Vom Hafelekar nach Genf
Für Physiker aus der ganzen Weit ist das unscheinbare, kleine Haus in unmittelbarer Nähe der Bergstation am Hafelekar eine Art Pilgerstätte. Hier hatte Viktor-Franz Hess 1931 als Vorstand eines von ihm initiierten Instituts für Strahlenforschung in 2.240 Metern Seehöhe eine „Station für Ultrastrahlenforschung" eingerichtet.
Hess' Entscheidung für Innsbruck war im unmittelbaren Zusammenhang mit der als Pionierleistung gefeierten, 1928 errichteten, Hochgebirgsseilbahn gefallen. Sein Ziel war es, die von ihm entdeckte kosmische Strahlung kontinuierlich und konsequent zu untersuchen. Erst vor einigen Monaten wurde im Haus ein Schauraum eingerichtet. Jetzt können auch zufällig vorbeikommende Bergwanderer etwas über die Bedeutung des Ortes erfahren.
Hess, 1883 in der Nähe von Graz geboren, beschäftigte sich als junger Wissenschaftler und Assistent am Institut für Radiumforschung der Universität Wien mit radioaktiver Strahlung. Die entscheidende Entdeckung gelang ihm bereits 1912. Auf Ballonfahrten, die ihn in Höhen von über 5.000 Metern brachten, wies er nach, daß die Ultrastrahlung in der Höhe zunahm. Damit stand fest, daß sie nicht terrestfischen Ursprungs war, sondern aus dem Weltall kam. Die Bedeutung der Entdeckung wurde erst mehr als zwei Jahrzehnte später in ihrer ganzen Dimension erkannt und Hess wurde 1936 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Ein Jahr später folgte er einer Berufung nach Graz, ein weiteres Jahr danach schickten die Nazis Hess als deklarierten Antifaschisten in den Zwangsruhestand, worauf er in die USA emigrierte, wo er 1964 starb.
Als Vorstand des Instituts für Experimentalphysik ist Prof. Dietmar Kuhn sozusagen der wissenschaftliche Enkelsohn von Hess. Kuhn bezeichnet die Arbeit von Hess als fundamental für das Wissen über den Aufbau der Materie und die Kräfte, die sie zusammenhalten. In der Tradition von Hess gehört das Team um Kuhn zu jenen 7.000 Physikern aus aller Welt, die in Genf am berühmten Teilchenbeschleuniger CERN zusammenarbeiten. 180 Meter unter der Erde wurde eine 27 Kilometer lange kreisförmige Rennbahn errichtet, in der Elementarteilchen fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden können. Untersucht wird, was passiert, wenn Teilchen in kalkulierten Kollisionen aufeinanderprallen. Den Aufwand für CERN bezeichnet Kuhn als „vergleichbar mit einer Marslandung, bloß nicht so spektakulär". Derzeit gilt die Konzentration einem ,Higgs" genannten Teilchen, von dem sich manche Forscher eine Lösung des Rätsels erwarten, wie in der Natur die Eigenschaft der Masse entsteht. Eine wesentliche Wurzel dieser Forschung reicht zu dem unscheinbaren Haus am Hafelekar hoch über Innsbruck, wo bis heute Daten über die Weltraumstrahlung aufgezeichnet werden.
Eigentlich bemerkenswert, daß in einer stark auf touristische Vermarktung orientierten Stadt wie Innsbruck, ein Objekt wie die Forschungsstation von Viktor-Franz Hess bislang vergessen wurde.
Vom Hafelekar nach Genf, Unizeitung, Nr. 6, Juni 1999.