Die wässrige Suppe des Fräuleinwunders
Katrin Blumenkamp ermittelt die Folgen einer Begriffsprägung Volker Hages
Katrin Blumenkamp: Das „Literarische Fräuleinwunder“. Die Funktionsweise eines Etiketts im literarischen Feld der Jahrtausendwende. Münster: LitVerlag, 2010. (Literatur – Kultur – Medien, Bd. 12). ISBN 978-3-643-10920-0. Preis [A]: € 41,10
Auch die Suppen der Literaturkritik werden mit Wasser gekocht – zu den Gewürzen, die dem Geschmack des Wässrigen entgegen wirken sollen, gehört die „Etikettierung“, oder neudeutsch: das „Labeln“ von AutorInnen und Texten. Das hat es immer schon gegeben, von allen Beteiligten des Literaturbetriebs, zu allererst durch den Autor oder die Autorin selbst, hier spricht man dann von Autorinszenierungen.1 Dass Verlage versuchen, ihre AutorInnen an die Frau oder den Mann zu bringen, ist ebenso wenig neu wie das Bewerben von Titeln in den Massenmedien und die Befeuerung des Vermarktungsprozesses durch die Literaturkritik. Man denke beispielsweise an die Karriere des Historischen Romans im 19. Jahrhundert, an die Erfolge von Sir Walter Scott, dem „großen Unbekannten“, und die Geschäfte, die sich mit den Übersetzungen der Romane des Schotten im deutschsprachigen Raum machen ließen, von den zahlreichen epigonalen Romanen ganz zu schweigen.
Dennoch hat der Versuch, Marktgängigkeit herzustellen, seit den 1990er Jahren eine neue Dimension erreicht. Gründe hierfür lassen sich einige ausmachen, und es gibt auch schon Publikationen dazu, beispielsweise eine recht umfangreiche, an deren Zustandekommen der Verfasser dieser Zeilen nicht unbeteiligt war.2 Interessanterweise wird dieser Titel zwar in der vorliegenden Arbeit zitiert, aber – wie eine andere Publikation von mir – mit einem veränderten Vornamen versehen und dem bekannten Grass-Forscher Volker Neuhaus zugeeignet (vgl. das Literaturverzeichnis S. 414). Ruhm, wie auch dieses Beispiel lehrt, ist relativ, nicht nur, wenn es um Belletristik geht.
Blumenkamps Dissertation ist im Rahmen des von der Volkswagenstiftung geförderten Doktoratskollegs Wertung und Kanon. Theorie und Praxis der Literaturvermittlung in der „nachbürgerlichen" Wissensgesellschaft entstanden. Um mit dem Positiven anzufangen: Die Studie ist zweifellos eine umfassende und ausgesprochen materialreiche Aufarbeitung der Geschichte und Verwendungsweise des titelgebenden Etiketts. Dabei bedient sie sich einer Methodik, die aus linguistischen, erzähltheoretischen und strukturalistischen Verfahren gespeist wird, so wird der zweite Gliederungspunkt, in dem sieben Romane von Autorinnen des sogenannten „Fräuleinwunders“ ausgewählt, knapp vorgestellt und interpretiert werden, wie bei einer linguistischen Arbeit als „Korpusuntersuchung“ betitelt.
Teil dieses Gliederungspunktes ist auch die Rezeption der Texte, und das schließt erfreulicherweise mediale Inszenierungsstrategien ein. Besonderes Augenmerk wird dabei auf Fotos gelegt, die nicht nur einfach die Autorinnen (und andere Autoren, die zum Vergleich herangezogen werden) „abbilden“, sondern so vorstellen sollen, dass Merkmale der Texte aufgenommen werden, die dazu angetan sind, ein spezifisches Markenimage zu kreieren. Hier lassen sich dann auch die Schwächen des Ansatzes exemplarisch deutlich machen: Die Strategien der Vermarktung durch solche Imagebildung und ihre Konsequenzen für das Verlagswesen einerseits, für die Literaturkritik andererseits werden nur ansatzweise reflektiert. Weshalb es so ist, wie es ist, und was es für den Literaturbetrieb bedeutet, bleibt weitgehend offen. Im Einleitungsteil der Arbeit findet sich ein längerer Verweis auf Gerhard Schulzes Begriff der „Erlebnisgesellschaft“3 – hier beispielsweise wäre eine Möglichkeit zum Einhaken und Weiterdenken gewesen. Ebenso wird Pierre Bourdieu mit seiner Theorie des künstlerischen bzw. literarischen Feldes erwähnt,4 ohne dass eine Vertiefung erfolgen, ohne dass von dort aus eine argumentative Linie weiterführen würde.
