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Sexuelle Befreiung - ein bleibendes Anliegen

Autor:Rotter Hans
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:Diakonia, Heft 1/1999, 37-42.
Datum:2001-10-13

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Dr. Helmut Erharter hat als Redakteur der Zeitschrift "Diakonia" Anliegen in die Diskussion gebracht, die jeden geistig wachen Seelsorger beschäftigen. Das waren nicht immer Themen, die ihm allseits Zustimmung brachten, sondern auch kontroverse Fragen, deren Behandlung nicht ohne Risiko bleiben konnte. Aber Dr. Erharter fühlte sich dabei als Anwalt von Menschen in Not, die die Hilfe der Kirche brauchen. Der erste Schritt musste sein, solche Not als bestehend zu erkennen. Dann konnte man die Probleme diskutieren und vielleicht auch Hilfen für die Pastoral anbieten. Es war dem Verfasser dieser Zeilen unvergesslich, mit welchem Engagement Dr. Erharter auch über längere Zeit seine Anliegen verfolgt hat. Dabei spürte man neben der Solidarität mit den Betroffenen gleichzeitig die Loyalität mit der Kirchenleitung, auch wenn ihm nicht immer alles leicht gemacht wurde. </>

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Es wird nicht überraschen, dass neben anderen Fragen besonders der ganze Bereich der Sexualität für Dr. Erharter zu einem besonderen Anliegen geworden ist. Hier gibt es viel menschliches Leid, manchmal sogar eine Not, die nach der Überzeugung vieler Katholiken durch die traditionelle Verkündigung der Kirche eher vermehrt als gelindert worden ist.(1) Jeder Beichtvater kennt solche Nöte und begegnet ihnen immer wieder:

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Da ist etwa eine weithin zu findende Skrupulosität, die das Selbstwertbewusstsein beeinträchtigt, schmerzhafte aber unberechtigte Gewissensbisse hervorbringt und die Fähigkeit zu vertrauensvoller Hingabe beschränkt. Diese Überängstlichkeit wird oft noch dadurch gesteigert, dass sie sich mit einer übermäßigen Fixierung der Phantasie auf sexuelle Themen verbindet. Es geht dabei nicht so sehr um Grundforderungen der Sexualethik wie eheliche Treue, sondern oft um geradezu zwanghafte erotische Vorstellungen und Ängste gerade unverheirateter Menschen, die sexuelle Wünsche verdrängt aber innerlich nicht aufgearbeitet haben. Solche "unschamhafte" Phantasien stellen sich häufig gerade in Zusammenhang mit Gebet oder Sakramentenempfang ein und sind auch deshalb sehr störend, beängstigend und belastend.

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Ein weiteres Problem ist die psychische Überforderung, die z.B. in Verbindung mit Masturbation begegnet. Viele Menschen erleben immer wieder ihre Ohnmacht, auch bei bestem Willen, darüber hinwegzukommen. Besonders manche unverheiratete Menschen quälen sich lebenslang mit diesem Problem, kämpfen, kommen doch nicht zurande und leiden unter der ständigen Wiederholung von "Niederlagen". Nicht selten verbindet sich das mit einer zunehmend negativen Einstellung zur Sexualität. Man empfindet sich als schmutzig und leidet in seinem Selbstwertbewußtsein.

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Besonders auffällig ist oftmals das Auseinanderfallen von persönlichem, subjektivem Empfinden und angelernten Gewissensinhalten. Häufig kommt es vor, dass man zwar etwas beichtet, aber der subjektiven Überzeugung ist, dass die betreffende Handlung, wie z.B. Empfängnisverhütung, notwendig war, und dass man bei einer entsprechenden Situation auch künftig wieder so handeln würde. Hier zeigt sich vor allem bei ängstlichen, wenig selbstbewussten Persönlichkeiten oft ein "gespaltenes Bewusstsein". Es wird dann einerseits durchaus nicht als gleichgültig betrachtet, was das kirchliche Lehramt sagt oder was man im Religionsunterricht gelernt hat. Aber man ist gleichzeitig der Meinung, dass man in seiner konkreten Situation entgegen der offiziellen Norm handeln müsse. Offenbar empfinden das kirchlich gebundene Menschen mit geringer Ichstärke dann als eine Art unvermeidliche Schuld, die sie bedrückt, der sie aber glauben nicht entgehen zu können. Besonders verletzend kann es dann sein, wenn einem bei einer solchen Einstellung wegen mangelnder Reue und des fehlenden Besserungswillens die Lossprechung verweigert wird. Hier kann es dann zu einem dauernden Wegbleiben von den Sakramenten und manchmal auch zu einer Distanzierung von der Kirche kommen.

