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Grafitto in einem Flüchtlingslager der Sahraouis

Ler­nen und Leh­ren in­mitten der Wüste

Seit über 40 Jahren harren die Sahraouis in Flüchtlingslagern inmitten der Wüste aus, in der Hoffnung, in ihr Land, die Westsahara, zurückkehren zu können. Barbara Hinger und Katrin Schmiderer vom Institut für Fachdidaktik haben die vergessenen Schüler*innen und Lehrer*innen dort besucht.

Bereits vor zwei Jahren konnte das Institut für Fachdidaktik, Bereich Didaktik der Sprachen, eine sahraouische Spanischdozentin und Schulinspektorin begrüßen, die an Seminaren der sprachendidaktischen Lehrer*innenausbildung teilnahm. Im Februar dieses Jahres folgten Barbara Hinger, Universitätsprofessorin für Fremdsprachendidaktik, und Katrin Schmiderer, Doktorandin am Institut für Fachdidaktik, schließlich der Gegeneinladung in die sogenannten campamentos, Flüchtlingslager in der Nähe von Tindouf in Westalgerien. Dort warten etwa 170.000 Sahraouis geduldig auf eine Rückkehr in die Westsahara, aus der sie in den 1970er Jahren fliehen mussten. Viele der Sahraouis sind in jeglicher Hinsicht von humanitärer Hilfe durch internationale Organisationen abhängig.

Ein Konflikt in der Sackgasse

Bereits 1973 gründeten die Sahraouis die Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario zur Befreiung des Gebietes der Westsahara von der Kolonialherrschaft Spaniens. Die spanische Regierung entschied schließlich 1976, sich aus ihrer letzten afrikanischen Kolonie Westsahara zurückzuziehen, entließ das Gebiet jedoch formell nicht in die Unabhängigkeit, sondern überließ es vielmehr Marokko und Mauretanien, die beide Gebietsansprüche erhoben und schon ab Dezember 1975 die Westsahara militärisch besetzten. Marokko siedelte zudem hunderttausende Zivilist*innen in den besetzten Gebieten an, mit dem Ziel eine marokkanische Bevölkerungsmehrheit zu erreichen.

In den Folgejahren kam es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen den Truppen der Besetzer und der Fronte Polisario. Zehntausende Sahraouis flohen aus ihrem Land in die Wüste, wo an der Grenze zu Algerien die erwähnten Flüchtlingslager errichtet wurden. Im algerischen Exil gründete die Fronte Polisario 1976 die Demokratische Arabische Republik Westsahara (SADR), die als Staat Mitglied der Afrikanischen Union ist, aus der Marokko deshalb zunächst aus-, 2017 aber wieder eintrat. Mauretanien zog sich 1979 auf Basis eines Friedensvertrags mit der Frente Polisario aus der Westsahara zurück; Marokko besetzt aber bis heute den Großteil des Gebietes und hat dieses mit einem mehr als 2.500 km langen Schutzwallsystem aus teils verminten Erd- und Steinwällen abgegrenzt und damit die Flüchtlingsfamilien von ihren im besetzten Teil verbliebenen Familien getrennt. Mit Marokko wurde 1991 ein Waffenstillstand sowie die Durchführung eines Referendums über die Unabhängigkeit vereinbart. Der von den Vereinten Nationen in der Mission für das Referendum in Westsahara (MINURSO) überwachte Waffenstillstand wurde bis heute zwar im Wesentlichen eingehalten, das Referendum konnte bis jetzt jedoch nicht durchgeführt werden, was vor allem an der fehlenden Einigkeit über die Frage scheiterte, welche Personen beim Referendum abstimmungsberechtigt wären. Das Mandat der Vereinten Nationen umfasst ausschließlich die Überwachung des Waffenstillstandes, nicht aber die Beobachtung der Menschenrechtslage, die im besetzten Teil der Westsahara als problematisch einzustufen ist. Immer wieder bemühen sich zwar NGOs und auch einzelne Staaten, den Konflikt auf das Tapet der internationalen Politik und Diplomatie zu bringen. Doch zu groß scheinen die Interessenskonflikte mit Marokko, der EU und weiteren Staaten, zu ausweglos der Konflikt.

Bildung in der Ausweglosigkeit

In den Flüchtlingslagern ist es den Sahraouis trotz widrigster Umstände gelungen, den Alltag relativ modern zu organisieren. So wurden Kindergärten, Grund- und Mittelschulen, eine höhere Schule und 2012 eine Universität gegründet, die aktuell aus einem pädagogischen Institut, einer Schule für Krankenpflege und einem Institut für Journalismus besteht. Vor allem die Dichte an Schulen in den Flüchtlingslagern ist hoch. So gibt es in der Provinz Smara sieben primarias, also Volksschulen, zwei secundarias, also Mittelschulen, und eine von Kuba und Venezuela finanzierte höhere Schule mit Maturaabschluss. Auch Österreich hat die Sahraouis, vor allem unter Bundesminister a.D. Erwin Lanc, im Bereich des Bildungswesens mit dem Bau von Schulhäusern sowie der Finanzierung von Lehrmitteln unterstützt und sahraouische Kindergärtnerinnen zur Ausbildung nach Österreich eingeladen.

