„Gross, schlank, blond, attraktiv“
Schweizer Schriftstellerinnen der 1970er. Von Andrea SpieglDer Schweizer Literaturbetrieb der 1970er Jahre ist geprägt von einem Aufschwung publizierender Schriftstellerinnen. In der deutschsprachigen Schweiz wird zu dieser Zeit das Echo der Frauenbewegung der USA, Frankreichs und Englands deutlich spürbar. Dieser neue Zugang zur Rolle der Frau in der Gesellschaft und das (späte) Wahlrecht für Schweizer Frauen 1971 stehen mit Sicherheit in direktem Zusammenhang mit dem Lauterwerden einer weiblichen Stimme innerhalb des Literaturbetriebs. Autorinnen beginnen, die Welt aus einer neuen Perspektive (und für ein verändertes Publikum) zu beschreiben. Dennoch bekommen diese Schriftstellerinnen in den Jahrzehnten danach seitens der Literaturkritik verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit. Mit Bezugnahme auf die Sammlung „Rolf Thalmann“ des Innsbrucker Zeitungsarchivs soll in diesem Essay auf einige dieser Autorinnen und deren Aufnahme durch die Literaturkritik eingegangen werden.
Die Sammlung Thalmann des Innsbrucker Zeitungsarchivs umfasst rund 30.000 Artikel, die sich vor allem mit dem Literatur- und Theaterbetrieb der deutschsprachigen Schweiz beschäftigen. Das Spektrum der Zeitungen und Zeitschriften reicht dabei von regionalen schweizerischen Tages- und Wochenzeitungen (über achtzig) bis hin zu überregionalen, im gesamten deutschsprachigen Raum bekannten Printmedien. Etwa die Hälfte der Sammlung wurde bereits digitalisiert und ist über die Datenbank des Innsbrucker Zeitungsarchivs zugänglich. Nicht nur die große Bandbreite der Sammlung, sondern auch der Zeitraum, den diese umfasst, stellen für das Innsbrucker Zeitungsarchiv eine wertvolle Ergänzung dar. So gehen die ältesten Artikel bis in die 20er und 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück.
Rolf Thalmann, selbst Schweizer und ehemaliger Leiter der „Basler Plakatsammlung“, erstellte im Laufe seines Lebens aus persönlichem Interesse diese umfangreiche Sammlung und konzentrierte sich vor allem auf Besprechungen von Schweizer Autoren und Autorinnen. Doch es finden sich auch allgemeine Artikel zu Literatur und zum Literaturbetrieb, besonders der deutschsprachigen Schweiz. Im Folgenden möchte ich auf einige repräsentative Artikel näher eingehen. Es sei an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen, dass dieser Essay keinen Anspruch auf wissenschaftliche Vollständigkeit erhebt, zumal es sich bei diesem Material ja um eine aus privatem Interesse, aber nicht ausdrücklich für wissenschaftliche Zwecke angelegte Sammlung handelt. Dies wäre schon alleine deshalb nicht möglich, da die Selektionskriterien unter denen die vorliegende Sammlung entstanden ist, nicht bekannt und auch nicht mehr nachvollziehbar sind. Dennoch ergibt sich allein aufgrund der Fülle des Materials sehr wohl ein Bild, das als repräsentativ für die Aufnahme von Schriftstellerinnen der 70er und auch noch der frühen 80er in der Schweiz gesehen werden kann.
