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Vom Anfang und Ende der Literaturkritik

Das literarische Feld zwischen Autonomie und Kommerz. Von Stefan Neuhaus


„Gegenwärtig hat nur Wert, was materiell unmittelbar verwertbar ist, und den Musen geben wir nur eine Chance, wenn sie wenigstens irgendeine Form von Dienstbarkeit unter Beweis stellen können. Die Töchter der Mnemosyne sind aber keine Sklavinnen.“
Konrad Paul Liessmann[1]

„Seit wann gibt es Kritiker? Seit wann gibt es keine Kritiker mehr?“
Hans Magnus Enzensberger[2]

 

Einführung[3]

Die Klage über die Literaturkritik ist so alt wie die Literaturkritik selbst. Einer der prominenten Klagenden, Hans Magnus Enzensberger, hat 1988 die schon lange vorher und danach immer wieder zu hörende Behauptung aufgestellt, dass es eine Literaturkritik, wie sie im Zeitalter der Aufklärung geboren wurde, nicht mehr gibt. In der Regel waren und sind solche Thesen als Provokation gedacht, Enzensbergers Behauptung könnte beispielsweise noch als Spätwirkung der 68er-Bewegung eingeordnet werden. Im Zeitalter der Kundenbewertungen[4] des Online-Händlers Amazon könnte Enzensbergers Konzept vom Literaturkritiker als ‚Zirkulationsagenten‘ aber wieder an unvorhergesehener Schärfe gewonnen haben. Freilich gilt, angesichts der Komplexität und Kontingenz der hier verhandelten Probleme, auch immer das folgende Diktum Enzensbergers, für die Literaturkritik wie für die Literaturwissenschaft: „Denn es war ja nie ganz einfach zu sagen, was die Kompetenz der Literatur ausmacht. Dabei kann man leicht auf die Nase fallen.“[5]

Ich möchte zunächst einige wichtige Grundlagen der Formierung und Ausgestaltung der modernen Literatur und der sie begleitenden Literaturkritik vorstellen, ohne ins Detail gehen zu können; Hilfestellung werden mir die beiden Erklärungsmodelle von Niklas Luhmann und Pierre Bourdieu leisten. Dann werde ich Enzensbergers Konzept kurz erläutern und auf das heutige – um einen Begriff Pierre Bourdieus zu adaptieren – Feld der Literaturkritik beziehen. Es folgt eine Auseinandersetzung mit der relativ neuen Textsorte der Kundenbewertung, um schließlich einige, angesichts fehlender empirischer Daten vorläufige, Überlegungen zum heutigen Stand der Literaturkritik anstellen zu können.

Entwicklung der Literaturkritik

Der Buchmarkt, die Literatur und die Literaturkritik, wie wir sie heute kennen, gehen auf entscheidende Weichenstellungen im 18. Jahrhundert zurück, hierzu gibt es bereits eingehende Untersuchungen.[6] Als zentrale Voraussetzung wird die „Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit“[7] gesehen. Die deutschsprachige Tradition der Literaturkritik-Geschichtsschreibung hat nach meiner Auffassung hier einen blinden Fleck, weil sie die ökonomischen Grundlagen der Entstehung dieser Öffentlichkeit zu wenig beachtet. Die Studie des englischen Literaturwissenschaftlers Gary Day betont genau dieses Abhängigkeitsverhältnis.[8]

Den Rahmen der Entwicklung eines Systems oder Feldes der Literatur, als Teil eines Systems oder Feldes der Kunst, haben Niklas Luhmann und Pierre Bourdieu skizziert.[9] Luhmann hat festgestellt, dass die Kommunikation im Sozialsystem Kunst bzw. Literatur stark von der Alltagskommunikation abweicht, anders formuliert: Kunst und Literatur sind eine besondere Art der Kommunikation. „Anstelle von Worten und grammatischen Regeln werden Kunstwerke verwendet, um Informationen auf eine Weise mitzuteilen, die verstanden werden kann.“[10] Kunst ist für Luhmann ein „zweckentfremdeter Gebrauch von Wahrnehmungen“ (L, 41). Kunstwerke sind dann „ästhetisch-formal“ gelungen, wenn sie „eine andere Ordnung anbieten“ als die der beobachtbaren Realität (L, 237). „Offenbar sucht die Kunst ein anderes, nichtnormales, irritierendes Verhältnis von Wahrnehmung und Kommunikation, und allein das wird kommuniziert“ (L, 42). Luhmann spricht vom „Primat der Selbstreferenz“; L, 484):[11] „Man könnte auch sagen: das Kunstwerk stellt sich selbst und seine Selbstbeschreibung aus“ (L, 78). Die zentrale Feststellung lautet: „Das ‚Wesen’ der Kunst ist die Selbstprogrammierung der Kunstwerke“ (L, 332). Damit ist der besondere Code der Kunst und der Literatur gemeint, der an die Stelle einer Abfolge von Zeichen ein Kunstwerk oder einen literarischen Text als komplexes Zeichen setzt, das auf etwas anderes als das Gesagte oder Gezeigte hinweist, und hier beginnt die Interpretationsbedürftigkeit. Allerdings hat eine solche besondere Codierung auch besondere Voraussetzungen, die sich aus dem Gesagten ergeben. So ist das wichtigste Kriterium zur Unterscheidung „Neuheit“ als „Abweichung“ zu dem, was vorher da war (L, 327). Dazu kommt: Kunstwerke werden „polykontextural angelegt“. Die Interpretationsbedürftigkeit öffnet das Kunstwerk für Bezugnahmen in allen denkbaren Richtungen. „Und man kommt aus dem Staunen nicht heraus – dem Staunen darüber, was alles möglich ist“ (L, 485).

Aus dem „Primat der Selbstreferenz“ ergeben sich die Kriterien zur Bewertung und der Grad der Kanonisierung der fiktionalen, literarischen Texte oder Kunstwerke, Renate v. Heydebrand und Simone Winko haben dies für die Literatur gezeigt: „Die Rezeption literarischer Texte nach autonomieästhetischen Vorgaben gilt als die angemessene, also positiv einzustufende; Gegenteiliges gilt für die ‚heteronome‘ Verarbeitung.“[12]

Verwendet man Luhmanns Begriffe, dann könnte man auch formulieren: Für hochliterarische Texte ist Selbstreferenz entscheidend, während Fremdreferenz eher für triviale oder unterhaltungsliterarische Texte kennzeichnend ist. Pierre Bourdieu kommt interessanterweise zu einer vergleichbaren Auffassung von der Besonderheit künstlerischer und literarischer Kommunikation, auch wenn er sich anders ausdrückt:

Was literarisches Schreiben vom wissenschaftlichen Schreiben unterscheidet: nichts belegt es besser als das ihm ganz eigene Vermögen, die ganze Komplexität einer Struktur und Geschichte, die die wissenschaftliche Analyse mühsam auseinanderfalten und entwickeln muß, in der konkreten Singularität einer sinnlichen wie sinnlich erfaßbaren Gestalt und eines individuellen Abenteuers, die zugleich als Metapher und als Metonymie funktionieren, zu konzentrieren und zu verdichten.[13]

Allerdings betont Bourdieu, dass auch das Feld der Kunst und Literatur, trotz aller Besonderheiten, ein Teil der Gesellschaft ist, deren Basis die Ökonomie bildet. In seiner Definition des Feldes sind die grundlegenden Aspekte enthalten:

Das Feld ist ein Netz objektiver Beziehungen (Herrschaft oder Unterordnung, Entsprechung oder Antagonismus usw.) zwischen Positionen: der einer Gattung zum Beispiel wie dem Roman oder einer Untergattung wie dem Gesellschaftsroman oder, unter einem anderen Blickwinkel, zwischen der Position, die eine Zeitschrift, ein Salon oder ein Zirkel als Sammelpunkt einer Gruppe von Produzenten spielen. Jede Position ist durch ihre objektive Beziehung zu anderen Positionen oder, anders gesagt, durch das System relevanter, das heißt effizienter Eigenschaften objektiv festgelegt […]. Alle Positionen hängen in ihrer Existenz selbst und in dem, was sie über ihre Inhaber verhängen, von ihrer aktuellen und potentiellen Situation innerhalb der Struktur des Feldes, das heißt innerhalb der Struktur der Verteilung der Kapital- (oder Macht-) sorten ab, deren Besitz über die Erlangung spezifischer, innerhalb des Feldes umstrittener Profite (wie literarisches Prestige) entscheidet (B, 365).

