Im Juli 1944 begann die Wehrmacht angesichts der hohen Zahl an Gefallenen und Verwundeten damit, Burschen des Jahrgangs 1927 zum Kriegsdienst einzuziehen. Eugen Schmid aus St. Leonhard im Pitztal wurde – noch nicht 18 Jahre alt – gemustert und vorerst zum Reichsarbeitsdienst nach Salzburg-Maxglan einberufen. Statt bei Wehrmachtseinheiten erhielten die frisch gemusterten Rekruten nun beim Reichsarbeitsdienst die militärische Grundausbildung, um sie dann direkt zu Fronteinheiten des Heeres zu schicken. Als es bei Eugen Schmid so weit war, entschloss er sich eigenmächtig, eine andere Richtung einzuschlagen. Am 8. Jänner 1945 setzte er sich, so dokumentiert es eine Karteikarte der französischen Militärverwaltung in Imst aus dem Jahr 1947 und so berichtete er es später seinem Sohn Harald, in Salzburg aus einem Frontzug ab, um nach Hause zu gehen. In einem mehrwöchigen Marsch schlug er sich in das hintere Pitztal zu seiner Familie durch, die neben einer kleinen Landwirtschaft das Gasthaus Alte Post betrieb. Dort hatte er bis zu seiner Einberufung auch gearbeitet.
Eugen Schmid blieb mit seiner Entscheidung nicht alleine. Einige seiner Freunde entschlossen sich mit Unterstützung ihrer Familien ebenfalls dazu, mit dem Diensteid zu brechen, nämlich „dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingt Gehorsam“ zu leisten und „als tapferer Soldat“ bereit zu sein, „jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“ Sie zogen es vor, das Kriegsende ohne weiteren Kampfeinsatz abzuwarten.

Der Kriegsdienst des 21-jährige Anton Neururer, ebenfalls Bauernsohn und Landarbeiter aus St. Leonhard, lässt sich mit Hilfe seines im Tiroler Landesarchiv verwahrten Wehrstammbuches in den Grundzügen rekonstruieren. Ihn hatte das Wehrbezirkskommando Innsbruck bereits im Februar 1942 gemustert und zunächst als körperlich ungeeignet – er wog bei einer Körpergröße von 160 cm nur 52 kg – zurückgestellt. Wenige Monate später wurde er doch zum Gebirgsjägerersatzregiment 136 nach Landeck befohlen und an Gewehr, Handgranate und Pistole zum Schützen ausgebildet. Im April 1943 kam er zum Gebirgsjägerregiment 144 (3. Gebirgsdivision) an die südliche Ostfront, wo er bald das erste Mal verwundet wurde, danach zog er sich im Lazarett eine Gelbsucht zu. Im März 1944 hielt ihn die Wehrmacht wieder für kriegsverwendungsfähig, nach einigen Monaten in Landeck brachte ihn die Wiederabstellung zum Gebirgsjägerregiment 144 Anfang Juni 1944 zurück in die Rückzugskämpfe gegen die sowjetischen Truppen. Das Regiment war in der Zwischenzeit schwerstens dezimiert worden, die Reste der 3. Gebirgsdivision trieb die Rote Armee über die Ukraine in die Karparten (Rumänien). Keine der immer wieder errichteten Stellungen hielt ihr stand.
Ende August 1944 erlitt Anton Neururer eine zweite Verletzung am rechten Bein. Angesichts der vielen Gefallenen konnte er die Verwundung noch als Glück betrachten, denn sie brachte ihn ins Lazarett und Ende September 1944 zurück zum Ersatztruppenteil in Admont (Steiermark). Von hier drohte ihm eine neuerliche Frontabstellung. Vorher wurde Anton Neururer, dessen Leistungen als „sehr gut“ und „gut“ bewertet wurden, noch zum Ansporn für alles Weitere das Eiserner Kreuz 2. Klasse und das Verwundetenabzeichen verliehen. Doch die Einträge dazu blieben die letzten im Wehrstammbuch. Vermutlich erhielt er einen Genesungsurlaub nach Hause, den er jedoch dazu nutzte, den Krieg für sich zu beenden.
Auf ganz ähnliche Erfahrungen an der Ostfront in Russland und Rumänien blickte der wesentlich ältere und bereits verheiratete Anton Walser zurück, als er sich im Winter 1944/45 nach einem Urlaub in seiner Heimatgemeinde Lorüns in Vorarlberg nicht mehr in der Kaserne in Landeck meldete, sondern sich illegal in seinen Herkunftsort Piösmes in der Gemeinde St. Leonhard im Pitztal begab. Dort fand der 37-jährige Landwirt zunächst Zuflucht im Haus seines Vaters und seiner Schwester.
Offenbar erfuhren die drei Deserteure voneinander. Eingeweiht wurde auch Alfons Rauch, der Berufsjäger und Förster der Gemeinde. Er lebte im Nachbarhaus; zu seiner Familie gehörte auch die Ziehtochter Paula, damals 14 Jahre alt. Sie verrichtete mit ihrer Tante und deren Mutter die landwirtschaftlichen Arbeiten. Paula kannte Anton Walser zwar von früheren Besuchen, wusste aber nicht, dass er sich in seinem Elternhaus zeitweilig verborgen hielt, bis sie ihn einmal unvermutet in der Küche antraf, als er sich wusch und rasierte: „Er ist erschrocken und ich auch. Er hat gesagt, sag niemanden nichts und ist dann gleich wieder in den Keller runter in sein Versteck.“ Sonst ließ sich Anton Walser niemals blicken.
Die drei Deserteure zogen schließlich in Absprache mit Alfons Rauch auf die Alphütte der Tiefentalalm, die sich im Gemeinschaftsbesitz der Bauern befand und im Winter und Frühjahr nicht benutzt wurde. Anfang April 1945 kam ein weiterer Soldat aus St. Leonhard, der 24-jährige Josef Rimml, hinzu. Er hatte erst im Februar 1945 an der Front in Ungarn, nachdem er von der Luftwaffe in eine Einheit der Waffen-SS versetzt worden war, eine Verwundung erlitten.
Die nötigen Lebensmittel stellten die Bergbauernfamilien aus dem spärlichen Ertrag ihrer Landwirtschaften bereit, vor allem Kartoffel, Mais und Schmalz. Der Einzige, der im Winter unverdächtig auf die Alm hochgehen konnte, war Alfons Rauch. Er trat einen Pfad durch den Schnee aus. Überliefert ist zudem, dass die Familien Proviant in der Wallfahrtskirche Maria am Bichele hinterlegten, den die Deserteure nachts holten.