Die Schweiz und ihre Literatur
Bei einem ersten Blick in den von Thalmann mit „Schweizer Literatur“ betitelten Abschnitt der Sammlung stößt man auf eine Vielzahl von Artikeln, die sich allgemein mit Schweizer Autoren und Autorinnen, der besonderen Charakteristik ihres Schreibens und der Wahrnehmung der Schweizer Literatur im In- und Ausland beschäftigen. Was dabei sogleich auffällt ist die Tatsache, dass schreibende Frauen dabei wenig bis gar keine Erwähnung finden. Einige KritikerInnen gestehen den Schriftstellerinnen noch einen Platz in exemplarischen Auflistungen von Schweizer AutorInnen zu, näher geht jedoch so gut wie kein Artikel auf die weiblichen Schriftstellerin der Schweiz ein. Ein Beispiel dafür ist die Besprechung von Dieter Fringelis Anthologie Dichter im Abseits. Schweizer Autoren von Glauser bis Hohl. Der Sammelband beschäftigt sich mit Autoren, „die am Rande der Aufmerksamkeit blieben und bleiben“. [1] In den 11 Aufsätzen werden jedoch ausschließlich Werke von männlichen Schriftstellern behandelt. Hugo Loetscher setzt diesen Ausschluss schreibender Frauen in seiner Rezension fort, wenn er erstens die Selektion Fringelis kommentarlos hinnimmt und zweitens selbst nur mit Beispielen aus der ‚männlichen Literatur’ arbeitet. Sowohl Loetscher als auch Fringeli scheinen in ihrer Besprechung der ‚Dichter im Abseits‘ keinen Wert darauf zu legen, auch bedeutenden Schriftstellerinnen – die es ohne Zweifel verdient hätten – einen Platz in diesem wiedergefundenen Gedächtnis einzuräumen. Annemarie Schwarzenbach ist hier nur als ein Beispiel unter vielen zu nennen. Erika Burkart kommt als weiteres in den Sinn, wenn man Loetschers Anmerkungen zur Schweizer Lyrik liest: „Wir haben nun einmal keinen grossen Lyriker, das ist kein Grund, deswegen irgendeinen Gedichtband aufzuzwerten, nur damit die Schweiz auch zu ihrem Vers kommt.“[2] Ebenso wird in einem Interview mit Marcel Reich-Ranicki zu seiner Sicht auf die Schweizer Literatur auf keine einzige Frau eingegangen. Der Großkritiker spricht zwar eingehend über seine Einschätzung verschiedener deutschsprachiger Autoren der Schweiz, dabei wird aber weder über eine weibliche Seite der Schweizer Literatur gesprochen (angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen in den 70er Jahre würde sich dies bei einem Interview zu diesem Thema geradezu aufdrängen), noch deren Abwesenheit thematisiert.[3]
Was macht nun aber diese männlich dominierte Schweizer Literatur für die Kritiker aus? Und wie lässt sich das daraus entstehende Bild mit der unveränderlichen Tatsache vereinen, dass es – trotz der geringen Beachtung – auch in der Schweiz schreibende (und publizierende) Frauen gab und gibt? Auf die einzelnen Charakteristika der Schweizer Literatur – wie sie sich für die LiteraturkritkerInnen und -wissenschaftlerInnen ergeben – kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Festzuhalten ist vor allem die grundsätzliche Heterogenität, die den Schweizer Literaturbetrieb prägt. Vor allem für die deutschsprachige Schweiz spricht man dabei immer wieder von einer ‚zahmen‘ Literatur, die hin und wieder durch ein Ereignis aufgeschreckt wird, dann aber wieder in ihren Dämmerzustand zurücksinkt.[4] Auf die Frage, ob der Anstieg der Publikationen von Frauen in den 70er-Jahren die Schweizer Literaturlandschaft tatsächlich verändert hat, oder ob sie in der Nachfolge wieder in ihren Dämmerzustand versunken ist, soll im weiteren Verlauf noch eingegangen werden.
Von hübschen Frauen und verstörten Menschinnen – Reaktionen der Literaturkritik
In der Einführung zu Die geheime Schweiz weist Nicole Müller darauf hin, dass die Werke der Frauen von den männlichen Kollegen meist skeptisch gesehen werden, mit „der Ungeduld der Alteingesessenen, die sich eher gestört fühlen als daß sie sich angeregt und erfrischt zeigten“.[5] Viele Autoren üben Kritik an einer Entwicklung, die sie als „Frauenbonus“[6] bezeichnen. Texte von weiblichen Schriftstellern werden demnach nur beachtet und gelobt, weil sie aus der Feder einer Frau stammen und nicht weil sie tatsächlich einen qualitativen Anspruch hätten.
