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Die Post ist da! Und diesmal mit einer Reihe von internationalen Vorträgen!

Eine Newsletter-Analyse zu den Gastvorträgen am Institut für Zeitgeschichte in Innsbruck

Text: Katia Pedevilla

Was wäre Wissenschaft ohne den regelmäßigen Austausch mit Kolleg:innen aus dem In- und Ausland? Mit ihren Impulsen, Ideen und Anregungen aus anderen Blickwinkeln und als ausdauernde Diskutant:innen bringen sie frischen Wind in die vier Wände der eigenen Denkwelt. Deshalb lud das Institut für Zeitgeschichte in den mittlerweile 40 Jahren seines Bestehens regelmäßig wissenschaftliche Gäste im Rahmen von uni-übergreifenden Ringvorlesungen, Einzelvorträgen und Konferenzen nach Innsbruck ein.

Aber erst mit entsprechendem Publikum können Ideenaustausch und Networking tatsächlich gelingen. Medium der „Kontaktherstellung“ zwischen Publikum und Gastreferent:innen sind seit dem Studienjahr 1993/94 die Newsletter des Instituts für Zeitgeschichte. In ihrer anfänglichen Phase bis 2001 noch auf buntem Papier gedruckt, sind die Newsletter seit 2014 ausschließlich online einseh- und abonnierbar. Sie informieren Fachkolleg:innen und Studierende, aber auch darüber hinaus Interessierte über laufende Forschungsprojekte, Publikationen sowie Veranstaltungen des Instituts.

 

©  Katia Pedevilla, Der allererste Newsletter des Instituts für Zeitgeschichte Innsbruck 1993/94
© Katia Pedevilla, Der allererste Newsletter des Instituts für Zeitgeschichte Innsbruck 1993/94

Für den Inhalt und das Layout zuständig war in der Ära der analogen Newsletter (1993–2001) Ingrid Böhler, mittlerweile Senior Scientist und aktuell auch die Leiterin des Instituts, unter Herausgeberschaft des damaligen Institutsleiters Rolf Steininger. Die Verbreitung der bunten Informationsblätter funktionierte folgendermaßen, berichtet Böhler auf Nachfrage per E-Mail:

„Damals gab es zwar schon E-Mail, aber alles, was wichtig war, kam mit der Post oder wurde mit der Post verschickt. Der damalige Institutsleiter hat dann, wenn es einen neuen Newsletter gab, immer ein Exemplar seinen Briefen beigelegt bzw. hat sie uniintern verteilen lassen über die Postfächer der anderen Institute.“

Auf diesem Weg gelangten Ankündigungen von Gastvorträgen an das Publikum. Und genau hier möchte ich genauer nachhaken: Welche Auskunft geben die Newsletter über die am Innsbrucker Institut für Zeitgeschichte gehaltenen Gastvorträge über die konkreten Veranstaltungsdetails wie Referent:in, Titel, Ort und Zeit hinaus noch? Können daraus Hinweise auf Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb der letzten Jahrzehnte abgeleitet werden? Wie gestaltet(e) sich etwa das Geschlechterverhältnis unter den Gastvortragenden? Oder lassen sich geografische „Kontakt-Muster“ aufgrund der „Herkunftsuniversität“ der Vortragenden ermitteln? Und inwiefern spiegeln die Vorträge die institutsbezogenen Forschungsschwerpunkte wider bzw. gibt es signifikante inhaltliche „Ausreißer“? Eine Reihe von Fragen, die mittels einer statistischen und inhaltlichen Analyse der Newsletter sowie mit wertvollen Hinweisen per E-Mail von Ingrid Böhler beantwortet werden konnten.

Zuerst zu den Daten und Fakten: Insgesamt wurden 26 Newsletter analysiert, die im Zeitraum 1993 bis 2023 erschienen. Auffällig ist, dass die Newsletter-Produktion erst 1993 und damit rund 10 Jahre nach Institutsgründung startete. Laut Böhler reagierte das Innsbrucker Institut für Zeitgeschichte dennoch vergleichsweise früh auf den zunehmenden Wettbewerb bzw. die zunehmende Internationalisierung des Wissenschaftsbetriebs in den 1990er-Jahren. Ein weiterer Grund ist in der Absicht des damaligen Institutsleiters Steininger zu suchen, seine eigenen und die Forschungen seiner Mitarbeiter:innen sichtbar zu machen, so Böhler weiter. Deshalb befinden sich die Veröffentlichungen der Institutsmitglieder in den analogen Newslettern auch prominent auf den ersten beiden Seiten. In digitaler Form sind sie noch immer fester Bestandteil, scheinen aber nun als letzter Punkt auf. Im Zeitraum 1993 bis 2001 erschienen die analogen Newsletter einmal, ab dem Relaunch 2014 in digitaler Form unter Dirk Rupnow, der nun das Institut leitete, zweimal pro Studienjahr. Die rund 13-jährige Veröffentlichungspause dazwischen hing wohl damit zusammen, dass „die Sache mit den Newslettern sich irgendwie im Sand zu verlaufen“ habe, nicht zuletzt aufgrund der Verdrängung von Postsendungen durch E-Mail als wichtigste Kommunikationsform, vermutet Böhler.