Barbara Hinger und Katrin Schmiderer konnten mehrere der Volks- und Mittelschulen besuchen und vor allem im Spanischunterricht hospitieren, wo sie spannende Einblicke in den Spracherwerb, die Methodik und die Materialien des Sprachunterrichts in diesem so besonderen Kontext erhielten. Spanischkenntnisse sind für die Sahraouis nicht nur historisch bedingt von Bedeutung, sondern auch für die junge Generation wesentliches Ausdrucksmittel auf internationaler Ebene und damit für eine Lösung des Konflikts. Über die spanische Sprache werden die Schüler*innen zudem in lateinischer Schrift alphabetisiert. Darüber hinaus sind viele Sahraouis eng mit der spanischen Zivilgesellschaft vernetzt, sei es über Ferienprogramme (vacaciones en paz) oder andere Hilfsprojekte. In Zusammenarbeit mit unterschiedlichen, vor allem spanischen Hilfsorganisationen richten die Sahraouis seit 20 Jahren auch einen Wüsten-Marathon mit unterschiedlichen Distanzen aus. Dass dieser immer im Februar stattfindet, ist Katrin Schmiderer sehr gelegen gekommen. Sie hat an diesem einzigartigen und für die Sahraouis auch sehr wichtigen Event teilgenommen und die 10 km als schnellste Frau absolviert.

In zwei Fortbildungsseminaren präsentierten Barbara Hinger und Katrin Schmiderer aktuelle Tendenzen der fremdsprachendidaktischen Forschung, insbesondere den methodischen Ansatz der Aufgabenorientierung, und analysierten gemeinsam mit Lehrer*innen und Mitgliedern der Schulaufsicht Herausforderungen und Chancen für eine aufgaben- und kompetenzorientiertere Gestaltung des Spanischunterrichts. In den Seminaren gelang es schließlich, konkrete Bedürfnisse und Anliegen der Lehrpersonen zu identifizieren und einen Prozess der gemeinsamen Materialentwicklung zu initiieren, den Hinger und Schmiderer aktuell an der Universität Innsbruck fortsetzen. Als Lehrer*innenbildnerinnen möchten die beiden auch die Herausforderungen des pädagogischen Instituts, an dem Lehrpersonen für unterschiedliche Fächer ausgebildet werden, besser kennenlernen, um die sahraouischen Lehrer*innenbildnerinnen in Zukunft unterstützen zu können. Sie sehen es als Aufgabe europäischer Universitäten, einen Teil ihrer Ressourcen für Kooperationen im Entwicklungskontext zu widmen.

Bei all den Ideen gilt es trotzdem nicht aus den Augen zu verlieren, dass der hohe Bildungsgrad vieler Sahraouis den Umgang mit der Ausweglosigkeit nicht leichter macht. Im Gegenteil: Die Hoffnungen vor allem junger, gut gebildeter Sahraouis werden auch durch soziale Medien besonders hart auf die Probe gestellt. Für sie ist ihr Land, die Westsahara, nur mehr eine Erzählung und sie wünschen sich, dass möglichst viele Menschen sie weitertragen, damit es eines Tages endlich zu einer Lösung kommt.

Barbara Hinger und Katrin Schmiderer werden im November im Rahmen der Tagung „El Sáhara Occidental  – un país a la fuga. Westsahara  – ein Land auf der Flucht.“ an der Universität Wien über ihre Erfahrungen berichten und im Anschluss eine Veranstaltung an der Fakultät für Lehrer*innenbildung der Universität Innsbruck organisieren. Interessierte, die den Sahraouis eine Stimme in Europa geben möchten, sind dazu herzlich eingeladen.

Ein herzliches Dankeschön geht an Hubert Hollmüller, Professor für soziale Arbeit an der fh Kärnten, der schon seit Jahren mit Studierenden Kooperationsprojekte in den sahraouischen Flüchtlingslagern durchführt, und den Kontakt zu Halima Labeidi Hamdi und Fatumetu Ahmed Mohamed Sidi sowie ihren Familien hergestellt hat. Ohne diese beiden engagierten sahraouischen Frauen und Lehrer*innenbildnerinnen wäre der Aufenthalt in dieser Form nicht möglich gewesen. Nicht zuletzt gilt dem International Relations Office (IRO) großer Dank, das die Reisekosten finanziell unterstützt hat.

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