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"Lieber etwas Neues entdecken, als etwas Etabliertes verreißen"

Krimikritik in deutschsprachigen Medien. Von Kirsten Reimers

 

Kriminalliteratur ist ein fester Bestandteil des Buchmarktes, und seit mehreren Jahren ist die Auseinandersetzung mit ihr aus dem Feuilleton nicht mehr wegzudenken. Was allerdings unter einem „Krimi“ verstanden wird, wie „Kriminalliteratur“ definiert wird, ist uneinheitlich: Es gibt Unterschiede zwischen Buchmarkt und Feuilleton – Krimikritik fasst den Begriff Kriminalliteratur oftmals weiter als der Buchhandel – und auch innerhalb des Feuilletons differiert die Auffassung dessen, was als Krimi betrachtet wird.

Auch in diesem Beitrag soll keine Definition von Krimi versucht werden. Der Ansatz ist vielmehr pragmatisch: Geht es um den Buchmarkt, so fällt unter das Label „Krimi“ alles, was von Buchhandel und Verlagen als „Spannung“ kategorisiert wird; steht das Feuilleton im Mittelpunkt, wird alles als Krimi verstanden, was dort als Krimi besprochen wird.

„Kriminalliteratur“ und ihre Kurzform „Krimi“ werden im Folgenden als Oberbegriffe für jegliche Form von Detektivgeschichte, Whodunit, Police Procedural, Thriller, Noir und andere Ausformungen verwendet.

Dieser Beitrag ist der erste, der sich mit der Geschichte und dem aktuellen Stand der Krimikritik beschäftigt.[1] Aus diesem Grund bleiben sehr wahrscheinlich viele Dinge unberücksichtigt, die noch nicht erfasst beziehungsweise zusammengetragen worden sind. Kommende Untersuchungen werden diese Lücken schließen.

Inhaltsübersicht

Kriminalromane auf dem deutschsprachigen Buchmarkt: die Faktengrundlage

Die Anfänge der Krimikritik

Umfang von Krimikritik heute

Krimikritik heute im internationalen Vergleich

Rahmenbedingungen von Krimikritik

Inhaltliche Aspekte der Krimikritik

Fazit


 

Kriminalromane auf dem deutschsprachigen Buchmarkt: die Faktengrundlage

Da das Innsbrucker Zeitungsarchiv (IZA) für das Jahr 2015 eine statistische Auswertung zur Literaturkritik in 20 deutschsprachigen Printmedien vorgelegt hat, steht dieses Jahr im Mittelpunkt der quantitativen Betrachtung.

Deutschland

Auch in Hinblick auf den Buchmarkt in Deutschland ist die Datenlange für 2015 außerordentlich gut, da der Börsenverein des Deutschen Buchhandels für dieses Jahr einen besonderen Blick auf die Kriminalliteratur geworfen hat.[2]

Im Jahr 2015 sind insgesamt 9.719 Spannungsromane erschienen – und zwar 3.396 Bücher im Print, 5.685 E-Books, 598 Hörbücher und 42 in weiteren Publikationsformen. Nicht alles sind „echte“ Neuerscheinungen (so wurden Neuauflagen nicht herausgerechnet), zudem ist bei den E-Books zu beachten, dass viele Krimis parallel als Print- wie als E-Book-Version erscheinen, hinzu kommt die Digitalisierung der Backlist von Verlagen, die hier auch eingerechnet wird.[3]

Laut der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) sind im Jahr 2015 insgesamt 18.459 belletristische Printtitel als Neuerscheinungen verzeichnet worden (Erst- und Neuauflagen),[4] die Zahl der reinen Erstauflagen im Jahr 2015 betrug laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels 14.165.

Interessant im Zusammenhang dieses Beitrags ist der Anteil der Warengruppe „Spannung“ an der Belletristikproduktion insgesamt. Da die Datenbasis der Deutscher Nationalbibliothek nicht eins zu eins mit der des Börsenvereins übereinstimmt, kann dieser Anteil nur als Tendenz errechnet werden. Setzt man also die Zahl der neuerschienenen Spannungstitel im Print (Basis: Börsenverein des Deutschen Buchhandels) ins Verhältnis zu der von der DNB verzeichneten Belletristikproduktion, ergibt sich ein Anteil von 18,5 % von Spannungstiteln in der Belletristikproduktion im Printbereich.

Lieferbar waren 2015 insgesamt 43.164 Krimis: 19.270 Bücher im Print, 19.764 E-Books. Damit gab es erstmals mehr E-Krimis als gedruckte Kriminalromane. Hinzu kamen 3.957 Hörbücher und 173 andere Publikationsformen.[5]

Hinsichtlich des Umsatzes hatte Spannungsliteratur im Jahr 2015 einen Anteil von 9 % am Gesamtmarkt (Publikumsmarkt, ohne Schul- und Lernmittel). Der Anteil am Belletristikumsatz betrug 25,2 %.[6]

44 % aller Menschen in Deutschland haben im Jahr 2015 mindestens einen Krimi gelesen. Das ist weniger als im Jahr 2008, da waren es 50 %. Dennoch: Kriminalromane sind nach der Kategorie „Roman/Klassiker/Erzählungen“ die zweitbeliebteste Lektüre. Der Anteil der Krimileser*innen ist mit 51 Prozent unter den 50- bis 59-Jährigen am größten. 7 % der Menschen in Deutschland sind Krimi-Vielleser: Sie haben 2015 mehr als 10 Kriminalromane gelesen; der Großteil (15 %) las zwei bis drei Krimis. Frauen lesen zu einem deutlich höheren Anteil Krimis als Männer: 51 % gegenüber 37 %.