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Oft werden kirchliche Auffassungen als Ursache für persönliche Unfähigkeiten oder gar für ausgesprochenes Scheitern angegeben. Die Leute sehen den Grund von Problemen oder gar Versagen etwa in Partnerschaft, Ehe und Familie dann darin, dass sie "streng katholisch" erzogen worden seien. Sie meinen offenbar, dass sie dadurch in ihrer Entfaltungsmöglichkeit eingeschränkt, etwa in ihrer Fähigkeit zur Partnerbeziehung beeinträchtigt worden seien, so dass sie nicht jene positive Einstellung zur Sexualität entwickeln konnten, die ihnen dann später wünschenswert erscheint. In schwereren Fällen kann man von "ekklesiogenen Neurosen" sprechen. Aber auch dort, wo keine so ausgesprochen pathologischen Phänomene vorliegen, können Menschen sehr darunter leiden, dass ihnen nach ihrer Meinung ein wesentliches Stück ihres Lebensglückes vereitelt worden ist. Doch das führt nicht selten zu einer kirchenkritischen Einstellung, wenn nicht gar zu einer Entfremdung von Kirche und Glaube.

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Probleme im Umgang mit der Sexualität zeigen sich naturgemäß besonders im Bereich der Erziehung. Eine erhebliche Schwierigkeit besteht hier im Widerspruch zwischen der Überzeugung einer säkularen Öffentlichkeit und einem (vermeintlichen, oft auch missverstandenen) christlichen bzw. kirchlichen Standpunkt. Dabei wird es gerade Jugendlichen im Pubertätsalter sehr schwer fallen, die notwendige Kritik gegenüber der öffentlichen Meinung aufzubringen. Aber auch viele Eltern sind sich nicht sicher, was sie ihren Söhnen und Töchtern heute noch abverlangen können und sollen, ob das noch gilt, was sie selbst gelernt haben und was sich ihrer Meinung nach dann im Leben vielleicht nicht bewährt hat. Manche halten es dann für besser, wenn den jungen Leute die Gelegenheit gegeben wird, selbst "Erfahrungen" zu machen, um selbst zu lernen, was für sie gut ist. Sie meinen, das sei jedenfalls besser, als wenn man versucht, sie zu einer strengen Beobachtung der Normen anzuhalten - womöglich dadurch, daß man ihnen Angst einjagt. Denn das könnte - so fürchten sie - für später zu Blockierungen führen, speziell etwa zu Hemmungen im geschlechtlichen Bereich wie zur Abwertung von Personen des anderen Geschlechts und zur Angst vor dem Umgang mit ihnen. Ein vertrauensvolles Intimleben würde dadurch erschwert.

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Man kann ganz allgemein von einem Druck der Medien sprechen, die eine "moderne" Sexualauffassung propagieren und als Lebenshilfe anpreisen. Fernsehen und Illustrierte bringen regelmäßig Beiträge von verschiedenen "Sexlehrern der Nation". Diese Anweisungen stützen sich oft auf eine popularisierte Psychologie, klingen plausibel und finden in der Öffentlichkeit viel Zustimmung. Die Darstellung der Medien stellt insbesondere einer Erziehung des Drohens und des Angstmachens, die der Tradition nachgesagt wird, eine positive Auffassung von Lust und Erotik gegenüber. Es ist leicht, solche Modernismen pauschal abzulehnen. Es ist aber zu bedenken, dass sie oft auf freilich sehr undifferenzierten und vereinfachenden psychologischen Einsichten basieren, die ein Mensch mit durchschnittlicher Bildung nicht leicht durchschauen oder widerlegen kann. Diese Aussagen erscheinen dann für viele als sehr plausibel und werden nicht weiter hinterfragt. Im Vergleich dazu finden kirchliche Aussagen zur Sexualmoral besonders bei jungen Leuten gewöhnlich weitaus weniger Beachtung. Kategorische ethische Normen werden oft als ideologisch und autoritär empfunden und abgelehnt.

