- Leseraum
| Supervision zwischen (strategischer) Interpretationsmacht und kommunikativer "Ohnmacht - Macht"Autor: | Scharer Matthias |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | artikel |
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Abstrakt: | Die deutschsprachige Arbeitsgemeinschaft für Supervision im pastoralen Feld hatte sich für ihre siebte Fachtagung ein provokantes Thema gewählt: "Macht Supervision Sinn?" Wie sie damit das Feld der Religion berührt, wie der Zusammenhang von Supervision und Religion interpretiert werden kann und welche Herausforderungen sich aus dieser Verbindung ergeben, zeigt das folgende Referat. Der Referatscharakter wurde absichtlich beibehalten. |
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Publiziert in: | Scharer, Matthias, Supervision zwischen (strategischer)
Interpretationsmacht und kommunikativer "Ohnmacht - Macht", in: K.
Hampel/H.B. Köppen (Hg.), Macht - Supervision - Sinn. 7.
Fachtagung Supervision im pastoralen Feld, Münster 2004, 13 -
31; weiters i |
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Datum: | 2004-06-11 |
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Inhalt1
| Das Thema der 7. Fachtagung Supervision im pastoralen
Feld1 stellt eine
mehrsinnige Wortkombination dar: „Macht Supervision Sinn“.
Bemerkenswert ist, dass auf der Titelseite des Werbeprospektes
die einzelnen Worte leicht untereinander und ohne
abschließendes Satzzeichen geschrieben sind. Man kann die Worte
also zunächst als eigenständige Begriffe lesen: Macht –
Supervision – Sinn. Die Leserin/der Leser fragt nach einem
möglichen Zusammenhang der Einzelbegriffe: Wie verhält sich die
Macht zur Supervision, wie die Supervision zur Macht? In
welchem Zusammenhang steht die Supervision mit dem Sinn? Wie
hängen Macht und Sinn zusammen? Man kann die Begriffe beliebig
kombinieren und erhält so immer wieder neue
Fragestellungen. | 2
| Im beschreibenden Teil des Werbefolders wird aus den losen
Begriffen ein klarer Satz gemacht, indem die Wortkombination
mit einem Fragezeichen abgeschlossen wird: „Macht Supervision
Sinn?“ Auch das ist noch mehrdeutig. Zumindest zwei Bedeutungen
der Frage drängen sich auf: | 3
| „Macht Supervision Sinn?“ Die Betonung liegt auf der
Supervision und es wird gefragt ob Supervision eine sinnvolle
Handlung2 sei. | 4
| „Macht Supervision Sinn? In diesem Fall liegt der Akzent auf
dem Wort Sinn. Ist Supervision eine Handlung, welche Sinn
stiftet? | 5
| Mit der zweiten Bedeutung des Themas begibt sich Supervision
in das Feld der Religion. Denn Sinnstiftung und
Sinnorientierung des Menschen gehören nach Ansicht der modernen
Religionssoziologie zu den Funktionen von Religion3. | 6
| | 7
| Die Frage, die in der Regel von denen, welche die Frage
stellen, gleich als Anschuldigung behauptet wird, kennen
SupervisorInnen im kirchlichen Feld allzu gut4.
Doch mit der Formulierung „Macht Supervision Sinn?“ begibt sich
die Supervision tatsächlich in das Feld der Religion, auch der
christlichen Religion, insofern man das Christentum als
Religion betrachten will5. In der weiteren
Formulierung des Werbetextes forcieren Sie den Anschein, dass
Supervision Funktionen von Religion übernehmen könnte: | 8
| Sie sprechen von der Hoffnung der SupervisandInnen auf
Orientierung für ihre berufliche Biografie; und dies in
Auseinandersetzung mit dem Trend zur Bastel-Biografie in der
Postmoderne. | 9
| Sie benennen die Erwartung der Institutionen – in Ihrem Fall
sind vermutlich vorwiegend kirchliche Institutionen gemeint –
auf Stabilisierung der MitarbeiterInnen und die konstruktive
Entschärfung von Konflikten. | 10
| Sie sprechen von der „Deutungsmacht“ der Supervision, die
diese im Zuge ihrer wachsenden Anerkennung gewonnen habe. | 11
| Ja, Sie fragen sogar, ob das supervisorische Gespräch dazu
beitrage, beruflichen Sinn zu finden oder gar zu
produzieren. | 12
| Und die rhetorische Gegenfrage macht die Stoßrichtung ihrer
Auffassung noch deutlicher: „Oder überhebt sich die
Supervision, wenn sie sich als eine Instanz versteht, die ‚Sinn
macht‘?“ | 13
| 1. These: Mit dem Thema „Macht Supervision Sinn?“ wird
die Religionsfunktion der Supervision pointiert hervorgekehrt.
