Expedition in die Hocharktis
Daten aus 30 noch unerforschten Höhlen geben Aufschluss über frühere Warmphasen.
Text: Daniela Pümpel, Büro für Öffentlichkeitsarbeit, Universität Innsbruck
Bilder: Robbie Shone
Ein internationales Team aus Forschenden der Universitäten Innsbruck, Oxford, Sheffield und Akron ist kürzlich von einer erfolgreichen Expedition in eine abgelegene Region im Norden Grönlands zurückgekehrt.
START-Preisträgerin Gina Moseley von der Uni Innsbruck leitete die Expedition in 30 bisher noch unerforschte Höhlen. Die Vielzahl an gesammelten Daten sollen Aufschluss über die Entwicklung frühere Warmphasen geben und sind die Basis für weitere Forschungen.
Gina Moseley in einer der Höhlen.
Die arktische Region wird in den nächsten Jahrhunderten infolge des Klimawandels voraussichtlich einige der größten Klima- und Umweltveränderungen erleben. Die Konsequenzen dieser Veränderungen werden weltweit spürbar sein, beispielsweise durch steigende Meeresspiegel oder Veränderungen der Wettersysteme in der nördlichen Hemisphäre.
„Eine Verbesserung des Verständnisses, wie sich die Arktis in einer wärmeren Welt entwickeln wird, ist daher von höchster Priorität. Eine der Möglichkeiten, das zu erreichen, ist, wärmere Perioden der jüngsten geologischen Vergangenheit zu studieren.“
Gina Moseley, Institut für Geologie der Universität Innsbruck
Dazu brach Moseley gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen zu einer Expedition nach Grönland auf, wo sie als Team von „Greenland Caves Project“, einem Forschungsprojekt zum Klimawandel, über 30 Höhlen, die noch nie zuvor besucht wurden, erforschten. Dabei brachen sie ihre eigenen Rekorde für die längste und nördlichste erforschte Höhle der Erde. Die vielen gesammelten Proben sind die Basis der Arbeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den nächsten fünf Jahren.
Paul Töchterle errichtet einen Stolperdrahtzaun rund um die Zelte.
Durch Paläoklimaforschung wollen die Expertinnen und Experten verstehen, wie sich diese Region, die sehr empfindlich auf den Klimawandel reagiert, in einer wärmeren und feuchteren Welt verändern wird. Ziele des Projekts sind jene Zeiträume in der jüngsten geologischen Vergangenheit Grönlands, in denen es wärmer und feuchter war als heute. Die Forscher wollen die Stabilität des Klimas in diesen Intervallen rekonstruieren und die Temperaturänderungen vergangener Warmzeiten präzise erfassen.
[Video Greenland]
Archiviertes Wissen
Nordgrönland ist eines der Gebiete der Erde, die besonders sensibel auf den Klimawandel reagieren und denen große Veränderungen bevorstehen. Bisher sind nur sehr spärliche Informationen über die Klimageschichte dieses Raumes bekannt. Dass Gina Moseley und ihr Team auf das Gebiet aufmerksam geworden sind, hat historische Gründe. In den 1960er Jahren, während des Kalten Krieges, suchte die US-Armee im Nordosten Grönlands nach Orten, an denen Flugzeuge im Notfall landen können. 30 Jahre später führte der Geologische Dienst von Dänemark und Grönland die geologische Kartierung der Region durch. Bei diesen Erkundungen wurden mehrere Höhlen bei 80°N im Kronprinz-Christian-Land entdeckt. Ein 1960 geschriebener Bericht dokumentiert, dass eine Höhle Kalzitablagerungen in Form von Sintergestein enthielt. Heute ist das Gebiet, in dem sich die Höhlen befinden, trocken und der Boden ist dauergefroren, sodass sich keine sogenannten Speläotheme wie Tropfsteine bilden können.