Aus dem Gesamtmaterial von 26 Newslettern ließ sich erschließen, dass in den auf dieser Basis untersuchten Jahren über 200 Gastvorträge abgehalten wurden. Anspruch auf Genauigkeit bzw. Vollständigkeit bei der Erfassung der Gastvorträge im gesamten Bestehenszeitraum des Instituts kann leider nicht erhoben werden, zudem fehlen teilweise relevante Hinweise auf die Herkunft der Vortragenden – von einer diesbezüglichen nachträglichen Zuordnung wurde für diesen Beitrag aufgrund der im Untersuchungszeitraum bereits üblichen wissenschaftlichen Mobilität und der damit einhergehenden Fehleranfälligkeit Abstand genommen. Meine Definitionskriterien eines Gastvortrags waren naheliegend: Die vortragende Person sollte von außerhalb, also nicht von der Universität Innsbruck kommen, und es sollte sich ausdrücklich um einen Vortrag (keine Buchpräsentation, Workshop etc.) handeln.

Wie verteilen sich die Gastvorträge nun auf die untersuchten Jahre? Im Zeitraum 1993 bis 2001 fanden ca. 60 Vorträge statt, im Zeitraum 2014 bis 2023 deutlich mehr, nämlich rund 173. Zu erwähnen ist, dass Veranstaltungsformate wie Gastvorträge natürlich schon vor 1993 einen Teil der Institutsaktivitäten bildeten. Das lässt sich der institutsintern herausgegebenen Broschüre „Institut für Zeitgeschichte. Eine Bilanz. 1983 – 1993. Zehn Jahre Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck“ entnehmen. Da diese Zusammenstellung aber nur die „Highlights“ enthält, wurde sie nicht in die Auswertung einbezogen. Ein weiterer „blinder Fleck“ bleibt außerdem die Berichtslücke zwischen den analogen und digitalen Newslettern. Ein Grund, warum in der zweiten Newsletter-Periode (ab 2014) auffallend mehr Gastvorträge stattfanden, könnte darin liegen, dass der Wissenschaftsbetrieb generell viel mobiler geworden ist und viel stärker als früher Wert auf internationale Sichtbarkeit und Vernetzung legt. Dabei wird dieser Trend von den digitalen Kommunikations-, aber auch Gestaltungsformen, die ein organisatorisch vereinfachteres Abhalten solcher Veranstaltungen ermöglichen, unterstützt, wenn nicht gar angetrieben.

Das Geschlechterverhältnis bei den Gastvortragenden blieb im Laufe der Zeit eindeutig männlich dominiert. Im Zeitraum 1993 bis 2001 waren von insgesamt 31 Vortragenden 90 % männlich (28 Personen) und lediglich 10 % weiblich (3 Personen). Ab 2014 stieg der Frauenanteil zwar deutlich an mit 36 % der Vortragenden (63 von 173 Personen), jedoch blieben Gastreferenten die Norm mit 64 % (110 von 173 Personen). Woher kamen nun diese Frauen und Männer bzw. sind geografische „Auffälligkeiten“ feststellbar? Mit Abstand am meisten Vortragende waren an anderen österreichischen Universitäten beheimatet, 68 % davon allein in Wien. Auf Platz zwei folgen Wissenschaftler:innen aus Deutschland, Platz drei belegt Italien und der vierte Platz geht an die USA. Und noch aus 18 weiteren Nationen reisten Gastvortragende in den letzten 40 Jahren an: Sie stammten unter anderem aus Ost- und Westeuropa, Kanada, Israel, Marokko und Australien. Das Institut für Zeitgeschichte hat es somit geschafft, ein überraschend weites geografisches Netzwerk von Kolleg:innen aufzubauen.

Bleibt noch die Frage: Was waren die Inhalte dieser Vorträge und lassen sich auffällige Schwerpunkte herauskristallisieren? Zusammenfassend ist bei der inhaltlichen Gestaltung der Gastvorträge keine besondere „Abweichung“ von den institutsbezogenen Forschungsschwerpunkten (Kalter Krieg, Nachkriegszeit in Österreich, Geschichte Südtirols im 20. Jahrhundert, jüdische Geschichte, NS und Holocaust, Migration und Flucht, Fragen der Erinnerungskulturen etc.) erkennen. Auffallend ist allerdings, dass sich der thematische Blick seit dem letzten Jahrzehnt signifikant erweitert hat: etwa in Richtung Postcolonial Studies, Visual History und Digital Humanities, wobei der vielschichtig-dynamische Themenkomplex „Zeitgeschichte und Internet“ bereits seit 1995 ein „Steckenpferd“ des Innsbrucker Instituts für Zeitgeschichte ist. Als Bestätigung der Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Herausforderungen könnte außerdem gelten, dass das Institut den ersten österreichischen Zeitgeschichtetag im Mai 1993 sowie – pandemiebedingt – den ersten virtuellen Zeitgeschichtetag im April 2020 ausrichtete.

Eine dichte Agenda also, die das Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck seit 40 Jahren verfolgt und es dadurch immer wieder schafft, den wissenschaftlichen und persönlichen Horizont der Zuhörer:innen zu erweitern. Deshalb: Beim nächsten Mal, wenn es Post vom Institut in der Mailbox gibt, die Augen nach inspirierenden Gastvorträgen offen halten!

Literaturhinweise

Bischof, Günter/Böhler, Ingrid, Forschung und Lehre am Innsbrucker Institut für Zeitgeschichte (1983–2003). Die „Innsbrucker Schule“ in der österreichischen Zeitgeschichtsforschung, in: zeitgeschichte 30 (2003), Nr. 6, S. 387–398.

Konrad, Helmut, Zeitgeschichtsforschung in Österreich seit 1945 – Ein Rückblick, in: Marcus Gräser/Dirk Rupnow (Hrsg.), Österreichische Zeitgeschichte – Zeitgeschichte in Österreich. Eine Standortbestimmung in Zeiten des Umbruchs (Böhlaus Zeitgeschichtliche Bibliothek 41), Wien 2021, S. 21–38.

 

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