Schweiz und Österreich

Leider ist die Datenlage für die Schweiz sowie für Österreich nicht so gut wie für Deutschland, aber zumindest für den Umsatz liegen Zahlen vor, für die Schweiz allerdings nur für das Jahr 2014: In diesem Jahr lag der Anteil des Umsatzes mit Kriminalliteratur bei 24,27 % des Belletristikumsatzes. Die Belletristik wiederum hatte 2014 in der Schweiz einen Anteil von rund 25 % am Gesamtumsatz des Buchmarktes.[7]

Für Österreich lässt sich für das Jahr 2015 feststellen, dass der Anteil der Kriminalliteratur am Gesamtumsatz des Buchmarktes bei 6 % lag.[8]

Auch für diese Zahlen gilt: Ein direkter Vergleich ist aufgrund unterschiedlicher Datengrundlagen nicht möglich. In der Tendenz lässt sich lediglich sagen, dass sowohl in Österreich wie in Deutschland Spannungsliteratur weniger als 10 % des Gesamtumsatzes des Buchmarktes ausmacht und dass in der Schweiz wie in Deutschland der Anteil der Spannungsliteratur am Belletristikumsatz bei ca. 25 % liegt. In Deutschland macht die Krimiproduktion ungefähr 18,5 % der Belletristikproduktion aus. Die Frage ist nun: Spiegeln sich diese Verhältnisse in der feuilletonistischen Auseinandersetzung mit dem Krimi wider?

 

Die Anfänge der Krimikritik

Mit dem Erstarken des deutschsprachigen Krimis in den 1970er und 1980er Jahren wurde auch die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Genre häufiger. Natürlich gab es schon vorher sowohl im Feuilleton als auch in der Wissenschaft vereinzelt Beiträge zur Kriminalliteratur – so machte sich beispielsweise Rudolf Walter Leonhardt, Feuilleton-Chef der Wochenzeitung Die Zeit von 1957 bis 1973, nach Aussage von Jochen Vogt schon in den 1960er Jahren für John le Carré stark –, doch intensiver wurde die Beschäftigung mit Kriminalliteratur erst ab Anfang/Mitte der 1980er Jahre. Vor allem Stadtmagazine begannen in jenen Jahren, Krimikolumnen einzurichten. Federführend war nach Aussage von Reinhard Jahn tip berlin, hinzu kamen weitere Magazine in verschiedenen Städten der damaligen Bundesrepublik. Oftmals wurden drei bis fünf kurze Besprechungen in einer Kolumne gebündelt, die Rezensionen hatten zu jener Zeit eher den Charakter von kurzen Tipps. Alf Mayer, heute Redakteur beim Online-Magazin CrimeMag, erinnert sich, „dass ein einzelner Krimi oder Krimiautor Gegenstand eines Zeitungs- oder Zeitschriftenartikels war, das war damals eine Ausnahme“. Alf Mayers erste Kolumne erschien ungefähr 1986 im Frankfurter Stadtmagazin strandgut unter dem Titel „Alf Mayers Krimi-Ecke“, eine typische Namensgebung für jene Zeit, so der Autor. Er erinnert sich, dass es 1986 noch als ungewöhnlich galt, Krimikolumnen zu schreiben. Im Dezember 1987 startete Alf Mayer eine Krimikolumne in der Frankfurter mid – Zeitschrift für Literatur- und Zeitkritik, die, angelehnt an Dashiell Hammett, unter dem Titel „Blutige Ernte“ firmierte.[9]

Die Gründe für die Besprechung von Krimis lagen zum einen darin, sich vom klassischen Feuilleton der Tages- und Wochenzeitungen abzusetzen und das zu besprechen, was populär war und von vielen gelesen wurde, so Reinhard Jahn. Zudem ging es um die Aufhebung der oftmals als dünkelhaft empfundenen Trennung von E- und U-Literatur. Das spiegelte sich auch in einem eigenen Ton in den Krimibesprechungen: Er war etwas schnoddriger, eher umgangssprachlich. In mancherlei Hinsicht habe die frühe Krimikritik den Ton der Blogs vorweggenommen, so Thomas Klingenmaier von der Stuttgarter Zeitung: Dort hatte das Persönliche, das „Ich“ und auch Milieusprache Platz.

Auch auf anderen Ebenen wurde die Auseinandersetzung mit Kriminalliteratur in den 1980er Jahren häufiger, intensiver und vielfältiger: In dieses Jahrzehnt fallen die Gründungen von reinen Krimibuchhandlungen – wie beispielsweise „Alibi“ in Köln oder „Die Wendeltreppe“ in Frankfurt/Main; ebenso fiel der Startschuss für das Bochumer Krimi Archiv durch Reinhard Jahn und Werner Puchalla, die ein Jahr später, 1985, den Deutschen Krimi Preis ins Leben riefen.[10] Zudem gründete Thomas Przybilka 1989 das Bonner Krimi-Archiv für Sekundärliteratur.

Zeitnah zu den Stadtmagazinen begann auch die Tagespresse, Beiträge zur Kriminalliteratur in einem größeren Maße aufzunehmen: In der Frankfurter Rundschau veröffentlichte Jochen Vogt – unter dem Pseudonym Dr. Jäckel-Heidt – ab 1982 Krimirezensionen; die Stuttgarter Zeitung besprach eventuell schon 1986, ganz sicher aber ab 1987 Kriminalromane in der Kolumne „Der Krimi im Buch“, später einfach „Neue Kriminalromane“ genannt; eine Zeit lang war sie die dienstälteste Krimikolumne Deutschlands, so ihr Autor Thomas Klingenmaier. Auch in der Zeitung Die Welt gab es in den 1980er Jahren erste Beiträge zu Kriminalliteratur, Tobias Gohlis veröffentlicht dort unter anderem Rezensionen und Autorenporträts.

