Ein Virus verändert die Gesellschaft

subject_09.5: Corona-Krise | Was versteht man unter „Maßnahmen“? Rächt sich die Globalisierung? Was können wir aus der Geschichte über Heilmittelforschung oder Reisebeschränkungen lernen?

News-Redaktion der Uni Innsbruck, November 2020

Die Corona-Pandemie wurde bisher vor allem als wissenschaftliche Herausforderung für Medizin, Pharmazie, Wirtschaft und Politik wahrgenommen. Doch was kann man aus der Geschichte über Seuchen lernen, wie geht die Kunst mit dem Virus um und welche Perspektiven werfen Theologie, Philosophie oder die Bildungswissenschaft auf die Pandemie? Wissenschaftler*innen der Universität Innsbruck beleuchten im Rahmen der Tagung „Corona verstehen. Die Pandemie aus der Sicht der Geistes- und Kulturwissenschaften“ die Krise aus gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und historischen Perspektiven. Einige der Themen aus dieser Tagung haben wir für diese subject-Ausgabe ausgewählt.

Virus für das Hochglanzmagazin

Es erinnert an ein bonbonfarbenes Plüschtier, an einen im Kosmos schwebenden unbekannten Planeten, an ein gallertartiges Gebilde, an eine stachelige Bedrohung – die Darstellungen und Animationen des Coronavirus könnten unterschiedlicher nicht sein und transportieren Botschaften mit einem bestimmten Kommunikationsziel. Martina Baleva vom Institut für Kunstgeschichte untersucht die Bildsprache des Coronavirus im Lauf der Zeit.

Man darf nicht vergessen, dass alle Bilder, die wir vom Virus kennen, von Menschen, von Künstler*innen und Kommu­nikations­designer*innen, gemacht wurden, die mit ihren Darstellungen ein bestimmtes Gefühl bei den Betrachtenden auslösen möchten.

Martina Baleva

Manche Darstellungen des Virus wirken verniedlichend, die rundlichen Noppen, in Blau- und Rosatönen gehalten, erinnern mehr an ein Spielzeug im Kinderzimmer als an ein krankmachendes Virus. Andere Assoziationen weckt ein Bild, in Blau oder Grau gehalten, auf dem das Virus mit langen Stacheln dargestellt ist. Die Bedrohlichkeit, die von diesem Bild ausgeht, unterstreicht die Gefahr für den menschlichen Körper.

Unsere Gesellschaft ist so sehr auf hochglanzpolierte Bilder getrimmt, dass wir auch von einem uns bedrohenden Virus solche Bilder brauchen.

Martina Baleva

„Meistens sehen wir aber sehr hübsche Bilder, die unserem ästhetischen Empfinden entgegenkommen und mit den Werbebildern, die wir aus Magazinen und dem Fernsehen gewohnt sind, konkurrieren. Auch das Virus muss auf einem Cover bestehen können – da passt ein ekelerregendes Bild nicht hin. Unsere Gesellschaft ist so sehr auf hochglanzpolierte Bilder getrimmt, dass wir auch von einem uns bedrohenden Virus solche Bilder brauchen“, verdeutlicht Baleva, die zudem betont, dass durch die verniedlichte Darstellung auch die Realität des versehrten Körpers, wie wir ihn von der Berichterstattung etwa von der Ebola-Epidemie kennen, verdrängt wird. Auch das Spiel mit einer Außerirdischen-Ästhetik und die Anleihen bei Science-Fiction unterstützt die Vorstellung, dass das Virus als etwas Fremdes, als ein noch unbekanntes Element erst noch erforscht werden muss. Bilder sind mehr als nur Darstellungen. Sie transportieren Botschaften, wecken Gefühle und Assoziationen und unterstützen die Kommunikation sensibler Themen wie dem Coronavirus.

Anne Siegetsleitner

Anne Siegetsleitner ist Professorin für Praktische Philosophie und betrachtet Begriffe wie „Maßnahmen“, „Notwendigkeit“ oder „Mitmachen“.

Bürokratisches Regieren mit Maßnahmen: Interview mit Anne Siegetsleitner

Anne Siegetsleitner ist Professorin für Praktische Philosophie an der Universität Innsbruck. Sie beleuchtet den politischen Umgang mit der Pandemie in Österreich unter der Perspektive von Ähnlichkeiten und Unterschieden zu einer bürokratischen Herrschaft im Sinne Hannah Arendts. Vor allem betrachtet die Wissenschaftlerin Begriffe wie „Maßnahmen“, „Notwendigkeit“ oder „Mitmachen“.

Seit März 2020 sind wir nicht nur mit gesundheitlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen in der Covid-19-Pandemie konfrontiert, sondern erleben auch neue politische Vorgehensweisen, die Sie in Ihrer Forschung auch analysieren. Worauf beziehen Sie sich konkret?

