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Am Vorderen Umbaltörl auf 2.926 m Höhe fanden die Wissenschaftler ein 2.500 Jahre altes Holzstück mit gut sichtbaren Kerben, dessen Zweck noch untersucht wird. (Foto: Thomas Bachnetzer)

Geschichten aus dem Eis

Das ewige Eis der Gletscher hat zahlreiche Geschichten aus der Vergangenheit konserviert. Der Klimawandel-bedingte Rückzug des Eises gibt diese nach und nach wieder frei und eröffnet Archäologen ein neues Forschungsgebiet.

Ein 30 Meter langes Flugzeugwrack mit persönlichen Gegenständen der Besatzung, Zahnbürsten und Lebensmittelvorräten: Diesen Fund gab der Osttiroler Gletscher Umbalkees 2002 durch den Rückgang des Eises frei. „Unsere Recherchen ergaben, dass das Flugzeug des Typs Junkers Ju 52 – eine sogenannte ‚Tante Ju’ – der deutschen Wehrmacht 1941 dort notgelandet ist. Das Flugzeug erlitt dabei Schäden, die Besatzung konnte sich allerdings befreien“, erklärt Prof. Harald Stadler vom Institut für Archäologien. „Die Studie der Krankenhausakte ergab dann aber, dass der Bordfunker den schweren Kopfverletzungen, die er sich bei der Notlandung zugezogen hat, erlegen ist.“ Auch wenn es sich nicht ganz mit der gängigen Vorstellung von archäologischer Arbeit deckt, zählen derartige Recherchen zum täglichen Forschungsalltag des Archäologen. „Der Klimawandel hat uns mit dem Rückgang des Eises ein ganz neues Forschungsfeld eröffnet. Bekanntestes Beispiel für die Gletscherarchäologie ist natürlich der Fund des Mannes aus dem Eis, Ötzi“, erklärt Stadler. Im Zuge dieser Untersuchungen hat sich die Innsbrucker Archäologie eine weltweit anerkannte Expertise aufgebaut, die nun stetig ausgebaut wird. „Durch unsere zentrale Lage in den Alpen haben wir natürlich einen gewissen Standortvorteil in diesem Forschungsgebiet; wir arbeiten aber auch mit Kolleginnen und Kollegen aus der Schweiz, Frankreich, USA oder Kanada zusammen“, berichtet Stadler.

Laien schulen

Gletscher geben allerdings nicht immer nur historisch wertvolle Gegenstände frei. Die Grenze zum historischen Fundstück zieht der Archäologe bei Fundstücken, die aus der Zeit vor 1945 stammen. „Diese Grenze ist allerdings eher willkürlich gezogen, als methodisch begründet, da wir sie einfach irgendwo ziehen müssen“, erklärt Harald Stadler. Grundsätzlich bittet er interessierte Laien aber darum, alle Fundgegenstände aus dem Eis zu dokumentieren und im Innsbrucker Institut für Archäologien zu melden: „Lieber sehe ich mir einmal zu oft ein unwichtiges Objekt an, als dass ein wichtiges Zeitzeugnis verloren geht.“ Aus diesem Grund arbeitet Stadler auch eng mit Hüttenwirten, der Bergrettung – die beispielsweise das Flugzeug am Umbalkees gefunden hat – und dem österreichischen Alpenverein zusammen. „Der Klimawandel eröffnet uns mit dem Rückgang des Eises große Chancen, die wir einfach nützen müssen. Allein Tirol hat über 600 Gletscher, die in den wärmeren Monaten wertvolle Fundstücke freigeben könnten.“ Um interessierte Laien für den Fund von Objekten aus dem Eis zu sensibilisieren und ihnen Tipps zum richtigen Verhalten zu geben, erstellt Stadler mit seinem Team eine Broschüre, die auf Berghütten in Gletschergebieten aufliegen und Wanderern wichtige Informationen zum Umgang mit Fundgegenständen geben soll. „Durch die Konservierung im Eis kann sich organisches Material sehr lange halten, wenn es ausapert muss die Konservierung aber sehr schnell gehen. Wissen um den richtigen Umgang mit Fundgegenständen ist daher unerlässlich.“ So müssen zumindest dünne und leichte Gegenstände aus organischem Material sehr schnell geborgen werden, sobald sie vom Eis freigegeben sind: „Lederstücke wurden bisher beispielsweise nur sehr nah am Rand des Eises oder noch im Eis steckend gefunden, überall sonst waren sie bereits verschwunden – robustere Gegenstände zum Beispiel aus Metall wurden auch schon weiter von Eisrand entfernt gefunden“, verdeutlicht Stadler. Wird organisches Material aber rechtzeitig gefunden, eröffnet es ein breites Spektrum an Untersuchungsmöglichkeiten. „Hier stehen uns auch forensische Methoden zur Verfügung. Deshalb arbeiten wir auch eng mit der Alpinpolizei zusammen, um Einblick in ihre Art der Tatortaufnahme zu bekommen. Gleichzeitig zeigen wir ihnen, worauf aus archäologischer Sicht geachtet werden muss.“

