Gerhard Lener – Nachruf
Institut für Konstruktion und Materialwissenschaften
Am 12. Februar 2022 verstarb Herr Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Gerhard Lener im Alter von 66 Jahren in Innsbruck.
Gerhard Lener wurde am 17. Dezember 1955 in Rankweil, Vorarlberg, geboren. Nach Übersiedelung der Familie absolvierte Hr. Lener die Höhere Technische Lehranstalt für Tiefbau in Innsbruck, die er 1975 mit Auszeichnung abschloss.
Direkt im Anschluss begann er mit seinem Studium im Fach Bauingenieurwesen an der damaligen Fakultät für Bauingenieurwesen und Architektur an der Universität Innsbruck. Bereits im Jahr 1982 schloss er sein Diplomstudium mit einer Arbeit zur Berechnung von Spannungen in orthotropen Stahlfahrbahnplatten unter Eigengewicht und Verkehrslast ab. Zudem war er währenddessen Studienassistent an der Abteilung Geometrie der Universität – einige handschriftliche Erinnerungsstücke aus dieser Zeit wurden ihm nach langer Aufbewahrungszeit vom damaligen Leiter des Arbeitsbereichs, Univ.-Prof. Manfred Husty, noch zu seinem 60. Geburtstag überreicht. Im selben Jahr kreuzten sich seine Wege mit denen von Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Tschemmernegg, bei welchem er dann als Mitarbeiter für statisch konstruktive Belange für einige Monate verweilte. Nach einigen Monaten jedoch wechselte er sein Betätigungsfeld und wurde Vertragsassistent am Institut für Baustatik und verstärkte Kunststoffe.
Im Jahr 1985 erfolgte ein erneuter Wechsel zurück zu Professor Tschemmernegg an das Institut für Stahl- und Holzbau. An diesem Lehrstuhl war Gerhard Lener als Assistent tätig und verfasste auch seine Dissertation zum Thema „Berechnung räumlicher Stahlrahmen mit nichtlinearem Knotenverhalten unter Berücksichtigung der Normalkraftinteraktion“. Im Jahr 1988 schloss er seine Arbeit mit Auszeichnung ab.
Wenige Tage nach seinem Abschluss war sein Wechsel in die Privatwirtschaft mit einer Anstellung als Berechnungsingenieur im Liebherr Werk Nenzing Gmbh vollzogen. Überliefert ist, dass der Umzug derart rasch erfolgte, dass er wochenlang in einem Gasthof in Werksnähe nächtigte. Durch den Weggang einiger ehemaliger Liebherr-Mitarbeiter und der hohen Fachkompetenz des jungen Gerhard Lener, stieg er bereits nach einem Jahr zum Abteilungsleiter für Festigkeitsberechnungen auf. Anfang 1990 wurde er schließlich Leiter der Konstruktion und Entwicklung und unterstand nur mehr der Geschäftsführung. Bereits 1992 verließ er jedoch die Firma Liebherr wieder um als Zivilingenieur für Bauwesen eigene Wege zu gehen. Nach seinen Aussagen um Ingenieur zu bleiben und sich nicht so viel mit Geschäftszahlen mühen zu müssen, die ein weiterer Aufstieg unweigerlich mit sich gebracht hätte. Er blieb der Firma Liebherr jedoch zeitlebens verbunden. Viele Berechnungsansätze für Krane und Kranstrukturen entstammen dieser kurzen Zeit. Sein selbst entwickeltes Stabwerksprogramm IKAS brachte so viele Vorteile in der Bemessungspraxis mit sich, dass es noch über viele Jahre bei der Firma Liebherr Werk Nenzing im Einsatz blieb.
Mit seinem Neubeginn als Zivilingenieur für Bauwesen mit Sitz in Feldkirch wuchs sein berufliches Betätigungsfeld stets. Durch seine Affinität zum Kranbau war das Büro immer nahe an der Schnittstelle zum Maschinenbau beheimatet. Die Arbeit mit verändernden Lasten, Ermüdungsproblemen und dünnwandigen Konstruktionen sowie Sonderlösungen aller Art im konstruktiven Stahlbau unter Anwendung numerischer Methoden war sein Steckenpferd. Neben dem Kranbau, einer Vielzahl von Berechnungen im Seilbahnbau, der Berechnung von Fahrgeschäften, Behältern und Brücken sind vor Allem seine Arbeiten an den laufend wechselnden Bühnenbildern der Bregenzer Festspiele zu nennen. Trotz des breiten Betätigungsfeldes blieb das im Privathaus untergebrachte Büro immer klein, was sein ehemaliger Mitarbeiter und nunmehriger Professor für Bauinformatik in Wismar, Prof. Dr.-Ing. Jörn Weichert, mit Sicherheit bestätigen kann.