Etwas später erreichte die systematischere Auseinandersetzung mit Kriminalromanen auch den Hörfunk: Ab 1990 gab es beispielsweise bei Bayern 2 die Krimikolumne von Andreas Ammer,[11] die kurz darauf in längerer Form auch vom Deutschlandfunk übernommen wurde. Für WDR 1 entwickelte Antje Deistler 1992 einen Krimitipp.

Seit Ende der 1990er Jahre bzw. mit Beginn des neuen Jahrtausends ist die Krimikritik auch in den großen überregionalen Medien zu finden, so erscheint beispielsweise seit 2001 eine monatliche Krimikolumne von Tobias Gohlis in der Zeit und seit Mitte der 2000er Jahre gibt es Krimibesprechungen beim Deutschlandradio Kultur (seit 1. Mai 2017 Deutschlandfunk Kultur).

Hatten die Besprechungen von Kriminalliteratur zunächst eher Tippcharakter, entwickelte sich im Laufe der Jahre eine substanziellere Auseinandersetzung mit dem Genre. So berichtet zum Beispiel Thomas Klingenmaier, dass in der monatlich erscheinenden Krimikolumne der Stuttgarter Zeitung zunächst fünf bis sechs Titel besprochen wurden, später vier bis fünf, schließlich drei. Aus den Empfehlungen wurden differenzierte Besprechungen, unter anderem darum, weil auch andere Zeitungen sich tiefgreifender mit Kriminalromanen beschäftigten.

 

Umfang von Krimikritik heute

Heute hat Krimikritik einen festen Platz im Feuilleton, ganz gleich ob es nun online, im Hörfunk oder gedruckt erscheint, und unabhängig von der Reichweite des Mediums.[12] Galt der Krimi in den 1980er Jahren noch als trivial und rief die Beschäftigung mit ihm „Naserümpfen“ (Alf Mayer) hervor, hat sich Kriminalliteratur und Krimikritik heute also fraglos etabliert. Ein Ausdruck dessen ist beispielsweise die Krimibestenliste, die seit 2005 besteht. 19 Krimiexpert*innen, die für deutsche, österreichische und Schweizer Medien schreiben, votieren einmal im Monat für die zehn besten Kriminalromane. Die Krimibestenliste erschien bis 2011 in Kooperation mit der Tageszeitung Die Welt, von 2011 bis Dezember 2016 in Kooperation mit der Wochenzeitung Die Zeit, seit Anfang 2017 sind die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Deutschlandfunk Kultur Kooperationspartner.

Nach Erhebungen des Innsbrucker Zeitungsarchivs (IZA) erschienen im Jahr 2015 in 20 ausgewählten Printmedien des deutschsprachigen Raums insgesamt 4.259 Belletristikrezensionen (Einzel- wie Sammelbesprechungen).[13] Davon beschäftigten sich 356 Besprechungen mit Kriminalliteratur, 157 dieser Rezensionen umfassten mehr als 500 Wörter. Der Anteil der Krimibesprechungen an der Gesamtzahl der Belletristikrezensionen insgesamt beträgt somit 8,35% . Der meistbesprochene Krimi im Jahr 2015 war Don Winslows Das Kartell mit zehn Rezensionen in den berücksichtigten Medien.

 

Krimikritik heute im internationalen Vergleich

Der folgende Überblick kann nur unvollständig und schlaglichtartig sein, zu groß ist die Anzahl der Medien im deutschsprachigen Raum. In erster Linie orientiert er sich an den Medien, die auch das IZA ausgewertet hat, bezieht aber für Deutschland auch den Rundfunk und Online-Magazine mit ein.[14] Zudem werden in diesem Abschnitt auch über Rezensionen hinausgehende Beiträge zur Kriminalliteratur herangezogen.[15]

Deutschland

Wie schon erwähnt veröffentlicht Tobias Gohlis in der Wochenzeitung Die Zeit seit 2001 eine Krimikolumne, die alle vier Wochen erscheint, zudem gibt es dort seit 2010 jeweils im November ein Krimi-Spezial als Sonderbeilage. In der Welt erscheint seit mehreren Jahren eine wöchentliche Krimikolumne von Elmar Krekeler. Unregelmäßig, aber konstant erscheint seit 2011 in der Süddeutschen Zeitung (SZ) eine Krimikolumne, dazu gibt es im Frühjahr wie im Herbst je ein Krimi-Spezial, zuletzt im April 2017 im Umfang von acht Seiten. Auch die Frankfurter Rundschau veröffentlicht seit mehreren Jahren mehrere Krimibesprechungen pro Monat.

In der Wochenzeitung Der Freitag, in der von 1997 bis 2010 monatlich eine Krimikolumne von Thomas Wörtche, einem der bekanntesten und prägendsten Krimikritiker, veröffentlicht wurde, hat sich die Anzahl der Beiträge zur Kriminalliteratur inzwischen reduziert. Zwar gibt es im Frühjahr und im Herbst je ein Krimi-Spezial, über das Jahr hinweg erscheinen jedoch nur noch selten Rezensionen oder andere Beiträge. Im Jahr 2015 waren es sechs Artikel zur Kriminalliteratur, im Jahr 2014 acht.

Die bereits erwähnte Krimikolumne der Stuttgarter Zeitung ist seit 2012 so gut wie vollständig ins Internet verlegt, wo sie unter dem Titel „Killer & Co.“ erscheint. Pro Woche werden ein bis zwei Beiträge veröffentlicht.

Deutlich angewachsen ist die Zahl der Beiträge zur Kriminalliteratur in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS). Erschienen zuvor nur gelegentlich Krimibesprechungen, gibt es seit der Kooperation mit der Krimibestenliste (Januar 2017) am ersten Sonntag eines jeden Monats eine komplette Seite zu Krimis, wobei „Krimi“ sehr weit gefasst wird: Neben Besprechungen haben hier auch Vorabdrucke, Interviews, Reportagen sowie Filmbesprechungen Platz. Entscheidend ist eine gewisse thematische Nähe zur Krimibestenliste.

Auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) ist der Umfang der Beiträge zur Kriminalliteratur größer geworden. Bis Anfang 2014 gab es gelegentliche Besprechungen, ab März 2014 gab es eine ganze Seite für Krimis, die in einem etwas ungewöhnlichen 5-Wochen-Takt erschien, seit Anfang 2017 ist die Frequenz auf einen konsequenten 4-Wochen-Takt erhöht worden: Die Krimiseite erscheint am ersten Montag eines Monats, also im Anschluss an die Krimibestenliste.

Im Prinzip keine Krimibesprechungen gibt es im Magazin Der Spiegel, lediglich bei Spiegel online ist Platz für Beiträge zur Kriminalliteratur. Von 2010 bis 2015 gab es dort eine monatliche Krimikolumne, in der drei Rezensenten drei Krimis besprachen, seit 2015 gibt es Einzelbesprechungen, die aber nicht in einem festen Monatsrhythmus erscheinen. Insgesamt sind es weniger Krimibeiträge geworden.

Im Deutschlandfunk gab es – wie schon erwähnt – von 1990 bis Ende 2016 Andreas Ammers Krimikolumne, die mit 20 Minuten Sendezeit sechs Mal jährlich in der Sendung Büchermarkt erschien. Seit Dezember 2016 ist das Konzept geändert: Antje Deistler moderiert nun einmal pro Monat ein 20-minütiges Krimi-Spezial am gleichen Sendeplatz. Hier ist die Frequenz also gestiegen.

Wie sich die Lage beim Deutschlandfunk Kultur entwickelt, bleibt abzuwarten: Seit der Kooperation mit der Krimibestenliste gibt es einen festen Platz für Krimibesprechungen, jeweils 10 Minuten freitagsmorgens. Allerdings gab es vorher seit Ende der 2000er Jahre in unregelmäßiger Folge und an unterschiedlichen Sendeplätzen mitunter mehrfach pro Woche Beiträge zur Kriminalliteratur. Es ist also möglich, dass hier die Zahl der Krimibeiträge zurückgeht.

Bei WDR 5 gab es 18 Jahre lang die Telefonische Mord(s)beratung, eine zweistündige Livesendung zur Kriminalliteratur, an der sich anfangs Hörer*innen per Telefon beteiligen konnten. In späteren Jahren wurde die Sendung live von Krimifestivals übertragen. Die Telefonische Mord(s)beratung wurde im Zweimonatstakt ausgestrahlt und zum Ende 2016 eingestellt.

Beim Sender Cosmo, bis zum 31. Dezember 2016 Funkhaus Europa, der ebenfalls zur Sendergruppe des WDR gehört, gab Ulrich Noller ab 1999 jeden ersten Mittwoch im Monat Krimitipps, zuletzt je zwei Beiträge von je drei Minuten Länge. Seit Mitte 2016 gibt es mit Noller liest eine eigene Sendung von einer Stunde Länge, die jeden Mittwoch ausgestrahlt wird, dazu kommt seit März ein Blog. In der Sendung wie im Blog gibt es keinen speziellen Platz für Kriminalromane, diese werden dort gemeinsam mit anderer Literatur besprochen.

Auch im Internet ist die Krimikritik fest etabliert. Die Anzahl der E- bzw. Webzines, die mehr oder minder regelmäßig erscheinende Krimikolumnen herausbringen oder vereinzelt Krimibesprechungen veröffentlichen, ist kaum abzuschätzen. Eine Ausnahme bildet das CrimeMag, das im Rahmen des CulturMag erscheint: Dies ist eines der wenigen unabhängigen Magazine, das sich vollständig auf Kriminalliteratur konzentriert. 2010 mit einem wöchentlichen Rhythmus gestartet, erscheint es seit 2013 einmal monatlich.

Darüber hinaus gibt es eine nahezu unübersichtliche Menge an Blogs im Internet, die sich mehr oder minder ausschließlich mit Kriminalliteratur befassen; eine Auswahl digitaler Magazine ist im DILIMAG-Archiv des IZA zu finden.

Österreich

Die Auseinandersetzung mit Kriminalliteratur ist in Österreich in der Printpresse deutlich geringer als in Deutschland. Lediglich in der Presse am Sonntag und im Standard erscheinen regelmäßig Beiträge zu Kriminalromanen. So gibt es in der Presse am Sonntag regelmäßig zwei längere und zwei Kurzbesprechungen, im Standard wird einmal wöchentlich ein Krimi in einem Kurzformat von Ingeborg Sperl besprochen.

In der Tageszeitung Die Presse sind im Jahr 2015 elf Beiträge, 2014 zwölf Beiträge zur Kriminalliteratur erschienen, darunter auch Berichte von Krimifestivals sowie Reportagen über österreichische Krimiautor*innen. Im Falter erschienen im Jahr 2015 acht Beiträge zur Kriminalliteratur, im Jahr 2014 waren es sieben. In der Furche waren für das Jahr 2014 vier Beiträge zu Kriminalromanen auszumachen, im Jahr 2015 keiner. In profil wurde 2015 und 2014 je ein Beitrag zur Kriminalliteratur veröffentlicht.

Peter Huber von der Presse am Sonntag bedauert, dass im österreichischen Feuilleton der Krimi kaum wahrgenommen werde, dort gäbe es nur „Literatur“. Im Feuilleton in Österreich existiere „nur wenig Bewusstsein für die Vielfalt des Genres. Für viele ist Krimi gleich Whodunit oder Psychothriller. Und dann kommt lange nichts.“ Für Huber ein Fehler, „denn gute Kriminalromane sind einfach gute Literatur“.