Mit Beginn der Industrialisierung kann sich ein besonderes Feld der Kunst nur konstituieren, wenn es sich zunächst der die Ökonomisierung vorantreibenden Massenproduktion (und vice versa) verweigert:

Die symbolische Revolution, mit der sich die Künstler von der bürgerlichen Nachfrage lösen, indem sie keinen anderen Herrn und Meister anerkennen wollen als ihre Kunst, bringt den Markt zum Verschwinden. Denn sie können im Kampf um die Kontrolle über den Sinn und die Funktion künstlerischer Tätigkeit über den ‚Bourgeois‘ nicht triumphieren, ohne ihn zugleich als potentiellen Kunden abzuschaffen (B, 134).

Doch auch ein Künstler muss von etwas leben, seit es das Mäzenatentum in der alten Form nicht mehr gibt. Das langfristige Ziel ist daher, nach einer Phase der Gewöhnung an das Andere, Neuartige, das sich nur einem kleinen Kreis von Experten erschließt, das hier erworbene ‚symbolische Kapital‘ in ökonomisches umzuwandeln, in den Worten Bourdieus:

Auf die anfängliche Askese- und Verzichtphase, die Phase der Akkumulation symbolischen Kapitals, folgt eine Phase der Verwertung dieses Kapitals und des Erwerbs weltlicher Profite und dank ihrer ein Wandel in der Lebensweise, der den Verlust symbolischen Kapitals mit sich bringen kann und den Erfolg konkurrierender Häresien begünstigt (B, 405).

Bourdieu bezeichnet es als die Paradoxie des literarischen Feldes, gegen die Ökonomisierung zu optieren, um eine eigene Autonomie zu gewinnen, aber gerade diese Autonomie zu benötigen, um schließlich auch materiell erfolgreich zu sein. Daher kommt es zu einer Abfolge von Avantgarten, die zunächst auf das Andere, Neuartige setzen, um dann, mit Hilfe von Experten, ein breiteres Publikum dafür zu gewinnen und so auch ökonomisch Erfolg haben zu können:

Der Hauptgegensatz – zwischen der reinen Produktion, bestimmt für einen eingeschränkten Markt der Produzenten, und der Massenproduktion, ausgerichtet an den Erwartungen des breiten Publikums – reproduziert den fundierenden Bruch mit der ökonomischen Ordnung, der dem Feld der eingeschränkten Produktion zugrunde liegt; überlagert wird jener durch einen sekundären Gegensatz, der sich innerhalb des Subfeldes der reinen Produktion zwischen Avantgarde und arrivierter Avantgarde einstellt (B, 198).

Bourdieus Konzept legt nahe, dass sich ein weitgehend ausbalanciertes Feld herausgebildet hat, das sowohl seine Autonomie behaupten als auch einen gewissen ökonomischen Erfolg haben kann. Das Ziel ist demnach, in einer durch die Ökonomie bestimmten Gesellschaft überhaupt in relativer Autonomie existieren zu können.

Dass die Verschränkung von Geld, Macht und Literatur im Grunde älter ist als die Moderne, also weit hinter die Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit zurückgeht, wohl sogar bis zu den Ursprüngen der Literatur selbst, hat Gary Day herausgearbeitet. Die Verbindung von Ökonomie, Macht und Literatur „is nothing new“: „Commentators throughout the ages have sought to restrict access to secular and sacred writings in order to maintain their power or position.“[14] Ganz ähnlich wie Bourdieu betont Day die Rolle, die Literatur in der ökonomisierten Gesellschaft spielt: „Money is like language because both are forms of representation.“[15] Auch ein absolviertes Studium in englischer Literatur an einer Universität sei, wie jeder andere Abschluss, „a form of social classification“.[16] Wie das System solcher Klassifierungen funktioniert, hat wiederum Bourdieu in seiner Habilitationsschrift Die feinen Unterschiede gezeigt.[17]

Der Literaturkritiker als „Zirkulationsagent“

Im Umfeld der sogenannten Studentenrevolution von 1968 ist versucht worden, das Ende der bürgerlichen Literatur auszurufen und sich für eine klassenlose Literatur stark zu machen, die einerseits die Massen erreicht und begeistert, andererseits durch die Teilhabe an der Literatur breiter Bevölkerungsschichten den Prozess der Demokratisierung befördert. Eines der prominenten Beispiele, die hier zu nennen wären, ist der mehrfach publizierte Vortrag des US-amerikanischen Germanisten Leslie Fiedler, dessen Titel Cross the Border – Close the Gap bereits programmatisch das benennt, was erreicht werden soll:

Aber sogenannte Hohe Kunst auf Vaudeville- und Burleskeniveau herunterzuschrauben zu einem Zeitpunkt, da Massenkunst ohne Ehrfurcht die Museen und Bibliotheken erobert, ist ein politischer und ästhetischer Akt zugleich, ein Akt, der den Klassen- und Generationsunterschied überbrückt. Die Vorstellung von einer Kunst für die ‚Gebildeten‘ und einer Subkunst für die ‚Ungebildeten‘ bezeugt den letzten Überrest einer ärgerlichen Unterscheidung innerhalb der industrialisierten Massengesellschaft, die nur einer Klassengesellschaft zustünde.[18]

Angesichts der skizzierten Funktionsweise des literarischen Feldes kann man diese Aussage, je nach Perspektive, idealistisch oder blauäugig nennen. Die industrialisierte Massengesellschaft ist eine Klassengesellschaft und funktioniert über soziale Differenzierungen.[19] Die skizzierte Codierung der Literatur, die Literatursprache von Alltagssprache fundamental unterscheidet, aber auch die notwendige Neuheit und die Selbstreferenz der Texte, zu denen ihr intertextueller Anspielungsreichtum gehört, führen zunächst zu einem Ausschluss eines großen Teils des Lesepublikums. In den Worten Bourdieus:

Derartige Winke, stille und versteckte Hinweise auf andere – vergangene wie gegenwärtige – Künstler, bestätigen in den Spielen der Distinktion und durch sie ein geheimes Einverständnis, aus dem der Laie ausgeschlossen ist, der sich zwangsläufig immer das Wesentliche entgehen lassen muß, nämlich genau die Wechselbeziehungen und Interaktionen, deren stumme Spur nur die Werke sind. Nie zuvor war die eigentliche Struktur des Feldes in jedem Produktionsakt derart präsent (B, 259).

Die besondere Qualität für den Markt ist gerade die Abweichung von der Norm, das Anderssein der Texte und Kunstwerke, sofern sich mit Hilfe von Experten glaubhaft machen lässt, dass sich das Andersartige auch als besondere ästhetische Qualität sehen und beschreiben lässt.

Hans Magnus Enzensberger argumentiert anders als Fiedler. Seine Diagnose über den Literaturkritiker lautet:

Er ist von der gesellschaftlichen Bühne abgetreten, weil er nicht mehr gebraucht wird; weil die Literatur, von der er sprach, ihrerseits ihre übergreifende Bedeutung eingebüßt hat. Die Literatur ist frei, aber sie kann die Verfassung des Ganzen weder legitimieren noch in Frage stellen; sie darf alles, aber es kommt nicht mehr auf sie an. Unter diesen Umständen läuft die Militanz des klassischen Kritikers leer; seine langfristigen Strategien wirken anachronistisch; sein Einfluß verdunstet in der Indifferenz eines pluralistischen Marktes, dem der Unterschied zwischen Dante und Donald Duck Jacke wie Hose ist; seine Autorität wird nicht einmal mehr angefochten, sie erweist sich schlicht als überflüssig.[20]

Literaturkritiker sind daher bestenfalls noch „Zirkulationsagenten“,[21] der Literaturkritiker neuen Typs ist ökonomisch abhängig von der Marktgängkeit seiner Meinung: „Auf sein Urteil kommt es weniger an als auf die Auflage, die Einschaltquote, die er erreicht.“[22] Und weiter:

Für den Kritiker seligen Angedenkens war die Literatur ein Nexus von Schriften, die er liebte oder haßte, bewunderte oder verwarf. Dagegen interessiert den Zirkulationsagenten nicht der Text, sondern der Trend, den er aus seinen Eingeweiden liest. Sieger ist, wer den Trend als erster ansagt, Verlierer, wer als letzter wiederholt, was angesagt ist.[23]

Anders als Fiedler argumentiert Enzensberger auf der Basis eines Konzepts von Literatur, wie es Luhmann und Bourdieu erst später beschrieben haben. Wenn er die von ihm konstatierte Entwicklung nicht negativ, sondern positiv bewertet, kann man dies durchaus als Provokation sehen: „Die Literatur aber ist wieder zu dem geworden, was sie von Anfang an war: eine minoritäre Angelegenheit.“[24]

Das Problem ist nur: Wenn Literatur „eine minoritäre Angelegenheit“ wäre, dann müsste es eine Differenz von literarischer Produktion und Rezeption geben. Stattdessen lässt sich für die Zeit der 1990er Jahre bis heute wohl eher eine Anpassung der Produktion an die von Enzensberger identifizierte ‚Quote‘ konstatieren, anders gesagt: Es zirkuliert eine Literatur, die es den Zirkulationsagenten zunehmend leicht macht oder es wird von den Zirkulationsagenten eine Literatur besonders hervorgehoben, die auch marktgängig ist oder zu sein verspricht.

