3. Herlinde-Pissarek-Hudelist-Vorlesung
„Noch nie war sie so wertvoll wie heute...“
Frauen in Kirche und Theologie
Univ.-Prof. Dr. Johanna Rahner, Universität Tübingen
Donnerstag, 23. November 2017, 18.00 Uhr
Hörsaal I der Theologischen Fakultät, Karl-Rahner-Platz 3, EG
„Auf dem Felde der Neuchoreographie der Geschlechterrollen dürfte gegenwärtig einer der ,main exits‘ der katholischen Kirche aus dieser Gesellschaft liegen“ – so der Grazer Pastoraltheologe Rainer Bucher. Dem, der dennoch zur Geduld mahnt, sei ein Satz von Karl Rahner aus dem Jahr 1977 (!) ans Herz gelegt: „Wie dann die Lösung [der Frauenfrage; J.R.] ausfällt, kann und muss man in Geduld abwarten [...]. Nur sollte diese Geduld nicht überbeansprucht werden, weil die Zeit drängt und man gewiss nicht ohne Schaden für die Kirche 100 Jahre warten kann.“ Man kann indes zu Recht vermuten, dass ausbleibende Modernisierungsprozesse in der katholischen Kirche sich symptomatisch in der Geschlechterfrage abbilden. Wie ist die aktuelle Situation also zu bewerten – theologisch, aber auch religionssoziologisch? Wie steht es mit den Erwartungshaltungen in Kirche und Gesellschaft? Und welchen Weg beschreitet die Katholische Kirche gerade unter dem Pontifikat von Papst Franziskus, wo es so scheint, als ob die Dinge sich grundlegend ändern könnten?
Zur Person: Johanna Rahner studierte Katholische Theologie in Freiburg. Sie lehrte unter anderem in Münster, Köln, Bamberg und Kassel, ehe sie im Sommersemester 2014 den Lehrstuhl für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie an der Kath.-Theol. Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen übernahm.
Einladung als PDF (nicht barrierefrei)
Noch nie war sie so wertvoll wie heute...
(Un-)zeitgemäße Bemerkungen zur Rolle der Frau in Theologie und Kirche
1. Warum die Frauenfrage keine Frage wie andere Fragen ist
Wenn „die Kirche Zeugnis von der Gerechtigkeit ablegen soll, dann weiß sie sehr wohl, daß der, der öffentlich von der Gerechtigkeit zu sprechen wagt, zunächst selbst in den Augen der anderen gerecht sein muß. Wir müssen deshalb unser Tun, unseren Besitz und unser Leben in der Kirche überprüfen. [...] Wir dringen darauf, daß die Frauen ihre Verantwortung und Mitbeteiligung am Leben der Gesellschaft und der Kirche haben. Wir schlagen vor, daß diese Frage sachgerecht und gründlich studiert werde, zum Beispiel durch gemischte Kommissionen aus Männern und Frauen, aus Ordensleuten und Laien, die aus den verschiedensten Verhältnissen stammen.“ (Iustitia in Mundo, Bischofssynode 1971)
2. Warum Genderdiskurse gerade jetzt herausfordern
„Die tiefe Unwahrheit dieser Theorie und der in ihr liegenden anthropologischen Revolution ist offenkundig. Der Mensch bestreitet, daß er eine von seiner Leibhaftigkeit vorgegebene Natur hat, die für das Wesen Mensch kennzeichnend ist. Er leugnet seine Natur und entscheidet, daß sie ihm nicht vorgegeben ist, sondern daß er selber sie macht. Nach dem biblischen Schöpfungsbericht gehört es zum Wesen des Geschöpfes Mensch, daß er von Gott als Mann und als Frau geschaffen ist. Diese Dualität ist wesentlich für das Menschsein, wie Gott es ihm gegeben hat. Gerade diese Dualität als Vorgegebenheit wird bestritten.“ (Ansprache von Papst Benedikt XVI. an die Mitglieder der Römischen Kurie am 21. 12.2012)
3. ‚Noch nie war sie so wertvoll wie heute...’