Schweiz

In der Neuen Zürcher Zeitung sind Rezensionen zu Kriminalromanen eher spärlich zu finden,[16] etwas häufiger beschäftigen sich Beiträge mit bestimmten Phänomenen (z. B. die Fortsetzung der Romane Stieg Larsons, Rollenmuster in Kriminalromanen, Anteil von Krimis an Filmen und Literatur). Im Jahr 2015 sind acht Beiträge zur Kriminalliteratur erschienen: fünf Rezensionen, ein Essay, ein Hintergrundbericht sowie ein Nachruf. Im Jahr 2014 waren es 14 Beiträge, darunter drei Rezensionen, ansonsten überwiegend Essays sowie Reportagen.

Im Tages-Anzeiger gibt es recht viele Krimibesprechungen, unter anderen veröffentlicht hier Elmar Krekeler, der auch die Krimikolumne in der Zeitung Die Welt schreibt, eine Krimikolumne mit Kurzbesprechungen: „Kurz & kritisch“. Bis 2014 wurde diese Kolumne von Thomas Klingenmeier verfasst.

In der Weltwoche wird nur äußerst selten über Kriminalliteratur berichtet, 2015 gab es lediglich ein Porträt von Agatha Christie und eine Krimirezension. Im Jahr 2014 waren es fünf Beiträge.

Für die Wochenzeitung (WOZ) lassen sich für 2015 acht Beiträge zur Kriminalliteratur finden, für das Jahr 2014 keinerlei Artikel und für 2013 vier Beiträge.

 

Rahmenbedingungen von Krimikritik

Der Umfang und das Ausmaß von Krimikritik schwanken in den einzelnen Medien. Bei der Frage, ob und wenn ja, warum Beiträge zur Kriminalliteratur seltener würden, wird unabhängig vom Medium oftmals auf personellen Veränderungen hingewiesen: Weil Rezensent*innen zu einem anderen Medium wechseln oder aufgrund anderer Aufgaben zu stark ausgelastet sind, werde auch die Krimikritik seltener. Es gibt somit in Redaktionen meist nur sehr wenige Krimikritiker*innen, oftmals nur eine bzw. einen. Dies gilt sowohl für regional wie überregional aktive Medien. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass Kultur- bzw. Literaturredaktionen meist nicht sehr groß sind. Es bedeutet aber auch, dass Krimikritik zwar etabliert, aber nicht institutionalisiert ist. Fällt die Kritikerin bzw. der Kritiker aus, entfällt auch die Krimikritik.

Hinzu kommt, dass die Meinung zur Kriminalliteratur innerhalb von Literaturredaktionen – sowohl im Print, online wie im Hörfunk – durchaus durchwachsen ist: Bei manchen Medien stehen Teile der Redaktion der Kriminalliteratur ablehnend gegenüber – unter anderem, weil ein formelhaftes, unoriginelles Schreiben in diesem Genre vermutet wird –, in anderen Medien ist die Redaktion offener dafür. Andreas Ammer erinnert sich, dass im Deutschlandfunk die Chefredaktion seiner Krimikolumne zunächst sehr skeptisch gegenüberstand; da es jedoch eine große und deutlich positive Hörerresonanz gab, wurde sie bis 2016 beibehalten und die Sendung in anderem Konzept danach weitergeführt. Die Offenheit gegenüber Kriminalliteratur sei im Laufe der Zeit gewachsen, so Ammer.

Interessant ist der Standpunkt der Stuttgarter Zeitung, die ja schon früh mit der Krimikritik begonnen hat. Der Krimi wurde hier, wie schon erwähnt, 2012 auf die Webpräsenz ausgelagert. Innerhalb der Printausgabe gibt es nur noch selten Beiträge zur Kriminalliteratur. Thomas Klingenmaier, Kulturredakteur der Stuttgarter Zeitung meint dazu: „Früher ging es darum, den Krimi vor der Arroganz der Hochliteratur zu schützen, heute muss eher die Literatur vor der Gefräßigkeit des Krimis verteidigt werden.“ In der Printversion der Stuttgarter Zeitung gebe es darum heute weniger Platz für etwas, das alle lesen, sondern lieber Raum für andere Bücher.

Auffällig ist, dass die meisten der hier betrachteten Medien Krimi gesondert von Literatur besprechen: Krimi findet im Feuilleton zwar statt, aber in einer speziellen Ecke – auf einer eigenen Seite, in einer speziellen Kolumne, einem gesonderten Magazin oder einer separaten Sendung. Außerhalb der abgesonderten Areale ist nur selten Platz für Kriminalliteratur. Tobias Gohlis schätzt, dass seit 2001 in der Zeit nicht mehr als zehn Beiträge zur Kriminalliteratur außerhalb der Sonderbeilagen und der Krimikolumne erschienen sind. Peter Körte von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bedauert, dass nun, seit die FAS ihre Krimiseite hat, keine Beiträge mehr in den normalen Literaturseiten erscheinen. Ihm sei die Nicht-Abtrennung von Kriminalliteratur, eine gute Mischung, lieber.

Ausnahmen von dieser Praxis sind beispielsweise das Rezensionsforum Literaturkritik.de, das die Aufteilung in Literatur und Kriminalromane aufgegeben hat und Krimis unter die Kategorien „Deutschsprachige Literatur“ bzw. „Fremdsprachige Literatur“ einordnet; die Sendung Noller liest, in der Kriminalliteratur nicht von anderer Literatur abgetrennt wird; und Spiegel online, wo Besprechungen von Kriminalromanen meistens in der Rubrik „Kultur“ veröffentlicht werden (allerdings nur selten unter „Literatur“). Allerdings wird auch bei Spiegel online selten einfach nur „Genre“ besprochen. Krimikritiker Marcus Müntefering, der seit mehreren Jahren für Spiegel online schreibt, erklärt, dass er immer argumentieren muss, warum ein Kriminalroman besonders relevant sei beziehungsweise das Genre transzendiere: „Bei Sein blutiges Projekt von Graeme Macrae Burnet ist es beispielsweise die ungewöhnliche Struktur und das Spiel mit Konventionen, bei Der Block von Jérôme Leroy die politische Brisanz.“ Einfach nur „Krimi“ zu besprechen, sei bei Spiegel online nicht erwünscht.