Das löst im kirchlichen Feld Konkurrenz aus; eine solche
Funktionalität der Supervision passt sich aber widerstandslos
in die postmoderne Individualisierung und Pluralisierung von
Religion/Religionen ein, in der jede/jeder nach ihrer/seiner
Fasson „selig“ werden kann; nicht zuletzt auch durch
Supervision. | 14
| | 15
| Um die Tragweite aber auch die Grenze der ersten These zu
verdeutlichen, muss ich – sozusagen als Zwischenschritt – eine
Überlegung zur funktionalen Sicht von Religion anstellen. Denn
speziell aus ihrer Perspektive heraus wird die Sinnstiftung als
Funktion der Religion deutlich. Insofern argumentieren
„Kirchenmenschen“, welche die Supervision wegen ihrer
scheinbaren Ersatzfunktion zu traditionellen kirchlichen
Handlungen in Frage stellen, in der Regel nicht aus derselben
Logik heraus. Sie befürchten weniger einen Funktions- als einen
Inhaltsverlust des kirchlichen Handelns durch Supervision. Sie
beziehen sich also auf ein substantielles
Religionsverständnis. | 16
| Am besten kann ich das funktionale Verständnis von Religion
mit einem Klassiker der Religionssoziologie, nämlich mit P.
Berger6 erklären. Ihn
treibt die Frage um, wie Menschen ihre Welt errichten, wie sie
Sinn finden und welche Funktion die Religion dabei hat. P.
Berger geht von der Grundannahme aus: Jede menschliche
Gesellschaft baut ihre Welt. Und Religion spielt dabei eine
besondere Rolle. Aufgrund seiner „biographischen Verfasstheit“
betritt der Mensch nicht instinktgesichert wie die anderen
Lebewesen die Welt, sondern muss sich seine Welt erst
errichten. Dies geschieht in einem „dialektischen Prozess“, der
aus drei Schritten besteht: der Externalisierung,
Objektivierung, Internalisierung. Was ist damit gemeint? Im
„externalisierenden Handeln“ schafft der Mensch gemeinsam mit
anderen die immaterielle und die materielle Welt: Sprache,
Werte, Institutionen; Werkzeuge, Techniken u. a. m., um für
feste Strukturen des menschlichen Lebens, die ihm biografisch
fehlen, zu sorgen. | 17
| Diese vom Menschen geschaffenen Produkte, deren Gesamtheit
die „Kultur“ ausmacht, treten ihm in der Folge als Faktizität,
als eine objektive Wirklichkeit gegenüber. Der Mensch
„vergisst“ also sozusagen, dass die scheinbar objektive
kulturelle Welt in Wirklichkeit von ihm selbst gemacht ist. Die
vom Menschen hervorgebrachte Welt wird für ihn etwas „da
draußen“. Sie besteht aus Objekten, die ihrem Erzeuger
gegenüber ein Eigenwesen, eine Eigendynamik gewinnen. | 18
| Die Menschen internalisieren die kulturelle Welt wiederum.
Jede Gesellschaft ist bemüht, in Sozialisationsprozessen, die
objektivierten Sinnzusammenhänge von einer Generation an die
nächste weiterzugeben. Eine totale Sozialisation, in der eine
Generation alles weitergibt, was und wie es für sie sinnvoll
erscheint, ist nach P. Berger unmöglich. Es müssen aber
wenigstens die wichtigsten Sinnzusammenhänge der Gesellschaft
tradiert werden, damit sie auf Dauer Bestand hat. | 19
| Innerhalb des Prozesses der Sozialisation, in einer
Dialektik von Fremdzuschreibung und Selbstdefinition,
entwickelt sich Identität. Diese Identität ist ein sehr
fragiles Gebilde, das nur durch das ständige
Im-Gespräch-Bleiben mit „Signifikant Anderen“ aufrechterhalten
und (weiter-)entwickelt werden kann, mit Menschen also, die im
Leben bedeutsam werden. Wenn das Gespräch mit Signifikant
Anderen abbricht, beginnt die Welt zu wanken und verliert ihre
bisherige subjektive Plausibilität. Wer sich radikal von der
sozialen Welt absondert, verfällt in „Anomie“, d.h. er/sie
verliert den Sinn für Wirklichkeit und Identität und erleidet
einen „Weltverlust“. Gesellschaftliche Veränderungen, der
Verlust Signifikant Anderer durch Tod, Scheidung oder räumliche
Trennung und andere „absondernde“ Geschehnisse können einen
Sinnverlust auslösen: Der „Nomos“ als ordnungs- und
sinnstiftende Instanz der Gesellschaft kann nur gemeinsam mit
anderen aufrechterhalten werden. | 20
| Dieser Nomos bedarf stets der Rechtfertigung, der
Legitimation. Von einer Generation zur anderen kommt immer
wieder neu die Frage auf: „Warum ist das so? Warum muss das so
sein?“ Es besteht ständiger Legitimationsbedarf. Um die bei der
neuen Generation unweigerlich aufkommenden Fragen beantworten
zu können, müssen Legitimationsformeln vorhanden sein und immer
wieder erinnert werden. Besonders wichtig wird dieser Fundus an
Legitimationen bei individuellen und kollektiven Krisen. | 21
| Die älteste und wirkungsvollste Form der Legitimierung der
zerbrechlichen Wirklichkeit der sozialen Welt geschieht durch
