- Leseraum
| GruppeAutor: | Scharer Matthias |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | artikel |
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Abstrakt: | Der Lexikonartikel stellt systematisch die Kriterien von Gruppen dar. |
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Publiziert in: | Scharer, Matthias, Gruppe, in: Lexikon der Religionspädagogik
(LexRP): Buch und CD-ROM, hrsg. von Mette, Norbert/Rickers,
Folkert, Bd. 1, Neukirchen-Vluyn 2001, Sp. 773 777. |
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Datum: | 2004-08-25 |
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Inhalt1
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G. bezeichnet im rp Zusammenhang in der Regel die Kleingruppe alsein Interaktions- und Kommunikationssystem, in dem sich die „Lebens- und Erlebens-Linien mehrerer Wesen miteinander mehr oder minder fest und dauerhaft verknoten“ (Hofstätter 151972, 192). G. sind nicht einfach nur vorgegeben; sie werden durch Menschen (mit)konstruiert, welche je nach (Forschungs-)interesse an gewisse Phänomene bestimmte Kriterien herantragen, die ihnen die Wahrnehmung einer G. als G. erlauben. In diesem Sinne ist Sanders offener Bestimmung zuzustimmen: Um eine sozialpsychologische G. handelt es sich dann, „wenn Ansätze von Beziehungen zwischen den Personen bestehen und im Prinzip eine Interaktion zwischen ihnen möglich ist, wobei über das notwendige Ausmaß solcher Beziehungen und Interaktionen wenig Übereinstimmung herrscht“ (Sader 1976, 40).
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Die Sozialpsychologie ermittelt Funktionszusammenhänge welche die Gruppenstruktur kennzeichnen: (1) eine bestimmte Kohäsion oder Kohärenz innerhalb der G., die sich sowohl auf den funktionalen Aspekt der Gruppennormen als auch auf den emotionalen Aspekt des „Wir-Gefühles“ beziehen kann; (2) die soziometrische Struktur, die über das Gefüge von Zuneigung, Beliebtheit bis Gleichgültigkeit und Ablehnung Auskunft gibt; (3) Kommunikationsmuster, die sich u.a. durch unterschiedliche Kommunikationsgeflechte unterscheiden können: so ermöglicht das zentralisierte Kommunikationsnetz eines Sternes schnelle Informationsweitergabe bei relativer emotionaler Unzufriedenheit, während der Kreis als dezentrales System eine große emotionale Zufriedenheit bei proportional geringer Präzision in der Erledigung von Aufgaben verspricht; (4) Rollen, die mit Positionen verbunden sind, welche die Einzelnen nach einer bestimmten Zeit in der G. einnehmen und die je nach Einfluß und Macht mit einem höheren oder niederen Status besetzt werden. Zahlreiche sozialpsychologische Forschungen widmen sich der Rollendifferenzierung. Trotz großer Überschneidungen lassen sich Rollen unterscheiden, die sich stärker auf die Gruppenaufgaben, auf den sozialen Bestand der G. oder auf individuelle Bedürfnisse beziehen. Jede Person kann mehrere Rollen spielen bzw. im Verlauf des Gruppenprozesses die Rolle wechseln. Erwartungen der G. oder Erwartungen von außen können zu Rollenkonflikten führen. Besondere Beachtung findet in der Forschung die Rolle des Gruppenführers.
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Im Hinblick auf die Gruppengröße unterscheidet man in der Regel zwischen Zweiergruppe – die Dyade ist als Gruppenform allerdings umstritten - , Dreiergruppe, Kleinstgruppe (4 – 7 Personen), (Klein-)Gruppe (7 – 20 Personen) und Großgruppen (ab etwa 20 Personen). Von der zeitlichen Erstreckung her kann man Ad-hoc-Gruppen, vorübergehende und dauernde Gruppen unterscheiden. Sie haben jeweils eine unterschiedliche Dynamik. Von der Art der Zusammensetzung wird zwischen homogen(er)en und inhomogen(er)en oder heterogenen Gruppen unterschieden, je nach dem wie viele gemeinsame Merkmale, Einstellungen usw. die Gruppenmitglieder teilen. Weitere Unterscheidungen von Gruppenformen ergeben sich aus der Regelmäßigkeit der Teilnahme, aus dem Grad der formalen Organisation, aus den Aufgabenstellungen, aus der sozialen Schicht, aus dem Lebensalter der Beteiligten usw. (vgl. u.a. Schütz 21993).