Anne Siegetsleitner: Im Zuge der Covid-19-Pandemie kam es wie in zahlreichen weiteren Staaten auch in Österreich auf unterschiedlichen Entscheidungsebenen zu sogenannten Maßnahmen. Undifferenziert von „Maßnahmen“ zu sprechen, erlaubt nicht nur, deren Charakter im Laufe einer Pandemie umzuinterpretieren, sondern es wurde auf das Muster einer instrumentellen Begründung zurückgegriffen. Die Maßnahmen seien notwendig, um das Corona-Virus zu bekämpfen. Ähnlich wie in anderen europäischen Staaten wurde in Österreich auf Bundesebene die konkrete Zielsetzung jedoch mehrmals verändert. Die Rhetorik der Notwendigkeit schien wichtiger als das konkrete Ziel.

Im speziellen ziehe ich Analysen der Philosophin und politischen Denkerin Hannah Arendt heran, um in mancherlei Hinsicht einzuordnen, wie die österreichische Politik, insbesondere die Bundesregierung, auf die Covid-19-Pandemie reagiert hat und noch immer reagiert. Arendt sprach in ihrem Werk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, das 1951 erschien, vom bürokratischen Regieren. Sie analysiert darin ein Regieren, das dem Stil der absoluten Monarchie entspricht, und führt nicht zufällig Österreich-Ungarn als Beispiel einer solchen Despotie an. Charakteristisch für diese Regierungsweise ist zudem der Verweis auf Notwendigkeit. Viele Passagen aus dem Abschnitt „Bürokratie: Die Erbschaft des Despotismus“ sind für das gegenwärtige Vorgehen erhellend, auch wenn wir es mit Abwandlungen zu tun haben und wir sicherlich nicht in einer Zeit totaler Herrschaft leben. Dies vorweg, damit das nicht falsch verstanden wird.

Im Zuge der Covid-19-Pandemie kam es wie in zahlreichen weiteren Staaten auch in Österreich auf unterschiedlichen Entscheidungsebenen zu sogenannten „Maßnahmen“, ein Wort, das die politische Kommunikation derzeit prägt.

Ich setze den Ausdruck „Maßnahmen“ unter Anführungszeichen, weil unter diesen Ausdruck vieles fällt: Gesetze, Verordnungen, Erlässe, aber auch konkrete Handlungen wie das Absperren von Parks, das Abstandhalten, die Errichtung von Notspitälern oder die Entwicklung einer App. Mal geht es um Empfehlungen, mal um Gebote und Verbote, mal um ein konkretes Tun. Die sehr unspezifische Redeweise erlaubt es zudem, nicht deklarieren zu müssen, um welche Art von „Maßnahme“ es sich handelt. Wie wir erfahren haben, erlaubt dies nicht zuletzt, den Charakter von „Maßnahmen“ im Laufe der Pandemie unterschiedlich zu kommunizieren und auch umzudeuten. Was lange Zeit eine strikte Vorgabe zu sein schien, wurde beispielsweise zur bloßen Empfehlung. Zudem wurde das Verhalten von Menschen, ohne darüber nachzudenken, als ein Befolgen von „Maßnahmen“ gedeutet. Wenn Menschen einen medizinisch sinnvollen Abstand zu anderen hielten, wurde das selbstverständlich als ein Ausweis von Disziplin und Gehorsam verstanden. Möglicherweise war es jedoch einfach der Ausdruck von Rücksicht und Klugheit. Ich fühlte mich deswegen häufig ungerechtfertigterweise vereinnahmt. Das Grundmodell der „Maßnahme“ scheint der Befehl zu sein, die angemessene Reaktionsweise Gehorsam oder eben Gehorsamsverweigerung, die wiederum mit Strafe bedroht wird. Das sagt etwas über die Regierungsweise und über das Verständnis des Regierens aus, und zwar von Regierenden und Regierten.

Sie beziehen sich auch auf die „Notwendigkeit“. Sind Maßnahmen alternativlos?

Das Notwendige ist immer das Unabänderliche, nicht Hinterfragbare. Notwendigkeit kommt beim bürokratischen Regieren in mehrfacher Weise zum Tragen. Zum einen kann mit Notwendigkeit auf eine Art nicht zu hinterfragende göttliche oder natürliche Ordnung verwiesen werden, wie es in Monarchien, die sich auf ein Gottesgnadentum beriefen, der Fall war. Wo es keine Alternativen zu geben scheint, haben wir den Bereich des Politischen als einen Raum der Freiheit im Sinne Arendts übrigens schon verlassen. Wo mit Notwendigkeit argumentiert wird, geht es mehr ums Verwalten und Managen als um politisches Gestalten. Es kann jedoch auch eine andere Art der Notwendigkeit herangezogen werden, mit der Alternativlosigkeit begründet wird. Gegenwärtig haben wir es mit der Argumentationsstruktur einer instrumentellen Begründung zu tun und somit mit instrumenteller Notwendigkeit. Es geht um Mittel, die notwendig sind, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Mittel rechtfertigen sich in einer instrumentellen Begründung durch ihre Notwendigkeit für legitime Zwecke. Entsprechend läuft die Rechtfertigung der „Maßnahmen“ über die Behauptung, diese seien notwendig, um das Sars-CoV-2-Virus zu bekämpfen. Auf Bundesebene wurde die Zielsetzung jedoch mehrmals verändert, von der der Vermeidung einer Überforderung des Gesundheitswesens, der Erreichen bestimmter Zahlenwerte bis hin zur Vermeidung möglichst vieler Toter. Die Rhetorik der Notwendigkeit schien wichtiger als das konkrete Ziel. Mit Notwendigkeit wird vermittelt, dass es unabänderlich und nicht zu hinterfragen ist.