die Religion. Warum kommt der Religion eine derart
herausragende Bedeutung zu? „Die historisch entscheidende
Rolle, welche die Religion für Legitimierungsprozesse gespielt
hat, beruht auf ihrer einzigartigen Fähigkeit, menschlichen
Phänomenen einen ‚Platz‘ in einem kosmischen Bezugssystem zu
geben … Die von sich aus ungesicherten und vergänglichen
Konstruktionen menschlichen Handelns werden so durch
‚Kosmisierung‘ mit dem Anschein letzter Sicherheit und Dauer
versehen.“7 | 22
| Religion bildet also einen „heiligen Kosmos“. Er drückt sich
in allem aus, was dem Menschen heilig ist, was sich also von
der Routine seines Alltags abhebt, als mächtig und gefährlich
in gleicher Weise erlebt wird. „Wer aus der ‚richtigen‘
Beziehung zum heiligen Kosmos herausfällt, verbannt sich an den
Rand des Abgrunds, der Sinnlosigkeit.“8 Durch die Religion erhalten die
gesellschaftlich errichteten Welten einen überzeitlichen
Charakter und einen ontologisch gültigen Status. | 23
| Die größte Herausforderung für die gesellschaftlich
objektivierten Wirklichkeitsbestimmungen stellen
Grenzsituationen und insbesondere der Tod dar. Damit ist das
Problem der Theodizee aufgeworfen. Der Frage „Wo bist du Gott
angesichts des Leides und des Todes?“ entkommt kein Mensch:
„Der schriftunkundige Bauer, der beim Tod eines Kindes auf
Gottes Willen hinweist, lässt sich ebenso auf Theodizee ein wie
der gelehrte Theologe, der eine Abhandlung schreibt, um zu
erklären, dass die Leiden der Unschuldigen der Vorstellung von
einem allgütigen und allmächtigen Gott nicht
widersprechen.“9 | 24
| Nach P. Berger enthält jede gesellschaftlich konstruierte
Ordnung eine Rechtfertigung Gottes angesichts des von ihm
zugelassenen Übels, indem sie den einzelnen und sein Schicksal
transzendiert. Einzelne Menschen können sich selbst in ihrem
Leiden und Sterben noch in den sinngebenden Nomos der
Gesellschaft einfügen und werden fähig, „richtig“ zu leiden und
zu sterben. „Theodizee in unserem Sinne, d. h. die religiöse
Legitimation anomischer Phänomene, wurzelt also in
entscheidenden Merkmalen der menschlichen Vergesellschaftung
überhaupt.“10 Da jede
Gesellschaft ein gewisses Maß an persönlicher Selbstverleugnung
und Verzicht verlangt, besteht eine wichtige Funktion der
Sinnwelt darin, dem einzelnen die Versagung zu erleichtern.
Nach P. Berger ermöglicht der gesellschaftliche Nomos in
Verbindung mit Religion eine besonders intensive
Selbstverleugnung bis in die masochistische Haltung hinein. Das
sado-masochistische Herr-Knechtverhältnis, das in der
zwischenmenschlichen Liebesbeziehung ihren Ursprung hat, wird
in die Theodizee hineinübertragen. Über Theodizee werden
bestehende Leid- und Unrechtsverhältnisse erklärt und
legitimiert. Die jeweiligen Sinngebungen unterscheiden sich in
den unterschiedlichen Religionen. | 25
| Im Zusammenhang mit Bergers Gesellschafts- und
Religionstheorie lautet meine zweite These: | 26
| 2. These: Supervision unterstützt – wie die Religion –
die Tradierungs- und Legitimationsvorgänge, die für die
Identität von Mensch und Gesellschaft von entscheidender
Bedeutung sind, sie entzaubert sie aber auch. In
Supervisionsprozessen erkennen Menschen u. a. subjektive,
gesellschaftliche und kirchliche Konstruktionen und ihre
Legitimationen als Menschenwerk und machen sie damit
veränderbar. Supervision wirkt zugleich
legitimierend-stabilisierend und emanzipatorisch. | 27
| | 28
| Mit der aufklärend-emanzipatorischen Funktion partizipiert
Supervision am Aufklärungswissen moderner Gesellschaften, das
in sich ambivalent ist: | 29
| Auf der einen Seite befreit das moderne Aufklärungswissen
von der Unmündigkeit, sich nicht ohne Abhängigkeit von anderen
seines eigenen Verstandes bedienen zu können und autonom zu
leben und zu handeln. | 30
| Auf der anderen Seite zeigt sich – insbesondere in den
neoliberalen Gesellschaften des Nordens der Welt – dieses
Wissen als Macht, welche zur Beherrschung, ja zur Ausbeutung
anderer eingesetzt wird. | 31
| Es gibt wohl keine Epoche in der Geschichte der Menschheit,
für die das geflügelte Wort „Wissen ist Macht“ mehr zutrifft
als für unsere. Wir sprechen im Norden der Welt von einer
Wissens- und Informationsgesellschaft, in welcher sich die
Machtverhältnisse ganz neu verteilen. Mächtig ist, wer
möglichst viel vom gesellschaftlich anerkannten Wissen besitzt
und medial transportieren und exportieren kann. Die
Universität, an der ich arbeite, überlegt im Moment, wie sie
das Wissen der WissenschaftlerInnen für sich schützen und die
Weitergabe an Außenstehende mit Gebühren belegen kann.