Die Tendenz zur Kommerzialisierung scheint durch die Entstehung der sogenannten Neuen Medien, vor allem des als demokratische Publikationsform geltenden Internet, beschleunigt worden zu sein. Es wäre allerdings näher zu untersuchen, inwiefern diese Kommerzialisierung eher mit der Änderung von Einstellungen und Verhalten zu tun hat als mit den technologischen Innovationen. Enda O’Dohertys Beobachtungen über das begonnene ‚letzte Kapitel‘ des Buch- und Literaturbetriebs, wie wir ihn kennen, deuten in diese Richtung: „Anyone who has been around for a few generations, or who has an interest in the experience of previous generations, will have noticed quite significant changes in how people consume culture and how they talk about it.“[25]

Wohl nicht zufällig nach dem Ende des sozialistischen Experiments in Osteuropa gab es in den 1990-er Jahren eine sich mehrende Zahl von Stimmen, dass deutschsprachige Literatur mehr am Leser orientiert und unterhaltsamer sein müsse. Dass diese Forderung von Lektoren belletristischer Verlage und Literaturkritikern vorgetragen wurde, die von dem ökonomischen Erfolg von Literatur existentiell abhängen, kann nicht überraschen. Ein bekanntes Beispiel ist Uwe Wittstocks Buch Leselust von 1995, in dem der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur eine Annäherung an populärere Schreibweisen empfohlen wird: „Der Seitenblick auf die leichteren Musen muß keineswegs, wie viele Kritiker hierzulande reflexhaft unterstellen, zu Lasten der Qualität gehen.“[26] Ein weiteres Beispiel ist die Einführung des breitenwirksamen Deutschen Buchpreises im Jahr 2005. Auf der offiziellen Homepage wird die Funktion des Preises ganz offen benannt:

Mit dem Deutschen Buchpreis zeichnet die Börsenverein des Deutschen Buchhandels Stiftung jährlich zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse den besten Roman in deutscher Sprache aus. Ziel des Preises ist es, über Ländergrenzen hinaus Aufmerksamkeit zu schaffen für deutschsprachige Autoren, das Lesen und das Leitmedium Buch.[27]

Der Preis setzt symbolisches Kapital ein, um ökonomischen Erfolg zu erzielen, sogar auf dem internationalen Markt. Die Aufgabe der Juroren wird durch die Wirkungsintention vorbestimmt. Man könnte es auf die Formel bringen: Ein mit diesem Preis ausgezeichnetes Buch hat so viel Fremdreferenz wie möglich und so viel Selbstreferenz wie nötig, um noch zur Hochliteratur gezählt werden zu können.

Solche Entwickungen mögen mit der Konkurrenz durch die Neuen Medien zu tun haben, sind durch diese Konkurrenz aber wohl kaum zu erklären. Auch zeigt der Blick in die Vergangenheit, dass es keineswegs immer ein Lesepublikum gegeben hat, zu dem man sich zurücksehnen sollte.[28] Insofern handelt es sich bei den skizzierten Entwicklungen wohl eher um Veränderungen als um, wie kulturpessimistische Beobachter meinen, Verschlechterungen, und zwar um sehr komplexe Veränderungen von Literaturbetrieb und Rezeptionsverhalten gleichermaßen.

Das Dilemma der Literaturkritik

Seit es einen Markt für Güter gibt, steht die Literatur und mit ihr die Literaturkritik im Spannungsfeld von Kunst und Ökonomie. Doch die Situation stellt sich heute anders dar, als es Bourdieu noch am Ende des letzten Jahrtausends gesehen hat. Es gibt neben den bereits genannten viele weitere Anzeichen, die dafür sprechen, dass die Kommerzialisierung der Kunst und der Literatur weit fortgeschritten ist und dass auch die Literaturkritik darauf reagiert hat und reagiert. Ein im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends populärer Streit im Feuilleton macht sowohl das Dilemma als auch bereits die Verschiebung zugunsten der Ökonomie deutlich.

Gemeint ist die Kontroverse um Volker Weidermanns 2006 veröffentlichtes Buch Lichtjahre. Eine kurze Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis heute. Als es im Literarischen Colloquium in Berlin präsentiert wurde, äußerte sich der Literaturkritiker Hubert Winkels kritisch, daraufhin wurde er von einem anderen Podiumsteilnehmer, dem Schriftsteller Maxim Biller, scharf zurechtgewiesen. Winkels hat diese Erfahrung in einem Artikel für die Wochenzeitung Die Zeit verarbeitet. Darin unterteilt er die Kritikerzunft in „Emphatiker und Gnostiker“:

Die Emphatiker des Literaturbetriebs, die Leidenschaftssimulanten und Lebensbeschwörer ertragen es nicht langer, dass immer noch einige darauf bestehen, dass Literatur zuallererst das sprachliche Kunstwerk meint, ein klug gedachtes, bewusst gemachtes, ein formal hoch organisiertes Gebilde, dessen Wirkung, und sei sie rauschhaft, von sprachökonomischen und dramaturgischen Prinzipien abhängt. Und dass sich der Lustgewinn in spätmodern abgeklärten Zeiten der Erkenntnis dieser Prinzipien verdankt.[29]

Winkels‘ Artikel steht für den Versuch, die Gegensätze noch einmal zu überbrücken und das Paradox zu retten, indem er beide Seiten kritisiert, so stellt er fest: „Gnostiker sind die, denen ohne Begreifen dessen, was sie ergreift, auch keine Lust kommt“.[30] Die Emphatiker dürften sich, so Winkels, weniger von der „dynamisierten Warenwelt“ vereinnahmen lassen und die Gnostiker sollten aus dem „durchlöcherten Verhau“ eines elitären Kunstverständnisses herauskommen.

Die öffentlichen Reaktionen auf diesen Artikel oder vielmehr die Reaktionen anderer Literaturkritiker deuten auf eine Verschiebung zugunsten eines ‚emphatischen‘ Literaturverständnisses. Gerrit Bartels beispielsweise stellt fest: „Die alteingesessene Literaturkritik bezieht Stellung und führt einen Kampf gegen die nachrückende Generation und deren Literaturvermittlung.“[31] Georg Diez wirft Winkels sogar vor, „Zäune“ bauen zu wollen, um die Literatur „einzusperren“.[32] Beide stufen Winkels als Verteidiger einer ‚gnostischen’ Position ein und rechnen sich damit selbst den ‚Emphatikern‘ zu. Selbst 2015 schreibt Iris Radisch noch eine Glosse über eine „Debatte um die neue Freundlichkeit der Literaturkritik“, als „ältere Kritiker (die sich Gnostiker nannten) jüngeren Kritikern (die sie als Emphatiker beschimpften) vorwarfen, sich den Büchern im Modus dauerbegeisterter Leidenschaftssimulation zu nähern und den harten Kern des Kritikergeschäfts darüber zu vergessen“. Die Fehler in der Erinnerung an die Debatte und die implizite Bewertung deuten darauf hin, dass auch Radisch den Versuch einer Unterscheidung der zwei Positionen als Angriff auf ihr, dann ‚emphatisches‘ zu nennendes, Rezeptions- und Kritikverständnis gesehen hat.[33]

Parallel mehren sich allerdings auch warnende Stimmen vor einer zunehmenden Orientierung der Literaturkritik an angeblichen Marktbedürfnissen. Sigrid Löffler beispielsweise stellt fest:

Der Buchmarkt unterliegt einem dramatischen Strukturwandel. Er hat sich homogenisiert, die Verlage […] uniformisieren ihre Programme und suchen nur noch nach global vermarktbaren Mainstream-Büchern, nach gedruckten „Hamburgern“. […] Marketing-Journalismus und Service-Journalismus drohen die unabhängige Kritik zu unterwandern. Es besteht die Gefahr, dass sich die Kritik instrumentalisieren lässt, als verlängerter Arm der Marketing-Abteilungen der Verlage. Etwa, indem sie nur noch jene Bücher wahrnimmt, um die der meiste Reklamerummel gemacht wird, und nur noch Titel propagiert, die durch Autoren-Prominenz, Auflagenhöhe und Werbeaufwand ohnehin schon besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen.[34]

Die eine Generation jüngere, österreichische Kritikerin Brigitte Schwens-Harrant plädiert für eine marktunabhängige Literaturkritik in einem eigenen Wirkungs-„Bereich“, also für ein Weiterbestehen eines, allerdings zeitgemäß veränderten, literaturkritischen Feldes.[35] Sie setzt sich, und sie kann dabei an eine lange Tradition seit Roland Barthes anschließen,[36] für einen „Pluralismus“ der Zugänge ein:

