen Belastungen und psychiatrischen Erkrankungen eine pathophysiologische Rolle. Für die Erfassung der Telomerlängen stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung. Zum einen können in high-throughput Verfahren Telomerlängen mittels quantitativer Polymerase-Kettenreaktion (qPCR) bestimmt werden. Für hochsensitive Bestimmungen nutzt die Arbeitsgruppe jedoch Auswertungsverfahren, die auf der Methode der quantitativen Fluoreszenz-in situ-Hybridisation (qFISH) basieren (s. Abbildung 2). Durch die zusätzliche Nutzung eines Längenstandards aus humanen Zelllinien mit stringent-konstanter Telomerlänge bietet der qFISH im Vergleich zur qPCR eine sensitivere Analytik und einen absoluten Telomerlänge-Wert in Kilobasen (kB). Zudem lässt sich aus der Fluoreszenzmikroskopie eine Aussage über die genomische Integrität ableiten.
Vorarbeiten konnten zeigen, dass Patienten mit einer Depression in der klinischen Vorgeschichte eine signifikante Verkürzung in der Telomerlänge zeigten (Karabatsiakis et al. 2014, BMC Psychiatry). Inwiefern diese Telomerverkürzungen im Rahmen antidepressiver Behandlungen (z.B. kognitive Verhaltenstherapien, Elektrokonvulsionstherapien, Psychopharmakotherapie) reversibel sind und somit eine Ausprägung der Depressions-assoziierten psychosomatischen Belastung darstellen (state) oder indikativ für einen biologischen Alterungseffekt (trait) des Immunsystems sind, wird aktuell im Rahmen internationaler Studien untersucht.
Biochemisches Fingerprinting als innovativer Ansatz zur Identifikation von neuen Biomarker-Kandidaten in biologischen Flüssig- und Feststoffproben
Technologien aus dem Bereich der analytischen Chemie erlauben einen biochemischen Einblick in die Komplexbiologie von Zellen und Geweben (s. Abbildung 3) bei Stress und Trauma-assoziierten Störungen.
Abbildung 3: Die biochemische Stoffwechselkarte einer Zelle weist die Komplexität der biologischen Prozesse aus.
Bei der bisherigen, überwiegend hypothesengeleiteten Analyse von biologischen Variablen wird deren Vielseitigkeit in der biologischen Signalübertragung meist auf ein Minimum reduziert. Um die Erfassung biochemischer Konsequenzen von chronischem und traumatischem Stress zu maximieren, werden Massenspektrometrie-basierte Auswertungsverfahren genutzt, die die Gesamtheit der Komposition einer biologischen Probe erfassen lassen. In einem ersten Schritt erfolgt die ungerichtete Identifikation einer biochemischen Signatur, die im nachfolgenden Schritt durch Replikation in unabhängigen Kohorten bestätigt werden soll.
Das charakteristische biochemische Profil einer biologischen Probe soll bestimmt werden. Vereinfacht betrachtet man dafür Vorkommen, Häufigkeit und Relation von Biomolekülen, vergleichbar mit den Buchstaben in einer Buchstabensuppe. Diese charakteristischen Unterschiede können dann genutzt werden, um zwischen Gruppen zu unterscheiden (s. Abbildung 4, links). Dieses Prinzip kann auch dazu genutzt werden, um biochemische Veränderungen in biologischen Flüssigproben zu identifizieren: Über die Massenspektrometrie wird die Gesamtheit aller detektierbaren Stoffwechselprodukte erfasst, die dann dazu genutzt wird, Personen in Gruppen einzuteilen. So können basierend auf dem biochemischen Fingerabdruck junge von alten Menschen oder gesunde von kranken Menschen charakterisiert und kategorisiert werden (s. Abbildung 4, rechts).
Studien zum Biochemischen Fingerprinting wurden bereits umgesetzt. In der ersten Studie (Karabatsiakis et al., 2015, Journal of Molecular Psychiatry) wurden die Blutseren einer Gruppe von Patienten mit Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) mit einer Gruppe von Personen ohne PTBS verglichen. Es zeigte sich ein biochemischer Fingerabdruck, der durch eine Veränderung in Phospholipiden, Endocannabinoiden und Antioxidantien charakterisiert war.
Interessant ist nun, dass aversive Erfahrungen in der Kindheit das Lebenszeit-Risiko für eine PTBS im Sinne einer Dosis-Wirkung erhöhen. Im Rahmen der Studie MEINE KINDHEIT – DEINE KINDHEIT wurden Blutseren von Frauen mit und ohne aversive Kindheitsbelastungen drei Monate nach der Schwangerschaft untersucht und biochemische Fingerabdrücke generiert. Dabei zeigte sich, dass auch hier Veränderungen in Phospholipiden, Endocannabinoiden und Antioxidantien als Charakteristika der Gruppe aversiv Kindheitsbelasteter auftraten. Hieraus ergibt sich ein erste empirischer Hinweis darauf, dass es auch biologisch/biochemisch eine erhöhte Vulnerabilität für eine PTBS nach frühkindlichen Belastungen gibt. Die Studie von König & Karabatsiakis erschien 2018 im Journal Scientific Reports.
Diese interdisziplinären Studien werden im Rahmen von internationalen Kooperationen mit verschiedenen Institutionen und Forschungseinrichtungen rund um den Globus durchgeführt. Hierzu zählen neben dem NUS Environmental Research Institute (NERI) in Singapur auch das Translational Research Institute (TRI) in Queensland, Australien. Als Industriepartner steht uns die Firma Agilent Technologies rund um die Technologie Massenspektrometrie unterstützend zur Seite.
Neben der Analyse von biologischen Flüssigproben sind zukünftig auch Feststoffproben als biologisches Ausgangmaterial denkbar. Hierbei handelt es sich primär um Keratin-basierte Proben, darunter Haar und Fingernagel.