Systematische Suche

Neben der Untersuchung von Zufallsfunden sind die Wissenschaftler um Harald Stadler natürlich auch darum bemüht, aktiv nach vom Eis freigegebenen Objekten zu suchen: „Gemeinsam mit Kollegen aus der Schweiz und Stephanie Metz aus Deutschland arbeiten wir an einem GIS-Daten-basierten Modell, um herauszufinden, wo wir gezielt suchen müssen.“ In das Modell fließen viele verschiedene Parameter mit ein: „Mithilfe des Modells legen wir die möglichen künftigen eisfreien Gebiete auf den wichtigen Transitrouten von der Antike bis in die frühe Neuzeit, die wir anhand bisheriger Forschungsarbeit kennen, fest. Die Modelle berücksichtigen deshalb auch die genaue Lage der Eisflächen sowie die Sonneneinstrahlung. So definieren wir unsere Suchgebiete“, erklärt Harald Stadler, Leiter des von der Akademie der Wissenschaften geförderten Projekts Glacial Archaeology in Austrian Alps. Thomas Bachnetzer – Mitarbeiter in Stadlers Team – untersucht aufgrund dieser Ergebnisse einen der früher wichtigsten Nord-Süd-Korridore – den Weg von Osttirol ins Südtiroler Ahrntal. Dort konnte er bereits einen bedeutenden Fund verzeichnen: „Bei dem gefundenen Relikt handelt es sich um ein Holzstück mit gut sichtbaren Kerben, wobei der Grund für diese Kerben noch nicht ganz klar ist. Es könnten Zählungen zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Bergbau, Schafen oder militärischen Einsätzen sein“, erklärt Stadler. Sicher bestimmen konnten die Wissenschaftler allerdings das Alter des Gegenstandes: „Mithilfe der C14-Methode konnten wir das Holzstück ins 7. bis 5. Jahrhundert vor Christus datieren. Mit einem Alter von rund 2.500 Jahren ist es somit das älteste Fundstück aus den Gletschern Osttirols.“

Textilanalyse

Im Rahmen eines anderen Forschungsprojekts untersuchen die Wissenschaftler um Harald Stadler Textilfunde aus dem hinteren Kleinfleißtal in Kärnten. „Hier wurden in relativer Nähe zu noch sichtbaren Resten eines Grubenhauses für den Goldbergbau verschiedene Textilien gefunden, die aus dem 15. Jahrhundert stammen“, berichtet der Archäologe. Die Analyse der Fadenstärken, von Webdichten- und Webarten sowie die Rekonstruktion von Schnittmusterteilen an Bekleidungsfragmenten und die Analyse der verwendeten Nähte und Säume erlaubt den Wissenschaftlern, eine Datierung und Interpretation der Verwendung dieser Kleidung. „Bei Schuhen gestaltet sich diese Analyse etwas schwieriger, da diese oft vererbt wurden und so eine Datierung erschweren. In meinem Team haben wir mit Beatrix Nutz aber eine ausgewiesene Expertin der Textilarchäologie auf deren Know-how wir zurückgreifen können.“ Know-how das laut Stadler auch in Zukunft vermehrt zum Einsatz kommen wird: „Die Chance auf weitere Funde ist gerade in diesem Jahr ausgezeichnet. Nun gilt es unseren Standortvorteil im Zentrum der Alpen zu nutzen.“

Frozen Pasts

"Frozen Past" ist der Titel einer internationalen Konferenz, die von Harald Stadler und seinem Team im Oktober 2016 in Innsbruck organisiert wird. 45 Expertinnen und Experten der Gletscherarchäologie aus insgesamt 13 Nationen werden im Rahmen der Tagung vom 12. bis 16. Oktober Vorträge zu ihrer aktuellen Forschungsarbeit halten.

Dieser Beitrag von Susanne Röck wird in der nächsten Ausgabe des Forschungsmagazins "Zukunft Forschung" veröffentlicht, die Anfang Juni erscheinen wird.

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