Wenn ich gegen Richtersprüche und für das Erzählen plädiert habe, heißt das nicht, dass die eigene Position verschleiert wird. Erzählen ist weder halbherzig noch harmlos und im Unterschied zu betulichen und uninformierten Meinungen zeichnet sich die Literaturkritik durch ihre Kunst aus, begründet zu unterscheiden.[37]

Chancen und Risiken bieten sich auch im Bereich der sogenannten Neuen Medien. Das Internet soll einerseits die weitere Ökonomisierung des Buchmarkts begünstigt haben und gilt doch andererseits als demokratischer Frei-Raum, in dem jede und jeder ihre und seine Meinung sagen kann, ohne dass dies mit nennenswerten Kosten verbunden ist. Thomas Anz hat deshalb auch auf die positiven Entwicklungen hingewiesen, er hat sie in fünf Thesen wie folgt zusammengefasst:

1. Das Internet hat zu einer erhöhten Nachhaltigkeit der Literaturkritik geführt.

2. Literaturkritik findet durch das Internet sehr viel weitere Verbreitung als früher durch die Printmedien.

3. Das Internet hat der Literaturkritik viele neue Kritiker und neue Adressatengruppen zugeführt.

4. Die Literaturkritik hat durch das Internet ihre Gegenstandsbereiche erheblich ausgeweitet.

5. Literaturkritik hat ihre dialogischen und populären Traditionen im Internet neu aufgegriffen, intensiviert und erweitert.[38]

Wieland Freund hat 2009, aus Anlass der Einstellung der Printausgabe der Washington Post, auf die weniger positive Veränderung der Literaturkritik durch die digitalen Medien hingewiesen:

Die digitale Literaturkritik also wird sich von der analogen unterscheiden – sie tut es bereits jetzt. So wie die Fan-Fiction einen neuen Typ Autor hervorbringt, bringen die Fan-Foren einen neuen Typ Kritiker zur Welt: einen Dilettanten im ursprünglich Sinn, der mit Emoticons operiert wie der gelernte Rezensent mit dem Sachwörterbuch der Literatur. Der Online-Literaturauftritt der „Post“ konkurriert mit Leser-Communities wie „Lovely Books“. Die Literatur-Seite der „Post“ tat das nicht.[39]

Thomas Anz hat den eigenen fünf positiven Thesen auch fünf „Bedenken“ gegenübergestellt, die vor allem die schwindenden ökonomischen Grundlagen für eine professionalisierte Kritik und den daraus resultierenden Verlust an „Glaubwürdigkeit und Qualität“ betonen.[40]

Das Ende der Literaturkritik alten Stils

Die Krise der Tages- und Wochenzeitungen durch fallende Auflagen und zurückgehende Werbeeinnahmen ist bekannt; auch wenn es Ausnahmen gibt, schrumpft der Markt. Für die Buchbranche ist die Lage unübersichtlicher. Zwar hat der Konzentrationsprozess, durch die fast schon marktbeherrschende Stellung von Random House im Verlagsbereich und Thalia oder Amazon im Verkauf, das Ende der Selbstständigkeit oder auch buchstäblich das Ende vieler, nicht nur kleinerer Verlage und Buchhandlungen bedeutet. Andererseits sind neue Verlage und Buchhandlungen entstanden, außerdem hat die Branche an Hörbüchern gutes Geld verdient und E-Books scheinen, trotz der anfänglichen Widerstände, durchaus nicht unprofitabel zu sein.

Der traditionelle Ort der Literaturkritik war und ist das Feuilleton, das unter der Krise der Zeitungen und Zeitschriften gelitten hat und weiter leiden wird. Zugleich sind im Internet zahlreiche neue Möglichkeiten entstanden, durchaus auch kritisch über Literatur zu kommunizieren. Dazu kommt, dass es außer einem Kernkanon keine über einzelne Gruppen hinausgehende Lektüren mehr gibt, die eine erkennbare identitätsstiftende Funktion für die Gesellschaft haben. Die Literatur ist Teil des kulturellen Gedächtnisses, aber wieviel Literatur braucht das kulturelle Gedächtnis?[41]

Wie bereits skizziert versucht der Literaturbetrieb, der wachsenden Bedeutungslosigkeit mit Kommerzialisierung zu begegnen. Auf das Problematische einer solchen Strategie ist immer wieder hingewiesen worden, etwa 2014, als Reaktion auf die Tage der deutschsprachigen Literatur (die mit dem Namen Ingeborg Bachmann verknüpft sind) in Klagenfurt, von Felix Philipp Ingold:

Der heute im Kulturbetrieb wie in der Unterhaltungsindustrie vorrangigen Laienherrschaft wird in Klagenfurt wie anderswo Genüge getan (um nicht zu sagen: Reverenz erwiesen) durch die Vergabe eines sogenannten Publikumspreises, der ausschließlich vom Kriterium des mehrheitlichen Gefallens bestimmt ist. Eine Diskussion (oder auch bloß ein Meinungsaustausch) über die zu beurteilenden Texte findet nicht statt. Entscheidend ist einzig die Anzahl der spontan abgegebenen Stimmen beziehungsweise die Mehrheit der gereckten Daumen, die als „Likes“ hochgerechnet werden.[42]

Die Literaturkritik, wie sie hier zelebriert wird, hat offenbar eine Literatur, die sie verdient – und umgekehrt:

Wo der platte Realismus nicht zum Zug kommt, nennt man ihn in der Juryrunde vorzugsweise „magisch“ oder „phantastisch“ – realistisch sollen die Klagenfurter Beiträge allemal sein. Dies bestätigt neuerdings auch eine Untersuchung der Neugermanistin Karin Röhricht (vgl. dazu die Rezension von Gunther Nickel in VOLLTEXT 2/2014), die anhand der in Klagenfurt prämierten Texte zum Schluss kommt, dass sich die realistische Schreibhaltung und damit die Fokussierung auf außerliterarische Interessen über die Jahre hin permanent gefestigt und inzwischen klare Dominanz erreicht habe. Inhaltliches geht vor, der künstlerische Anspruch schwindet – mit der Folge, dass sich „eine sehr konventionelle Erzählweise“ durchgesetzt habe, die stilistische und kompositorische Innovationen erschwere. Die Literatur, die in Klagenfurt (wie auch anderweitig im Literaturbetrieb) bevorzugt wird, sei primär rekonstruktiv, da sie sich weitgehend auf „Remimetisierung und Refiktionalisierung“ realer Begebenheiten beschränke. Der gar nicht so neue Realismus arbeitet sich demnach belletristisch an der äußeren Wirklichkeit ab und erhebt zugleich den Anspruch, „authentisch“ oder gar „dokumentarisch“ zu sein.[43]

Wie so oft, wenn problematische Entwicklungen erkannt werden, ist die Gefahr groß, das Kind mit dem Bad auszuschütten. Ingold plädiert, ohne provokative Absicht wie Enzensberger, für eine Literatur, die „vielleicht schwer verständlich“ sei, „aber auch eine zweite, eine dritte Lektüre lohnend machen“ würde. „Das würde freilich das Ende sowohl des traditionellen Verlagswesens wie des Buchhandels bedeuten. Doch nur so wird sich, andererseits, die Literatur als Kunst halten können – nicht auf Besten- oder Bestsellerlisten, nicht auf Festivals und Wettbewerbsveranstaltungen, einzig im Elfenbeinturm kann sie, endlich wieder elitär und selbstwertig geworden, überdauern.“[44] Ein knappes Jahrzehnt nach Enzensberger und zwei Jahrzehnte vor Ingold war bei dem US-amerikanischen Literaturwissenschaftler Harold Bloom zu lesen: „All canons, including our currently fashionable counter-canons, are elitist […].“[45] Solche Positionsbestimmungen können als Reaktion auf die zunehmende Marktorientierung der jüngeren Hochliteratur und als Versuche gelesen werden, eine eigene Experten-Identität gegen den allgemeinen Bedeutungsverlust der Selbstreferenz literarischer Texte zu behaupten.