Die Bevölkerung wird durchwegs zum „Mitmachen“ aufgefordert. Sprechen wir nicht von einem großen, gemeinsamen Vorhaben?

Es scheint ein Projekt der Regierung zu sein, bei dem man mitmachen kann oder auch nicht. Es geht jedoch um das Verhindern von Krankheit und Tod. Ich gehe davon aus, dass das ein Anliegen der Menschen ist, bei dem sie nicht einfach mitmachen sollen und dazu motiviert werden müssen. Ich meine nicht, dass es dazu, bei all den Nachteilen, die damit verbunden sind, keine Unterstützung braucht, doch ist es ein Unterschied, als wessen ursprüngliches Anliegen es gedacht wird. Als dass der Menschen oder als das einer Regierung, die mit Polizei und Strafe droht. Es geht auch nicht darum, in einen Kampf zu ziehen, obwohl wiederum genauso gesprochen wurde.

Überwachung und Rechtsstaat

Andreas Müller ist Universitätsprofessor für Recht am Institut für Europarecht und Völkerrecht der Universität Innsbruck. Für ihn ist klar: In der Coronakrise müssen dem Staat mehr Möglichkeiten auch für die Kontrolle des Privatbereichs eingeräumt werden. Überwachung und Rechtsstaat sind für ihn kein Widerspruch. Neben dem Schutz der Privatsphäre muss der Staat auch den Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit garantieren. Maßnahmen müssen aber demokratisch legitimiert sein, unter gerichtlicher Kontrolle stehen, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren und in sich konsistent sein, wie er hier erklärt.

Pandemien: Die Schatten der Globalisierung

Robert Rollinger, Professor am Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik, untersucht die Verbreitung von Krankheitserregern in der Alten Welt.

Robert Rollinger

Robert Rollinger, Professor am Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik.

Wenn mit aufkommender Globalisierung Waren und Menschen rund um die Welt transportiert werden, bringt dies nicht nur wirtschaftliche Verbesserungen, technischen Fortschritt, internationale Kontakte, die Verbreitung von Sprachen oder Kulturen. Mit der immer enger werdenden globalen Vernetzung breiten sich auch ungewollte Krankheitserreger leichter aus.

Pocken, Beulenpest, Syphilis bis zu SARS oder COVID-19 – die Menschheit wurde bisher schon von vielen Seuchen und Pandemien getroffen. Robert Rollinger, Professor am Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik, untersucht die Verbreitung von Krankheitserregern in der Alten Welt und erkennt, dass sich Unheil bringende Krankheitserreger schon seit der Neolithischen Revolution mit der Entstehung von Dauersiedlungen und einem immer engeren Mensch-Tier-Kontakt seit etwa 10.000 v. Chr. herausgebildet und in der Folge verstärkt verbreitet haben.

Globalisierung ist kein modernes Phänomen, sondern eines, das schon in der Frühzeit entstanden ist.

Robert Rollinger

„Wir betrachten die Kulturen der antiken Welten Afro-Eurasiens nicht mehr isoliert, sondern werfen einen vernetzten Blickwinkel auf eine protoglobalisierte Welt, also auf eine Welt, die bereits über enge Kontakte und Verknüpfungen verfügt“, erläutert Rollinger. Die Entstehung von Viehzucht, Landwirtschaft und Ackerbau sowie die beginnende Domestizierung von Tieren und das Züchten von Pflanzen für höhere Erträge markiert in der Weltgeschichte auch eine wirtschaftliche Wende. „Die neuen Erkenntnisse und mit ihnen Weizen, Gerste, Schafe, Ziegen oder Rinder wurden schon früh in andere Weltgegenden transportiert. Man weiß, dass bereits Ackerbauern aus dem heutigen Vorderasien seit dem 9./8. Jahrtausend v. Chr. in die verschiedensten Himmelsrichtungen gewandert sind und so ihre Kulturtechniken über Anatolien, die heutige Türkei, und den Balkan bis nach Europa gebracht haben. Dieselbe Wanderbewegung hat auch in den Osten, über den Iran bis nach Zentralasien und Indien stattgefunden“, skizziert Rollinger ein Beispiel von frühen Wanderungen. Mit dem Transport von Waren und Kenntnissen auf den sich entwickelnden Handelsrouten und mit der ständigen Verbesserung der Transportmittel wurden aber auch Keime und Krankheiten immer rascher verbreitet.

hölzernes Scheibenrad

Vor allem die Erfindung des Scheibenrads und des Wagens, die Domestizierung des Pferdes, die aufkommende Schifffahrt haben, wie wesentlich später die Eisenbahn und der moderne Flugverkehr, maßgeblich zur Beschleunigung beigetragen.