Materiell wertvoll ist vor allem das naturalistische
Verfügungswissen, das Menschen darauf hoffen lässt, die Welt
nur aus sich heraus, also ohne Gott beherrschen zu können. Die
totalitären Züge dieser Wissensmacht sind unverkennbar. Der
Einsatz von Wissen und Information geschieht strategisch
geplant und zeigt im Moment u. a. in der Irak-Krise in
dramatischer Weise seinen widersprüchlichen Charakter zwischen
Selbstaufklärung, Autonomie und totaler Abhängigkeit. | 32
| Die Herrschaft des naturalistischen Verfügungswissens hat
das Sinn- und Orientierungswissen, das die Religionen anbieten,
in den Privatbereich abgedrängt. Die Religion scheint mit der
gesellschaftlichen Emanzipation vom kirchlichen Sinn- und
Orientierungsangebot und mit ihrer Privatisierung und
Pluralisierung endgültig aus der gesellschaftlichen
Öffentlichkeit verschwunden zu sein. Damit wird den neuen
Wissensmächten eine geradezu metaphysische Wirksamkeit
verliehen, der die Einbettung in eine höhere Macht, als sie
selbst es sind, und damit die menschliche Begrenzung abhanden
gekommen sind. | 33
| Der geschilderte weltanschaulich-religiöse Kontext macht
deutlich: Unser supervisorisches Handeln in Kirche und
Gesellschaft geschieht nicht im luftleeren, neutralen Raum; es
geschieht im Kontext eines Kampfes zwischen dem sich immer
ohnmächtiger erweisenden Gott der biblischen Botschaft, dessen
Kommen die christlichen Kirchen, bei aller eigenen
Schuldverstrickung, wach zu halten versuchen und den Göttern
des modernen Verfügungswissens und seiner ökonomischen und
medialer Nutzung und Weitergabe; Göttern also, die ihre Macht
im Wissen und in der Schnelligkeit des Wissenstransfers
offenbaren. Die Hoffnung auf den kommunikativen Gott der
biblischen Botschaft, der den Schrei der Sklaven und
Unterdrückten aller Zeiten hört, wird durch die
Wissenskommunikation ersetzt, welche die Allmachtsphantasien
des Menschen, wie Gott zu sein, entscheidend stimuliert. Dabei
scheuen die ökonomischen Mächte nicht davor zurück, das
traditionelle Feld der Religion/Religionen direkt für sich
nutzbar zu machen: Der Chef des VW-Konzerns sprach kürzlich
davon, dass es in Hinkunft nicht mehr darum gehe, zweckmäßige
Autos zu bauen, sondern sinnstiftende. Und ein Linzer
Kirchenarchitekt verkaufte einen Kirchenentwurf, den er bei der
Kirche nicht los wurde, an einen Großkonzern. Fast ohne
Änderung des Planes wurde die Kirche als Einkaufszentrum
gebaut. Sogar die Idee des Taufbeckens blieb erhalten: Es wurde
in einen Springbrunnen verwandelt.11 | 34
| In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, mit welcher
Naivität – nicht zuletzt reaktionäre – Kirchenkreise auf die
neoliberalen Züge der neuen Geld-, Wissens- und
Informationsmächte aufspringen. Am liebsten würde man den
Weltkatechismus über das Internet „verkaufen“ und tut es z. T.
auch. Eine Kirche, die das Bewusstsein von der kommunikativen
Beziehungsmacht ihrer Botschaft aus dem Bewusstsein verliert
und sich der instrumentell-strategischen Informationsmacht
moderner Wissensbestände in die Arme wirft, um
gesellschaftlichen Erfolg zu erzielen, geht orthopraktisch in
die Irre: Sie kann tausendmal die theologisch richtige Wahrheit
des Glaubens behaupten, wenn die kommunikative Qualität der
Glaubenserschließung dem kommunikativen Gott und seiner
Kommunikation in der Geschichte zuwider läuft, wird der wahrste
Inhalt ins Gegenteil verkehrt.12 | 35
| 3. These: Supervisorische Kompetenz und supervisorisches
Wissen haben Anteil am modernen Wissen und an der Information
der Wissensgesellschaft; sie sind ambivalent. Zur zentralen
theologischen Herausforderung wird das supervisorische Wissen
im Hinblick auf die Frage, wie es eingesetzt wird und wie es
wirkt: Als strategische Wissens- und Informationsmacht oder als
kommunikative Beziehungsmacht. | 36
| | 37
| An keiner anderen Thematik als am Thema des Opfers und des
Opferns prallen das instrumentell-emanzipatorische
Wissensverständnis und sein strategischer Gebrauch und das
christliche Selbstverständnis von der Kommunikation Gottes in
der Geschichte als Ermöglichung wahrhaft menschlicher
Kommunikation so deutlich aufeinander. Gleichzeitig gehört die
Frage des Opfers zur Zentralgestalt vieler Religionen und
speziell des christlichen Glaubens, auch wenn sie oft verdrängt
wurde oder wird. Worum geht es konkret? | 38
| Über Generationen wurde die Differenz zwischen dem, was nach
kirchlichen oder anderen weltanschaulichen bzw. ethischen
Maßstäben gelten sollte, und dem, was real lebbar war, durch
eine Spiritualität des Opferns ausgeglichen. Der Ehe- und der
Generationenvertrag, das Verhältnis zwischen den Partnern und
das Verhältnis zwischen „Alt“ und „Jung“ waren ein beliebtes
Feld, den Verzicht und die wechselseitige Abhängigkeit durch
„Aufopfern“ zu regulieren: Speziell Frauen opferten sich für
ihre Männer; Eltern, besonders Mütter opferten sich für ihre
Kinder und erwarteten ihrerseits Dankbarkeit und Opfer der
Kinder, wenn sie im Alter derer bedurften. Über dieses
„Tauschgeschäft“ wölbte sich die Religion – auch das
Christentum – wie ein „heiliges Zelt“ (vgl. P. Berger) und
stabilisierte ein eindrucksvolles Opfersystem, das auf der
einen Seite hohe Stabilität in den Rollen und Beziehungen
garantierte, das aber andererseits nicht wenigen Menschen die
Freiheit und das Lebensglück raubte. Jede und jeder wusste in
diesem System „was sich gehört“, welche Rolle sie/er darin zu
spielen hat und welches Risiko sie/er eingeht, wenn den
wechselseitigen Erwartungen von einer Seite nicht entsprochen
wird. Speziell Menschen in den „dienenden“ Rollen durften sich
keinen Ausstieg erlauben. | 39
| Die (post-)modernen Emanzipations- und
Selbstverwirklichungsbewegungen, in denen vor allem Frauen eine
wichtige Rolle spielen, und die feministisch-theologische
Kritik am patriachalen Gottesbild, haben die „grandiose“
Opferspiritualität zumindest teilweise zum Einsturz gebracht.