Ingold ist für seine Äußerungen kritisiert worden, etwa von Paul-Henri Campbell in einer mehr aus ausführlichen Replik.[46] Allerdings weiß Campbell nicht so gut mit der Sprache umzugehen wie sein im Literaturbetrieb durchaus bekannter Kollege: „In einer Polemik stellt Ingold die Jurys der Klagenfurter Tage der Literatur, sowie des Lyrikpreises Meran vor ein Standgericht, sein Standgericht […].“[47] Ein Komma vor „sowie“ ist ebenso überflüssig wie der überzogene Vergleich mit einem Standgericht. Campbells auf halsbrecherische Weise durch eine „Analogie“ mit barocker Architektur herbeigeführtes Verdikt „Es lohnt sich auch schlechte Gedichte zu lesen“ ließe sich, mit ähnlicher Logik, entgegnen: Es lohnt sich, auch einmal ein Zeichen zu setzen, in diesem Fall – und in vielen anderen Fällen im Text – ein Komma an der richtigen Stelle. Ich erspare mir, an dieser Stelle auf die zahlreichen Pseudoargumente des Texts einzugehen.[48]

Die Artikel von Ingold und Campbell sind nach meiner Auffassung bezeichnend für eine Tendenz, die in den skizzierten Rahmen passt. Im etablierten Feuilleton geht die Angst um und die Sündenböcke sind schnell ausgemacht, als Reaktion bleibt Rückzug und / oder Schuldzuweisung. Blicken wir auf die neueren Orte, an denen literarische Texte mehr oder weniger öffentlich verhandelt werden, dann dürfte allerdings nicht von der Hand zu weisen sein, dass auch hier der Diskurs über Literatur oftmals in ökonomischer Abhängigkeit geführt wird, die von der Veröffentlichung von Pressetexten der Verlage in Zeitungen und Zeitschriften über zahlreiche, mehr oder weniger zur eigenen Beteiligung einladenden Angebote im Internet[49] bis zu den sogenannten Kundenbewertungen auf den Seiten des Internet-Großhändlers Amazon reicht.

Affirmation und Emphase oder Unverständnis und Ablehnung: Die Textsorte Kundenbewertung

Die Kundenbewertungen bei Amazon, auf die ich beispielhaft etwas genauer eingehen möchte, sind nicht nur eine relativ neue Textsorte, sie dürften außerdem heute zumindest quantitativ eine der größten Sammlungen von literaturkritischen Texten im weitesten Sinn darstellen. Im Unterschied zu Rezensionen, der wichtigsten Textsorte der Literaturkritik, sind die Verfasser keine professionellen Leser, sondern Hobby-Leser.[50] Die Veröffentlichung geschieht nicht in einem wirtschaftlich selbständigen Periodikum, sondern im Internet auf der Plattform eines gewerblichen Anbieters von Konsumgütern, der die Veröffentlichung dieser Texte fördert und erlaubt mit dem Zweck, den Verkauf der angebotenen Produkte zu stimulieren. Zur einfacheren Orientierung dient, dass bis zu fünf Sterne vergeben werden können. Kundenbewertungen gehören also keineswegs nur zum Feld der Literatur, sie haben auch eine deutliche, vom Anbieter her gedacht sogar dominierende Schmittmenge mit den Feldern Werbung und Public Relations. Es ist daher anzunehmen, dass die AutorInnen von Kundenbewertungen ein Produkt eher empfehlen oder davon abraten statt Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Allerdings gibt es, besonders im Bereich von Konsumgütern, immer wieder auch sehr differenzierte Bewertungen, teilweise mit Listen, welche positiven oder negativen Eigenschaften das Produkt nach eigener Prüfung hat.

Eine weitere Besonderheit ist, dass die Kundenbewertungen zur Literatur sich nicht, wie etwa die literaturkritischen Texte in den Feuilletons, auf Neuerscheinungen oder Jubiläen konzentrieren. Jedes Buch, das über Amazon beworben, teilweise auch nur verzeichnet wird (für den Fall, dass es einmal wieder lieferbar sein wird, sei es auch nur antiquarisch über einen der angeschlossenen Subanbieter), kann bewertet werden. Sieht man sich einmal Kundenbewertungen von hochkanonischen fiktionalen Texten an, dann fällt auf, dass es gerade bei Texten, die als ‚schwierig‘ angesehen werden, wenige abwägende Bewertungen gibt. Sofern sie sich überhaupt auf den Inhalt beziehen[51] und nicht die Fiktionalität ignorieren,[52] sind die Texte in der Regel entweder affirmativ und emphatisch bejahend oder sie äußern Unverständnis und Ablehnung. Zu Franz Kafkas Roman Der Proceß findet sich beispielsweise folgende Kundenbewertung mit fünf Sternen und der Überschrift „Wahnsinn“:

Der Ausdruck ‚Wahnsinn‘ beschreibt im Falle dieses Buches nicht nur die Qualität sondern auch den Inhalt. Kein anderes mir bekanntes Buch schafft es die Verlorenheit des Menschen in der Welt treffender darzustellen als Franz Kafkas ‚Der Prozess‘. Es gibt Werke der Literatur, die einen nach Beendigung der Lektüre, noch über Jahre hinaus verfolgen und beschäftigen, dies ist definitv eines davon. Die von Kafka geschaffene Welt droht den Leser förmlich zu verschlucken und in seinen kalten Abgrund zu ziehen. Wer dies Buch liest wird danach nicht mehr der sein, der er vorher war![53]

Kahlan Amnell hingegen gibt nur einen Stern, wählt als Titel den Romantitel und schreibt:

Ich würde gerne eine Zeitmaschine bauen, in die Vergangenheit reisen, und Franz Kafka ermorden, bevor er jemals die Gelegenheit bekommen hat, ein Buch zu schreiben.[54]

Der erste Text fällt sein Urteil auf der Basis identifikatorischer Lektüre, aber er bemüht sich um argumentative Absicherung, der entscheidende Punkt ist hier, dass der Roman eine identifikationsstiftende, sozialpsychologische oder vielleicht sogar sozialhygienische Funktion hat. Die Darstellung der „Verlorenheit des Menschen“ sorgt dafür, dass sich der Leser verstanden und als Teil einer Gemeinschaft fühlt. Die scheinbare Paraxodie aufzulösen und die Einsamkeit der Figur als exemplarisch für das Leben in der Gesellschaft seit Beginn der Moderne, damit aber auch in der Rezeptionssituation als tröstlich anzusehen und dies so artikulieren zu können lässt den ersten Text vergleichsweise komplex erscheinen. Der zweite Text ist dagegen sehr einfach gestaltet, da er gar nicht argumentiert, sondern polemisiert und sich wohl vor allem darum bemüht, witzig zu sein. Das überflüssige Komma vor der verbindenden Konjunktion und der fehlerhafte Gebrauch des Konjunktivs sind kleine Hinweise auf eigene sprachliche Schwächen. Ohne dies hier empirisch belegen zu können – nach der Durchsicht vieler solcher Kundenbewertungen scheint es für mich einen Zusammenhang von sicherem oder unsicherem Sprachgebrauch, komplexer oder einfacher Argumentation und Zustimmung oder Ablehnung bei sprachlich und inhaltlich komplexen Texten zu geben. Anders gesagt: Komplexe literarische Texte werden von jenen, deren Sprachverwendung wenig komplex und fehlerhaft ist, abgelehnt, und solche wenig komplexen, mehr oder weniger fehlerhaften Texte machen den größten Teil der Kundenbewertungen aus.

Es finden sich, wenn auch in der Minderzahl, durchaus Kundenbewertungen, die komplexer argumentieren und beispielsweise den Status von kanonischen Texten mit reflektieren, etwa die folgende von M. A. Spannring unter dem Titel „Gepfefferte Farce auf … was eigentlich?“:

Jetzt vergess ich einmal, dass ‚Der Prozess‘ laut Schulkanon und laut Promo-Text am Buchrücken ‚ein großes Werk der Weltliteratur‘ ist. (Gibt's auch ‚kleine Werke der Weltliteratur‘?). Und was er-lese ich mir da? Neben und hinter der zum Klischee verkommenen Kafka‘schen Düsternis eine krachlustige, gepfefferte Farce auf ... Ja, auf was eigentlich? Für mich verhandelt Kafka das Dasein von Menschen, die mit einer existenziellen Ordnung in Konflikt gefallen sind. Also etwa mit ihrer Identität, ihrer Intimität und Sexualität oder ihrer Spiritualität. Heute würden wir vielleicht sagen: Menschen mit schweren Neurosen oder Menschen in Lebenskrisen. Menschen, die im Sinne der Kafka‘schen Parabel vom Prozess ‚verhaftet‘ sind: Sie verrichten ihre Alltagsdinge weiter. Sie gehen weiter ihrer Arbeit nach. Und werden doch unausweichlich aufgezehrt von ihrem ‚Prozess‘. Wie der Autor die Unerreichbarkeit und die Unberechenbarkeit der anklagenden Instanz (in unserem eigenen Ich) mit einer ins Unendliche verästelten Bürokratie vergleicht, und damit den habsburgischen Beamtenstaat deftig parodiert, das reizt zum lauten Lachen. (Was Kafka angeblich wiederholt getan hat, wenn er Freunden vorgelesen hat.) Nachdem ich ‚Weltliteratur‘ allein nach meinem persönlichen Lesegenuss bzw. Erfahrungs- und Erkenntnisgewinn beurteile, streue ich 4 Sterne. Den 5. vergeben ohnehin unzählige Andere – schon aus dem philologischen Ehrfurchtsreflex heraus ; -)[55]

Sprache und Argumentation sind gleichermaßen um Differenzierung bemüht, von Wortspielen wie „er-lesen“ und nachvollziehbar kritischen Reflexionen über den Klappentext bis hin zu einer psychoanalytischen Deutung des Romans – die allerdings relativ offen gehalten ist, deshalb werden mehrfach alternative Interpretationsmöglichkeiten aneinandergereiht. Der Verfasser markiert seinen Status als Literaturkenner am deutlichsten durch zwei Punkte: Erstens durch sein Expertenwissen über die auch von Kafka bereits intendierte oder zumindest wahrgenommene Komik, zweitens durch die Erwähnung des Kanons. Er betont sogar sein Recht auf ein abweichendes, individuelles Urteil. Den kanonischen Status von Texten hält er für verfestigt und somit für nicht sehr reflektiert.