Außerhalb der Krimiareale haben Krimithemen Platz, wenn sie über das Genre deutlich hinausgehen. Dies ist zum Beispiel der Fall bei gewichtigen Geburts- oder Todestagen und bei neuen Büchern von sehr bekannten Kriminalautor*innen. Ebenso finden sich hier Reportagen und Porträts von Autor*innen mit regionalen Bezügen, auf die das Medium rekurrieren kann. Zudem wird hier auch über Phänomene wie den polarisierenden Bestsellerautor Sebastian Fitzek berichtet. Dies gilt auch für Medien, die ansonsten in sehr geringem Maße auf Kriminalliteratur eingehen wie beispielsweise die Neue Zürcher Zeitung.

 

Inhaltliche Aspekte der Krimikritik

Kriminalliteratur hat also durchaus ihren Platz im Feuilleton – regional wie überregional, im Print, online wie im Rundfunk –, aber meist mit begrenzten personalen Ressourcen und in einem speziellen Areal. So findet immer noch eine „Schubladisierung“ statt, wie Peter Körte meint: Kriminalliteratur wird nicht zur Literatur dazugezählt, sondern bleibt im Genreeckchen. Das ist erstaunlich, da so gut wie alle befragten Krimiexpert*innen Kriminalliteratur als Literatur im engeren Sinne betrachten und besprechen.

Die absolut überwiegende Mehrheit hat einen eher breit angelegten Begriff von Krimi, der weit über Einteilungen in Whodunit, Thriller, Noir und Ähnliches hinausgeht. Auch über das, was einen relevanten bzw. interessanten Krimi im Allgemeinen ausmacht, herrscht weitgehend Einigkeit: „Spannung ist kein Hinderungsgrund“, erklärt beispielsweise Hannes Hintermeier von der FAZ, sei aber kein Muss. Vor allem ist Spannung für keine*n der Kritiker*innen ein Qualitätsmerkmal, uninteressant ist Spannung für die meisten, wenn sie nur über die Handlungsebene erzeugt wird. Weit wichtiger ist der gekonnte Umgang mit Konventionen, die Fähigkeit, „sie zu unterlaufen, aufzusprengen, mit ihnen zu spielen“, wie unter anderem Marcus Müntefering betont, was auch bedeutet, dass der Autor, die Autorin „das Genre ernst nimmt und in ihm versiert ist“, wie beispielsweise Antje Deistler erklärt.

Ebenso einhellig wird die sprachliche Qualität hervorgehoben, die notwendig ist, wie auch eine gekonnte Konstruktion. Zentral sind zudem glaubwürdige Figuren und die Vermeidung von Klischees. Beinahe alle Befragten betonen, dass ein guter beziehungsweise interessanter Kriminalroman etwas Überraschendes bieten muss. So nennt Tobias Gohlis als zentrale Kriterien „das Außergewöhnliche, das Auffallende“ und „das Gekonnte“. Zudem ist vielen Expert*innen das Thema eines Krimis wichtiger als dessen Story. Einhellig als uninteressant empfunden werden Serienkiller und Gewaltexzesse.

„Im Grunde“, meint Thomas Klingenmaier, „gelten für gute Krimis die gleichen Regeln wie für gute Literatur: Sie müssen einsaugend, engagierend, verstörend sein.“

Das Ziel von Krimikritik ist somit für alle befragten Krimikritiker*innen, auf die relevanten, guten, interessanten Kriminalromane hinzuweisen, die jenseits des Mainstreams zu finden sind, denn: „Was die Konstruktion von Geschichten angeht, bietet der Krimi oftmals Gekonnteres als die sogenannte hohe Literatur“, wie Ulrich Noller erklärt. Andreas Ammer argumentiert in die gleiche Richtung: „Ein eigener Tonfall, eine eigene Stimme, eine eigene Sprache – das ist bei Krimis häufiger anzutreffen als bei ‚normaler‘ Literatur. In Krimis passiert zudem in literarischer Hinsicht mehr – natürlich auf die wenigen guten Ausnahmen bezogen.“ Auch Tobias Gohlis hofft, dass „Leser von Hochliteratur durch Rezensionen erkennen, dass jenseits der vermuteten formelhaften Strukturen literarische Perlen unter dem Etikett Krimi zu entdecken sind. Pauschale Verdammnis ist falsch.“

Entsprechend sind Verrisse eher selten in den betrachteten Medien: Viele der befragten Kritiker*innen haben wenig Lust, Zeit und Energie in schlechte Krimis zu stecken, von denen es zu viele gäbe. Zudem ist der Platz für Krimi-, wie grundsätzlich für Literaturbeiträge, eher begrenzt. Deshalb wäre es schade, diesen mit Texten über mit schlechte Bücher zu füllen. Wie Andreas Ammer erklärt: „Lieber etwas Neues entdecken, als etwas Etabliertes verreißen.“ Tobias Gohlis betont: „Es ist sinnvoller, gute Krimis zu empfehlen, als sich über schlechte Krimis aufzuregen.“