Bei genauerem Lesen einiger Rezensionen zu den Neuerscheinungen der Autorinnen der 70er kann jedoch kaum von einem „Frauenbonus“ die Rede sein. Nur wenige Rezensionen fallen durchwegs positiv aus. Die Mehrzahl stellt für die Werke zwar gute Ansätze fest, eindeutige literarische Qualität wird ihnen jedoch nur selten zugesprochen. Christina Reinigs Rezension zu Häutungen wäre ein Beispiel für eine solche positive Beurteilung einer Autorin:
Die Formen und Formeln der Dichtersprache sind nicht geschaffen, daß ein weibliches Ich sich darin artikulieren kann. […] Dieser Autorin ist es gelungen, die Sprache der Männer aufzubrechen und ihre Vokabeln den Frauen nutzbar zu machen.[7]
Selbst wenn ein einzelnes Werk positiv besprochen wird, halten es die KritikerInnen im gleichen Zug für nötig, eine klare Abgrenzung zur negativ besetzten Frauenliteratur zu ziehen: „Ein Frauenroman ohne den Beiklang, der die Gattung als Zubehör illustrierter Hefte ausweist, als Fortsetzungsgeschichte zwischen Prominentenklatsch und Kochrezepte placiert.“[8] Die Bezeichnung „Frauenbuch“ wird zu einem Etikett, das die für Kritiker negativ konnotierte Sonderstellung der Frauen unterstreicht und sie erst recht vom allgemeinen Literaturbetrieb abgrenzt.[9]
Die Bedeutung der Literatur der Schweizer Autorinnen der 70er für die Frauenbewegung ist für die KritikerInnen ebenfalls kaum gegeben. Der feministische Aspekt der weiblichen Literatur scheint für sie vielmehr ein weiteres Charakteristikum einer nicht ganz zu ernst zu nehmenden „Frauenliteratur“ zu sein. Lothar Baier spricht sich beispielsweise zwar für die Stärkung der weiblichen Position in der Gesellschaft aus, die Bemühungen der Frauenbewegung (und damit der weiblichen Literatur) der 70er sind für ihn aber keineswegs zielführend, sondern werden vielmehr als lächerlich hingestellt:
Da nun das ‚Patriarchat‘, was immer das auch im Einzelnen sein mag, als Ursache allen Übels ausgemacht ist,… […] …nur weiß ich nicht, ob es das männliche System besonders erschüttert, wenn sich die militanten Frauen nun mit Problemen wie der Begründung einer weiblichen Ästhetik befassen.[10]
Selbst in scheinbar positiven Kritiken wird die feministische Literatur letztlich als Irrtum dargestellt: Mit eigenwilligen Prosaformen versuchen Ingeborg Kaiser und Heidi Nef etwas auszusagen, von dem sie annehmen, daß es durch ein konventionelles Erzählen verdeckt oder verharmlost wird. […] Die Ermittlung über Bork ist von Anfang an eine feministisch argumentierende Ermittlung gegen Bork.[11]
Was bei Baier und Quack ins Lächerliche gezogen wird, kritisiert Klara Obermüller in ihrer Rezension zu Maja Beutler und Verena Wyss eindeutig und direkter:
Eine Chance haben die Männer beide nicht, ruiniert, am Boden zertreten sind sie beide und begreifen beide nicht, wessen sie angeklagt sind. Sie haben mir leid getan, alle beide: der Mörder, dem weder von der eigenen Frau noch von der Autorin Gefühle zugeschrieben werden, aber auch der betrogene Psychiater, der aus seinen ‚Begriffen gefallen‘ ist. […] Es stellt sich einfach ein, dieses Gefühl, dass den Männern da ganz übel mitgespielt wird und dass die Frauen da in ihrer berechtigten Not Mittel anwenden, die sich schließlich gegen sie selber wenden. […] Die Zeit, da neues Leben aus dem Kampf der Geschlechter hervorgeht, scheint noch nicht gekommen.[12]
Vor allem an Verena Stefans Häutungen scheinen sich viele Literaturkritiker und auch Literaturkritikerinnen der Zeit zu stoßen. Besonders die Rezension von Dieter Bachmann geht über den Zynismus der meisten Besprechung hinaus und grenzt in seinem Ton schon an offene Aggression:
Offenbar schreibt hier ein zutiefst verstörter Mensch (oder muss man schon schreiben: ‚menschin‘?), und nichts wäre leichter, als ihren Bericht eben als Krankengeschichte einer schweren Neurotikerin zu lesen. […] Denn dieses Buch beschreibt zwar eine Krankengeschichte, aber es ist eine Krankheit, die sowohl psychologisch wie gesellschaftlich zu erklären ist. […] Da werkelt auch Verena Stefan an jener Dornenhecke aus Hass, Abscheu und Radikalismen, die den Kral der Feministinnen für Argumente so unzugänglich macht.[13]
