Bakterien die wir zum Leben brauchen, die unserer Verdauung unterstützen, die Haut schützen oder uns auch krank machen, sind überall. Dass unsere Umwelt aber nicht ohne Mikroorganismen funktioniert, wird häufig vergessen. „Obwohl wir von Milliarden an Bakterien umgeben sind, wissen wir noch relativ wenig darüber, wie sie sich verhalten, verändern und sich neuen Begebenheiten anpassen. Auch darüber wie sie auf Umweltverschmutzungen durch Chemikalien, Befischungen oder den Eingriff der Menschen in die Umwelt reagieren, wissen wir noch viel zu wenig“, verdeutlicht Martin Hahn, Experte für Limnologie, „was wir allerdings wissen ist, dass die Umwelt ohne Mikroorganismen nicht funktionieren kann.“ Könnte man aus einem See jegliche Bakterien entfernen, dann würde dieser in sich zusammenbrechen, verdrecken und die Fische würden durch ihre eigenen Stoffwechselprodukte vergiftet werden, da keine Mikroorganismen mehr vorhanden sind, um diese zu beseitigen. „Die meisten Bakterien, die in der Natur vorkommen, sind der Wissenschaft praktisch unbekannt, da sie nie kultiviert wurden“, so der Wissenschaftler, der feststellen konnte, dass eine bestimmte Bakteriengruppe in wahrscheinlich allen Süßgewässern auf der Erde vorkommt. In einem vom FWF geförderten Projekt untersucht Hahn mit seinem Team, ob sich Bakterien an die klimatischen Bedingungen innerhalb Europas angepasst haben.
Minimalismus
Viele Tier- und Pflanzenarten, die im Mittelmeergebiet vorkommen, findet man in Nordeuropa nicht. Das Klima im Norden ist rauer, die Winter sind kalt, lang und dunkel. Aufgrund der unterschiedlichen klimatischen Bedingungen, ändert sich in Europa und in anderen Regionen die Zusammensetzung der Tier- und Pflanzenwelt von Süd nach Nord. „Unsere Forschung konzentriert sich hierbei auf eine Bakterienart, von der wir bereits vor Projektbeginn wussten, dass sie in Europa über einen weiten Klimagradienten vorkommt“, erläutert Hahn. In vielen Gewässern bilden Polynucleobacter Bakterien die häufigste Gruppe der Gewässerbakterien und wurden als Planktonorganismen in Seen schon früher im mediterranen Korsika sowie in Mittel- und in Nordeuropa von dem Limnologen nachgewiesen. Aufgrund der weiten Verbreitung stellt sich die Frage, ob südliche und nördliche Populationen unterschiedliche Anpassungen und Genausstattungen besitzen. Die untersuchte Bakterienart verzichtet anscheinend auf einen großen Teil ihrer Sinne. „Von ihren nächsten Verwandten unterscheiden sie sich dadurch, dass sie von allem viel weniger haben. Durch die reduzierte DNA können sie auch ihre Umwelt weniger gut wahrnehmen, da ihnen Sensoren fehlen, um Umweltveränderungen wahrzunehmen“, so der Limnologe, der noch nicht versteht, warum sie auf diese Art des Minimalismus bauen und welchen Vorteil dieser mit sich bringt. Auch beschränken sich die Polynucleobacter Bakterien auf einen passiven Lebensstil und vertrauen auf das Sonnenlicht, dessen UV-Strahlung durch Photooxidation die nahrhaften Huminstoffe in kleinere und damit für sie verwertbare Fragmente zersetzt. Die in weltweit allen Süßgewässern vorkommende Bakteriengruppe gibt den Limnologen noch zahlreiche Rätsel auf. „Wir wollen besser verstehen, wie die mikrobielle Diversität in der Umwelt aufgebaut ist und wie sie funktioniert“, so Hahn, der betont, dass ihn vor allem auch die Frage nach der Anpassung der Mikroorganismen an veränderte Klimabedingungen interessiert. Bei anderen Organismen konnte bereits bestätigt werden, dass sich die Nord-Grenze ihres Lebensraums immer weiter nach Norden verschiebt, während bei Bakterien diesbezüglich noch nichts bekannt ist.
Von Nord nach Süd
„Um dieser Frage nachzugehen, haben wir in den letzten drei Sommern Seen entlang eines Nord-Süd Gradienten in acht europäischen Ländern über eine Strecke von 3500 Kilometern beprobt. Die untersuchten Gewässer erstrecken sich von korsischen Seen, über heimische Gewässer bis hin zu Seen in Lappland nahe der Küste der Barentssee am nördlichen Rand Europas“, verdeutlicht Hahn. Aus den mitgebrachten Wasserproben wurden Bakterien der zu untersuchenden Art isoliert und im Labor kultiviert. Entgegen der Vorerfahrungen von Hahn und seinem Team erwies sich die Gewinnung einer ausreichend großen Anzahl von Reinkulturen als Herausforderung, die nur durch eine weiterentwickelte Methodik und viel Laborarbeit bewältigt werden konnte. Im Zuge der Untersuchungen wurden auch die chemisch-physikalischen Bedingungen in den beprobten Gewässern charakterisiert. So wurden in sieben Seen Temperaturlogger ausgebracht, die im Abstand von 30 Minuten die Wassertemperatur messen und die über den Exponierungszeitraum von ein oder zwei Jahren gemessenen Daten aufzeichneten. Daraus gewonnene Ergebnisse sollen weitere Erkenntnisse über den Lebensraum der dort isolierten Bakterien bringen. „Wir wollen untersuchen, ob Vertreter der Polynucleobacter Bakterien in den Tropen und im Norden vorkommen können und ob sie eher saure oder alkalische Bedingungen bevorzugen“, erläutert Hahn, der bereits belegen kann, dass es für jede Umgebung Spezialisten in der Gruppe der Polynucleobacter Bakterienart gibt. Um eine mögliche Biogeographie nachzuweisen analysieren die Limnologinnen und Limnologen auch die Genomgröße und Genausstattung der untersuchten Bakterien. „Eine spannende Frage der wir nachgehen ist, ob über den gesamten von uns untersuchten Klimagradienten von über 3000 Kilometern auch ein Genaustausch stattfindet. Die Bakterien könnten ‚Taxis’ wie Wasservögel oder den Wind benützen, um beispielsweise von Mitteleuropa nach Lappland zu reisen“, erläutert der Experte. Erste Analysen der Genomsequenzen von über 100 von uns isolierten Stämmen weisen auf vergleichsweise große Unterschiede in der Genomgröße und Genausstattung hin. Inwieweit zusätzliche Gene Anpassungsvorteile bewirken, bleibt noch abzuklären. „Umfangreiche vergleichende Genomanalysen und spezielle Untersuchungen zur Physiologie, werden uns genauere Einblicke in die Anpassungen der untersuchten Bakterien geben und werden zeigen, ob Vertreter dieser Bakterien sich an lokale Klimabedingungen angepasst haben. Für Badegäste und auch uns Forscher macht es schon einen Unterschied ob die sommerlichen Wassertemperaturen 25°C oder nur 10°C betragen“, schließt Hahn.