Die wichtigsten Kriterien, die in Kundenbewertungen – soweit ich das sehe – an fiktionale Texte generell angelegt werden, sind Spannung und Unterhaltung. Es geht also nicht, wie früher im Feld oder System der Literatur generell üblich, um ‚Selbstreferenz‘, sondern um ‚Fremdreferenz‘ (Luhmann). Ein typisches Beispiel ist der kurze Text von Heinz-Joachim mit dem Titel „Klassiker!“ und der Bewertung von vier Sternen: „Wie gut ein solcher Klassiker doch in unsere Zeit passt – fast unheimlich, brandaktuell und spannender als so mancher Krimi von Grisham und Co.“[56]

Die Kundenbewertungen selbst lassen sich von den Nutzern als „hilfreich“ einstufen und auch insgesamt nach diesem Kriterium sortieren. Bei hochkanonischen Texten wie Kafkas Proceß werden eher die komplexeren, bejahenden und den Bezug zur Realität der LeserInnen betonenden Kundenbewertungen bevorzugt. Beispielsweise stellt nice2829, an dritter Position der Liste, abschließend fest: „all das könnte sich genauso in unserer Zeit zutragen.“[57] An vierter Stelle findet sich der oben zitierte, mit „Wahnsinn“ betitelte Text.[58]

John Grishams relativ neuer Roman Die Erbin von 2014 hat wie Kafkas Der Proceß insgesamt vier Sterne bei einer Zahl von Kundenbewertungen, die für eine relativ hohe Repräsentativität stehen kann. Die Bewertungen beziehen sich auf die einzelnen Ausgaben, die jeweils höchste Zahl liegt am 6.1.2015 bei 182 für Kafka und 135 für Grisham. Liest man nun die Kundenbewertungen zu Grisham, dann fällt auf, dass sie überwiegend sprachlich vergleichsweise einfach gehalten sind und kaum argumentieren. Ein Beispiel ist der Eintrag von „ursual [sic] brinkmann“ mit einer Bewertung von fünf Sternen und folgendem Text:

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Ich habe es nicht mehr aus der Hand genommen und in einem Rutsch gelesen. Was ich besonders schön fand, bekannte Personen kamen darin vor, die auch schon im Buch „Die Juri“ vorkamen. Dieser Stoff kann auch sehr gut verfilmt werden.[59]

Der Syntax- und der Rechtschreibfehler zeigen die mangelhafte sprachliche Kompetenz, das weitgehende Fehlen einer argumentativen Absicherung ist für viele Kundenbewertungen ebenfalls typisch. Obwohl es ein Argument gibt – es würden „bekannte Personen“ vorkommen, damit sind Figuren gemeint, die sich bereits in einem früheren Roman Grishams finden. Der Wert Bekanntheit ist für Unterhaltungsliteratur das, was der Wert Neuheit für Höhenkammliteratur ist.

Die Kundenbewertungen zu Grisham belegen, dass bei Texten, die nicht zur Hochliteratur gezählt werden, in der Regel das Kriterium der Unterhaltung den Ausschlag gibt, hier ein Beispiel: „Allerbeste Unterhaltung - und ein bisschen mehr. Mein Tipp: Lesen! John Grisham ist einer der besten Autoren der Unterhaltungs-Literatur, ohne Zweifel.“[60] Der Begriff Unterhaltung wird hier nicht im Sinne eines besonderen sprachlichen oder ästhetischen Vergnügens verstanden, sondern auf die ereignisstarke Handlung und auf Merkmale wie Spannung und Wiedererkennung bereits bekannter Muster bezogen. Alternativ kann auch das Kriterium Spannung besonders betont werden: „John Grisham ist der Meister eines juristisch geprägten Romans, der den Spannungsbogen auf den ersten Seiten aufbaut und bis ins Ende hineinzieht.“[61] Der inkorrekte Gebrauch der Grammatik ist auch hier wenig überraschend.

Auf der anderen Seite stehen sehr professionell gemachte und anspruchsvolle Literaturmagazine im Internet, die allerdings selbst auch die Frage nach der Zukunft des ‚analogen‘ Lesens stellen. So hat die Zeitschrift Poetenladen eine Umfrage unter mutmaßlich netzaffinen AutorInnen veröffentlicht, die wie folgt beginnt:

poet: Wie wird die nächste Generation lesen?

Josefine Rieks: Mit den Augen.

Ron Winkler: Es ist vorstellbar, dass Tiefenlektüren etwas Geheimbündnerisches haben werden. Leseclubs als säkulare Klöster der Wenigen: der Neugierige und Eskapisten, der Phantasten und Analysewilligen.

Wenn ich zwei Generationen weiterdenke: Vielleicht ist Lesen dann schon Teil eines Hypnose-Erlebnisses. Oder man kann mit dem Lesegerät über seine Erfahrungen diskutieren.

Marcus Roloff: Ich hoffe, sie tut es überhaupt. Ich sehe mich an und bemerke, dass die Wirklichkeit immer mehr verpixelt. Das ist erst mal nichts Schlimmes, sondern nur die Geschwindig­keit Erhöhendes. Das aber setzt bei mir die Konzentrationsfähigkeit herab, ich konnte mich schon als Kind nie lange auf eine Sache konzentrieren. Die Nachricht, der Tweet, der Post treten an die Stelle der verewigenden Schau, der Kontemplation, des versunkenen Brütens über den Welträtseln. Mich legt diese sich furchtbar profanisierend in jeden Lebensbereich hineindrückende digitale Gleitcreme lahm. Überall auf Gorillaglas glotzende Leute, in jedem möglichen und unmöglichen Augenblick zieh ich selbst das Smartphone raus, um zu checken, was es Neues gibt. Diese völlig leerlaufende, sich selbst fütternde Gier nach Neuem.

Aber das Buch gibt mir Halt, wenn auch oft nur in Gedanken. Ein analoges Ding. Seine jahrhundertealte Ruhe. Bücher und Museen – die beruhigen mich. Und auch das Starren auf meine Bibliothek, meine ruhig dastehenden Buch­rücken. Weil ich alle Töne meines Smartphones abgestellt habe, hilft es nichts, ich muss es wieder aus meiner rechten Hosentasche ziehen und mich in der Dunkelheit des Winterabends vom eiskalten Displaylicht beleuchten lassen.[62]

Im selben Magazin findet sich aber auch ein Interview mit der Literaturkritikerin Ina Hartwig, die unter anderem für die Süddeutsche Zeitung und die Zeit schreibt. Sie kommt zu einer ganz anderen Bewertung:

Es ist schon erstaunlich zu sehen, wie die Gefährlichkeitsphantasien wandern: Früher mussten die Kinder unter der Bettdecke „heimlich“ lesen; heute sehnt sich die gute Gesellschaft nach lesenden Kindern, macht ein Riesenbrimborium ums Lesen, und fürchtet sich vor der Internetsucht der Kids. Man muss, scheint mir, grundsätzlich individuell schauen, welche Funktion das Verschlingen von Büchern oder die Flucht an den Bildschirm beim einzelnen Kind erfüllt.[63]

Die Meinungen über die Bewertung, welche Folgen die weitere Ausdifferenzierung der Massenmedien für die Literatur hat, sind beinahe ebenso vielfältig wie das Angebot, auch wenn der Anschluss an tradierte Vorstellungen oft nicht zu überlesen ist.