Werden die Rezensionen in Zusammenhang mit einer Besprechung einer Lesung der Autorinnen geschrieben, machen sich viele RezensentInnen erst gar nicht die Mühe, auf die Werke und das Schreiben der Schriftstellerinnen einzugehen, sondern beschäftigen sich lieber mit deren Aussehen und ihrer Attraktivität. So wird Ingeborg Kaiser in der Besprechung einer ihrer Lesungen von einer Journalistin als „gross schlank, blond, attraktiv“[14] beschrieben. Und auch Getrud Leutenegger wird in einer Besprechung nicht nur als blutjung und erfolgreich bezeichnet, sondern „ausserdem ist sie blondlockig, ausserordentlich hübsch und sympathisch“.[15] Isabell Teuwsen bringt die Wahrnehmung der Schriftstellerinnen in ihrer Besprechung eines Autorenabends auf den Punkt, indem sie darauf hinweist, dass das Gespräch ohne Zweifel anders geführt worden wäre, wären der Moderator kein Mann und die beiden Interviewten keine Frauen:
Die Unterhaltung würde sicher weniger persönlich geführt, […] und die Gesprächsleiterin würde – so ist anzunehmen – sich gewiss nicht dazu hinreissen lassen, den anwesenden Herren kundzutun, sie habe Männer sowieso gern. […] Von Arx ging es darum, die beiden Frauen als ‚Menschen‘ vorzustellen. Als ob Mensch und Autor nicht ein und dasselbe wären![16]
Ausgrenzung und Festhalten am Eigenen
Schon diese wenigen Beispiele werfen die Frage auf, wie sehr den schreibenden Frauen daran gelegen sein kann, überhaupt als Teil des männlichen Kultur- und Literaturbetriebs wahrgenommen zu werden. Die Andersartigkeit der weiblichen Literatur wird von den meisten KritikerInnen nicht als Teil des Gesamtbildes des Schweizer Literaturbetriebs, sondern als temporäre Randerscheinung rezipiert, die kaum Beachtung in der Diskussion um das Wesen der Schweizer Literatur findet. Gleichzeitig wird den Autorinnen der 70er Jahren auch immer stärker bewusst, dass eine Integration in die männlichen Strukturen den Wunsch nach einer stärkeren Position der Weiblichkeit nicht erfüllen kann. Der Weg, den viele der Schriftstellerinnen für sich sehen, ist die Abgrenzung und die Loslösung vom hegemonialen Diskurs. Sie versuchen so der Angst vor einer Rolle zu entgehen, die so „von männlichen Strukturen geprägt ist, dass man erst recht den männlichen Herrschaftsdiskurs fürchtet“.[17] Es genügt den (schreibenden) Frauen nicht mehr, Teile der männlichen Macht zu erhalten, sondern die Machtstrukturen sollten von Grund auf verändert werden. Frauen beginnen, sich auf ihre Existenz an den „verschwiegenen Orten der bestehenden Ordnung“[18] zu besinnen. Gerade im Schreiben sehen sie die Hoffnung, ein „eigenes, ein autonomes Subjekt“ zu finden, das sich außerhalb der männlich geprägten Strukturen konstituieren kann, denn „das Subjekt als überkommene Größe war männlich definiert, von vornherein“. Lange Zeit war das Weibliche dabei das Andere, Fremde, über dessen Ausgrenzung sich das männliche Subjekt herausbilden und festigen konnte. Innerhalb dieser Strukturen ist es für Frauen gar nicht erst möglich, sich als autonomes Subjekt zu konstituieren, ohne dabei selbst an der Ausgrenzung der Weiblichkeit teilzuhaben. Das Finden und Stärken einer eigenen Subjektivität, eines eigenen weiblichen Raumes wird jedoch durch die Vergangenheit der weiblichen Position in der Gesellschaft erschwert: Die internalisierte Anpassung an den herrschendenden Diskurs führt lange Zeit zu einer gewissen Status- und Orientierungslosigkeit – ein Umstand, gegen den die hier erwähnten Autorinnen der Schweiz in den 70ern anschreiben. Adelheid Duvanel formuliert noch 1981 die Schwierigkeit, „im Festhalten am Eigenen nicht ausgegrenzt zu werden.“[19]
Die Nichtaufnahme der Autorinnen in einen literarischen Kanon geht ohne Zweifel mit einer Verunsicherung der Bewertungskriterien einher.[20] Wie hier gezeigt, legen die meisten Schriftstellerinnen der 70er wohl auch nicht unbedingt allzu viel Wert darauf, in die Strukturen des Literaturbetriebs gedrängt zu werden. Gerade diese oppositionelle Position zum hegemonialen Diskurs sollte unbedingt Erwähnung finden, wenn es darum geht, ein Gesamtbild der Schweizer Literaturlandschaft zu zeichnen.