Mitunter jedoch, auch darin sind sich viele der Befragten einig, ist ein Verriss notwendig: vor allem wenn es um etwas Exemplarisches geht. Als Beispiel wurde in allen Fällen Sebastian Fitzek genannt: Für Fritz Göttler von der Süddeutschen Zeitung geht es dabei weniger um einen tatsächlichen Verriss, sondern um die Notwendigkeit, auch solche Massenphänomene in einen literarischen und historischen Kontext einzuordnen. Ulrich Noller erklärt: „Mitunter ist es wichtig, ein Statement zu setzen gegen Beliebigkeit und Geschwätzigkeit.“

Insgesamt gesehen hat sich die Krimikritik von einem reinen Tippcharakter zu einer substanziellen Auseinandersetzung mit Kriminalliteratur entwickelt. Dabei ist sie auch selbstbewusster und frecher geworden, wie Thomas Klingenmaier feststellt: „Heute wird in den Beiträgen Wissen vorausgesetzt, die Kenntnis von Namen, des Diskurses.“ Niemand müsse mehr erklären, dass Krimi nicht gleich Agatha Christie sei. Auch entfielen heute Behauptungen wie „Der Krimi ist erwachsen geworden“ beziehungsweise „Der Krimi ist nicht mehr so schlecht wie vorher“ – das Wissen um relevante und genresprengende Kriminalromane wird vorausgesetzt. Zudem gibt es heute „sehr versierte Kritiker mit viel literarischer Kenntnis“, wie Andreas Ammer konstatiert.

Was allerdings als Manko empfunden wird, ist der fehlende Platz für eine differenzierte Auseinandersetzung. Bei der großen Menge an Neuerscheinungen bleibe zudem oftmals wenig Platz und Zeit für Neuentdeckungen, stattdessen käme es zu einer Fixierung auf große Namen, bedauert Fritz Göttler. In der Wochenzeitung Die Zeit ist der Raum für Literaturbesprechungen insgesamt knapper geworden,[17] das wirkt sich auch auf die Krimikolumne von Tobias Gohlis aus: Anfangs waren seine Texte ca. 5.000 Zeichen lang, heute bleiben ihm nur mehr ca. 2.500 Zeichen. Dies trifft auch auf andere Medien zu. Zumeist sind nur kurze Beiträge zur Kriminalliteratur möglich, „da bleibt nicht viel Platz für Auseinandersetzung, Einordnung und Wertung, Krimikritik wird in solchen Fällen schnell schlagwortartig“, bedauert Tobias Gohlis. Der fehlende Raum verleite zu Pauschalisierungen und verhindere einen wirklichen Diskurs.

Ulrich Noller kommt zu einem ähnlichen Schluss: „Im klassischen Feuilleton ist zu wenig Platz für professionelle Krimikritik.“ Es fehle Raum für den Diskurs, was einen gelungenen Krimi ausmacht, eine Auseinandersetzung über ästhetische Fragen käme viel zu kurz, stattdessen würden Titel eher „abgefrühstückt“, so Ulrich Noller. Mehr Platz und Möglichkeiten gibt es im Internet, wo eine festgelegte Zeichenzahl keine Rolle spielt, das Problem dort sei jedoch die „Umsonstkultur“: Ohne Honorare lange Texte zu schreiben „kann man sich als Freiberufler nur in Maßen leisten“; es sei schade, dass Krimikritik im Internet nur als Selbstausbeutung möglich sei, so Ulrich Noller.

 

Fazit

Krimikritik ist ohne jede Frage im deutschsprachigen Feuilleton etabliert, in Deutschland eindeutiger und in größerem Umfang als in Österreich und der Schweiz. Allerdings grenzen insbesondere Medien, die Krimi als Literatur ernst nehmen und ihm viel Raum geben, von der übrigen Literatur ab, indem sie ihm ein gesondertes Areal zuweisen. Es bleibt also weiterhin eine Aufteilung in Literatur und Kriminalliteratur bestehen.

Zudem ist Krimikritik im deutschsprachigen Feuilleton nicht institutionalisiert: Dass es Beiträge zur Kriminalliteratur gibt, hängt von einzelnen Kritiker*innen ab. Sind die wenigen Krimiexpert*innen, die im deutschsprachen Feuilleton aktiv sind, mit anderen Dingen ausgelastet, nimmt der Umfang und das Ausmaß von Krimikritik ab. Dies spricht allerdings auch für eine Professionalisierung von Krimikritik: Die Expert*innen sind nicht einfach zu ersetzen.

Ein weiteres Zeichen für die Professionalisierung ist, dass heute eine Einschätzung, Einordnung, Bewertung von Kriminalliteratur nach Maßstäben vorgenommen wird, die auch für Literatur im engeren Sinne gelten. In dieser Hinsicht wird in den untersuchten Medien kein Unterschied gemacht und keine Trennung vorgenommen. Außerdem ist Krimikritik selbstbewusster geworden und setzt bestimmte Kenntnisse und die Vertrautheit mit dem aktuellen Diskurs über Kriminalliteratur bei ihrer Leserschaft voraus.

Mit einem Anteil von 8,35 % an Belletristikrezensionen insgesamt sind Krimirezensionen etwas unterrepräsentiert, was allerdings auch damit zusammenhängen mag, dass ein großer Teil der Krimiproduktion für einen Massenmarkt mit schnellem Umschlag konzipiert ist. Die Zahl der relevanten, überraschenden, gekonnten Kriminalromane ist weiterhin übersichtlich. Ob sich Umfang und Ausmaß von Krimikritik in den nächsten Jahren verändert, wird sich zeigen.

 

Kirsten Reimers, 18.05.2017

Kirsten Reimers gibt den KrimiDetektor, die internationale Presseschau für Kriminalliteratur, heraus und ist als Krimikritikerin tätig, unter anderem ist sie Mitglied der Jury des Deutschen Krimi Preises.

