Der Oberlauf des Inn zwischen dem Schweizer Grenzort Martinsbruck und dem etwa sieben Kilometer entfernten Weiler Schalkl am Fuße des Samnaungebirges bildete eine schwer zu überwindende Barriere. Da die Kajetansbrücke, der einzige gesicherte Übergang in Grenznähe, streng bewacht war, mussten fluchtwillige Soldaten oder Männer, die sich der Einberufung zur Wehrmacht entziehen wollten, felsige Steilufer, Stromschnellen und einmündende Gebirgsbäche überwinden, um das Schweizer Staatsgebiet zu erreichen. Auf den Straßen und Wegen entlang des Flusses patrouillierten Beamte der Zollaufsichtsstellen Schalklhof und Nauders, sodass manche Flüchtlinge sich gezwungen sahen, das Tageslicht zu meiden.
In der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 1942 versuchten drei junge Männer, die alle aus dem von Deutschland besetzten Luxemburg stammten, bei Schalkl den reißenden Gebirgsfluss zu überqueren. Leo Hitting, geboren am 7. April 1917 in Crauthem, war zuletzt als Bürogehilfe bei der deutschen Reichsbahn tätig gewesen, sein Fluchtgefährte Jean Niklas Zeimer war 28 Jahre alt und kam aus der Stadt Luxemburg, vom dritten Flüchtling, dessen Verbleib ungeklärt blieb, konnten die Beamten des Gendarmeriepostens Pfunds keine Daten ermitteln.
Postenführer Franz Wiltschko berichtete der Kriminalpolizeistelle Innsbruck und dem Landrat des Kreises Landeck am 21. Oktober 1942, dass Beamte der kaum hundert Meter vom Innufer entfernt gelegenen Zollaufsichtsstelle Schalklhof um etwa 1.45 Uhr in der Nähe der Mündung des Schalklbaches einen Lichtkegel bemerkten. Beim Ortsaugenschein erkannten sie, dass sich ein Mann im Inn an einem Stein festklammerte und zugleich mit einer Taschenlampe herumleuchtete. Die Beamten bargen den Mann aus den Fluten und retteten ihn wohl vor dem Ertrinkungstod. Bei seiner Durchsuchung fanden sie Dokumente, die ihn als Jean Niklas Zeimer auswiesen. Seine Befragung ergab, dass er kurz zuvor den Kontakt zu zwei Gefährten verloren habe und nicht wisse, was mit ihnen geschehen sei. Zur Identität der beiden schwieg sich Zeimer aus, auch darüber warum sie den Inn überqueren wollten, machte er keine Angaben. Die Beamten der Zollaufsichtsstelle Schalklhof übergaben Zeimer „zur weiteren Behandlung“ dem Grenzpolizeiposten Nauders, einer Außenstelle der Geheimen Staatspolizeistelle Innsbruck. Einen Tag später, am Nachmittag des 20. Oktober 1942, entdeckten Gendarmen des Postens Pfunds zehn Kilometer flussabwärts in der Nähe des Weilers Stein eine Leiche im Fluss und bargen sie mit Hilfe einiger Ortsbewohner.

In den Kleidern des Toten fanden die Gendarmen einen Personalausweis der deutschen Reichsbahn und weitere Dokumente, lautend auf Leo Hitting, die alle mit demselben Lichtbild versehen waren. Zur zweifelsfreien Identifizierung brachte der Postenführer des Grenzpolizeipostens Nauders, Franz Ohneberg, den festgenommenen Jean Niklas Zeimer an die Bergungsstelle. Dieser bestätigte die Identität der Leiche. Der Gemeindearzt von Pfunds, Dr. Anton Padöller, stellte als Todesursache „Tod durch Ertrinken“ fest. Dann ordnete der Bürgermeister von Pfunds, Alois Theiner, die Überstellung der Leiche nach Pfunds an, wo sie am 22. Oktober 1942 am Ortsfriedhof beerdigt wurde.
Zum Verlauf der Strafverfolgung von Jean Niklas Zeimer und dem Schicksal des nicht identifizierten Fluchtgefährten konnten keine weiteren Dokumente gefunden werden. Als wahrscheinliches Fluchtmotiv der drei Männer kann die Einführung der Wehrpflicht für Luxemburger am 30. August 1942 betrachtet werden. Die Maßnahme erfolgte im Zuge der faktischen Eingliederung des Zivilverwaltungsgebietes Luxemburg in das Deutsche Reich und stieß unter der Bevölkerung auf breite Ablehnung, was auch in einer großen Zahl an Fluchten und Desertionen zum Ausdruck kam. Die Wehrpflicht war zwar zunächst auf die Jahrgänge 1920 bis 1924 beschränkt worden, ließ aber wohl auch etwas ältere Männer fürchten, früher oder später eingezogen zu werden.

Einige Monate später, am 9. April 1943, scheiterte im Oberen Gericht bei der Mündung des Stillebach in den Inn ein Fluchtversuch zweier deutscher Soldaten, wie aus einem Bericht des Gendarmeriepostens Nauders an den Landrat von Landeck hervorgeht. Demnach verbrachten der 23-jährige Josef Bäuml aus Bärnau in der Opferfalz und der 20-jährige Helmut Heinze aus Breslau in einem Hotel in Hochfinstermünz einen fünftägigen, regulären Erholungsurlaub von ihrer in Arys in Ostpreussen stationierten Wehrmachtseinheit. Bereits am Tag ihrer Ankunft waren sie von Beamten des Zollaufsichtsstelle Nauders kontrolliert worden. Am letzten Urlaubstag traten sie die Flucht in die Schweiz an, wurden aber in der Früh, als sie sich auf der Straße Richtung Nauders bewegten, von einem Hilfszollassistenten beobachtet, dem ihre Gehrichtung verdächtig vorkam. Vier Beamte des Zollaufsichtsstelle und der Gendarmerie Nauders rückten auf Motorrädern aus und entdeckten Spuren der beiden abtrünnigen Soldaten im Schnee, die von der Straße einen steilen Abhang zum Inn hinunterführten. Sie folgten den Spuren und stellten Josef Bäuml und Helmut Heinze, nachdem sie den Stillebach überquert und sich bereits in den Inn begeben hatten. Während Bäuml der Aufforderung stehen zu bleiben Folge leistete, versuchte Heinze die Flucht fortzusetzen. Zwei der Beamten zogen ihre Waffen und schossen auf Heinze; sie trafen ihn im rechten Knie, im rechten Ellbogen und im linken Oberschenkel, worauf er aufgab. Die Beamten verbanden Heinze notdürftig und ließen ihn mit dem Rettungsauto nach Landeck bringen. Dort wurden beide Soldaten dem Standortältesten ausgeliefert. Nach ihrer Festnahme hatten beide Soldaten zugegeben, dass sie in die Schweiz flüchten wollten. Für den Kommandanten des Gendarmerieposten Nauders, Alois Perntner, stand somit zweifelsfrei fest, dass Heinze und Bäuml bereits mit dieser Absicht von Arys (heute Orzysz, Polen) nach Finstermünz gekommen waren. Wie die Wehrmachtsjustiz mit ihnen verfahren ist, wissen wir (noch) nicht.
Text: Peter Pirker