Bahnhofskiosk oder Elfenbeinturm? Ein knappes Fazit

Die noch im alten Jahrtausend etwa von Niklas Luhmann und Pierre Bourdieu festgestellten Besonderheiten literarischer Kommunikation und ihr vergleichsweise autonomer Status in der Gesellschaft haben offenbar an Bedeutung verloren, wobei zu fragen wäre, ob nicht beide Darstellungen auch einen idealen Kunst- und Literaturbetrieb konstruieren, den es so nie gegeben hat. Die diagnostizierte Kommerzialisierung der Literatur, die nicht neu ist, sich aber nach 1990 (wieder?) verstärkt, lässt sich in den verschiedenen Teil-Feldern oder Teil-Systemen beispielhaft erkennen und sie wird selbst zum Thema der Reflexion in Literatur und Literaturkritik, eine Reflexion, die entweder provokativ, konstatierend, resignierend oder sogar triumphierend auf eine Marginalisierung der Hochliteratur in der Gegenwartsliteratur deutet.

Zugleich hat sich durch die Neuen Medien, vor allem durch das Internet, ein vorher ungekanntes, weites Feld der möglichen Teilhabe am literarischen Diskurs eröffnet, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem für das literarische Feld oder System konstitutiven Expertenkreis. Diese Veränderung wird je nach Standpunkt eher als Chance oder als Risiko, als Demokratisierung oder als Banalisierung des Gesprächs über Literatur bewertet.

Als symbolischer Ort des Experten ist der Elfenbeinturm bemüht worden. Man könnte ihm den auch, aber nicht nur Bücher und dann in der Regel Unterhaltungsliteratur anbietenden Bahnhofskiosk als symbolischen Ort des Hobby-Lesers gegenüberstellen. Beide Orte sind topisch und eignen sich kaum zur Beschreibung eines Zustands, der ohnehin nur ein transitorischer ist.

Aktuell lässt sich eigentlich nur, aber immerhin doch feststellen, dass es teilweise stark konkurrierende Auffassungen darüber gibt, welche Literatur zur Hochliteratur zu zählen ist. Zwar gibt es weiterhin, wie am Beispiel von Kafkas Roman Der Proceß zu sehen war, eine konventionalisierte Wertschätzung bestimmter Autoren und Texte selbst in neuen Textsorten des Diskurses über Literatur, aber wohl in weit geringerem Maß als früher. Tradierte Kriterien der literarischen Wertung werden nicht notwendigerweise akzeptiert. Oft werden diese Kriterien gar nicht gekannt, da mit der Zugehörigkeit zum literarischen Feld oder System das entsprechende Expertenwissen fehlt. An die Stelle tradierter Wertungen und Kanones tritt eine individualisierte Bewertung, die allerdings, wenn man ihre sprachlichen und argumentativen Defizite betrachtet, eher die Bedenken gegen einen Verzicht auf konventionalisierte Bewertungen zu bestätigen scheint, zumindest wenn man auf die Kundenbewertungen des Anbietergiganten Amazon blickt. Dagegen ließen sich, aber das wäre ein eigenes Thema, Zeitschriften über Literatur und Literaturkritik im Netz anführen, die den etablierten Feuilletons sprachlich und inhaltlich keineswegs unterlegen sind.

Dass tradierte Bewertungsmuster immer mehr ausgedient haben, kann – je nach Perspektive – eine gute oder eine schlechte Nachricht sein. Literaturwissenschaft und Literaturkritik könnten diese Entwicklung jedenfalls, statt ihre Energien in Klagen oder Anklagen zu investieren, produktiv nutzen und zum Anlass nehmen, verstärkt über die gängigen Mythen zur Entwicklung des Rezeptionsverhaltens einerseits und die positiven Funktionen von Literatur in der Gesellschaft andererseits nachzudenken, etwa in ihrer Bedeutung für das kulturelle Gedächtnis, und dabei Bewertungskriterien zu diskutieren, die auch außerhalb des Elfenbeinturms, also des eigenen Expertenkreises Gehör finden – von der Bildungspolitik über die Massenmedien bis zu den Neuen Medien.


Stefan Neuhaus, 15.07.2015



[1] Konrad Paul Liessmann: Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift. Wien: Zsolnay 2014, S. 180.

[2] Hans Magnus Enzensberger: Rezensenten-Dämmerung. In: Mittelmaß und Wahn. Gesammelte Zerstreuungen. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1988, S. 53-60, hier S. 53.

[3] Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag, gehalten am 30.1.2015 im Rahmen des XX. Mainzer Kolloquiums des Instituts für Buchwissenschaft zum Thema „Das Ende der Literaturkritik?“. Eine ältere und stark gekürzte Fassung wurde in der Februar-Ausgabe der Internetzeitschrift literaturkritik.de veröffentlicht, vgl. http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=20276 (abgerufen am 28.6.2015).

[4] Amazon verwendet den Begriff „Kundenrezensionen“, ich bevorzuge den der Kundenbewertung, da Rezensionen traditionell von ökonomisch unabhängigen Anbietern veröffentlicht werden und vorrangig dem Feld des Journalismus zuzurechnen sind, während Kundenbewertungen ökonomische Interessen des Anbieters unterstützen.

[5] Ebd., S. 44.

[6] Vgl. v.a. Peter Uwe Hohendahl (Hg.): Geschichte der deutschen Literaturkritik (1730-1980). Mit Beiträgen von Klaus L. Berghahn u.a. Stuttgart: Metzler 1985; außerdem: Wolfgang Albrecht: Literaturkritik. Stuttgart u. Weimar: Metzler 2001 (Sammlung Metzler 338); Thomas Anz / Rainer Baasner (Hg.): Literaturkritik. Geschichte, Theorie, Praxis. München: C.H. Beck 2004; Stefan Neuhaus: Literaturkritik. Eine Einführung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004 (UTB 2482).

[7] Vgl. z.B. Klaus L. Berghahn: Von der klassizistischen zur klassischen Literaturkritik. In: Hohendahl (Hg.): Geschichte der deutschen Literaturkritik (1730-1980), S. 10-75, bes. S. 13ff.

[8] Vgl. Gary Day: Literary Criticism. A New History. Edinburgh: Edinburgh University Press 2010.

[9] Vgl. Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1997 (stw 1303); Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Übersetzt von Bernd Schwibs und Achim Russer. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2001 (stw 1539). Vgl. hierzu auch: Stefan Neuhaus: Literaturvermittlung. Konstanz: UVK 2009 (UTB 3285), S. 43-94.

[10] Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 39. – Die Studie wird im folgenden Text abgekürzt zitiert mit der Sigle L und Seitenzahl.

[11] Der Gegenbegriff ist „Fremdreferenz“, wenn ein Text sich um Repräsentanz der außersprachlichen Wirklichkeit bemüht. Vgl. L, 47 und Neuhaus: Literaturvermittlung, S. 64ff.

[12] Renate v. Heydebrand u. Simone Winko: Einführung in die Wertung von Literatur. Systematik – Geschichte – Legitimation. Paderborn u.a.: Schöningh 1996 (UTB 1953), S. 32f.

[13] Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 53. – Die Studie wird im folgenden Text abgekürzt zitiert mit der Sigle B und Seitenzahl.

[14] Day: Literary Criticism, S. 265.

[15] Ebd., S. 218.

[16] Ebd., S. 257.

[17] Vgl. Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Übers. v. Bernd Schwibs u. Achim Russer. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1982 (stw).

[18] Leslie A. Fiedler: Überquert die Grenze, schließt den Graben! (1969) In: Uwe Wittstock (Hg.): Roman oder Leben. Postmoderne in der Literatur. Leipzig: Reclam 1994 (Reclam-Bibliothek 1516), S. 14-39, hier S. 31.

[19] Vgl. auch Bourdieu: Die feinen Unterschiede.

[20] Enzensberger: Mittelmaß und Wahn, S. 55f.

[21] Ebd., S. 57.

[22] Ebd.

[23] Ebd., S. 57f.

[24] Ebd., S. 60.

[25] Enda O’Doherty: The Last Chapter. In: Eurozine 01/2015, URL: http://www.eurozine.com/articles/2014-12-10-odoherty-en.html (abgerufen am 7.1.2015).

[26] Uwe Wittstock: Leselust. Wie unterhaltsam ist die neue deutsche Literatur? München: Luchterhand 1995, S. 15.

[27] Vgl. http://www.deutscher-buchpreis.de/de/591346 (abgerufen am 17.5.2013).

[28] Vgl. etwa Rudolf Schenda: Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der populären Lesestoffe 1770-1910. München: dtv 1977 (dtv wissenschaftliche reihe).

[29] Hubert Winkels: Emphatiker und Gnostiker. Über eine Spaltung im deutschen Literaturbetrieb – und wozu sie gut ist. In: Die Zeit, Nr. 14, v. 30.3.2006, S. 59.

[30] Ebd.

