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"Wenn das Institut nur geforscht hätte, wofür es Geld gibt, dann wär heute nichts da"

Im Interview mit Univ.-Doz. Mag. Dr. Horst Schreiber

Text: Julian Oberlechner und Christina Pali

An einem grauen Montagnachmittag trafen wir uns mit Horst Schreiber, einem der ersten Dissertanten des Instituts, den seit vielen Jahren immer wieder Lehraufträge dorthin zurück führen und der auch zu den externen Habilitierten des Instituts zählt, in der Filiale einer Innsbrucker Bäckerei und sprachen über viele interessante Aspekte in Bezug auf die Geschichte des Instituts. Angefangen mit seinem persönlichen Bezug zum Institut, über dessen Gründung und die im Laufe der Zeit stattgefundenen personellen und strukturellen Veränderungen bis hin zu eigenen aktuellen Forschungsprojekten und sogar Tipps für die uns als Lehramtsstudierende bevorstehenden Herausforderungen des Geschichteunterrichts, die er in seiner langjährigen Berufstätigkeit als Lehrer am Innsbrucker Abendgymnasium gesammelt hat – das fast anderthalb Stunden lang andauernde Gespräch war vieles, aber keinesfalls langweilig.

Auf die Frage, ob es Horst Schreiber nicht auch gereizt hätte, zur Antike, beispielsweise zum Alten Ägypten zu forschen, kam sofort ein entschiedenes „Nein!“ Für ihn war es ganz klar, dass er sich näher mit Zeitgeschichte beschäftigen wollte, sowohl aus persönlichen Gründen als auch aufgrund der damals noch äußerst lückenhaften bzw. gänzlich fehlenden Aufarbeitung regionaler Geschichte während der NS-Zeit.

Als das Institut für Zeitgeschichte in Innsbruck gegründet wurde, war Horst Schreiber selbst noch Student und er erinnert sich an dessen Einführung als „spektakulär“. Die Universität war zu diesem Zeitpunkt noch sehr konservativ und das Institut hatte Anfang der 1980er-Jahre den Ruf als „linkes Projekt“, auch deshalb, weil viele damals Zeitgeschichte nicht als seriöse wissenschaftliche Disziplin ansahen. „Das war so schön, der Widerstand von außen, sowohl in der Uni hat man über das Institut geschimpft als auch in der Politik.“

Horst Schreiber
© Horst Schreiber

Potenzielle Kandidaten standen Schlange, um den Posten als Assistenten des Lehrstuhlinhabers Rolf Steininger zu bekommen. „Der Hörsaal war gesteckt voll“, erzählt Horst Schreiber, der damals bei einem öffentlichen Hearing der Kandidaten dabei war. Er selbst absolvierte noch ein Geschichtestudium ohne Zeitgeschichte – am ehesten ging es dabei, in Bezug auf österreichische Geschichte, um die Habsburger und Babenberger. Nach der Gründung des Instituts gab es organisierte öffentliche Vorlesungsreihen, in denen heftige Konflikte um wissenschaftliche Positionen und Standpunkte ausgetragen wurden. „Du hast ja oft Auswirkungen, die du nicht von heute auf morgen selber checkst“, beginnt Horst Schreiber seine Ausführungen auf unsere Frage, ob und wie die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte ihn selber beeinflusst habe. Als fertig ausgebildeter Lehrer wurde er vom Landesschulrat längere Zeit nicht angestellt, dadurch kam er zur Forschung. Die ihn besonders interessierenden, zeithistorischen Inhalte, die durch die Gründung des Instituts nun an der Universität Platz hatten, führten ihn 1987 zu Thomas Albrich, der von Steiningers Assistent später zum außerordentlichen Professor am Institut wurde und mittlerweile in Pension ist. Über Albrich sagte er im Interview:

„Was so besonders ist, Albrich hatte die Politik der offenen Türe. Das hat ihn in seiner Forschung behindert, aber damals war eine riesengroße Offenheit gegenüber Studis.“

Albrich motivierte Schreiber, seine eigene Position zu finden. Generell bekam er, so sagte er im Interview, „viele Rückmeldungen vom Albrich“. Der generelle Vorteil des damaligen Studierens sei es gewesen, dass viel weniger Lehrveranstaltungen verpflichtend waren und bei der Auswahl eine große Freiheit herrschte. Daher sei viel mehr Zeit geblieben, sich mit Dingen zu beschäftigen, die dem persönlichen Interesse entsprachen.

Am Institut kam es im Laufe der Zeit immer wieder zu Wechselwirkungen zwischen inneren Veränderungen und äußeren, hochschulpolitisch gesteuerten Anpassungsprozessen. Die Zeit bis Ende der 1990er-Jahre beschreibt Horst Schreiber als „Aufbruchszeit“, dann kamen über das Ministerium generelle Reformen für die Universitäten mit neuen Bedingungen, wo die damals blau-schwarze Regierung einen „Stempel hinterließ und den Betrieb veränderte“. Steininger „haute häufig mit dem Holzhammer drauf“, so rettete er das Institut vor der Auflösung, sagt Schreiber über diese Phase der großen Universitätsreformen, die auch die Existenz kleinerer Institute hinterfragte und bedrohte. Das Institut für Zeitgeschichte zählte zu diesen, lange Zeit gab es keine neuen Stellen. Das Universitätsgesetz 2002 machte die Uni neoliberal, die Arbeitsbedingungen verschlechterten sich, es wurde stressiger für das Institut. Auf Horst Schreiber wirkte sich das nicht aus, er war Lehrer und nicht an der Universität angestellt.

Doch auch vor den rechtlichen Veränderungen um die Jahrtausendwende waren die Herausforderungen zahlreich. Zu dieser Zeit, bis in die frühen 2000er-Jahre, sagt Horst Schreiber am Beispiel der auf die Regionalgeschichte fokussierten Zeitgeschichtsforschung,

„mussten die Leute am Institut und der Nachwuchs, den sie ausgebildet haben, ohne oder mit wenig Förderung durch das Land Tirol auskommen, da war es schon ein Skandal, das Wort Austrofaschismus in den Mund zu nehmen. Dieser Widerstand hat aber auch zusammengeschweißt. Heute hat sich das völlig geändert. Die öffentliche Hand ist finanziell sehr unterstützend, die großen Projekte der letzten 10 Jahre zur NS-Zeit am Institut haben Land und Stadt Innsbruck bezahlt. Das waren andere Zeiten in den Jahren davor. Wenn das Institut nur geforscht hätte, wofür es Geld gibt, dann wär heute nichts da.“

Nach diesen interessanten Ausführungen zu seinen Erfahrungen am Institut haben wir Horst Schreiber auch auf seine eigenen Forschungen, die er neben seiner Unterrichtstätigkeit realisiert, angesprochen. Besonders beeindruckend ist dabei, mit welchem persönlichen Engagement er an seine Projekte herangeht. Er möchte sich mit „Gruppen von unten“ auseinandersetzen, mit denjenigen, die keine Stimme hatten – beispielsweise den Jenischen oder ehemaligen Heimkindern. Er sieht die Auseinandersetzung mit dieser Art von schwieriger Geschichte, die für die Betroffenen sehr belastend ist, als einen für alle Beteiligten gewinnbringenden Austausch. Er beschenkt diese Personen mit seiner Zeit und einem offenen Ohr. Gleichzeitig wird aber auch er beschenkt. Für ihn bedeuten diese Gespräche weitaus mehr als nur bloße Forschung. Das war auch für uns im Interview deutlich spürbar.

 

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