Um die Brücke vom universitären Studium in die Berufspraxis zu schlagen, werden Theologinnen und Theologen, Priester und Laien, Frauen und Männer gemeinsam ein Jahr lang im Rahmen des Universitätslehrgangs „Pastoraljahr“ praxisnah geschult. Die Ausbildung wird jährlich für die Diözesen Feldkirch, Innsbruck und Bozen/Brixen angeboten. „Die internationale Ausrichtung der Ausbildung, der gemeinsame Weg von Priestern und Laientheologinnen und -theologen sowie die Verankerung der Berufsvorbereitung in einem Universitätslehrgang ist etwas Besonderes. Auch die Vielfalt der teilnehmenden Menschen freut uns sehr“, betont. Sigrid Rettenbacher, Koordinatorin des Lehrgangs. Christian Bauer, Professor am Institut für Praktische Theologie und Leiter des Universitätslehrgangs, erzählt, dass die unterschiedlichsten Ausbildungen, Erfahrungen und sozialen Hintergründe der Teilnehmenden die Inhalte des Lehrgangs entscheidend mitgestalten: „So trifft der in Indien geborene Schiffskapitän, der nun Mitglied eines Missionsordens ist, auf einen ehemaligen Jesuiten aus Oberösterreich oder eine in Tirol geborene Teilnehmerin. Wir wollen ausgehend von den Erfahrungen arbeiten und niemandem vorgefertigte Theoriekonzepte überstülpen“, verdeutlicht Bauer. „Wir wollen entdecken, was Pastoral sein kann und die Teilnehmenden unterstützen, ihre eigene Sprache für das zu finden, was ihnen am Herzen liegt.“
Pastoral wirkt überall
In Gesprächsoasen im Einkaufszentrum, in der Flüchtlingsarbeit in der Pfarre oder bei Gespräch im Bus – Seelsorge kann überall stattfinden. Zu Beginn der Ausbildung werden den Teilnehmenden die Zeit und die Chance zu geben, sich in ihrem Arbeitsumfeld aufmerksam umzusehen und die Umgebung zu erkunden. „Es ist wichtig, dass die Anwärterinnen und Anwärter für eine pastorale Tätigkeit wissen, in welchem Umfeld sie sich bewegen. Zu erfahren, was die Menschen dort beschäftigt und wie sie ihren Alltag bewältigen, ist zentral für eine inspirierende Arbeit. Pastoral muss auf die Lebensfragen der Menschen vor Ort reagieren“, so Bauer. Aufbauend auf den Erfahrungen, die in dieser Phase gesammelt werden, werden auch die weiteren Inhalte und Schwerpunkte des Lehrgangs gewählt. „Durch neue Perspektiven, Wahrnehmungen und Erfahrungen verändert sich auch die Theologie“, präzisiert Rettenbacher. Die Wissenschaftlerin und der Wissenschaftler erzählen von einem Konzept, das sich eine Teilnehmerin im Kurs überlegt hat. Durch ihr tägliches Busfahren wurde sie häufig von Menschen angesprochen, die mit ihr über ihre alltäglichen Sorgen und Themen sprechen wollten. Daraus entstand die Idee, diese Busfahrt als pastorales Projekt anzulegen und die Teilnehmerin wollte herausfinden, was passiert, wenn sie bewusst zwei Stunden im Bus zubringt. „Wir sollten nicht warten, bis die Menschen an den Pfarrhof klopfen, sondern dort präsent sein, wo sie sowieso unterwegs sind“, ist Bauer überzeugt. Auch in der Gesprächsoase „Brunnen“ im DEZ, wo eine weitere Teilnehmerin zur Hälfte ihr Pastoraljahr verbringt, wird niemandem ein Gespräch aufgezwungen. Der Ort lässt den Menschen die Freiheit, zu kommen oder das Angebot auch nicht anzunehmen, aber es ist jemand anzutreffen, der für ein Gespräch bereit ist.
Theologische Fähigkeiten
Der Anspruch des Universitätslehrgangs ist es, den Teilnehmenden nicht nur das Handwerkszeug, das sie befähigt, eine Predigt zu halten oder einen Kindergottesdienst vorzubereiten, zu vermitteln. „Wir wollen, dass die Menschen selbstständig die Konzepte aus der Situation heraus entwickeln und eine kleine kontextuelle Theologie von unten betreiben“, erläutert Bauer. Das Erlernen eines Reflexions- und eines Sprachvermögens sind ihm und seinem Team in der Vermittlung wichtig, denn Theologie lerne man, um in unterschiedlichen Kontexten sprachfähig zu sein. „Man muss direkt vor Ort einschätzen können, was die Situation verlangt und dementsprechend handeln. Es ist wichtig, dass unsere Absolventinnen und Absolventen dafür ihre Sprache finden“, präzisiert Rettenbacher, die gemeinsam mit dem Lehrgangsleiter Wert darauf legt, die Zeichen der Zeit zu erkennen und die Schwerpunkte des Lehrgangs danach auszurichten. „Wir brauchen Menschen mit Rückgrat, die neue Formen des Zusammenhalts finden können“, so Bauer mit Blick auf aktuelle gesellschaftliche Problemlagen. Die zukünftigen Absolventinnen und Absolventen sehen sich in der Pastoral unterschiedlichen Aufgabengebieten gegenüber. Von der Pfarrpastoral oder Krankenhausseelsorge über die Öffentlichkeitsarbeit, die Frage nach dem interreligiösen Dialog bis hin zur Flüchtlingsarbeit, deckt die Pastoral viele Bereiche ab. Die Diözesen stehen vor der Aufgabe, trotz immer weniger Personal gute Seelsorge zu leisten. Der pastorale Strukturwandel wird sich auch in der Gestaltung der Berufs- und Rollenbilder auswirken. Laientheologinnen und Laientheologen werden immer mehr Aufgaben in der Pastoral übernehmen. Bauer selbst sieht das Pastoraljahr weniger als Lehrgang als einen „Lerngang“: „Ich habe noch kein Pastoraljahr erlebt, aus dem ich nicht auch selber etwas gelernt habe. Pastoraltheologie ist keine Einbahnstraße – sie ist eine Form von Wissenschaft, die durch die Erfahrungen der Akteurinnen und Akteure gewinnt“, so der Theologe. Im Universitätslehrgang Pastoraljahr werden in einem Jahr teamfähige Priester und Laien ausgebildet, um kompetente Seelsorge in allen Bereichen des Alltags zu betreiben. Es wird ein umfassendes Programm angeboten, das in dieser Form in Österreich einzigartig ist und dessen wissenschaftliche Begleitung die Qualität der Inhalte sicherstellt. „Die Pastoral wird ständig weiterentwickelt und wir sind bemüht, auf die Fragen der Zeit und die aktuellen Bedürfnisse einzugehen“, sind Sigrid Rettenbacher und Christian Bauer überzeugt.