Ethik und Zeit
Referentin: Dr. Margit Schäfer (FH-Lektorin)
Moderation: Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Weber (Institut für Psychologie)
Zeit: Dienstag, 09. Januar 2007, 19:30 Uhr
Ort: HS 3, SoWi, Universitätsstr. 15, 6020 Innsbruck
Ehrenamt, Freiwilligenarbeit, Bürgerengagement - mehrere Begriffe finden Verwendung für den Sektor der unentgeltlichen Arbeit, die zwar ohne finanzielle Bezahlung erledigt wird, nicht jedoch ohne Lohn. Menschen stellen einen Teil ihrer Lebenszeit der Allgemeinheit zur Verfügung, machen sie zu einem öffentlichen Gut. Damit handeln sie nach persönlichen ethischen Richtlinien.
Die zunehmenden Verquickungen von bezahlter und unbezahlter Arbeit, von Praktikum und Ehrenamt, von Freizeit und Arbeitszeit, von Nutzen und Freiwilligkeit, von Engagement und Kalkül bilden einen gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Sprengstoff, der unser zukünftiges Zusammenleben und unsere Lebensqualität wesentlich verändern wird.
Als ich gestern Mittag den letzten Satz dieses Vortrags schrieb, glaubte ich ein aktuelles Thema beschrieben zu haben. Die Tendenzen der Übertragung von sozialen Tätigkeiten auf Ehrenamtliche und mehr oder weniger freiwillig Tätige waren schon länger deutlich beobachtbar, es war trotzdem keine Eile geboten. Dass ich von den Koalitionsverhandlungen derart überrollt werde, hätte ich nie und nimmer gedacht – plötzlich wurde mein Thema nicht nur aktuell, sondern akut. Was da gestern präsentiert wurde, war dumm, unüberlegt und gleichzeitig entlarvend. Es geht nicht mehr nur um einen mehr oder weniger sanften Druck auf Menschen sich doch bitte ehrenamtlich um die sozialen Löcher zu kümmern, sondern um eine selektive Zwangsmaßnahme für Menschen, die es sich nicht leisten können oder wollen die Studienbeiträge zu bezahlen. Entlarvend ist in diesem Manöver mehreres: einerseits, und das ist das Beschämende, die Unverfrorenheit, mit der den Schutzbedürftigen, den Alten, den Kranken und den Behinderten, signalisiert wird, was sie denn wert sind, nämlich Betreuung von 6,--/h durch unqualifiziertes Personal. Dann zeigt diese Maßnahme, welchen Stellenwert die Studierenden in diesem Land haben, in einem Land, das in der Skala der akademischen Abschlüsse am unteren Ende tümpelt. Und dann entlarvt dieser unglaubliche Vorschlag, welchen Stellenwert Bildung in unserem Land hat. Die Koppelung von Bildung und Arbeit hat es so noch nicht gegeben. Diese Idee dockt an Einstellungen an, die in den Köpfen vieler noch geistern: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, wer nicht arbeitet, soll keine Bildung bekommen. Lehrjahre sind keine Herrenjahre usw. Diese ignorante Haltung geht an der Wirklichkeit der Arbeitenden und Studierenden komplett vorbei und brüskiert die ohnehin schon angespannten Menschen, die sich bemühen ihre Existenz auf anständige und ehrliche Art und Weise zu gestalten.
Wie es dazu kommen konnte, dass eine Regierung mit solch einem Vorschlag an die Öffentlichkeit geht und dass dieser Vorschlag nur Teil einer Strategie ist, die in den nächsten Jahren noch ausgebaut werden wird, ist auch Thema dieses Vortrags.
Margit Schäfer, Studium der Erziehungswissenschaften, FH-Lektorin u.a. für Tourismus, Freizeit, Arbeits- und Organisationspsychologie in Nonprofit-Unternehmen und Lehrerin in Pflegeberufen. Regionalleiterin des Vereins zur Verzögerung der Zeit. Derzeit in fünf Vereinen aktiv und ehrenamtlich tätig.
Mit freundlicher Unterstützung vom Renner Institut Tirol