Feminisierung allerorten und von nicht wenigen wird dies als eine der Zerfallserscheinungen der Gesellschaft, vor allem aber der Kirche und der Theologie in der späten Moderne bewertet. Freilich wirklich neu ist diese These für Kirche und Religion nicht, allenfalls der larmoyante Unterton, mit dem sie vorgetragen wird. Denn „für alles Kirchliche, für alles Heilige hat das Weib ein empfängliches Herz. Wer nimmt den religiösen Trost, der so oft von unsern Kanzeln erschallt, am liebsten in sich auf? Es sind die Frauen und Witwen! Wer umstellt unter dem Jahre am öftesten und als ganz freiwillig die Beichtstühle? Die Frauen und Jungfrauen! Wer kniet oft am andächtigsten vor unseren Altären? Eben wieder nur das Geschlecht der Weiber!“ (Johann B. Hafen, Predigten zur Auffrischung und Erneuerung des christlichen Geistes in der so wichtigen heilugen österlichen Zeit, Stuttgart 1843, 54; zitiert nach Rudolf Schlögel, Sünderin, Heilige oder Hausfrau? Katholische Kirche und weibliche Frömmigkeit um 1800, in: Irmtraud Götz von Olenhusen (Hg.), Wunderbare Erscheinungen: Frauen und katholische Frömmigkeit im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 1995, 13–50, 14)
4. Die Frau als 15. Nothelferin: eine kirchenpolitische Perspektive
„Nicht der Kindesmissbrauch als solcher und erst recht nicht die uns heute teils barbarisch anmutenden und keineswegs typisch kirchlichen Züchtigungsformen sind das moralische Problem der Kirche. Es ist ihre Unfähigkeit, die eigenen pathogenen Strukturen und die Folgen ihrer klerikalen Vertuschungen zu erkennen, zu erörtern und daraus praktische Konsequenzen zu ziehen. Die gegenwärtige Vertrauenskrise gegenüber der katholischen Kirche betrifft nicht so sehr deren Personal, [...sie] betrifft die Kirche als soziale Institution, ihren Zentralismus, ihr monokratisches Selbstverständnis, die klerikalen Mentalitäten, die Ineffektivität einer immer noch höfischen Organisation und den Mangel an Rechtssicherheit und Fairness angesichts konflikthafter Entwicklungen.“ (F. X. Kaufmann, Moralische Lethargie)
5. 99 glutäugige Jungfrauen: Ein religionsgeschichtlicher Seitenblick
„Grundpfeiler jeder organisierten Religion ist mit wenigen Ausnahmen die Unterwerfung, Unterdrückung und Entwertung der Frau innerhalb der Gruppe. Die Frau hat ihre Rolle als passives, mütterliches und ätherisches Wesen zu akzeptieren, und sollte sie einmal nach Autorität oder Unabhängigkeit streben, wird sie für die Folgen büßen müssen. Sie kann unter den Symbolen einen Ehrenplatz einnehmen, nicht jedoch in der Hierarchie. Religion und Krieg sind Männersache. Und manchmal ist die Frau am Ende die Komplizin und Vollstreckerin ihrer eigenen Unterwerfung“ (Carlos Ruiz Zafon, Spiel des Engels, 62)
6. Die systematische Ursachenanalyse: Sakralisierung der Religion, die unzeitgemäße Revitalisierung von Männlichkeitsidealen und der Ausschluss der Frauen
In der späten Moderne haben Religionen die Tendenz, zum abgrenzend-ausgrenzenden Kult stilisiert zu werden, Gesten und Riten werden zu sakralen Exklusionsmechanismen; das Mysterium wird im sakralen Raum des Tabuisierten gefeiert. In der Selbstinszenierung der Katholischen Kirche dominiert immer noch ein struktureller Antimodernismus, der die von Gott geschenkte Heiligkeit des Wesens von Kirche als Gegengift zur Sündigkeit ihrer allzu menschlichen Strukturen missversteht. Dazu wird die Institution ‚Kirche’ zur metaphysischen Sakralinstitution überhöht und diese am Ende geschlechtstypologisch dann auch noch gegen den gesellschaftlichen Mainstream ‚gendert’ und (‚gegen’-)besetzt. Dabei sind es die eher stereotypen Zuschreibungen der Geschlechter, die – verbunden mit Ausschlusskriterien und Tabuzonen, die gerade bestimmte Ungleichzeitigkeiten von Gesellschaften spiegeln – die Frage von Sakralität und Profanität zu einer Genderproblematik werden lassen.
7. ‚The Elephant in the Room’: Die Amtsfrage
„Wenn man einmal annimmt, dass Jesus und die Apostel noch andere und wesentlichere Gründe für ihr Verhalten gehabt haben, als die vorgegebene kulturelle und gesellschaftliche Situation, dann müßte man doch auch inhaltlich genauer sagen, worin diese anderen Gründe bestehen. [...] Das bloße Faktum, dass Jesus ein Mann war, ist hier noch keine Antwort, weil nicht einsichtig wird, dass ein Mensch, der im Auftrag Christi und insofern (aber doch auch nicht anders) ‚in persona Christi’ handelt, diesen dabei gerade in seinem Mannsein repräsentieren müsse. Würde man aber unter Berufung auf die ‚göttliche Schöpfungsordnung’ solche Gründe zu finden und zu entwickeln suchen, dann wäre wohl schwer vermeidbar [...], sich nicht auf eine Anthropologie zu berufen, die doch wieder die gleiche Würde, die gleiche Berechtigung der Frau bedroht“ (Karl Rahner, Priestertum der Frau? 518f).
8. Vorbereitet sein für eine Situation, die im Kommen ist
„Die identische Würde von Mann und Frau ist uns ein Grund zur Freude darüber, dass alte Formen von Diskriminierung überwunden werden und sich in den Familien eine Praxis der Wechselseitigkeit entwickelt. Wenn Formen des Feminismus aufkommen, die wir nicht als angemessen betrachten können, bewundern wir gleichwohl in der deutlicheren Anerkennung der Würde der Frau und ihrer Rechte ein Werk des Heiligen Geistes.“ (Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben Amoris laetitia Nr. 54).