Volker Hage hat sich wohl nicht träumen lassen, welche Karriere ein von ihm 1999 sehr beiläufig in einem Spiegel-Artikel geprägter Begriff machen würde, wie ernst die KollegInnen, aber auch die Literaturwissenschaft seinen keineswegs unironischen Artikel über den Boom junger weiblicher Literatur nehmen würden. Die vorliegende Studie vermag es, einen hervorragenden Überblick über die Karriere des Begriffs und seine Verwendung zu geben. Die Frage, wozu der Begriff jeweils dient und welche Mechanismen – des Literaturbetriebs, des Marktes – er befördert, für welche Entwicklungen der jüngeren Literatur er steht, wird durch den Versuch, textzentrierte und rezeptions- wie wertungstheoretische, soziologische und kommunikations- wie medientheoretische Ansätze irgendwie miteinander ins Spiel zu bringen, eher überdeckt als beantwortet.
Dass nun nach den Büchern von Müller5 und Caemmerer6 – um nur die zu nennen, die im Titel auf das Etikett abheben – eine weitere Studie zum letzten „Fräuleinwunder“ erschienen ist, wirft die Frage auf, ob dem Begriff Hages nicht zu viel Ehre angetan und, um im Eingangsbild zu bleiben, die Suppe nicht unnötig gestreckt, also eher verwässert als gewürzt wird. Die Antwort wird zwiespältig ausfallen – Blumenkamps Dissertation hat ihre großen Verdienste darin, dass sie fallbezogen und sehr materialreich Inszenierungsstrategien herauszuarbeiten und mit der Wertungspraxis in Verbindung zu setzen vermag. Nun wäre es aber vielleicht an der Zeit, über das Etikett und die eher willkürliche, durch das Geschlecht formierte Gruppenbildung der Zeit um die Jahrtausendwende hinauszugehen. Das lässt sich machen, indem man die Mikroperspektive wählt und einzelne Inszenierungs-Fälle betrachtet oder indem man die Verweise auf die „Erlebnisgesellschaft“ und das „literarische Feld“ ernst nimmt und den Fokus auf gesellschaftliche Prozesse ausweitet. Solche Arbeiten stehen aber für die Gegenwartsliteratur, soweit ich das sehe, noch aus.
Stefan Neuhaus, 5.9.2011
Anmerkungen:
[1] Vgl. z.B. den Aufsatz von Dirk Niefanger: Provokante Posen. Zur Autorinszenierung in der deutschen Popliteratur. In: Johannes G. Pankau (Hg.): Pop-, Pop-, Populär. Popliteratur und Jugendkultur. Bremen u. Oldenburg: Aschenbeck & Isensee 2004, S. 85-101.
[2] Vgl. Stefan Neuhaus u. Johann Holzner (Hg.): Literatur als Skandal. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007.
[3] Vgl. Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft: Kultursoziologie der Gegenwart. Mit einem aktuellen Vorwort des Autors. 2. Aufl. Frankfurt/Main: Campus 2005.
[4] Vgl. Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Übers. v. Bernd Schwibs u. Achim Russer. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2001. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1539).
[5] Heidelinde Müller: Das „literarische Fräuleinwunder“. Inspektion eines Phänomens der deutschen Gegenwartsliteratur in Einzelfallstudien. Frankfurt/Main: Peter Lang 2004 (Inter-Lit, Bd. 5).
[6] Christiane Caemmerer, Walter Delabar u. Helga Meise (Hg.). Fräuleinwunder literarisch. Literatur von Frauen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Frankfurt/Main: Peter Lang 2005 (Inter-Lit, Bd. 6).