In der aktuellen Situation wird jenes Fundament Europas für das Überleben der ganzen Menschheit immer wichtiger, das sich als eine dem Feinddenken entgegengesetzte Tendenz in der europäischen Geschichte erkennen lässt. Es ist die von Jesus Christus begründete Haltung der Geschwisterlichkeit, die von der Einsicht ausgeht, dass alle politischen Feindschaften letztlich in den Konflikten unseres engsten Zusammenlebens wurzeln, und im neutestamentlichen Aufruf zur Feindesliebe gipfelt. Wir feiern diese Form einer anderen Politik in jeder Eucharistie, in der wir uns jener Wirklichkeit Gottes öffnen, die uns von der Notwendigkeit äußerer Feinde befreit. Seit den Anfängen der frühen Kirche hat das Christentum die Entwicklung der europäischen Kultur auch in diese Richtung beeinflusst. Neben den großen Freund-Feind-Strukturen, die die Geschichte der Christenheit begleiten, zeigt sich ein Fortwirken des biblischen Offenbarungsimpulses, der entscheidend zu einer Humanisierung der Welt beigetragen hat. Immer wieder haben einzelne Menschen und Gruppen Zeugnis dafür abgelegt, dass Feindschaft kein unausweichliches Schicksal der Menschen ist. Am deutlichsten verkörpert sich diese Tradition in den großen europäischen Heiligen, wie sie beispielhaft von Benedikt von Nursia, über die Slawenapostel Kyrill und Methodius, Brigitta von Schweden, Katharina von Siena bis hin zu Edith Stein genannt werden können. Bald werden mit Robert Schuman und Alcide De Gasperi dazu auch zwei Gründerväter der modernen europäischen Einigung zählen, für die bereits Seligsprechungsprozesse eingeleitet wurden.
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