[31] Gerrit Bartels: Abreibungskunst. Das Haltbarkeitsfeuilleton schlägt zurück: Ein Kultur- und Richtungsstreit der Literaturkritik, ausgelöst durch Volker Weidermanns Buch „Lichtjahre“. In: die tageszeitung, Nr. 7936, v. 31.3.2006, S. 15.

[32] Georg Diez: Wir Emphatiker. Gibt es eine Spaltung im deutschen Literaturbetrieb? Eine Antwort auf Hubert Winkels. In: „Die Zeit“, Nr. 15, v. 6.4.2006, S. 60.

[33] Iris Radisch: „Schlagt ihn tot, den Hund!“ Plötzlich beklagt alle Welt die neue Freundlichkeit der Kritiker. In: Die Zeit Nr. 5 v. 29.1.2015, S. 47.

[34] Hedwig Kainberger: Mehr Platz für wichtige Bücher. Die renommierte Literaturkritikerin Sigrid Löffler macht sich im SN-Gespräch Gedanken über den Buchmarkt und den Stellenwert der Kritik. In: Salzburger Nachrichten, Nr. 273, v. 25.11.2006, S. 15.

[35] Vgl. Brigitte Schwens-Harrant: Literaturkritik. Eine Suche. Innsbruck u.a.: StudienVerlag 2008 (Angewandte Literaturwissenschaft 2), S. 171.

[36] Vgl. Roland Barthes: Kritik und Wahrheit. Aus dem Franz. v. Helmut Scheffel. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1967 (es 218).

[37] Ebd., S. 173.

[38] Thomas Anz: Kontinuitäten und Veränderungen der Literaturkritik in Zeiten des Internets: Fünf Thesen und einige Bedenken. In: Renate Giacomuzzi, Stefan Neuhaus u. Christiane Zintzen (Hg.): Digitale Literaturvermittlung. Praxis – Forschung – Archivierung. Innsbruck u.a.: StudienVerlag 2010 (Angewandte Literaturwissenschaft 10), S. 48-59, hier S. 49-53.

[39] Wieland Freund: Literaturkritik im Internet. In: Die Welt vom 31.1.2009, zitiert nach: http://www.welt.de/welt_print/article3123232/Literaturkritik-im-Internet.html (abgerufen am 23.5.2013).

[40] Vgl. Anz: Kontinuitäten und Veränderungen der Literaturkritik in Zeiten des Internets: Fünf Thesen und einige Bedenken, S. 54-57, Zitat S. 57.

[41] Zum Thema Kanon und literarische Wertung vgl. einführend Neuhaus: Literaturvermittlung, S. 43-60.

[42] Vgl. Felix Philipp Ingold: Zum aktuellen Status von Literatur und Literaturkritik. In: Felix Philipp Ingold: LyrikText (zuerst erschienen in Volltext, Heft 3/2014), URL: http://www.lyriktext.de/ingold-essays/laienherrschaft-n-in-klagenfurt-und-anderswo (abgerufen am 5.1.2015).

[43] Ebd.

[44] Ebd.

[45] Harold Bloom: The Western Canon. The Books and School of the Ages. New York: Riverhead Books 1994, S. 35.

[46] Vgl. Paul-Henri Campbell: Rezension eines Ressentiments. Felix Philipp Ingold hat sich radikalisiert (Replik auf VOLLTEXT Nr. 3/2014). In: Fixpoetry v. 26.11.2014, URL: http://www.fixpoetry.com/feuilleton/notizen/2014-11-26/rezension-eines-ressentiments (abgerufen am 5.1.2014).

[47] Ebd.

[48] Exemplarisch möchte ich nur ein Beispiel für die Pseudologik Campbells in einer Fußnote kurz diskutieren. Ingold stellt fest: „Wem aber sind noch Autoren vom Format einer Marie Luise Kaschnitz, einer Ilse Aichinger, eines Hans Erich Nossack oder Günter Eich gegenwärtig? Selbst Ingeborg Bachmann, die nach wie vor als Patronin der Klagenfurter Tage fungiert, scheint für die Wettbewerbsteilnehmer – wie übrigens auch für die Juroren – ihre Vorbildlichkeit verloren zu haben“ (Ingold: Zum aktuellen Status von Literatur und Literaturkritik). Daraus macht Campbell: „Er fragt, wo sie denn geblieben seien, die Glücklichen ‚vom Format einer Marie Luise Kaschnitz, einer Ilse Aichinger, eines Hans Erich Nossack oder Günter Eich‘ oder ‚selbst‘ Ingeborg Bachmann. Diese Liste an Garanten ist doppelt auffällig: Warum erwähnt Ingold nicht auch Luise Rinser oder Elisabeth Langgässer oder Heinz Konsalik? Es ist einfach den glorreichen Geist der Vergangenheit zu beschwören, wenn man die gefällige Geistlosigkeit der Vergangenheit, den ‚Trash‘ der Vorangegangen einfach ausblendet“ (Campbell: Rezension eines Ressentiments). Wieso, bitteschön, sollte sich die Jury an Konsalik orientieren, denn es geht in Ingolds Argumentation doch um die Autoren, die Bleibendes hinterlassen haben und nicht um die Trivial- und Unterhaltungsliteratur der Zeit? Weshalb wird durch das Verschweigen früherer Trivialliteratur Ingolds Argument ausgehebelt, dass es für ihn heute kaum Vergleichbares mehr gibt? Sinnvoller könnte man darüber diskutieren, ob Ingolds These hält, wenn man auf die anspruchsvolle Literatur der Gegenwart blickt.

[49] Vgl. etwa die 225 in der Rubrik „Rezensionen und Literaturkritik“ verzeichneten Angebote des ‚open directory‘ dmoz, URL: http://www.dmoz.org/World/Deutsch/Kultur/Literatur/Rezensionen_und_Literaturkritik (abgerufen am 6.1.2014).

[50] Zu der Unterscheidung von professionellen und Hobby-Lesern vgl. Neuhaus: Literaturvermittlung, S. 7 u. 15.

[51] Da es sich um Kundenbewertungen handelt, gibt es Texte, die sich lediglich auf den Kauf beziehen.

[52] Vgl. z.B. die Feststellung: „Eine herrliche Beobachtung der Strukturen des Gerichtswesens.“ Christoph „gnitzen“: Herrlich (Eintrag vom 9.11.2014), URL: http://www.amazon.de/review/R33FMUP644D0F9 (abgerufen am 6.1.2015).

[53] Vgl. Udo Kaube: Wahnsinn (Eintrag vom 4.7.2007), URL: http://www.amazon.de/review/R7R67Z2Z6YMUR (abgerufen am 6.1.2015).

[54] Kahlan Amnell: Der Prozess (Eintrag vom 5.12.2014), URL: http://www.amazon.de/review/R3VXFMAZ7ILLP5 (abgerufen am 6.1.2015).

[55] M. A. Spannring: Gepfefferte Farce auf … was eigentlich? (Eintrag vom 4.12.2014), URL: http://www.amazon.de/review/R3PPSAK3K8IH1S (abgerufen am 6.1.2015).

[56] Heinz-Joachim: Klassiker! (Eintrag vom 16.10.2014), URL: http://www.amazon.de/review/RRONI168LEOVX (abgerufen am 6.1.2015).

[57] Vgl. nice2829: Ein packendes Stück Weltliteratur (Eintrag vom 2.10.2008), URL: http://www.amazon.de/review/R2A1II4NCVPGNN (abgerufen am 6.1.2015).

[58] Vgl. die Liste unter der URL: http://www.amazon.de/product-reviews/3518456695/ref=cm_cr_pr_top_helpful?ie=UTF8&showViewpoints=0&sortBy=byRankDescending (abgerufen am 6.1.2015).

[59] ursual brinkmann: Die Erbin – John Grisham (Eintrag vom 24.4.2014), URL: http://www.amazon.de/review/R1F28OL3CI7RO5 (abgerufen am 6.1.2015).

[60] Jürgen Blechinger: Empfehlenswert (Eintrag vom 10.12.2014), URL: http://www.amazon.de/gp/pdp/profile/A2DRPLA88W11LX/ref=cm_aya_pdp_profile (abgerufen am 6.1.2015).

[61] DLA: Genial (Eintrag vom 11.3.2014), URL: http://www.amazon.de/gp/cdp/member-reviews/A38VARAPKM07QW/ref=cm_aya_bb_rev (abgerufen am 6.1.2015).

[62] Literatur und Lesen. Umfrage. In: poetenladen, URL: http://www.poetenladen.de/poet-literatur-und-lesen.htm (abgerufen am 29.6.2015).

[63] „Lesen fügt der Realität etwas hinzu“. Ina Hartwig im Gespräch mit Sibylla Vričić Hausmann für den poetenladen. In: poetenladen, URL: http://www.poetenladen.de/sibylla-vricic-hausmann-ina-hartwig.php (abgerufen am 02.07.2015).