Wenn jemand – nicht zuletzt unterstützt durch Supervision – aus
der erwarteten Rolle aussteigt oder diese zumindest
hinterfragt, kann dahinter eine tiefe, ja prophetische
Glaubenseinsicht stehen, sich und die anderen vom Gott des
Lebens, der Beziehung ist, in eine neue, geschenkte Freiheit
hinein verlocken zu lassen. Dies kann um den Preis geschehen,
dass das konfliktarme, harmonische Leben mit einer
konfliktreichen Existenz vertauscht wird, welche die neue
Zukunft von Gott her antizipiert. Alle diesbezüglichen Dienste
der Kirchen etwa im Ausbau von Beratungseinrichtungen dürfen
als Zeichen des Wirkens des beziehungsstiftenden und
befreienden Gottesgeistes anerkannt werden. Theologisches
Kriterium für die Beurteilung solch geistvollen Handelns ist
die Absichtslosigkeit und freie Zugänglichkeit solcher Dienste
für alle Menschen, unabhängig von ihrer Kirchenzugehörigkeit
und religiösen Einstellung. Der befreiende Gottesgeist, der
Frauen, Männer und Kinder von einem asymmetrischen, abhängig
haltenden Rollensystem in ein neues, geschwisterliches, also
symmetrisches Rollenverständnis hinein ruft, kennt keine
kirchliche Etikette. Er weht, wo er will. | 40
| | 41
| Wenn Beziehungsarbeit und Rollenklärung eine moderne Form
der Spiritualität sein können, bedeutet das dann, dass jeder
konfliktreiche Ausstieg aus traditionellen Rollen ein Werk des
Hl. Geistes ist? Wie wir aus dem sogenannten Pfingstereignis
wissen, sind die Phänomene des Geistes keineswegs eindeutig.
Die JüngerInnen Jesu steigen vom Geist getrieben, freimütig und
ohne Angst aus ihrer Rolle als Verängstigte, Unterdrückte und
Verfolgte mutig aus. Sie gehen in eine neue, allerdings höchst
konfliktreiche Zukunft, die ihnen schließlich Verfolgung
bringt, ja das Leben kostet. Voll des Hl. Geistes zu sein und
den Ausstieg aus der gesellschaftlich erwarteten Rolle zu
wagen, kann als Betrunkensein interpretiert werden. Und vom
Geist des Weines beseelt zu sein, darf nicht mit dem Hl. Geist
verwechselt werden. So ist es auch mit der supervisorischen
Arbeit: Aus welchem Geist heraus und in welcher Absicht sie
geschieht, bedarf der Geistesgabe der Unterscheidung. Denn
dasselbe rollenverändernde Handeln kann aus dem Geist der
Liebe, der Freiheit, der tiefen Solidarität motiviert sein und
zum Mut führen, einem anderen Menschen um einer größeren
Lebensmöglichkeit willen im Moment sogar weh zu tun, aus einem
System auszubrechen oder es zu bekämpfen; es kann aber auch aus
dem Ungeist der Ich-Zentrierung, einer unbezogenen
Selbstverwirklichung, einer menschlichen Enge und
Solidaritätslosigkeit motiviert sein. | 42
| Wie sehr es der Unterscheidung bedarf, zeigt sich an der
(post-)modernen Überheblichkeit mancher Emanzipationsbewegungen
gegenüber einfach glaubenden Menschen, die alltäglich, ohne
viel Aufhebens treu zu sich und den anderen leben; sie zeigt
sich mitunter auch in einer Überheblichkeit gegenüber den
Kirchen, die dem „anything goes“ eine Alternative aus
Verantwortung gegenüberstellen wollen. | 43
| Der Angelpunkt der Überheblichkeit ist nicht selten der
Opfergedanke. Sie besteht nicht selten im Bewusstsein, endlich
alle Opfer befreit zu habe. Doch ist durch die Emanzipation,
durch Therapie, Supervision und Organisationsentwicklung das
Opfern endgültig aufgeklärt und beseitigt? Vielleicht erzeugt
das „ganz normale Chaos der Liebe“ (U. Beck) und seine
Bearbeitung auch neue Opfer? Opfer, die nicht selten in einem
engen Zusammenhang mit der Befreiung von Menschen aus
Opfersystemen und Opferrollen stehen: | 44
| Kinder, die unter der Trennung ihrer Eltern leiden, weil ein
Elternteil oder beide aus der bisherigen Rolle ausgestiegen
sind; | 45
| alte Menschen, die vereinsamen, weil die Karriere ihrer
Kinder keine Zeit für sie übrig lässt; | 46
| Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher, die mit einem oder
mehreren Kindern nach einer sich selbst verwirklichenden
Trennung eines Partners zurückbleiben; | 47
| Priester, die die Gott und die Welt nicht mehr verstehen,
weil sich alle aus dem kirchlichen Herrschaftssystem
emanzipiert haben und niemand mehr ihr Rollenverständnis teilt,
dem sie ihr Leben „geopfert“ haben. | 48