Robert Rollinger

Mumie des Pharaos Ramses V.

Der älteste Nachweis von Pocken etwa ist auf der Mumie des Pharaos Ramses V. zu sehen, dessen Wange von Pockennarben übersät war .

Ratten reisen um die Welt

In solchen Kontexten dürfte im 4. Jahrtausend v. Chr. das Bakterium Yersinia Pestis und damit die Beulenpest entstanden sein. Ratten haben Flöhe, als eigentliche Überträger des Bakteriums, auf der Welt verbreitet. „Die Tiere haben eigentlich einen sehr eingeschränkten Lebensraum von wenigen 100 Metern, in dem sie sich in ihrem Leben bewegen. Die in europäischen Steppenlandschaften pastoralnomadisch lebenden Träger der Yamnaya-Kultur haben auf Wägen bei der Wanderbewegung Ende des 4. Jahrtausends v. Chr. nach Ost- und Mitteleuropa ungewollt auch Ratten und mit ihnen die Flöhe mit dem Pesterreger transportiert. Befeuert wurde die Verbreitung in dieser Zeit zusätzlich durch den engen Mensch-Tier-Kontakt in den Wagenkolonnen“, erläutert Rollinger. Ratten wurden aber nicht nur am Land, sondern auch auf dem Wasser von Menschen transportiert. „Mit dem aufkommenden Schiffsverkehr wurde die schwarze Ratte um 2.000 v. Chr. von Indien nach Afrika und Asien verbreitet. Es ist also möglich, diese frühe Form der Globalisierung mit der Verbreitung von Pandemien zu verknüpfen“, erläutert der Wissenschaftler, der ergänzt, dass auch die Entstehung von Kriegerkulturen, Plünderungen und Raub zur vermehrten Ausbreitung von Krankheiten beigetragen haben. Erst seit kurzem ist es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern möglich, anhand moderner DNA-Analysen von Zahnproben aus archäologischen Grabungen den Erreger der Beulenpest, aber auch die Ausbreitung von Seuchen wie Syphilis oder die Pocken an vielen Grabungsstätten in Europa nachzuweisen. „Die immer enger werdende Zusammenarbeit zwischen Natur- und Geisteswissenschaften ist in diesem Bereich besonders wertvoll. Ohne die neuesten Analyse-Methoden wären diese herausragenden Befunde nicht möglich“, so Rollinger. Zahlreiche dieser Krankheitserreger entstanden im alten Afro-Eurasien. Das weiß man inzwischen übrigens auch von der Syphilis, deren Entstehung man bisher gerne gemeinhin in den vorkolumbischen Amerikas verortet hat. „Bis vor kurzem ist die Wissenschaft davon ausgegangen, dass diese Seuche erst mit der Entdeckung Amerikas verbreitet wurde. Neueste Erkenntnisse aus Untersuchungen von Knochenmaterialien aus der inzwischen berühmten Grabung des städtischen Gräberfeldes von St. Pölten legen nahe, dass bereits im 14. Jahrhundert n. Chr. die Menschen in Österreich unter Syphilis gelitten haben dürften“, so Rollinger.

Pestdoktor mit Vogelmaske

Ratten dürften im 4. Jahrtausend v. Chr. Flöhe, als eigentliche Überträger des Bakteriums Yersinia Pestis, auf der Welt verbreitet haben. Damit ist die Beulenpest entstanden.

Motor der Globalisierung

Die Welt entwickelt sich und seit dem 5. Jahrtausend v. Chr. lernen Menschen mit Metallen umzugehen, sie abzubauen, einzuschmelzen und miteinander zu verbinden. Bronze, eine Legierung aus Kupfer und Zinn, ist seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. das geläufigste Material und trägt zur Qualitätssteigerung von Waffen und Werkzeugen bei. „Kupfer findet man vor allem im Iran und in Anatolien. Zinn-Lagerstätten waren aber sehr disparat und finden sich vor allem in Cornwall in England oder in Usbekistan und Kirgistan in Zentralasien. Die Bronzezeit wurde damals zum Motor der Globalisierung, da die Metalle aus unterschiedlichsten Weltgegenden kommen und in allen großen Kulturen verhandelt wurden. Dieser vernetzte Kulturraum zieht sich von Großbritannien bis nach China und schließt auch große Teile Nordafrikas mit ein. Jene Dynamik der Globalisierung, wie wir sie heute erleben, hat es damals natürlich noch nicht gegeben. Das Grundprinzip war allerdings schon vorhanden“, erläutert der Experte für Alte Geschichte. In der Spätbronzezeit, etwa 1.500 bis 1.000 v. Chr., intensivieren sich die Kontakte zusehends und weitere seuchenartige Krankheiten treten vermehrt in schriftlichen Quellen auf. Auch Pocken wurden in dieser Zeit verbreitet. „Der älteste Nachweis von Pocken etwa ist auf der Mumie des Pharaos Ramses V. zu sehen, dessen Wange von Pockennarben übersät war“, skizziert der Wissenschaftler, der verdeutlicht, dass viele Epidemien oder Seuchen in der Alten Welt heute allerdings mehr nicht eindeutig zuordenbar sind. Nachweisbar aber ist, dass seit etwa 10.000 v. Chr. die Vernetzung zwischen den Menschen stetig zunimmt und Distanzen durch die Entwicklung neuer Transportmöglichkeiten zunehmend verringert werden. Rollinger sieht auch die hohe Geschwindigkeit, mit der heute Distanzen überwunden werden können, den enormen Zuwachs der Weltbevölkerung und die dadurch immer enger werdenden Kontakte kritisch: „Im 18. Jahrhundert hat sich die Weltbevölkerung zum ersten Mal verdoppelt und im 20. Jahrhundert vervierfacht. Die bedrohliche Vorstellung ist, dass sich eine Pandemie auch heute nicht auf Knopfdruck lösen lässt und wir durch die enorme Beschleunigung Pandemien häufiger erleben könnten.“

