WissenAmFreitag #51 - 11/11/2022

Guten Tag,

in knapp über einer Woche beginnt – jahreszeitlich völlig ungewohnt – die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Diese WM als umstritten zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung: Die Menschenrechtssituation in Katar ist katastrophal, die Arbeitsbedingungen sind es ebenso – laut Recherchen des Guardian aus dem Februar 2021 waren zwischen der Vergabe und dem Veröffentlichungszeitpunkt des Beitrags 6.500 Arbeitsmigrant*innen in Katar gestorben, die Zahl dürfte seither noch gestiegen sein und war damals schon konservativ angegeben. Dazu kommen Hinweise auf Korruption bei der WM-Vergabe.

Jetzt erzähle ich Ihnen das alles nicht, um für das Wochenende nochmals ordentlich die Stimmung zu drücken, sondern, weil bei Fußball-Großereignissen im Kommunikationsteam regelmäßig (im Normalfall heitere) Betriebsamkeit ausbricht, zumindest bei mir. Zu verdanken haben wir das dem Statistik-Professor Achim Zeileiss, der seit 2010 mit statistischen Methoden auf Basis von Buchmacherquoten den wahrscheinlichsten Ausgang des jeweiligen Turniers berechnet, anfangs auch noch gemeinsam mit Kollegen von der WU Wien. 2010, die Fußball-WM fand in Südafrika statt, war der damals amtierende Europameister Spanien als Weltmeister prognostiziert – und diese Prognose hat auch gehalten, ebenso wie zwei Jahre später die des Europameisters, erneut war Spanien hier auch statistisch Favorit.

Bei der WM 2014 sahen die Buchmacher und das statistische Modell schließlich Brasilien vorne. Gereicht hat es am Ende „nur“ für Platz 4, Brasilien wurde im Halbfinale vom späteren Weltmeister Deutschland geschlagen. Dieses Ergebnis zeigt auch einen Punkt auf, den wir in der dazugehörigen Kommunikation stets betonen: Zeileis berechnet Wahrscheinlichkeiten, keine Gewissheiten, und wenn Brasilien 2014 eine Siegwahrscheinlichkeit von 22,5 Prozent hatte, lag die Wahrscheinlichkeit, dass Brasilien es eben nicht wird, immer noch bei 77,5 Prozent. Wie das Modell grundsätzlich funktioniert, hat Achim Zeileis in einem Video erklärt, das wir anlässlich der EM 2016 gedreht haben.

Seit einiger Zeit, zuletzt bei der vergangenen Fußball-Europameisterschaft der Herren, die pandemiebedingt von 2020 auf 2021 verschoben wurde, kooperiert Achim Zeileis mit Kolleg*innen aus Deutschland, Belgien und Norwegen. Das Buchmachermodell, das er selbst von Turnier zu Turnier nachgeschärft und neu trainiert hat, wird hier durch weitere Datenquellen ergänzt: Ein statistisches Modell für die Spielstärke jedes Teams auf Basis aller Länderspiele der vergangenen acht Jahre, weitere Informationen über die Teams, zum Beispiel der Marktwert, und ihre Herkunftsländer, etwa die Bevölkerungszahl, außerdem detaillierte Ratings der einzelnen Spieler und deren individueller Performance sowohl in ihren Stammvereinen und Nationalmannschaften. Über diese Quellen läuft schließlich noch ein Machine-Learning-Modell, das alle Quellen zusammenführt und sie schrittweise optimiert. Leider lieferte Favorit Frankreich in diesem Turnier allerdings keine besonders gute Performance ab.

Nun entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass seit 2014 ausgerechnet ich die Medienarbeit für Zeileis‘ Fußball-Prognosen übernehme, beschränkte sich doch zumindest bis dahin mein Fußball-Wissen und -Interesse weitgehend auf „Das Runde muss ins Eckige“. Das mediale Echo war bisher allerdings stets groß, und es macht zugegebenermaßen einfach Spaß, wenn auch Fernsehsender aus Japan anrufen, um ein Interview mit einem Statistiker aus Innsbruck zu vereinbaren, oder wenn Armin Wolf die Prognose wie bei der Frauen-EM diesen Sommer als Schlussmeldung der ZIB 2 verwendet. Und auch wenn es in dieser Aufzählung so klingt, das alles ist nicht reine Spielerei: Die Modelle, die für diese Prognosen zum Einsatz kommen und von Turnier zu Turnier genauer werden, können in Zukunft zum Beispiel auch für exaktere Wettervorhersagen sorgen.

Anfang kommender Woche jedenfalls veröffentlichen wir die Prognose für die WM 2022. Diesmal allerdings, ich habe es oben beschrieben, mit Bauchweh, denn natürlich kann man die Situation in Katar nicht einfach ignorieren. Aus wissenschaftlicher Sicht kann dieses Turnier aber wertvolle Einblicke für die „Schärfung“ der Modelle liefern, ist es doch auch fußballerisch völlig anders als sonst, wie mir Achim Zeileis erklärt hat: „Die Fußballer haben aufgrund des Termins nicht ausreichend Regenerationszeit, sie stecken mitten in der Saison, kommen teilweise aus der Champions League – das erhöht das Verletzungsrisiko und macht den Turnierausgang nochmals schwieriger zu prognostizieren.“ Zeileis selbst, der die großen Turniere sonst nie verpasst, wird diese WM übrigens nicht komplett verfolgen: „Als Fußballfan kann ich mich diesmal nicht für das Turnier begeistern. Aus wissenschaftlichem Interesse werden wir wieder unsere Prognose veröffentlichen und die WM auch verfolgen. Aber dafür muss ich nicht die Spiele in voller Länge sehen.“

Ich wünsche Ihnen in jedem Fall ein schönes Wochenende
Stefan Hohenwarter
Kommunikationsteam Universität Innsbruck

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