| Es sollen keinesfalls die „neuen“ Opfer mit den alten
aufgerechnet oder in ihrer Dramatik verglichen werden. Es geht
einzig darum, vor der Illusion endgültig „befreiter“,
nachreligiöser oder nachkirchlicher Menschen zu warnen und
dabei die Verschleierung (post-)moderner Opfer zu
übersehen. | 49
| 4. These: Supervision kann – speziell im kirchlichen
Kontext – als „Befreiungsarbeit“ aus dem Opferkreislauf gesehen
werden. Gleichzeitig produziert die Emanzipation aus den
tradierten Rollen auch neue Opfer, die nicht selten übersehen
oder verschleiert werden. | 50
| | 51
| Gegenüber der Tabuisierung und Verschleierung traditioneller
oder moderner Opfer hat die Kirche dem Opfer immer schon eine
Gestalt gegeben, ja in gefährlicher Offenheit davon gesprochen.
Auch die kirchliche Rede vom Opfer(n) war und ist ambivalent.
J. Niewiadomski beschreibt in unserem gemeinsamen
Eucharistiebuch das Opfersystem im Hinblick auf das
traditionelle Verständnis des Messopfers treffend: „Der am
Kreuz sich selbst auf blutige Weise darbringende Christus, der
in unzähligen Messen auf unblutige Weise Gott dargebracht wird,
konnte so – gerade in der ganzen Doppeldeutigkeit des
Geschehens – zum Angelpunkt eines intensiven
Kommunikationsverfahrens zwischen den Menschen werden. Zwischen
den Lebenden untereinander (die einander opferten und sich auch
füreinander opferten), zwischen den Lebenden und den Toten und
natürlich zwischen den sündigen Menschen und dem zornigen, aber
eben durch Sühnopfer der Menschen zur grenzenlosen Vergebung
bereiten Gott.“13 | 52
| Wir haben gesehen: Auch die moderne, neoliberale, von Markt
und Medien beherrschte Gesellschaft kennt ihre Opfer und
„Sündenböcke“, denen der Ausschluss oder die Sonderbehandlung
in besonders für sie geschaffenen sozialen oder therapeutischen
Einrichtungen droht. Menschen werden in unserer Kultur in der
Regel dann zu Opfern, wenn sie anders sind als die „normalen“
anderen. Das kann sich auf ihre Sprache, ihre Lebensweise, ihre
Kleidung, ihre sozialen Verhältnisse und vieles andere
beziehen. | 53
| Es gibt auch regelrecht „vergessene“ Opfer in unserer
Gesellschaft; damit sind jene benannt, die aus dem modernen
Wirtschafts- und Kommunikationssystem herausfallen, weil sie
nicht mitkönnen, weil sie keine Arbeit haben, weil sie krank
oder behindert sind oder weil sie schlechterdings den Anschluss
verpasst haben. Ganz zu schweigen von der modernen Opferbilanz
aus der Perspektive der wirtschaftlich und technologisch
benachteiligten Länder, also aus der Sicht des Südens. | 54
| 5. These: Supervision ist von der traditionellen und
modernen Opferdynamik, die zum Ausschluss Dritter führt,
besonders herausgefordert. Die Befähigung zu „gelingender“
Kommunikation und Sinnstiftung in Systemen geschieht nicht
selten auf Kosten ausgeschlossener Dritter.14 | 55
| | 56
| Wie sich das moderne Verfügungswissen und die privatisierte
Religion die Hand reichen, um eine in sich sinnstiftende,
kommunikative Welt auf Kosten Dritter zu errichten, erleben wir
in diesen Tagen dramatisch. Wer durchbricht den Schleier der
instrumentell-strategischen Vernunft, der sich über die alten
und neuen Opfer, über die alten und neuen Dritten und
Ausgeschlossenen legt? Ich frage nach dem „Mehrwert“ des
theologischen Bildes von der Vergegenwärtigung der Hingabe
Christi in der Eucharistie? | 57
| Zunächst durchbricht das Bild von der Hingabe Jesu Christi
das große „Tauschgeschäft“ mit Gott oder mit dem, woran moderne
Menschen ihr Herz hängen; das Opfern muss weder durch
therapeutische noch durch religiöse Rituale endlos wiederholt
werden. Die Hingabe Jesu Christi, dem die Opferrolle von
Menschen aufgedrängt und der von Gott aus dem Tod gerettet
wurde, ohne nun die Täter zu Opfern zu machen, durchbricht die
alten Opferstrukturen und zerreißt den Schleier, der über die
modernen Opfer gelegt wird: Den Stein, den die Bauleute
verworfen haben, hat der kommunikative Gott des Lebens zum
Eckstein gemacht. | 58
| In diesem Geschehen zeigt sich die „Wandlung“ von Systemen
und Menschen als Geschenk des „großen“ Gottes an die Freiheit
des Menschen selbst durch größte Kränkung des Menschen (vgl. P.
