Nobelpreis 1936 Höhenstrahlung
Seine Entdeckung, die kosmischen Strahlen, haben für alle Gebiete der Wissenschaft eine Fülle von Anregungen gebracht bis zu den gewaltigen Hochenergielaboratorien der Europäischen Kernforschungsorganisation CERN (European Organization for Nuclear Research). Im Jahre 1910 startete der junge Physiker Victor Franz Hess, von dem hier die Rede ist, seine ungewöhnliche Versuchsreihe. Mit einem Freiballon stieg er bis in 5000 Meter Höhe auf, um die Luftelektrizität zu erforschen und entdeckte die kosmische Strahlung. Diese Höhenstrahlung hielt Hess zunächst für eine extrem kurzwellige elektromagnetische Strahlung (Gamma-Strahlung), und erst rund 25 Jahre später erkannte man die ungeheure Tragweite dieser wissenschaftlichen Pioniertat des Österreichers. Die „neue" Strahlung besteht aus energiereichen aus dem Weltall stammenden nuklearen Teilchen. Viele der entdeckten neuen Elementarteilchen konnten später „künstlich" im Labor hergestellt werden. Eine neue wissenschaftliche Disziplin war entstanden, die Hochenergiephysik.
Für seine Entdeckung erhielt Victor Franz Hess 1936 den Nobelpreis verliehen. Es ist der äußere Höhepunkt seines Lebens, das am 24. Juni 1883 auf Schloß Waldstein bei Deutschfeistritz in der Mittelsteiermark begann. Der Sohn eines Forstrates studierte an der Grazer Universität Physik und promovierte 1906 „sub auspiciis Imperatoris", die höchste Auszeichnung eines Doktoranden im alten Österreich. Vier Jahre später habilitierte sich der junge Forscher an der Universität Wien und wurde Assistent am Radiumforschungsinstitut. Damals begann er seine Ballonflüge, zehn bis zum Jahre 1913.
Mit seinen Meßgeräten, die er selbst konstruiert hatte, stellte er immer wieder ein rätselhaftes Phänomen fest: Die Leitfähigkeit der Luft nahm bis in eine Höhe von 1000 Metern ab, stieg dann aber wieder an und erreichte in 5000 Meter Höhe rund das Dreifache der am Boden gemessenen Werte. Der geniale Schluß, den Hess aus diesem Experiment zog war, es mußte sich um bisher unbekannte Strahlen handeln, die außerirdischen (kosmischen) Ursprungs sind. Das außerordentliche Durchdringungsvermögen ergab sich aus dem Faktum, daß diese Strahlung nach dem Durchdringen durch die ganze Erdatmosphäre noch auf Meereshöhe nachweisbar war. Sein Programm zur Erforschung dieser Strahlen wurde allerdings erst vier Jahrzehnte später, im Rahmen des Internationalen Geophysikalischen Jahres (1957 / 58) verwirklicht.
Der erste Weltkrieg setzte den Arbeiten über die kosmische Strahlung ein vorläufiges Ende. Hess wendet sich wieder dem Gebiet der Radioaktivität zu und findet eine verbesserte Methode zur Radiumbestimmung. Er mißt die Wärmeproduktion des von seinen Zerfallsprodukten befreiten Radiums und führt neue Reichweitenmessungen durch.
Im Jahre 1921 wird er von der US-Radiumcorporation Orange im US-Bundesstaat New York als Chefphysiker berufen und als „Consulting physicist" in das „Bureau of Mines" im US-Innenministerium, eine seltene Auszeichnung für einen Ausländer. 1923 ist er wieder in Graz, wo er seine luftelektrischen Studien fortsetzt. 1925 wird er an der Grazer Universität zum Ordinarius bestellt. In diese Zeit fällt die Publikation eines seiner Hauptwerke: „Die elektrische Leitfähigkeit der Atmosphäre und ihre Ursachen" (1926). Daneben beginnt Hess wieder über die kosmische Strahlung zu arbeiten.
Einige Jahre später, es war 1931, wird Hess an die Universität Innsbruck berufen, wo er bis 1937 wirkte. Manche Bergsteiger und Skifahrer werden sich vielleicht noch seines Forschungslaboratoriums auf dem Hafelekar erinnern. Eine schwere Radiumverbrennung führt zur Amputation eines Daumens, dazu kommt noch eine Kehlkopfoperation, die den Physiker zu lebenslanger Heiserkeit verurteilt. Die Schüler des Bundesrealgymnasiums Innsbruck halfen auf Anregung ihrer Physiklehrer unter der Führung von Prof. Otto Bischof mit der Gestaltung einer Gedenkfeier, in der auch Dokumente und Ausschnitte aus wissenschaftlichen Arbeiten präsentiert wurden. Univ.-Prof. Dr. Josef Kolb würdigte die wissenschaftliche Bedeutung des Gefeierten, Dr. Herbert Oberguggenberger als Verantwortlicher für die Forschungsstation auf dem Hafelekar erläuterte die physikalischen Vorgänge der kosmischen Strahlung und der Hochenergiephysiker Univ.- Prof. Dr. Dietmar Kuhn hob die Bedeutung der Entdeckung für die Grundlagenforschung in der Physik hervor.
Nach der Besetzung Österreichs im Jahre 1938 wurde Hess zwangspensioniert, worauf der überzeugte Katholik und Kosmopolit in die USA emigrierte und eine Professur an der Fordham University annahm. 1948 konnte die Universität Innsbruck den Forscher noch einmal als Gastprofessor begrüßen. Doch blieb Victor F. Hess in den USA, wo er am 17. Dezember 1964 in Mt. Vernon in der Nähe von New York verstarb.
Zum 100. Geburtstag, Tiroler Tageszeitung, 25–26 Juni 1983.