Viele der Autorinnen der 70er scheinen jedoch ihre Bedeutung selbst nicht ernst genug zu nehmen, sie scheinen sich in ihrer Selbstwahrnehmung den Beurteilungen der Literaturkritik nach und nach anzupassen. So spricht Maja Beutler in einem Interview von den Schuldgefühlen, die sie gegenüber ihrer Familie hat, da sie sich weniger um ihre „häuslichen Pflichten“ als um ihr Schreiben kümmert.[21] Laure Wyss schreibt in Ich hab im Traum die Schweiz gesehen von dem Gefühl, trotz einer neu erlangten (politischen) Mündigkeit, immer noch keine bedeutende Stimme im gesellschaftlichen Kontext zu haben. Frauen werden für sie in den 70ern zu Vollbürgerinnen, die trotzdem nicht gesehen werden.[22]
Was bleibt?
Es stellt sich am Ende die Frage, inwieweit der Aufschwung einer weiblichen Literatur der 70er eine bloße Randerscheinung war oder in der Literaturlandschaft (nicht nur) der Schweiz etwas verändert hat. Isabel Morf wirft 1994 einen eher pessimistischen Blick zurück auf das „Jahrzehnt der Frauen“:
Es gab uns damals nicht, es gibt uns heute nicht […] als Mutter ist jede Schweizerin tief im Herzen jedes männlichen Schweizers verehrt und aufgehoben, wo wir geschützt und versteckt sind für alle Zeiten… [23]
Für sie ist es die Traditionslosigkeit, die den Schriftstellerinnen in den 70ern die Basis genommen hat, auf längere Sicht eine Veränderung im Literaturbetrieb (und in der Gesellschaft) zu bewirken. Dabei sollte doch „erfahrbar sein, daß es große Frauen gegeben hat, daß Frauen nicht Randfiguren sind“.[24] Auch wenn in der Zeit nach 1970 – insbesondere aufgrund der Bemühungen der Autorinnen – weibliche Namen eine größere Rolle im Literaturbetrieb spielen, sind männliche Autoren in den oberen Rängen nach wie vor unter sich. Die Sonderstellung der schreibenden Frauen bleibt bestehen: „Wo es gewichtig wird, sind immer noch bevorzugt Männer gefragt“.[25]
So schreibt Isabel Morf also in den 90er Jahren. Dass auch heute noch das symbolische Kapital des Literatur- und auch Kulturbetriebs verstärkt an Männer vergeben wird, ist kaum zu bestreiten. Da jedoch ebenso wenig bestritten werden kann, dass es – inner- und außerhalb der Schweiz – Schriftstellerinnen gab und gibt, die überzeugend gegen die gesellschaftliche und politische Benachteiligung der Frauen anschreiben, hätten diese mehr als nur eine kurze Erwähnung in den Besprechungen der Schweizer Literatur oder den Listen der vergessenen Schriftsteller verdient.
Andrea Spiegl, 23.09.2013
[1] Loetscher, Hugo: dabei gewesen, dabei gelesen. Eine Reihe von Aufsätzen oder Dichter im Abseits. In: Tages-Anzeiger. 07.09.1074. S. 21.
[2] Ebd.
[3] Vgl. Mischke, Roland: Aus der Bilanz des Ruhestörers (Interview mit M R-R). In: Das Magazin. 27.05.1995. Nr. 21, S. 42-53.
