- Leseraum
| Der Krieg gegen den Irak und die Frage des SelbstgerichtsAutor: | Schwager Raymund |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | kommentar |
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Abstrakt: | |
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Publiziert in: | # Originalbeitrag für den Leseraum |
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Datum: | 2002-09-04 |
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InhaltsverzeichnisInhalt1
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Der Krieg gegen den Irak sei notwendig, erklärte der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney vor wenigen Tagen (27.August 2002), denn es sei weniger risikoreich zu handeln als nicht zu handeln. Das Risiko im Nicht-handeln sieht Cheney in der Wahrscheinlichkeit, dass Saddam Hussein sich Massenvernichtungswaffen beschafft, die die ganze Region bedrohen können. Diese Sicht dürfte etwas Wahres enthalten. Dennoch erheben selbst hohe amerikanische Militärs und Politiker Bedenken gegen ein einseitiges Vorgehen der USA. Es könnte die ganze arabische Welt zur Explosion bringen. Dass auch diese Sicht realistisch ist, unterstreicht ein Bericht in der israelischen Tageszeitung Ha'aretz (28. August 2002) über die Reaktionen arabischer Intellektueller auf die amerikanische Kriegsrhetorik. Es gehe nicht bloß um den Irak, so die einhellige Meinung dieser Kommentatoren, sondern um einen Krieg gegen die ganze arabische Welt. Amerika spiele sich als Herrscher des Planeten auf, wolle seine Interessen überall durchsetzen und die arabische Identität wegwischen. Deshalb müssten alle arabischen Staaten sich dem amerikanischen Imperialismus widersetzen.
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Diese Reaktionen zeigen zunächst, dass frühere Befürchtungen, der 'Krieg gegen den Terror' könnte zu einem fundamentalen Konflikt mit der muslimischen Welt führen, immer berechtigter werden. Durch die Überlagerung mit dem Konflikt 'Israel-Palästina' werden echte Lösungen ständig schwieriger. Sie würden voraussetzen, dass auch den arabischen Interessen mindestens ein Stückweit entgegen gekommen wird. Doch davon ist gegenwärtig wenig zu sehen, und trotz Bedenken gegen den Irak kann die arabische Welt nicht akzeptieren, dass Amerika darüber bestimmt, welche Länder Massenvernichtungswaffen besitzen dürfen und welche nicht.
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Wir müssen uns folglich darauf einrichten, dass die Welt, in der wir leben, unsicherer wird. Dabei bestehen die neuen Gefahren vor allem darin, dass technische Mittel, die der Westen geschafft hat, gegen ihn selber verwendet werden. Diese Gefahr sollte im Zusammenhang mit der Irak-Krise zu einem breit diskutierten öffentlichen Thema werden. Durch die unmittelbare Kriegsrhetorik wird dieses grundlegende Problem aber nicht angegangen, geschweige denn gelöst, sondern nur - durch die Polarisierung auf einen einzelnen 'Schuldigen' - verdrängt. Dabei dürfte die Möglichkeit eines Missbrauchs naturwissenschaftlich-technischer Fortschritte ständig wachsen. Schon vor zwei Jahren hat Bill Joy größte Probleme beim Zusammenwachsen von Roboter-, Gen- und Nanotechnik heraufkommen sehen. Zunächst werde die Demokratie bedroht und unterhöhlt und dann könnten die neuen Technologien ganz der menschlichen Kontrolle entgleiten. Obwohl Bill Joy selber Mitbegründer und Chief Scientist einer Computer-Firma ist und die Internetsprache Java entworfen hat und obwohl er lange Zeit ein ‚Gläubiger' der Computerwelt war, sieht er jetzt die Gefahren so groß, dass er eine Diskussion um einen teilweisen Forschungsstop angeregt hat.(1) Dieser alarmierende Aufruf fand aber - nach einer kurzen heftigen Diskussion(2) - kein dauerhaftes Echo. Der ganze Komplex von Naturwissenschaft, Technologie und Wirtschaft ist tatsächlich auf das Gegenteil ausgerichtet, auf die Beschleunigung der Forschung in allen Bereichen. Diese Fahrt wird weder in den Universitäten, noch in der Wirtschaft oder in der Politik ehrlich hinterfragt, obwohl die Alarmzeichen immer dringender werden. Saddam Hussein stellt uns ausdrücklich dieses Problem. Dennoch wird es nicht angegangen und, obwohl Warnungen vorliegen, bewusst übergangen. Es fragt sich: sind wir überhaupt noch fähig, uns der angesprochenen Problematik ehrlich zu stellen?
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Die europäische Aufklärung wollte den Menschen vom 'Schicksal' befreien und ihn als freies Wesen und als Täter der Geschichte installieren. Sie hat ihn tatsächlich in einem wachsenden Masse zum Gestalter der Geschichte gemacht, allerdings nicht als freies verantwortliches Wesen, sondern als einer, der von seinen eigenen Werken immer mehr getrieben wird. Ein neue Form des 'Schicksals' liegt wieder auf uns, und diesmal ist es schwerer zu ertragen, denn wir können nicht mehr andere dafür verantwortlich machen. Die Menschen haben einen Prozess in Gang gesetzt, der sie selber immer stärker trifft und dem sie hilflos gegenüber zu stehen scheinen. Das dürfte es sein, was die biblische Überlieferung mit dem Thema Gericht angesprochen hat. Sie deutet ja das Bild vom 'Gericht Gottes' schrittweise selber um zur Vorstellung vom Selbstgericht der Menschen. Spätestens seit der Erfindung der Massenvernichtungswaffen stellt sich diese Problematik auch auf säkularer Ebene. Die Menschen scheinen sich ihr auf dieser Ebene aber ebenso entziehen zu wollen, wie sie die religiöse und prophetische Gerichtsbotschaft überhört haben. Den Folgen aber entkommen wir nicht.
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Anmerkungen:
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1. B. Jo, Why the future doesn't need us. Our most powerful 21st-century technologies - robotics, genetic engineering, and nanotech - are threatening to make humans an endangered species. In: Wired, April 2000, 238 - 262.
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(vgl. http://www.wired.com/wired/archive/8.04/joy.html)
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2. Vgl. http://www.wired.com/wired/archive/8.07/rants.html
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