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Für die (religiöse) Entwicklung und Sozialisation von besonderer Bedeutung sind sogenannte Primärgruppen. Sie ermöglichen früheste Erfahrungen einer sozialen Einheit und prägen spätere Beziehungen wesentlich mit. Primärgruppen sind relativ stabil; sie sind durch eine intime Face-to-Face-Beziehung charakterisiert und ermöglichen elementare Rollenerfahrungen, die das Verhalten in Sekundärgruppen mitprägen und häufig zu Übertragungen in andere Gruppensituationen führen. Als Primärgruppen gelten neben der Familie bzw. familiaren Beziehungsformen auch Freundeskreise, Wohngemeinschaften, Nachbarschaften, Vereine aber auch spezielle Lebensgemeinschaften wie Klöster oder Kibbuzim (vgl. Schütz 21993, 16). Inwiefern auch sogenannte Peer-Groups (z.B. Jugendlicher), in denen „Gleichgesinnte“ ihre Beziehungen pflegen und ihre Interessen leben den Primärgruppen zuzuzählen sind, hängt mit dem Grad der innerer Verbindlichkeit zusammen.
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Sekundärgruppen sind demgegenüber weniger vom Selbstzweck einer intimen Face-to-Face Beziehung bestimmt. Sie sind eher Mittel, um einen bestimmten Zweck oder ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Planung und Organisation spielen in Sekundärgruppen eine größere Rolle. Die Grenzen zwischen Primär- und Sekundärgruppen sind fließend.
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Sogenannte Selbsterfahrungsgruppen, wie sie sich als personenorientierte Verfahren aus der angewandten Gruppendynamik seit den dreißiger Jahren – zunächst in Amerika später auch in Europa - in einem inzwischen unübersichtlich differenzierten Angebot (u.a. als T-Gruppen, Sensitivity Training, Encounter, Marathon) entwickelt und auch im kirchlichen Bereich etabliert haben, gleichen den Primärgruppen in ihrer inneren Verbindlichkeit und Beziehungsqualität, ermöglichen aber Experiment und Wandel primär sozialisierter Rollen.
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Sowohl in Primär- als auch in Sekundärgruppen gibt es formelle und informelle Gruppen. Formelle Gruppen wie Schulklassen, politische Organisationen usw. sind stärker durch bestimmte Zwecke bestimmt; Ziele und Problemlösungen mit bestimmten Methoden spielen eine große Rolle; die Atmosphäre ist unpersönlicher; Strukturen, Rollen und Normen sind eher festgelegt; die Leitung ist in der Regel von außen bestimmt oder durch (formale) Wahl ermittelt. Demgegenüber sind informelle G. beweglicher und persönlicher und in der Regel emotionaler geprägt; der Übergang zwischen formellen und informellen Gruppen ist fließend.
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Ein bedeutsames Phänomen, das G. beeinflußt, ist der Umgang mit dem Fremden. Es geht um die Spannung zwischen Eigengruppe und Fremdgruppe, zwischen In-group und Out-group. „Sozialpsychologische Forschungen haben gezeigt, dass Gruppen, je mehr sie nach innen zusammenrücken, nach außen verstärkt eine Art negativer Identität aufbauen, eine Tendenz zur Abgrenzung gegenüber faktisch vorhandenen oder imaginären Außen- und Fremdgruppen: ein Bewußtsein des ‚Wir‘ und des ‚Die da‘“ (Schütz 21993, 18). Ein solches Zusammenrücken nach Innen bei gleichzeitiger Rivalität gegenüber Fremdgruppen kann zu Polarisierungen und Feindseligkeiten, letztlich zur Ausgrenzung von „Sündenböcken“ führen, die durch Fundamentalismus, Ethnozentrismus, Rassismus oder anderen Formen der Diskriminierung verstärkt werden kann. Der Umgang mit dem Fremden ist ein Indiz dafür, wie sehr G. innerhalb und außerhalb von Kirchen und Religionsgemeinschaften eine weltanschauliche Komponente – und sei es die einer marktorientierten Erfolgsstrategie – haben.
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Das Christentum greift die „weltanschauliche Ladung“ der G., die in den ökonomischen und medialen Systemen unserer Gesellschaft unbedacht und damit unkontrollierbar bleibt, konstruktiv auf. Aus christlicher Perspektive ist die G. gelebte Koinonia und hat als solche nicht nur existentielle, sondern auch normative Bedeutung; als communio läßt sie die gemeinsame Teilhabe am Geheimnis des dreieinen Gottes erahnen (Hilberath 1999).
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Rp. Konzepte unterscheiden sich u.a. darin, inwiefern jeder G. im gemeindlichen und schulischen Kontext diese eigenständige theologische Bedeutung zugesprochen wird, inwiefern sie also als „locus theologicus“ (Schmid 1998) und nicht nur als Mittel zum Zweck ernst genommen wird. Eine solche theologische Vorentscheidung bestimmt u.a. darüber, ob G. – in welchem Kontext auch immer - ausschließlich nach sozialpsychologischen oder didaktischen Kriterien wahrgenommen und geleitet werden, oder ob in ihnen einer umfassenden Begegnung – das Transzendente eingeschlossen - Raum gegeben wird (Scharer 1995).