Der Seuche begegnen: Heilmittelforschung

Elisabeth Dietrich-Daum ist Medizinhistorikerin und beschäftigt sich mit einem Thema, das auch in der Corona-Pandemie zentral ist: der Forschung an Heilmitteln.

Elisabeth Dietrich-Daum

Elisabeth Dietrich-Daum ist Professorin am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck.

Während aktuell weltweit nach einem geeigneten Impfstoff geforscht wird und erste Erfolge gemeldet werden, wirft die Medizinhistorikerin Elisabeth Dietrich-Daum einen Blick zurück in die Geschichte der Forschung an und mit Arzneimitteln.

Elisabeth Dietrich-Daum ist Professorin am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck. (Bild: Dietrich-Daum)

Auch wenn man vergangene Pandemien und Epidemien keinesfalls miteinander vergleichen kann, weil die Zeit und die Rahmenbedingungen, in denen sie stattgefunden haben, zu unterschiedlich sind, so hilft uns ein Blick in die Geschichte dennoch, diese Phänomene besser zu verstehen.

Medizinhistorikerin Elisabeth Dietrich-Daum

Vermeintliches Heilmittel

Eine Krankheit und deren Heilversuche, mit der sich die Wissenschaftlerin besonders auseinandergesetzt hat, ist die Tuberkulose. In Europa traf die Infektionskrankheit die Stadt Wien besonders schlimm und wurde deshalb auch als „Wiener Krankheit“ bezeichnet. 1867 etwa ließen sich rund 26,5 Prozent der Sterbefälle in Wien auf Tuberkulose zurückführen, 40 bis 50 Prozent aller Betten der medizinischen Abteilungen der Wiener Spitäler waren mit Tuberkulosepatient*innen belegt. Vor rund 130 Jahren kam dann die erlösende Nachricht: Robert Koch hatte mit der Entdeckung von Tuberkulin vermeintlich ein kuratives Medikament gefunden. Doch das Heilmittel hat sich als Fehlschlag erwiesen. Es hatte keine Wirksamkeit, war mitunter sogar gefährlich und ist heute vielen als Tuberkulin-Skandal noch im Gedächtnis.

Auch in Tirol wurden zwischen 1913 und 1915 Versuche mit Tuberkulin durchgeführt, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits große Teile der Ärzteschaft von der Unwirksamkeit bzw. der Gefahr von Tuberkulin überzeugt war. Dem Teil, der weiterhin eine Chance in Tuberkulin als Heilmittel sah, gehörte der Leiter der Sanitätsbehörde in Tirol, Adolf Kutschera-Aichbergen, an. Durch eine neue Anwendungsmethode, nämlich Einreibung statt intravenöser Injektion, wollte er Tuberkulin sanfter anwenden und es so doch noch zum Erfolg führen. Zum Teil ohne deren Wissen und Einverständnis führte er seine Versuche an Ordensschwestern in Innsbruck und Zams durch. Aufgrund des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs mussten die Versuche schließlich abgebrochen werden, Erfolgsberichte blieben aus.