Zusätzlich zu seiner Tätigkeit als Zivilingenieur wurde Gerhard Lener im Jahr 2006 auf den vakanten Lehrstuhl des Arbeitsbereichs Stahlbau- und Mischbautechnologie am Institut für Konstruktion und Materialwissenschaften der Universität Innsbruck berufen und trat die Nachfolge von Univ.-Prof. DI Dr. Josef Fink an. Professor Lener brachte umfangreiche praktische Erfahrung aus diversen Disziplinen des konstruktiven Stahlbaus, insbesondere im Bereich der Dimensionierung mittels numerischer Methoden mit. Seine Erfahrungen aus dem Bühnenbau kommentierte er humorvoll in seiner Antrittsvorlesung im Frühjahr 2007 sinngemäß mit „…wer als Bauingenieur glaubt, die Zusammenarbeit mit Architekten wäre manchmal schwierig, der möge doch einmal mit Bühnenbildnern zusammenarbeiten…“.
Im Laufe seiner Tätigkeit veröffentlichte Prof. Lener als Autor und Mitautor insgesamt 37 wissenschaftliche Publikationen in nationalen und internationalen Fachzeitschriften. Sechs Dissertationen und dutzende Diplomarbeiten wurden am Arbeitsbereich in seiner Zeit verfasst. Thematisch umfassen diese Arbeiten die Bereiche Stabilität und Betriebsfestigkeit. Zudem lag ihm, aus der praktischen Tätigkeit herrührend, die Anwendung und Weiterentwicklung der Finiten Elemente Methode im Stahlbau besonders am Herzen. Er erkannte frühzeitig den allgemeinen Lösungscharakter dieser Methodik und war selbst exzessiver Anwender und Verfechter. Dies galt in Forschung und Lehre sowie für den Transfer in die Praxis gleichermaßen, was neben seiner Mitgliedschaft in zahlreichen nationalen und internationalen Normungsausschüssen im Entwurf eines neuen Normenteils über die Anwendung numerischer Methoden für die Bemessung reüssierte.
Seiner Affinität zur numerischen Lösung von Problemstellungen geschuldet resultierte auch ein 2011 gemeinsam mit der Universität Innsbruck veröffentlichtes Patent über einen Lösungsalgorithmus zur parameterfreien Formoptimierung von Bauteilen, welches als Nebenprodukt im Zuge einer Gussteiloptimierung in seinem Zivilingenieurbüro erarbeitet wurde.
In seine Zeit als Universitätsprofessor fiel auch die Gründung der Technischen Versuchs- und Forschungsanstalt (TVFA) der Universität Innsbruck, welcher er als erster Leiter über viele Jahr hinweg vorstand.
Gerhard Lener war zeitlebens ein begnadeter Techniker und stets interessiert an neuen Herausforderungen. Er war stets in die Zukunft blickend gerichtet und dem technischen Fortschritt wohlgesonnen. Mit dem Ziel, sein ingenieurmäßiges Lebenswerk weiterleben zu lassen hat er sein Büro zeitgerecht und voller Vertrauen in junge Hände übergeben – mit dem Ziel sich weiterhin, wenn auch in reduziertem Umfang, seiner beruflichen Leidenschaft zu widmen.
Privat war Gerhard Lener ein begeisterter Segler, der viele Jahre eine kleine Segelyacht am Bodensee unterhielt.
Im Februar 2021 verabschiedete sich Gerhard Lener als Universitätsprofessor regulär in den wohlverdienten Ruhestand. Trotz bereits bestehender Erkrankung blieb er dem Ingenieurwesen treu, trat im Dezember 2021 als Prüfer bei einem Rigorosum auf und hielt im Jänner 2022 seine letzte Vorlesung an der FH Vorarlberg im Fachbereich Seilbahnbau.
Er hinterlässt eine Frau und zwei erwachsene Kinder.