Aus einer Pilotstudie von Moseley ist bekannt, dass diese Region in der Vergangenheit wärmer und feuchter gewesen sein muss und sich das Klima wieder dorthin entwickeln kann. Bislang wurden hochauflösende Klimaaufzeichnungen für Grönland aus Eiskernen gewonnen, die aus dem Inneren des grönländischen Eisschildes gebohrt wurden. Diese Aufzeichnungen sind jedoch auf die letzten 128.000 Jahre beschränkt. „Die Aufzeichnungen aus den Kalzitvorkommen in den Höhlen bieten die Möglichkeit, das Wissen über das vergangene Klima Grönlands über die Grenzen der Eiskerne hinaus zu erweitern. Diese Informationen sind zentral für zukünftige Klimavorhersagen“, betont die Wissenschaftlerin.
Eine ungewöhnliche Entdeckung von Hazel Barton, Geomikrobiologin von der Universität in Akron, war die Identifizierung von Phytokarst in diesen Höhlen. „Phytokarst ist eine Erosion des Höhlengesteins durch photosynthetische Mikroorganismen. Da diese Aktivität vom Licht abhängig ist, kommt sie nur in Höhleneingängen vor und führt zur Bildung von Felsspitzen, die zum Eingang zeigen. Bisher wurde angenommen, dass es eine hohe Luftfeuchtigkeit und viel organische Energie benötigt, um den Prozess voranzutreiben. „Die Entdeckung von Phytokarst in diesen kalten, trockenen Höhlen Grönlands, die einen großen Teil des Jahres kein Sonnenlicht erhalten, deutet darauf hin, dass alles, was wir über die Entstehung von Phytokarst dachten, wahrscheinlich falsch ist“, so Hazel Barton.
Abenteuer und Überraschungen
Gina Moseley erkannte die Bedeutung der Höhlen in Nordgrönland bereits im Jahr 2008 während ihrer Promotion in Bristol, Großbritannien. Im Jahr 2015 leitete sie eine fünfköpfige Expedition, die von 59 verschiedenen Sponsoren finanziert wurde. Die Expedition hatte es in sich: Das Team versuchte erst, so weit wie möglich zu fliegen, überquerte dann mit einem Schlauchboot einen 20 Kilometer breiten See und musste anschließend drei Tage lang wandern, um zu den Höhlen zu gelangen. Leider war es für die Forscherinnen und Forscher damals nicht möglich, zu Fuß und ohne Hubschrauberunterstützung mehr Material als für eine Pilotstudie zu entnehmen. Das war das erste Mal, dass solche Klimaaufzeichnungen aus Höhlen in der Hocharktis erstellt wurden und Gina Moseley erhielt für ihre Forschung den hochdotierten START-Preis des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF), mit dem sie ein neues sechsjähriges Forschungsprojekt starten konnte.
Im Juli 2019 kehrte Moseley mit ihrem Team des Greenland Caves Projects für eine dreiwöchige Expedition nach Nordostgrönland zurück. Angesichts der hohen Kosten und der schwierigen Logistik wollte Moseley die Forschungsreise bestmöglich nützen. So lud sie weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein, die ihre Arbeit ergänzen werden.
Das Team bestand neben Gina Moseley aus Paul Smith, Direktor des Oxford University Museum of Natural History mit jahrelanger geologischer Kartierungserfahrung in der Region, Andrew Sole von der University of Sheffield, einem Gletscherphysiologen mit besonderer Expertise in den Auswirkungen des Klimawandels auf heutige grönländische Eisschilde, Ádam Ignéczi, ebenfalls von der University of Sheffield, mit Expertise in Gletschergeomorphologie und grönländischer Eisdecken und Flussbett-Topographie, Hazel Barton, einer Geomikrobiologin von der University of Akron und Paul Töchterle, Doktorand an der Universität Innsbruck mit Expertise in Permafroststudien aus Höhlen. Darüber hinaus gehörten zum Support-Team der Mediziner Dr. Pete Hodkinson, der Fotograf Robbie Shone, der Sicherheits- und Rigging-Experte Chris Blakeley, der Hubschrauberpilot Stig Erick Bjerkenås und der Mechaniker Hans Christian Sivertsen. Gemeinsam bestand das Team aus sieben Nationalitäten auf einer wirklich interdisziplinären Expedition.