Impfskepsis

In der Entwicklung und Testung von Arzneimitteln und Impfstoffen müssen heute strenge Verfahren eingehalten werden, auch ethische Aspekte spielen eine wichtige Rolle. Viele tödliche Krankheiten sind nicht zuletzt durch Impfungen in Europa nahezu verschwunden. Trotzdem gibt es in Teilen der Bevölkerung noch immer eine gewisse Impfskepsis. Dietrich-Daum führt diese aber nicht ausschließlich auf negative Erfahrungen aus der Vergangenheit zurück: „In der Geschichte gab es in der Tat durch Impfstoffe verursachte Tragödien, wie etwa das Lübecker Impfunglück 1930, bei dem 77 Kinder starben. Wie erwähnt, haben diese Impfungen unter völlig anderen Bedingungen stattgefunden. Natürlich bleibt so etwas im kollektiven Gedächtnis, entscheidender für die aktuelle Impfskepsis ist meines Erachtens aber die Tatsache, dass wir – und damit meine ich die medizinisch bestens versorgte westliche Welt – das Gefühl haben, ‚immun‘ zu sein gegen Pandemien. Wir sind sozusagen ‚Opfer‘ des medizinischen Fortschritts.“ Hinzu kommen Falschmeldungen und Verschwörungstheorien, die sich über soziale Medien schnell verbreiten können. „Es liegt in der Natur dieser Plattformen, dass Meldungen möglichst kurz und einfach konsumierbar sind. Sie müssen sich zudem in der Flut an Informationen durchsetzen. Vor allem Zeit ist hier eine knappe Ressource. Wissenschaft lässt sich nicht immer auf diese Anforderungen herunterbrechen. Sie ist komplexer, es gibt unterschiedliche Standpunkte und es bedarf Zeit, sie zu verstehen. Außerdem entwickelt sie sich ständig weiter. Mein Eindruck ist auch, dass Wissenschaft noch immer verstärkt über die sogenannten ‚klassischen Medien‘ kommuniziert und deshalb von vielen gar nicht wahrgenommen wird“, schätzt Dietrich-Daum die Rolle von sozialen Medien und Wissenschaft im Zusammenhang mit der Impfskepsis ein.

Kinder die geimpft werden

Die Impfung gegen Kinderlähmung hat ihren Durchbruch erst als kostenlose Schluckimpfung erreicht.

Lehren aus der Vergangenheit

Wie kann es trotz dieser Hürden gelingen, einen Großteil der Bevölkerung gegen COVID-19 zu impfen? Auch dazu blickt die Medizinhistorikerin in die Vergangenheit: „Am Beispiel der Polioimpfung sehen wir, welche Voraussetzungen eine erfolgreiche Impfkampagne erfüllen sollte“, so Dietrich-Daum. Während die Polioimpfung zunächst aus drei Teilimpfungen bestand und sehr teuer war, hat sie ihren Durchbruch erst als Gratis-Schluckimpfung erreicht. „Es muss ein gewisser Leidensdruck in der Bevölkerung bestehen, die Bevölkerung muss sowohl über die Krankheit wie auch über den Impfstoff aufgeklärt sein und die Impfung muss gratis sein. Wichtig ist auch die Darreichungsform. Wovon aus Sicht der Medizingeschichte abgeraten werden muss, ist eine Impfpflicht“, fasst die Medizinhistorikerin die Lehren aus der Vergangenheit zusammen.

Als der Tourismus schon einmal vor dem Aus stand

Der Wirtschaftshistoriker Wolfgang Meixner blickt in die Vergangenheit, als die heimische Tourismuswirtschaft schon einmal stark von Reisebeschränkungen getroffen wurde.

Wolfgang Meixner

Wolfgang Meixner vom Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie.

Der Tiroler Tourismus sei seit je her stark durch ausländische Gäste geprägt, wobei Besucher*innen aus Deutschland mit Abstand den größten Anteil stellen. „Damit ist die jährliche, aber auch saisonale Entwicklung des Tourismus stark von den Gegebenheiten in den Herkunftsländern abhängig und unterliegt konjunkturellen Schwankungen“, sagt Wolfgang Meixner. Die durch die Pandemie bedingte Entwicklung ist insofern einzigartig, als es im Tiroler Tourismus nach 1945 noch keinen Einbruch bei den Nächtigungen von über 18 Prozent gegeben hat. Man muss schon in die Zeit der Ersten Republik zurückschauen, um eine ähnlich dramatische Entwicklung festzustellen.

Reisebeschränkungen treffen Tourismus

Nach Ende des Ersten Weltkrieges war der Tourismus anfangs durch Reise- und Passvorschriften sowie Visagebühren gehemmt. „Insbesondere der Visumzwang zwischen Deutschland und Österreich beeinträchtigte den Tiroler Tourismus“, schildert der Historiker eine Situation, die sich erst ab Mitte der 1920er-Jahre besserte. Anfang der 1930er-Jahre folgte mit der „100-Mark-Gebühr“ der nächste Schlag für die heimischen Tourismusbetriebe. „Aus finanzpolitischen Überlegungen in Folge der Weltwirtschaftskrise hatte Deutschland ab dem 22. Juli 1931 für jede Auslandsreise eines Reichsangehörigen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland bei der zuständigen Passbehörde eine Gebühr von 100 Reichsmark eingehoben“, so Meixner. „Bereits einen Tag nach der Einführung dieser Regelungen saßen im D-Zug nach Basel nur mehr 24 Fahrgäste, ein Flug nach London verzeichnete nur mehr einen Passagier an Bord und Flüge nach Paris, Zürich und Wien nur mehr je zwei.“ Die Auswirkungen der deutschen Regelung trafen allerdings nicht nur die österreichische Tourismuswirtschaft, sondern auch deutsche Reiseveranstalter, Verkehrsbetriebe und die Bahn. Aufgrund heftiger Proteste wurde die „100-Mark-Gebühr“ vorzeitig – sie war bis Oktober gedacht gewesen – am 26. August 1931 wieder aufgehoben.

