Tatjana Schnell vom Institut für Psychologie geht der Frage nach, was dem Leben Sinn gibt. Für viele Menschen kann dies die Religion sein; Schnells Spezialgebiet ist es jedoch, zu erforschen, wie Menschen die keiner Konfession angehören, diese vermeintliche Lücke schließen. „Es gibt mehr Menschen, die sich nicht mit ihrem Nicht-Glauben auseinandersetzen als solche, die es tun. Mit einer derartigen indifferenten Haltung lebt circa ein Drittel der Bevölkerung. Aus unserer Forschung wissen wir aber, dass diese Menschen eine deutlich niedrigere Sinnerfüllung erleben und damit verbunden auch ein messbar niedrigeres Wohlbefinden haben“, erklärt die Psychologin und Sinnforscherin. „Was diese Menschen auch auszeichnet, ist ein geringes Bedürfnis nach Selbsterkenntnis, ein geringes Kompetenzerleben und eine niedrige Kontrollüberzeugung. Sie erleben sich als hilflos gegenüber der Welt, denken, sie könnten nichts verändern.“
Kategorisierung
Daneben gibt es unter den Konfessionslosen aber auch Menschen mit Überzeugungen und Haltungen, die ihnen genauso wichtig sind, wie religiöse Überzeugungen, jedoch keinen religiösen Inhalt haben. Im Lauf der Forschungsarbeit von Tatjana Schnell äußerte diese Gruppe verstärkt den Wunsch, sich im Rahmen von Befragungen auch einer Gruppe zugehörig zu erklären. „Auch ich wollte schon lange diese große Gruppe der Konfessionslosen genauer untersuchen. Aus diesem Grund starteten wir die Studie, der sich auch KollegInnen aus den Niederlanden und aus Dänemark angeschlossen haben“, beschreibt Tatjana Schnell den Grund für die aktuelle Studie. Große säkulare Organisationen wie der Humanistische Verband Deutschland, die Giordano-Bruno-Stiftung und der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) unterstützten die WissenschaftlerInnen dabei, den Online-Fragebogen zu bewerben.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Insgesamt 1883 Menschen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben den Online-Fragebogen vollständig ausgefüllt. Etwas mehr als ein Viertel der Stichprobe war Mitglied in einer säkularen Organisation, die ihre Weltanschauung vertritt. „Um die Ergebnisse bestimmten Kategorien zuordnen zu können, mussten die Befragten sich zudem selbst einer dieser fünf Kategorien zuordnen: AtheistIn, AgnostikerIn, FreidenkerIn, HumanistIn oder anderes“, erläutert Tatjana Schnell die Vorgehensweise. Die größte Gruppe der Befragten ordnete sich der Kategorie Atheismus zu. 13% bezeichnete sich als AgnosterInnen, 25% als HumanistInnen, 9% als FreidenkerInnen und 8% konnten sich keiner dieser vier Kategorien zuordnen. „Bei allen Gruppen zeigten sich ähnliche Ergebnisse wie bei religiösen Menschen: Werteorientierung und Sinnerfüllung waren hoch“, erklärt Tatjana Schnell eines der Ergebnisse, betont aber, dass die Studie nicht repräsentativ für die Konfessionsfreien in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu sehen ist. „Bei den Befragten handelt es sich um eine Gruppe reflektierter Menschen, die sich zum Teil schon organisiert haben.“
Neben vielen vergleichbaren Ergebnissen unterscheiden sich die Gruppen aber auch in einigen Punkten: Bei HumanistInnen ließen sich die höchsten Werte in Bezug auf Toleranz, soziale Gerechtigkeit und achtsamen Umgang mit anderen Menschen feststellen. „Diese Gruppe leidet am seltensten unter Sinnkrisen und erlebt häufiger als andere Konfessionsfreie angenehme, positive Gefühle.“ Bei AtheistInnen konnten die Wissenschaftler etwas niedrigere Werte in Bezug auf Sinnerfüllung nachweisen.
Sowohl für HumanistInnen als auch für AtheistInnen ist die Zugehörigkeit zu den jeweiligen Gruppen aber identitätsstiftender als für AgnostikerInnen. „AgnostikerInnen betonen die prinzipielle Begrenztheit des menschlichen Wissens, Verstehens und Begreifens, bestreiten aber nicht die Möglichkeit, dass es Gott gibt,“, erläutert Schnell. „Sowohl Atheismus als auch Humanismus sind hier als identitätsstiftende Haltung sehr viel stärker, weil die Haltung eine klarere ist.“ Auf die Frage nach erlebter Benachteiligung gab die Mehrheit der Befragten an, diese nicht oder selten zu erleben. 18% erleben sich Vorurteilen ausgesetzt. Dies war vor allem bei jenen Personen der Fall, die ihre Weltanschauung öffentlich vertreten und Mitglied einer weltanschaulichen Vereinigung sind. „Diese Gruppe zeigte sich auch tendenziell dogmatischer, als andere Konfessionsfreie“, erläutert die Psychologin.
Weitere Forschungsarbeit
Ein Unterschied zwischen den Befragten kristallisierte sich erst im Rahmen einer Tagung heraus, zu der die Psychologen säkulare Organisationen nach Innsbruck geladen haben, um die Ergebnisse zu diskutieren: „Es zeigten sich zwei große Gruppen unter den Konfessionslosen: Zum einen gibt es eine Gruppe, die sich Strukturen für säkulare Alternativen wünscht, zum Beispiel säkulare Feiertage, Hochzeiten und Taufen. Die andere Gruppe fordert dagegen eine klare Umsetzung der Trennung zwischen Kirche und Staat und ist eher politisch orientiert“, erläutert Schnell. In ihrer weiteren Forschungsarbeit will sie nun untersuchen, wie sich diese beiden großen Gruppen in Bezug auf ihr Wohlbefinden unterscheiden. „Im Rahmen der Auswertung sind zwei Haltungen deutlich geworden, die besonders stark mit Sinnerfüllung, Glück und Gesundheit verbunden sind: Das eine ist ein hohes Maß an Eigenverantwortung und das andere ist eine starke humanistische Orientierung. Das sind Werte, nach denen alle Gruppen - auch religiöse Menschen - gut leben können.“
Dieser Artikel ist in der Oktober-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).