Berger), also durch den Tod hindurch. Der österliche Blick des
christlichen Glaubens unterscheidet sich grundlegend vom
„heiligen Kosmos“ der Religion, der das ungerechte Leiden
angesichts eines gerechten Gottes erträglich machen soll. Am
Kreuz hängt – nach christlicher Auffassung – in Jesus Christus
Gott selber, seine Macht ist die Ohnmacht des Kreuzes, der
solidarische Aufschrei mit allen Gekreuzigten. | 59
| „Kleine“ Götter wie Harmonie, „gelingende Kommunikation“ auf
Kosten Dritter, das Tauschgeschäft des Opferns usw. wandeln
nicht wirklich; sie nehmen den Menschen in Beschlag und geben
ihm nur einen kleinen Spielraum innerhalb der vorgegebenen
Interessen und Zwänge. Wer sich wandeln lässt, bleibt nicht
beim „Aufopfern“ aller Schwierigkeiten und Krisen stehen;
sie/er begnügt sich auch nicht mehr mit einer „dünnen“
Solidarität im Sinne von: „Wir machen einander durch unsere
Hingabe ‚fertig‘“, oder: „Wir sitzen alle im selben Boot und
müssen uns daher gegen andere zusammenschließen.“ Die Metapher
von der Hingabe Jesu an die Menschen und das Geschenk der
Wandlung zum neuen Leben von Gott her, erschließen ein
„Für-Sein“, das sich als konsequentes „Mit-Sein“ zeigt; es ist
kein hohler Aktivismus für den Anderen, sondern eine tiefe
Erfahrung der Hingabe, die zur beziehungsreichen
Selbstverwirklichung wird. Solches Handeln ist im Tun und
Lassen, in Actio und Contemplatio, in Macht und Ohnmacht
geerdet. Der zwischenmenschliche und gesellschaftliche Einsatz
für andere ist spirituell in der Botschaft des Glaubens, in
einer Praxis des Gebetes und der Meditation, im Feiern der
Gemeinde verwurzelt. Es geht um eine in der Gottes- und
Menschenliebe geradezu mystisch verwurzelte, „dichte“
Solidarität, in der die anderen nicht nur als des Einsatzes
Bedürftige, sondern als von Gott geschenkte „Andere“ in ihrer
Andersheit und bleibenden Fremdheit, in ihrer eigenen Freiheit
und Verantwortlichkeit erkannt werden. | 60
| 6. These: Bei allem supervisorischen Bemühen, Menschen
in ihrer „Beziehungsarbeit“ und im Durchblick durch systemische
Gegebenheiten in neue Handlungsspielräume hinein zu begleiten
und sie Sinn in ihrem beruflichen und privaten Engagement
finden zu lassen, muss der Blick auf eine mögliche Wandlung,
die nicht nur aus eigener Kraft geschieht, und auf eine
Lebensdimension hin offen bleiben, welche die Hoffnung auf eine
„geschenkte Zukunft“ aufschließt. | 61
| | 62
| Angesichts des Fragmentarischen und Unversöhnten, das es im
Leben eines jedes Menschen gibt, sind (post)modern zwei
unterschiedliche Verhaltensweisen erkennbar: Die einen stürzen
sich – oft unter Zuhilfenahme supervisorischer und
therapeutischer Verfahren – in die Aufarbeitung dessen, was sie
nicht auf sich beruhen lassen können oder wollen; andere
versuchen die eigene Geschichte zu vergessen und zu verdrängen.
Manchmal sind auch beide Möglichkeiten miteinander gekoppelt:
Menschen benützen supervisorische und therapeutische Vorgänge,
um nichts verändern zu müssen und alles vergessen zu können.
Bei aller Sinnhaftigkeit supervisorischer und therapeutischer
Arbeit an der eigenen Berufs- und Lebensgeschichte, an den
Verletzungen und Verwundungen bleibt die entscheidende Frage:
Muss oder kann ich mich selbst wandeln, mich in meinen
vielfältigen Rollen erlösen? | 63
| Wer sich die unterschiedlichen Rollen bewusst und ihre/seine
Verstrickung in Systemen und Organisationen bewusst macht und
seine Geschichte vergegenwärtigt, geht immer ein Risiko ein:
Kann ich mich verständlich machen? Werde ich so anerkannt, wie
ich bin? Selbstpreisgabe und vorausgehendes Vertrauen müssen im
Lot sein. Jeder Mensch ringt nach Zustimmung: So bin ich, bitte
gestatte mir, der oder die zu sein, der oder die ich bin.