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Damit verwandelt sich jede G. in ein dramatisches Interaktionsgeschehen zwischen Gott und dem Menschen und der Menschen untereinander in ihren jeweiligen Rollen. Es geht nicht mehr nur um eine effektive Arbeits- oder eine zufriedenstellende Sozialform. Die Herkunft des Menschen in seiner umfassenden Bezogenheit wider allen modernen Individualismen und seine Zukunft in der liebenden Gemeinschaft des Reiches Gottes stehen auf dem Spiel. Die G. wird zum Kairos der beziehungsreichen Gegenwart Gottes in der Welt. Diese Gegenwart ist gegeben und muß nicht erst hergestellt werden. Ähnlich wie auf individueller Ebene der Mensch als Subjekt theologisch in seiner bleibenden Fragmentiertheit (Luther 1992) wahrgenommen werden kann und somit moderne Selbstverwirklichungsphantasien und Selbsterlösungstendenzen auf die Möglichkeit der Wandlung von Gott her unterbrochen werden, ermöglicht die Unterscheidung zwischen einem „gruppendynamisch herstellbaren“ und einem „geschenkten“ Wir (Scharer 1998) die Relativierung gruppendynamischer Allmachtsphantasien; sozialpsychologische Einsichten in das Geschehen der Interaktion und Kommunikation in G. werden damit nicht obsolet, sie können aber aus einer solchen Perspektive kritisch gewürdigt werden. Dementsprechend ist kommunikative Glaubenserschließung in G., wie sie in der EB, in der GP u. GK und - diakonisch gewendet – im RU der Schule geschieht, nicht einer weltanschaulichen und methodisch – medialen Beliebigkeit nach dem Prinzip „die Hauptsache es wirkt“ anheimgegeben, sondern unterliegt einer theologischen Kriteriologie, die u.a. in der Nicht-Machbarkeit, in der Aufmerksamkeit auf Unterbrechungen, auf Widerstände, Störungen und Konflikte und in der Balance von Tun und Lassen ihren adäquaten Ausdruck findet. G. versammeln grundsätzlich einander Fremde und sich in gewisser Hinsicht auch fremd bleibende Menschen, denen eine „Wir-Erfahrung“ als Wandlung der anerzogenen und –sozialisierten Rollen geschenkt werden kann. Dabei ist weder die Homogenität der G. noch das wohlig-warme „Gruppenfeeling“ das entscheidende Kriterium, sondern der im Kreuz-Symbol real präsente „fremde Sündenbock“ als Verkörperung aller „Out-groups“ innerhalb und außerhalb der Gruppe und in den TeilnehmerInnen selbst, dessen Scheitern, von Gott in ein Leben durch den Tod hindurch, in Pro-existenz als Mitsein gewandelt wird (Vgl. Scharer u.a. 1999).
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Diese theologische Perspektive wird von keinem der – inzwischen unüberschaubar gewordenen – gruppendynamischen bzw. gruppenpädagogischen Ansätze, wie sie sich aus der Psychoanalyse (Freud, Bion), aus der Feldtheorie (Lewin) und aus der Humanistischen Psychologie (Maslow, Rogers, Bühler, Cohn) entwickelt haben, in voller Weise abgedeckt; damit bleibt eine kritisch-konstruktive Differenz zu allen Gruppenverfahren, die im Feld von Erziehung und Bildung angewendet werden, bestehen.
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Bernd Jochen Hilberath (Hg.), Communio – Ideal oder Zerrbild von Kommunikation?, Freiburg u.a. 1999 (QD 176).- Peter R. Hofstätter, Gruppendynamik: Kritik der Massenpsychologie, Hamburg 151972. – Henning Luther, Religion und Alltag. Bausteine zu einer Praktischen Theologie des Subjekts, Stuttgart 1992.- Manfred Sader, Psychologie der Gruppe, München 1976 (41996). – Matthias Scharer, Begegnungen Raum geben. Kommunikative Lernprozesse in Gemeinde, Schule und Erwachsenenbildung, Mainz 1995. – Ders., Das geschenkte Wir. Kommunikatives Lernen in der christlichen Gemeinde, in: Franz Weber (Hg.), Frischer Wind aus dem Süden, Innsbruck 1998, 84-100. – Ders. und Józef Niewiadomski, Faszinierendes Geheimnis. Neue Zugänge zur Eucharistie in Familie, Schule und Gemeinde, Innsbruck u.a. 1999.- Peter F. Schmid, Im Anfang ist Gemeinschaft. Personenzentrierte Gruppenarbeit in Seelsorge und Praktischer Theologie, Stuttgart 1998.-Klaus-Volker Schütz, Gruppenforschung und Gruppenarbeit, Mainz 21993.-
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