Harald Schmid führt das Überleben der Deserteure auf den starken Zusammenhalt der beteiligten Familien zurück, die bei Nachfragen und Fahndungen beharrlich schwiegen. Der Kreis der Eingeweihten war klein. Paula Walser, die später einen Bruder Anton Walsers heiraten sollte, erinnerte sich in einem Interview im Jahr 2023 an das strikte Schweigegebot: „Nichts reden und still sein!“
Die Almhütte wurde jeden Winter von Lawinen verschüttet, blieb aufgrund ihrer Bauweise und Lage unter einem Felsen weitgehend unbeschadet. Einmal jedoch kam Alfons Rauch nach einer großen Lawine gerade noch rechtzeitig, um den eingeschlossenen Deserteuren einen Ausgang zu graben. Heute sind von der Hütte und dem Stall nur mehr Reste sichtbar – sie wurden auf einen lawinensicheren Standort verlegt.

Das Schweigegebot während der Flucht der Deserteure blieb in den Nachkriegsjahren offenbar bestehen. Nur Eugen Schmid erzählte seinem Sohn etwas ausführlicher von seiner illegalen Heimkehr und dem Versteck auf der Tiefentalalm. Freilich waren die Deserteure auf der Tiefentalalm nicht die einzigen Pitztaler, die sich aus der Wehrmacht vorzeitig verabschiedet oder sich durch Selbstverletzungen dem Kriegsdient entzogen hatten. In der Chronik des Gendarmeriepostens St. Leonhard findet sich für den 5. Mai 1945 folgender Eintrag: „Die auf den Almen und Bergen versteckt gewesenen Fahnenflüchtigen in nicht geringer Zahl kehrten zurück und meldeten sich beim amerikanischen Kommando.“ Im September 1946 versuchte das Tirolische Institut für Raumforschung, eine Einrichtung der ÖVP, die Zahl der „Deserteure, Getarntlebenden, Geflüchteten“ zu eruieren, indem die Bürgermeister im Bezirk Imst um Auskunft gebeten wurden. Die Anzahl sei „wenigstens schätzungsweise“ anzugeben, „da wichtig für Beurteilung des Anteils Österreichs am Kampfe gegen Hitler“, wie es in einer Erläuterung stichwortartig hieß. Der Bürgermeister von St. Leonhard gab in seinem Antwortschreiben die Zahl mit 50 an. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Flucht aus der Wehrmacht auf politischer Ebene offenbar noch sehr hochgeschätzt – im doppelten Sinn des Wortes.
Text: Peter Pirker