 

Anmerkungen:

[1] Für diesen Beitrag haben sich mir folgende Personen als Gesprächspartner (in alphabethischer Reihenfolge) zur Verfügung gestellt – herzlichen Dank dafür: Andreas Ammer (Bayerischer Rundfunk, ARD), Antje Deistler (Deutschlandfunk), Tobias Gohlis (Die Zeit, Jurysprecher der Krimibestenliste), Fritz Göttler (Süddeutsche Zeitung), Hannes Hintermeier (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Peter Huber (Die Presse am Sonntag), Reinhard Jahn (Bochumer Krimiarchiv, Jurysprecher des Deutschen Krimi Preises), Thomas Klingenmaier (Stuttgarter Zeitung), Peter Körte (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung), Alf Mayer (CrimeMag), Marcus Müntefering (Spiegel online), Ulrich Noller (WDR, Cosmo), Jochen Vogt (Der Westen; Universität Duisburg-Essen). Alle als direkte oder indirekte Zitate gekennzeichneten Aussagen stammen aus Gesprächen bzw. E-Mails an folgenden Daten: Andreas Ammer: Telefonat 6. April 2017; Antje Deistler: Telefonat 6. April 2017; Tobias Gohlis: Telefonat 6. April 2017; Fritz Göttler: Telefonat 12. April 2017; Hannes Hintermeier: Telefonat 6. April 2017; Peter Huber: E-Mail 8. April 2017; Reinhard Jahn: E-Mail 11. April 2017; Thomas Klingenmaier: Telefonat 6. April 2017; Peter Körte: Telefonat 12. April 2017; Alf Mayer: E-Mail 8. April 2017; Marcus Müntefering: Telefonat 6. April 2017; Ulrich Noller: Telefonat 7. April 2017; Jochen Vogt: Telefonat 19. März 2017. – Mein Dank geht ebenso an Cathrin Mund vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Daniel Landolf vom Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband, Teresa Preis von Hauptverband des Österreichischen Buchhandels, Michaela Michel von der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt/Main sowie an Veronika Schuchter und Michael Pilz vom Innsbrucker Zeitungsarchiv für deutsch- und fremdsprachige Literatur.

[2] Vgl. Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Mediendossier: Krimi/Spannung 2015, Frankfurt/Main, 19. Februar 2016; soweit nicht anders vermerkt, stammen alle erwähnten Zahlen in diesem Abschnitt aus diesem Mediendossier.

[3] Beispielsweise wandelte Bastei Lübbe im Jahr 2015 die komplette Geisterjäger-John-Sinclair-Reihe in Digitalisate um, insgesamt rund 2.000 Titel.

[4] Auskunft von Michaela Michel, Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt/Main, Mail vom 24. April 2017.

[5] Vgl. Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Mediendossier: Krimi/Spannung 2015.

[6] Der Anteil des Belletristikumsatzes am gesamten Markt (inklusive der Sachgruppe „Schule und Lernen“) betrug im Jahr 2015 32,1 %.

[7] Auskunft von Daniel Landolf, Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband, E-Mail vom 12. April 2017.

[8] Auskunft von Teresa Preis, Hauptverband des Österreichischen Buchhandels, E-Mail vom 14. April 2017.

[9] Laut Aussage von Alf Mayer war das erste Buch, das besprochen wurde, Ernest Mandel: Ein schöner Mord. Sozialgeschichte des Kriminalromans, Athenäum 1987.

[10] Jurymitglieder in den Anfangsjahren waren laut Reinhard Jahn die Literaturwissenschaftler Jochen Vogt und Erhard Schütz, der Autor Frank Göhre, die Kritiker*innen Klaus Kamberger, Rudi Kost (Esslinger Zeitung), Martina I. Kischke (Frankfurter Rundschau), Werner Mathes (Stern) und weitere.

[11] Sehr eigenwillig in ihrer Gestaltung mit mehreren Sprechern.

[12] Das Fernsehen bleibt an dieser Stelle aus organisatorischen Gründen ausgeklammert. Es sei lediglich auf die Aussage Andreas Ammers hingewiesen, der als Redakteur und Regisseur der TV-Literatursendung Druckfrisch tätig ist: Kriminalliteratur werde dort im gleichen Umfang wie Sachbücher besprochen.

[13] Ausgewertet wurden folgende Printmedien (ohne deren jeweilige Online-Ausgaben): Tageszeitungen: Frankfurter Allgemeine Zeitung (D), Neue Zürcher Zeitung (CH), Neues Deutschland (D), Die Presse (Ö), Der Standard (Ö), Süddeutsche Zeitung (D), Tages-Anzeiger (CH), taz. die tageszeitung (D), Die Welt (D); Sonntagszeitungen, Wochenzeitungen und -magazine: Falter (Ö), Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (D), Der Freitag (D), Die Furche (Ö), Die Presse am Sonntag (Ö), Profil (Ö), Der Spiegel (D), Welt am Sonntag (D), Die Weltwoche (CH), WOZ. Die Wochenzeitung (CH), Die Zeit (D). Die für das Thema Krimikritik interessante Frankfurter Rundschau konnte aus arbeitsorganisatorischen Gründen leider nicht berücksichtigt werden.

[14] Für alle drei Länder gilt, dass vor allem überregional erscheinende Printmedien ausgewertet wurden. Ein etwas anderes Bild ergäbe sich vermutlich, würde man sich auf Regionalzeitungen konzentrieren. Dies wäre eine gesonderte Untersuchung wert.

[15] Erwähnte Zahlen von Beiträgen basieren auf eigenen Recherchen im IZA.

[16] In der NZZ am Sonntag werden Kriminalromane häufiger besprochen, genauere Daten lagen beim Abschluss dieses Beitrags jedoch nicht vor.

[17] Vgl. Literaturkritik in Zahlen, S. 24.

 

Abbildung: Wikimedia Commons