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Warum Europa geschwisterliche Kirchen und Pfarrgemeinden braucht

Autor:Palaver Wolfgang
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:KIRCHE informiert 5. Jahrgang (März 2004) 3
Datum:2004-04-20

Inhalt

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Am 1. Mai dieses Jahres kommt es zu einer der größten politischen Veränderungen in der jüngeren Geschichte Europas. Die Zahl der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) wird von 15 auf 25 ansteigen. Diese "Europäisierung des Europäischen Kontinents", wie Kardinal König zu recht die aktuelle Erweiterung der EU bezeichnet, gehört zu jenem europäischen Friedensprojekt, das nach dem 2. Weltkrieg begonnen wurde. Die jetzt anstehende Vereinigung des westlichen mit dem östlichen Europa setzt den damals beschrittenen Weg konsequent fort und stellt das Projekt Europa gleichzeitig auf den Prüfstand. Sind die nach dem 2. Weltkrieg entstandenen Freundschaften zwischen früher verfeindeten Staaten (z. B. Frankreich und Deutschland) wirklich fest und beständig genug, um Europa und der Welt als Vorbild zu dienen? Oder profitierten diese neuen Freundschaften bloß vom damaligen gemeinsamen Feind im Osten (Sowjetunion)? Wenn es innerhalb der EU in den nächsten Jahren gelingt, auch feste Freundschaften mit Ländern im früheren Ostblock zu schließen, so wäre das ein Beweis, dass die EU auf einem zukunftsweisenden Fundament gebaut ist. Für unsere gegenwärtige Welt stellt das europäische Friedensprojekt ein große Chance dar, weil es in einer Welt, die von zahlreichen Bürgerkriegen, einem global gewordenen Terrorismus und Kriegen gegen den Terrorismus bedroht ist, neue politische Modelle braucht.

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Blick auf die Geschichte

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Der Blick auf die Geschichte Europas zeigt uns zwei sich widersprechende Tendenzen. Zum einen ist die politische Geschichte Europas eine Geschichte der Verfeindung nach außen, denn das Bewusstsein von einer europäischen Einheit war immer dann am stärksten ausgeprägt, wenn klare äußere Feinde benannt werden konnten. Am Beginn dieser Geschichte stand der siegreiche Abwehrkampf Karl Martells gegen die muslimischen Araber im 8. Jahrhundert. Auch im Mittelalter war das politische Europabewusstsein eng mit dem Kampf gegen gemeinsame Feinde verbunden. Auf dem Ersten Konzil von Lyon im Jahre 1245 nannte Papst Innozenz IV. die drei äußeren Feinde, die im Mittelalter für die Entstehung des christlichen Europas bestimmend waren: die überheblichen Sarazenen (muslimische Araber), die schismatischen Griechen (Byzanz als Zentrum des östlichen Christentums) und die schrecklichen Tataren (Mongolen, die im Osten Europas vordrangen). Ende des Mittelalters tauchte mit den Türken ein neuer äußerer Feind auf, der wiederum den inneren Zusammenhalt in Europa stärkte. Doch genau diese europäische Feind-Geschichte ist in unserer Gegenwart zur tödlichen Sackgasse geworden. Durch die moderne Technik tragen politische Feindschaften die Gefahr von Weltkriegen und die Zerstörung unserer ganzen Erde in sich. Der Entwicklungsstand unserer Welt zwingt zu ganz neuen politischen Konzeptionen.

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Christliche Grundhaltung

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In der aktuellen Situation wird jenes Fundament Europas für das Überleben der ganzen Menschheit immer wichtiger, das sich als eine dem Feinddenken entgegengesetzte Tendenz in der europäischen Geschichte erkennen lässt. Es ist die von Jesus Christus begründete Haltung der Geschwisterlichkeit, die von der Einsicht ausgeht, dass alle politischen Feindschaften letztlich in den Konflikten unseres engsten Zusammenlebens wurzeln, und im neutestamentlichen Aufruf zur Feindesliebe gipfelt. Wir feiern diese Form einer anderen Politik in jeder Eucharistie, in der wir uns jener Wirklichkeit Gottes öffnen, die uns von der Notwendigkeit äußerer Feinde befreit. Seit den Anfängen der frühen Kirche hat das Christentum die Entwicklung der europäischen Kultur auch in diese Richtung beeinflusst. Neben den großen Freund-Feind-Strukturen, die die Geschichte der Christenheit begleiten, zeigt sich ein Fortwirken des biblischen Offenbarungsimpulses, der entscheidend zu einer Humanisierung der Welt beigetragen hat. Immer wieder haben einzelne Menschen und Gruppen Zeugnis dafür abgelegt, dass Feindschaft kein unausweichliches Schicksal der Menschen ist. Am deutlichsten verkörpert sich diese Tradition in den großen europäischen Heiligen, wie sie beispielhaft von Benedikt von Nursia, über die Slawenapostel Kyrill und Methodius, Brigitta von Schweden, Katharina von Siena bis hin zu Edith Stein genannt werden können. Bald werden mit Robert Schuman und Alcide De Gasperi dazu auch zwei Gründerväter der modernen europäischen Einigung zählen, für die bereits Seligsprechungsprozesse eingeleitet wurden.

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Politik der Geschwisterlichkeit

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Die bewusste Stärkung einer Politik der Geschwisterlichkeit gehört zu den vordringlichsten pastoralen Aufgaben am Bauplatz Europa. Insofern in den Kirchen und Pfarrgemeinden Feindschaften, Nationalismen sowie ethnische Vorurteile überwunden und Vergebung gelebt wird, tragen sie entscheidend zu einer europäischen Kultur des Friedens bei. So wie in unseren eigenen Gemeinden erste Schritte zur Überwindung von Feindschaft gesetzt werden müssen, so sind wir auch aufgefordert, aufgebrochene Spaltungen innerhalb Europas zu überbrücken. Es geht in Europa um das Bauen von Brücken. Überregionale Projekte über Diözesan- und Ländergrenzen hinweg gehören genauso dazu wie das Engagement einzelner Pfarrgemeinden. Partnerschaften zwischen Pfarrgemeinden in Ost und West könnten beispielsweise dazu beitragen, die Wunden des Kalten Krieges schneller zu heilen.

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