[4] Fringeli, Dieter: Zur Situation der deutschen Literatur in der Schweiz. Wenig typisch Schweizerisches. In: National-Zeitung Basel. 01.08.1974. Nr. 237
[5] Müller, Nicole: Die geheime Schweiz. Eine Einführung. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Literatur in der Schweiz. TEXT+KRITIK. Zeitschrift für Literatur. Sonderband. München: edition text+kritik 1998, S. 173.
[6] Morf, Isabel: Mauerblümchen oder Stars? Schriftstellerinnen in der deutschen Schweiz. In: Elisabeth Ryter/Liliane Studer/Doris Stump/Maya Widmer/Regula Wyss (Hrsg.): Und schrieb und schrieb wie ein Tiger aus dem Busch. Über Schriftstellerinnen in der deutschsprachigen Schweiz. Zürich: Limmat Verlag 1994, S. 262.
[7] Reinig, Christa: Das weibliche Ich. Zu Verena Stefans „Häutungen“. In: Süddeutsche Zeitung. 07.04.1976.
[8] Oplatka, Andreas: Bestandsaufnahme in Hauptsätzen. Margit Schribers erster Roman „Aussicht gerahmt“. In: Neue Zürcher Zeitung. 14.05.1976.
[9] Vgl. Obermüller, Klara: Neue Bücher von Frauen – nicht nur für Frauen. In die Falle gegangen. In: Die Weltwoche. 06.04.1983.
[10] Baier, Lothar: Nicht länger Teil eines Paares oder: Abrechnung mit dem Patriarchat. „Häutungen“ – die autobiographische Erzählung einer Feministin. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 16.03.1976.
[11] Quack, Josef: Mobiles mit und ohne Kern. Erzählungen und ähnliches von Ingeborg Kaiser und Heidi Nef. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 27.06.1978.
[12] Obermüller, Klara: Neue Bücher von Frauen – nicht nur für Frauen. In die Falle gegangen. In: Die Weltwoche. 06.04.1983.
[13] Bachmann, Dieter: Der Trotz und der Ehrgeiz. Verena Stefans heimlicher Feministinnen-Beststeller „Häutungen“. In: Die Weltwoche. 28.07.1976.
[14] Herzog-Beck, Gingi: Zwei Basler Schriftstellerinnen. Ingeborg Kaiser und Heidi Werdenberg. In: Basler Woche. 05.01.1979.
[15] -en.: Autorenlesung im Kornhaustheater Baden. Reise in die eigene Vergangenheit. In: Aargauer Tagblatt. 17.01.1979.
[16] Teuwsen, Isabell: „Wir Frauen haben einen grossen Nachholbedarf…“. In: Tages-Anzeiger. 02.02.1979.
[17] Pulver, Elsbeth: Als es noch Grenzen gab: Zur Literatur der deutschen Schweiz seit 1970. In: Blick auf die Schweiz, S. 16.
[18] Matt, Beatrice von: Frauen schreiben die Schweiz. Aus der Literaturgeschichte der Gegenwart. Fraenfeld/Stuttgart/Wien: Verlag Huber 1998, S. 29.
[19] Rothenbühler, Daniel: Vom Abseits in die Fremde. Der Außenseiter-Diskurs in der Literatur der deutschen Schweiz von 1945 bis heute. In: In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Literatur in der Schweiz. TEXT+KRITIK. Zeitschrift für Literatur. Sonderband. München: edition text+kritik 1998, S. 48.
[20] Vgl.: Henke, Silvia: Schreibend, aus der Einsamkeit, in die Verwilderung, ins Schwarze. Zur Poetik von Annemarie Schwarzenbach, Adelheid Duvanel und Kristin T. Schnider. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Literatur in der Schweiz. TEXT+KRITIK. Zeitschrift für Literatur. Sonderband. München: edition text+kritik 1998, S. 132.
[21] Vgl. Morf: Mauerblümchen oder Stars?, S. 270.
[22] Wyss: „Wie wenn ich ohne Stimme wär“, S. 274.
[23] Vgl. Morf: Mauerblümchen oder Stars?, S. 275.
[24] Ebd., S.274.
[25] Ebd., S. 260.