WissenAmFreitag #19 - 19/11/2021
Guten Tag,
„Hearing no objections, it is so decided”, hieß es am vergangenen Samstag, 13. November, gegen 21:00 Uhr in Glasgow. Hunderte Delegierte der 26. UN-Klimakonferenz COP26 waren nach fast zwei Wochen zu einer Einigung gekommen und hatten sich auf das „Glasgow-Klimapaket“ geeinigt. Ich bin mir sicher, dass Sie der umfassenden Medienberichterstattung während und nach der Konferenz schon die wesentlichsten Inhalte entnehmen konnten. Eine meiner Meinung nach gute Zusammenfassung zum Lesen und Hören gibt es vom Deutschlandfunk. Einen hervorragend aufbereiteten, allgemeinen Überblick über die gegenwärtigen und künftigen Folgen des Klimawandels weltweit hat Mitte Oktober der Guardian veröffentlicht: „The climate disaster is here“.
„Es ist nicht nichts, aber wohl leider zu wenig“, könnte ein Resümee vieler Kommentare und Berichte zur Klimakonferenz lauten. Bis 2022 sollen alle Staaten ihre Klimaschutzpläne nachschärfen; die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels sei „am Leben erhalten worden“, dazu müsse aber der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase weltweit noch in diesem Jahrzehnt um 45 Prozent sinken; in der gemeinsamen Abschlusserklärung wurde der Anfang vom Ende der Verwendung von Kohle, Öl und Gas erstmals festgehalten. In letzter Minute war zur Enttäuschung vieler noch die Formulierung „Kohleausstieg“ abgeschwächt worden – hin zu einer Einigung auf eine „schrittweise“ Verringerung.
Wenige Stunden nach Ende der Klimakonferenz hatte ich das große Privileg, einen der einflussreichsten Gletscher- und Klimaforscher weltweit und Mitglied des Weltklimarates (IPCC) telefonisch nach seinen Eindrücken befragen zu können. Georg Kaser vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Uni Innsbruck nahm eine Woche an der COP26-Konferenz vor Ort in Glasgow teil, er beobachtete das Geschehen genau und war u.a. im „Cyrosphere Pavilion“ zu den Themenbereichen Gletscher und Schnee als Vortragender vertreten. Zweimal war der Klimaforscher Leitautor von Berichten des Weltklimarates.
Die Stimmung vor Ort beschrieb Georg Kaser als durchaus „getrieben“ von dem zunehmenden zivilgesellschaftlichen Druck etwa in Form von „Fridays for Future“ und zahlreichen anderen Klimaschutz-Initiativen in aller Welt, mehr, als dies noch bei früheren Konferenzen der Fall war.
„Es wäre sicher eine erfolgreiche Konferenz gewesen, wenn nicht diese Dringlichkeit gegeben wäre, wenn noch Zeit wäre, an verschiedenen Regelwerken zu arbeiten. Aber wir haben keine Zeit mehr“, sagte der Klimaforscher mir am Telefon. Das Klima werde zunehmend instabil, auch das 1,5-Grad-Ziel könnte möglicherweise nicht mehr ausreichen, wie ein Rückblick allein auf die Entwicklungen und Extremereignisse der letzten zwei Jahre für Kaser belegt. „Es braucht eine Vollbremsung. Alle Bemühungen sollen in den Umbau der Gesellschaft zur Klimaneutralität fließen, sonst droht eine irreversible Destabilisierung des Klimas. Ich hatte das Gefühl, dass diese Tatsache noch nicht bei allen Staaten angekommen ist, auch wenn ich Verständnis für die unterschiedlichen Realitäten der Länder habe.“
Auf meine Frage, ob er nun optimistisch oder pessimistisch aus der Klimakonferenz der Vereinten Nationen geht, antwortete Kaser: „Weder noch, das würde meine objektive Beurteilung beeinträchtigen. Ich hoffe aber, dass die Menschheit aus den Lektionen, die das Klima in den letzten Jahren erteilt hat, die erforderlichen Handlungen ableitet. Dazu würde es aber eine komplette Umstrukturierung unserer Gesellschaft brauchen. Zahlreiche Kipppunkte, auf die wir zusteuern, sind – einmal überschritten – nicht mehr rückgängig zu machen.“
Abschließend möchte ich Ihnen noch einen sehr persönlichen Beitrag von Georg Kaser im Südtiroler Wochenmagazin „ff“ ans Herz legen. In „Sarah möchte etwas wissen“ geht der Klimaforscher der Frage nach, wie und ob Kindern die Angst vor der Zukunft genommen werden kann. Sehr lesenswert!
Erholsames Wochenende,
Melanie Bartos
Kommunikationsteam Universität Innsbruck