Literatur
Rainer Bucher, Kirche ohne Geld und Vertrauen. Die heilsame Provokation der Krise, in: Marianne Heimbach- Steins (Hg.), ‚... nicht umsonst gekommen’. Pastorale Berufe, Theologie und Zukunft der Kirche, Münster 2005, 43–65; Franz Xaver Kaufmann, Moralische Lethargie? in: FAZ vom 26. April 2010; Karl Rahner, Priestertum der Frau?, in: ders., Sämtliche Werke, Bd. 30, Freiburg 2009, 511–522; Karl Rahner, Strukturwandel der Kirche als Aufgabe und Chance, Freiburg 1972; „Wir schauen mit neuer Brille“. Ein Gespräch mit dem Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, in: HK64 (2010) 447–451; Carlos Ruiz Zafón, Das Spiel des Engels, Frankfurt 2008.
Das gefährliche Geschlecht
Johanna Rahner über das schwierige Verhältnis von Theologie und Kirche zum Genderdiskurs
„Noch nie war sie so wertvoll wie heute...“: Unter diesen Titel stellte Univ.-Prof.in Dr.in Johanna Rahner, Dogmatikerin an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, am 23. November 2017 die 3. Herlinde-Pissarek-Hudelist-Vorlesung. Rahner verdeutlichte in ihrem Vortrag, dass die sogenannte „Frauenfrage“ den innersten Kern von Kirche und Gesellschaft berührt, Kirche und Theologie aber weitgehend daran scheitern, eine produktiv-kritische Rolle in den aktuellen Genderdiskursen einzunehmen. Nicht die Suche nach Gerechtigkeit werde von kirchlicher Seite wahrgenommen, sondern „Gender als das Zauberwort der spätmodernen Häresien“, das es mit allen Mitteln zu bekämpfen gelte. Dafür werden auch systematisch Allianzen eingegangen zwischen katholischen Traditionalisten und politisch ewig Gestrigen vom rechten Rand.
FRAUEN ZWISCHEN ÜBERHÖHUNG UND AUSSCHLUSS
Innerhalb der Kirche ist zu beobachten, dass vor allem junge Frauen sich von eben dieser distanzieren. Zugleich aber kommt es spätestens seit dem 19. Jahrhundert zu einer Feminisierung von Religion und einer religiösen Überhöhung des weiblichen Geschlechts. „Für alles Kirchliche, für alles Heilige hat das Weib ein empfängliches Herz“, zitierte Rahner eine Predigt aus 1843. Exakt diese Überhöhung kehrt in den lehramtlichen Texten und kirchenpolitischen Diskursen der vergangenen Jahre wieder. „Noch nie war sie so wertvoll...“ – ein sich wiederholender Topos in Kirche und Theologie. Insbesondere seit dem Publikwerden unzähliger Missbrauchsfälle in kirchlichen Institutionen wird für Rahner der Rückgriff auf „die Frau als 15. Nothelferin“, die die Krise wieder richten soll, verstärkt sichtbar. Doch diese ist, so stellte Rahner klar, von Männern gemacht, verursacht und von diesen zu verantworten.
GERECHTE GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE ALS GRUNDLAGE EINER LEBENDIGEN KIRCHE UND GESELLSCHAFT
Kirche als „Hort inszenierter Männlichkeit“ geht für Rahner zurück auf die Inszenierung des Priesters als Haupt der Gemeinde analog zum Pater familias. Antimodernistische Strukturen sind in ihr weiter wirksam und werden offenbar in der stereotypen Zuschreibung von Geschlechterrollen und den entsprechenden exklusivistischen Formaten. Der Ausschluss von Frauen ist gemäß Rahner verbunden mit einer existenziellen Krise von Männlichkeitsidealen in der Spätmoderne und der Rückkehr von Geschlechterstereotypen. Zugleich erschüttert die Frage der Geschlechtergerechtigkeit in Form der weiter drängenden Ämterfrage die Grundstrukturen der Kirche. Die theologischen Grundlagen einer Öffnung des sakramentalen Amtes für Frauen sind für Johanna Rahner bereits lange geklärt, die Umsetzung sei eine bloße Frage des Kampfes um Macht. Entsprechend erläutert die Dogmatikerin: Wird Frauen weiterhin der Zugang zu sakramental anerkannten Ämtern verweigert, so handelt die katholische Kirche ihren eigenen systematisch-theologischen Grundlagen zuwider und riskiert langfristig selbst Schaden zu nehmen.
ALLES EINE FRAGE DER MACHT?
Dem Vortrag folgte eine intensive Debatte über die Ursachen des Versagens von Kirche und Theologie an einer systematisch-produktiven Auseinandersetzung mit der aktuellen Geschlechterforschung jenseits bloßer Verurteilung von und Polemik gegen „Gender“. Ebenso heftig diskutiert wurde, inwieweit die dogmatischen Grundlagen einer Ordination von Frauen geklärt sind und der weitere Ausschluss tatsächlich nur eine Frage der Macht ist. Der Beitrag von Johanna Rahner eröffnete hier einen neuen Diskussionsraum und lässt auf eine Fortsetzung in vielfältigen Formen hoffen.
(Michaela Neulinger)