Kill the winner


Heribert Insam

 

„Killing the winner“ ist ein ökologisches Konzept, eine Theorie zur Populationsdynamik in organismischen Gemeinschaften. Ein Beispiel dafür sind Algenblüten im Meer, bei denen eine einzellige Algenart sich aufgrund günstiger Umstände (Nährstoffangebot, Temperatur) plötzlich ganz stark vermehrt. Viele Kilometer große Blüten von Emiliana huxleyi im Nordatlantk wurden von Satelliten aus beobachtet, mit immer dichter werdendem Grün, der Farbe des Chlorophylls. Nach wenigen Wochen, plötzlich, wurden die Chlorophyllsignale schwächer, die Farbe des Wassers änderte sich. Die Algen wurden zum Wirt für ein Virus. Bis zu 800 Virenpartikel des E. huxleyi-Virus (EhV) wurden dann pro Zelle nachgewiesen, die Algenblüte erstarb. Die toten Algen, jetzt selbst zum Nährstoff geworden für Bakterien, begannen als ‚mariner Schnee‘ in die Tiefen des Ozeans zu sinken. Der ‚Winner‘ ist dezimiert, und das Virus hat einen Beitrag zur Verlagerung des Kohlenstoffs in die Sedimente des Meeres geleistet und trägt damit zur Reduktion des Kohlenstoffs in der Atmosphäre bei. Der Kreislauf kann von Neuem beginnen.

Ein anderes Beispiel konnte ich selber in Argentinien erleben. Der Colihue ist eine süd-argentinische Bambusart, die abhängig von den klimatischen Bedingungen alle 70 Jahre blüht und dann eine riesige Anzahl von Samen bildet. Als Folge davon beginnt sich die Langschwanz-Zwergreisratte sprungartig zu vermehren und erreicht eine sehr hohe Populationsdichte. Diese Mäuse sind sehr oft Träger des Hantavirus. Bei entsprechender Populationsdichte der Mäuse steigt die Übertragungsrate des Hantavirus, das in der Lage ist, die riesigen Mauspopulationen (die „Winner“) zu eliminieren. Bei unserem Besuch im Nationalpark waren die Campsites mit 60 cm hohen Blechwänden umgeben, um das Eindringen der Ratten zu verhindern. Die Umgebung war mit zahllosen toten Ratten übersät. Hätten wir damals geahnt, wie leicht dieses Hantavirus vom Nagetier auf den Menschen überspringen kann, hätten wir diese Zeltplätze mit Sicherheit gemieden. Bei einer Inkubationszeit von zwei Monaten mussten wir noch Wochen nach unserer Rückkehr bangen, ob wir uns wohl nicht mit diesem oft tödlichen Virus angesteckt hätten. Derartige Zoonosen, also das Überspringen von einer Tierart auf den Menschen, kommen gar nicht so selten vor.

So auch beim Coronavirus, das ursprünglich bei Fledermäusen vorkommt und angeblich über Schuppentiere auf einem chinesischen Markt auf den Menschen übergesprungen ist. Der Mensch ist jetzt der ‚Winner‘, und wird zum bevorzugten Wirt für das Virus. Ein Markt, wo sich die Leute drängen, eine riesige 20-Millionen-Agglomeration: Wo wäre es naheliegender, dass sich das Virus so schnell ausbreiten, und damit den ‚Winner‘ dezimieren kann? Bei einer Spezies mit großer globaler Mobilität auch keine Überraschung, dass die Verbreitung weltweit funktioniert. Über Vektoren, wie man das in der Ökologie nennt, und die in unserer Welt vor allem Flugzeuge und nicht Zugvögel sind. Und wie reagieren die Menschen? Mit einer Maßnahme, die in der Natur in dieser Form noch nicht beobachtet wurde, oder zumindest dem Autor nicht bekannt ist: mit einer verordneten Zunahme der sozialen Distanz. Weniger Interaktionen des ‚Wirtes‘ verlangsamen die Ausbreitung des Virus. Womit wir mit einem alten Sprichwort zusammenfassen können: wer nix wird, wird Wirt! Wer da nicht an Ischgl denkt?

 

Auch die Winogradsky-Säule ist ein Beispiel für die Killing-the Winner Hypothese: sobald sich ein bestimmter Organismus durchsetzt (an der Farbe zu erkennen) wird er auch schon wieder von einem Fressfeind oder Bakteriophagen (Bakterienvirus) dezimiert. Ein ewiger Kreislauf.

 

Heribert Insam, geboren in Zell am See, Umweltmikrobiologe aus Leidenschaft und Profession, Leiter des Instituts für Mikrobiologie der Universität Innsbruck und besonders interessiert an der Rolle der Mikroorganismen bei der Erderwärmung.

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