Person beim skifahren

Hitler wollte Wirtschaft lahmlegen

Mit der deutschen „1.000-Mark-Sperre“ wurde die Ausreise nach Österreich 1933 erneut erschwert. „Hier handelte es sich nicht so sehr um eine wirtschaftliche Intervention, als vielmehr um eine politisch motivierte und von Adolf Hitler persönlich verfolgte Strategie, die österreichische Wirtschaft lahmzulegen. Sie traf Österreich zu einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit“, erzählt Wolfgang Meixner. Im April 1933 wurde ein Sichtvermerk für die Ausreise deutscher Staatsbürger eingeführt, und am 1. Juni wurde damit begonnen, eine Ausreisetaxe für das Ausreisevisum nach Österreich in der Höhe von 1.000 Reichsmark einzuheben. „Der Schaden für den österreichischen Tourismus war immens und rief zahlreiche Reaktionen hervor. Nicht zuletzt, weil diese Gebühr enorm hoch war und heute etwa 3.500 Euro entspricht“, schildert der Historiker. In Tirol verzeichnete man 1933 nur mehr 31 Prozent der Nächtigungen des Vorjahrs; der Anteil der Reichsdeutschen an den Nächtigungen ging um 72 Prozent zurück. In der Folge stieg die Zahl der Arbeitslosen in der sommerlichen Hochsaison um das Dreifache zum Vorjahr an.

Zwei Personen beim Wandern in den Alpen

Wege aus der Krise

Die bereits angeschlagene finanzielle Lage der österreichischen Tourismusbetriebe verschlechterte sich weiter. Deshalb beschloss die Regierung eine Soforthilfe in der Höhe von acht Millionen Schilling (einem Zehntel der Verschuldung der Betriebe). Zudem wurde eine „Hoteltreuhandstelle“ gegründet, die Zwangsversteigerungen verhindern sollte. Die österreichische Tourismuswerbung, die bis 1933 in der Hand der Österreichischen Bundesbahnen und des Österreichischen Verkehrsbüros lag, wurde gebündelt und ein „Werbedienst“ im Staatssekretariat für Arbeitsbeschaffung und Fremdenverkehr eingerichtet, der u.a. Journalist*innenreisen nach Österreich organisierte. In der Auslandswerbung wurde versucht, neue Quellländer zu erschließen. 1934 fusionierte der „Werbedienst“ mit der Werbeabteilung des Österreichischen Verkehrsbüros. Dadurch sollte eine koordinierte gesamtösterreichische Tourismuswerbung entstehen. In der Folge kamen ab 1934 zahlreiche Werbefilme und Diaserien zur Bewerbung Österreichs als Urlaubsdestination zum Einsatz. Es wurden Millionen Broschüren und Plakate gedruckt.
Nach dem Juliputsch 1934 und der Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß wurden die Reisebeschränkungen ab 1935 wieder gelockert. Das so genannte „Juliabkommen 1936“ beinhaltete die Aufhebung der „1.000-Mark-Sperre“.

Person beim Skifahren

Entwurf Atelier Binder (Joseph Binder, 1898 - 1972)

Jede Krise auch eine Chance

Trotz unterschiedlicher Ausgangslagen lasse sich die Tourismus-Krise in der Zwischenkriegszeit durchaus mit der heutigen Situation vergleichen, sagt Wolfgang Meixner. Die Lösungen der Zwischenkriegszeit zeigen für ihn, dass jede Krise auch eine Chance darstellt. „Es kam in der Zeit der ‚1.000-Mark-Sperre‘ nicht nur zu einer stärkeren Institutionalisierung der Tourismuswerbung auf Bundesebene, sondern auch zu einer verstärkten Fokussierung auf neue touristische Quellmärkte“, fasst er zusammen. „Den beiden Krisen in den 1930er-Jahren war eine seit 1923 andauernde Phase einer erhöhten Arbeitslosigkeit vorangegangen. Eine ähnliche Tendenz lässt sich auch vor der Corona-Pandemie feststellen“, so Meixner. „2012 hatte die Arbeitslosenquote bei 7 Prozent gelegen und war bis 2017 auf 9,1 Prozent angestiegen. Im Jahr vor dem Ausbruch der Pandemie lag sie bei 7,7 Prozent. Je nach Dauer der Krise – und es ist mit einem mehrjährigen wirtschaftlichen Einbruch zu rechnen –, wird sich zeigen, wie sich die hohe Arbeitslosenquote bzw. Kurzarbeit entwickelt.“ Im Vergleich zum Vorjahr sind die Übernachtungen in der Sommersaison in Tirol von Mai bis Oktober 2020 um knapp 30 Prozent zurückgegangen.

Deutungsreigen

Schon seit Beginn wird die aktuelle Krise unterschiedlich gedeutet. Dafür ist es aber wohl zu früh, betont der Zeithistoriker Dirk Rupnow.

Dirk Rupnow

Zeithistoriker Dirk Rupnow.