Menschen sind in der Regel sehr sensibel dafür, ob die
Zustimmung zu allen ihren Rollen echt ist oder nur formal; ob
sie nur in bestimmten Rollen akzeptiert oder so angenommen
werden, wie sie sind. Oft signalisiert ein ehrfurchtsvolles
Schweigen angesichts einer biographischen Erzählung mehr
Zustimmung und Anerkennung – auch des Scheiterns – als viele
oder gar übertriebene Worte. | 64
| Vergegenwärtigen der eigenen Geschichte sucht also nach
unbedingter Anerkennung und Erlösung. Jeder Mensch hofft auf
einen, der sein ganzes Leben in der Buntheit und
Widersprüchlichkeit der unterschiedlichen Rollen – und nicht
nur Teile davon – anerkennt und bejaht „einschließlich seiner
Irrungen und Wirrungen, seiner Verletztheiten und seiner
Schuld.“15 In den
meisten Situationen des Lebens müssen sich Menschen
zurückhalten. Sie dürfen klugerweise nicht alles ausdrücken,
was sie in ihrem bisherigen Leben gespielt haben und was an
Wünschen, Sehnsüchten und Hoffnungen in ihnen steckt. Doch die
meisten Menschen haben eine tiefe Sehnsucht nach Wandlung. Sie
wird erhofft, wenn einmal alles Geglückte und Misslungene
vorbehaltlos und ohne moralischen Zeigefinger zum Ausdruck
kommen darf; wenn die Buntheit und Widersprüchlichkeit der
Lebensrollen anerkannt wird – im Angesicht von jemandem, bei
dem es immer schon gut aufgehoben ist. „Gesucht ist: mein Leben
– eine Gravur in Gottes Hand (Jes 49,16).“16 Auf diesem Hintergrund formuliere
ich folgende Schlussthese: | 65
| 7. These: Supervision macht Sinn, wenn sie keinen Sinn
macht, sondern Menschen daraufhin begleitet, die Sinndimension
ihres Lebens auf einen größeren Horizont hin offen zu halten.
Die supervisorische „Macht“ wandelt sich dabei von einer
strategischen Interpretationsmacht, die darauf abzielt, Sinn zu
konstruieren, zu einer kommunikativen „Ohnmacht-Macht“, die
sich der Geschenkhaftigkeit (Gnadenhaftigkeit) des Lebenssinns
bewusst bleibt. | 66
| | 67
| | 68
| 1
Die 7. Fachtagung Supervision im pastoralen Feld fand vom
10.-13. März 2003 in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster
unter zahlreicher Beteiligung von SupervisorInnen aus dem
deutschen Sprachraum statt. | 69
| 2
Im modernen Kontext meinen wir damit in der Regel, dass
Supervision zielgerichtet ist und dass in „Verträgen“ klare
Ziele vereinbart werden. | 70
| 3
Vgl. u. a. bereits Kaufmann, Franz Xaver, Religion und
Modernität. Sozialwissenschaftliche Perspektiven, Tübingen
1989. | 71
| 4
Belardi geht in seiner Einführung zur Supervision so weit, dass
er den Sokratischen Dialog, die Aufgabe des Regens als
„geistlichen Leiter“ in den katholischen Priesterseminaren und
Klosterschulen sowie die Institution der Beichte „als
Vorläuferform“ der Supervision bezeichnet (Belardi,
Supervision. Eine Einführung, 35f). | 72
| 5
Auf den Diskurs, ob und inwiefern das Christentum eine/keine
Religion ist, kann und will ich hier nicht weiter eingehen. | 73
| 6
Vgl. Berger, Peter, Zur Dialektik von Religion und
Gesellschaft, amerikanische Originalausgabe: New York 1967,
deutsch: Frankfurt a. M. 21988. Genauere Ausführungen finden
sich in: Scharer, Matthias, Begegnungen Raum geben.
Kommunikatives Lernen in Gemeinde, Schule und
Erwachsenenbildung, Mainz 1995, 90 – 95. | 74
| 7
Berger, Dialektik, 35. | 75
| 8
Berger, Dialektik, 27. | 76
| 9
Berger, Dialektik, 52. | 77
| 10 Berger, Dialektik, 54. | 78
| 11 Vgl. dazu u. a. Scharer, Matthias,
Kommunikation managen - Communio praktizieren. Leiten und
kommunizieren in Schule und Gemeinde als theologische
Herausforderung, in: RPB 39 (1997), 43-63 und in: CPB 110
(1997), 130-140; ds. , Wie wird Kirchliche Bildung marktgerecht
oder: Welche Bildung macht den Markt gerecht?
Communiotheologische Überlegungen zum kirchlichen
Bildungsgeschehen, in: Hilberath, Bernd Jochen (Hg.), Communio
– Ideal oder Zerrbild von Kommunikation (Quaestiones Disputatae
176), Freiburg u.a.O. 1999, 235 – 242. | 79
| 12 Vgl. Scharer, Matthias / Hilberath, Bernd
Jochen, Kommunikative Theologie. Eine Grundlegung, Mainz
2002. | 80
| 13 Scharer, Matthias / Niewiadomski, Józef,
Faszinierendes Geheimnis. Neue Zugänge zur Eucharistie in
Familie, Schule und Gemeinde, Innsbruck-Mainz 1999. | 81
| 14 Vgl. Wolfgang Palaver, Kommunikationswelt
Weltgesellschaft, erscheint in: Hilberath, Bernd Jochen /
Kraml, Martina / Scharer, Matthias, Wahrheit in Beziehung. Der
dreieine Gott als Quelle und Orientierung menschlicher
Kommunikation, Mainz (vorauss.) 2003 (= Band 4 der Reihe
Kommunikative Theologie). | 82
| 15 Siller, Hermann P., Die Fähigkeit eine
Biographie zu haben, in: Diakonia 26 (1995), 16. | 83
| 16 Siller, Biographie, 16 |
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