Die Corona-Pandemie bringt das Ende des Kapitalismus. Leitet es zumindest ein. Nein, stärkt ihn. Dafür ist die Wende hin zu einer nachhaltigen Reaktion auf den Klimawandel geschafft. Oder nicht, weil auf absehbare Zeit anderes im Vordergrund stehen wird. Solidarität wird gestärkt. Oder doch eher geschwächt, in den einzelnen Gesellschaften wie auch global. Alles wird sich ändern – oder bleibt alles gleich? Die vergangenen Monate waren voller Deutungen der Krise: „Gefühlt ging es in Woche eins des ersten Lockdowns los mit Großerklärungen, was uns jetzt erwartet und welche Bedeutung die Corona-Krise haben wird“, sagt Univ.-Prof. Dirk Rupnow vom Institut für Zeitgeschichte. „In Wahrheit war es dafür viel zu früh – und ist es vermutlich immer noch. Es deutet einiges darauf hin, dass jeder und jede die Krise einfach für die ihm passende Vision der Zukunft nutzt – und Beweise dafür sieht, dass diese Zukunft nun unweigerlich eintreten wird. Spannend ist dabei eher die Frage, welches Begehren, welche Wünsche und Bedürfnisse man aus diesen Deutungen herauslesen kann.“

Historische Perspektive

Beispiel Spanische Grippe: Die letzte große und weltumspannende Pandemie ist derzeit wieder in aller Munde, im kollektiven Gedächtnis ist sie allerdings kaum verankert. „Die ‚Spanische Grippe’ hat vor etwas mehr als 100 Jahren weit mehr Todesopfer gefordert als der Erste Weltkrieg, mit dem sie überlappt, manche Schätzungen gehen sogar bis zu 100 Millionen Opfern, also mehr als die Toten des Ersten und Zweiten Weltkriegs zusammen. Dennoch ist sie als Ereignis weder besonders prominentes Thema im Schulunterricht noch gibt es öffentliche oder auch private Gedächtnismomente daran, obwohl viele Familien Angehörige an diese Krankheit verloren haben müssen“, sagt Dirk Rupnow. „Ein Erklärungsansatz dafür könnte natürlich der Erste Weltkrieg und die darauffolgende politische Neuordnung weiter Teile der Welt sein, vor allem aus europäischer Perspektive.“ Oder auch der Charakter der Pandemie als „Naturgewalt“, quasi zufällig, gegen die man nichts unternehmen kann und der man sich unterwerfen muss, im Gegensatz zum offensichtlich menschgemachten Krieg, bei dem es auch zuordenbare Gegner gibt.

Ein spanischer Outdoor Frisörsalon

Maskentragen zur Zeit der Spanischen Grippe, hier auf dem Campus der University of California, Berkeley im Januar 1919.

Wird es auch bei dieser Pandemie so sein – haben wir sie in zehn Jahren weitgehend verdrängt und vergessen? „Natürlich ist auch die aktuelle Pandemie menschgemacht, genauso wie es die Spanische Grippe war. Immer mehr Menschen leben auf immer engerem Raum auch mit Tieren zusammen, Krankheiten springen über, das erklären uns Virologen schon lang. Aber dieser Zusammenhang ist komplexer als der Schuss in Sarajevo, um beim Ersten Weltkrieg zu bleiben, und damit schwerer zu fassen.“ Es gibt allerdings auch ein prominentes Gegenbeispiel zur Spanischen Grippe: Die Pest. Diese Krankheit trat dafür nicht als einzelne, einem vergleichsweise engen Zeitraum zuordenbare Pandemie auf, sondern entwickelte sich mit zahlreichen Epidemiewellen fast zu einem Dauerproblem, nicht nur, aber ganz prominent auch in Europa. Die Pest hat uns jedenfalls zahlreiche kulturelle Werke hinterlassen, von Kirchenbauten über Pestsäulen bis hin zu Musikstücken, die allesamt schon hunderte Jahre überdauern. „Das kann wiederum, eben im Gegensatz zur Spanischen Grippe, auch daran liegen, dass die Pest sozusagen ‚Dauerproblem‘ war und allein deshalb über einen breiten Zeitraum rezipiert wurde“, sagt Dirk Rupnow.

Grippe oder Pest?

Wird die Corona-Pandemie nun ähnlich nachwirken wie die Pest, werden sich Bevölkerungen noch in einhundert Jahren daran erinnern? Oder wird sie wie die Spanische Grippe weitgehend vergessen sein? „Corona zeigt uns Schwachstellen im System. Das heißt aber – leider – noch lange nicht, dass diese Schwachstellen hinterher auch behoben werden“, betont der Historiker. Die Krise kann eine Chance sein – aber eine Chance wofür, das zeigt sich erst in der längeren Perspektive. Und ob sie genutzt wurde, auch.

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© News-Redaktion der Universität Innsbruck 2020

Mit Beiträgen von: Christian Flatz, Udo Haefeker, Stefan Hohenwarter, Lisa Marchl, Daniela Pümpel

Fotocredit, wenn nicht anders angegeben: Universität Innsbruck

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