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Oft genug ist es in der Auseinandersetzung mit heute gängigen Darstellungen in Film, Kabarett, in pädagogischen Magazinen, Illustrierten, Fernsehsendungen usw. von Seiten der Kirche zu Protesten und Kampagnen gekommen. Oft sind diese aber dann auch in Strafprozessen eher im Sande verlaufen. Man denke z.B. an die Unterrichtsmaterialien des "Sexkoffers". Der Einsatz, mit dem man hier gekämpft hat, hat gelegentlich die Beseitigung einzelner Auswüchse gebracht, aber die breitere Öffentlichkeit sonst kaum überzeugt. Man wird mit solchen Interventionen oft auch der heutigen Jugend nicht gerecht, weil diese mit der Thematik andernorts viel ungeschminkter und radikaler konfrontiert ist und deshalb die Bedenken kirchlicher Kreise gegenüber gemäßigteren Darstellungen nicht verstehen kann. Besonders die Agitationen fundamentalistischer Kreise, die dann oft beanspruchen, den eigentlich kirchlichen Standpunkt zu vertreten, schaden in Wirklichkeit oft dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Kirche, weil sie zu weit von dem entfernt sind, was auch gutwillige junge Menschen heute verstehen können.

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Ganz unabhängig davon, welchen Standpunkt man in den verschiedenen Fragen der Sexualmoral einnimmt - und es geht hier zunächst einfach um einen Befund, nicht um eine Bewertung - sollte es einen ehrlichen Dialog zwischen den verschiedenen Positionen geben. Oft wird hingegen zu wenig Freiheit für eine offene Diskussion eingeräumt, wenn vorschnell gleich die Drohung einer "Häresie" im Raume steht oder auch nur eine neuere Position als "gefährlich" betrachtet wird und dadurch bereits eine Strafverfolgung von Seiten der Glaubenskongregation nach sich ziehen kann.(2) Wenn man sich aber auf ein offenes Gespräch besonders mit der Jungend nicht einlässt, verliert man zusätzlich an Glaubwürdigkeit und Vertrauen.

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Es ist offensichtlich, dass es viele Moraltheologen meiden, sich zu Fragen der Sexualmoral öffentlich zu äußern. Ein oft auch schon theoretisch gefordertes "Moratorium" in Fragen der Sexualmoral wird offenbar von vielen Kollegen in gewisser Weise seit längerem praktisch eingehalten. Damit ist der Schaden für die Seelsorge, für die kirchliche Öffentlichkeit und für viele Menschen darüber hinaus, die für ein weises Wort der Kirche zu dieser Thematik auch heute dankbar wären, wohl kaum geringer, als wenn manche vermeintlich gefährlichen Ideen in die Diskussion gebracht würden. Wenn man dann mit Jugendlichen spricht, auch wenn sie der Kirche sehr verbunden sind, stellt man oft fest, dass sie die Positionen, die der Theologe jedenfalls derzeit für verpflichtend hält, längst verlassen haben.

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Vor allem schiene es wichtig, strittigen Fragen mit empirischen Untersuchungen nachzugehen, etwa mit psychologischen oder auch soziologischen Methoden. Nur wenn man der öffentlichen Meinung mit solchen Untersuchungen oder wenigstens mit glaubwürdigen eigenen Erfahrungen entgegentreten kann, hat man eine gute Chance, die Öffentlichkeit heute zu überzeugen und den weit verbreiteten "Ideologieverdacht" von sich fernzuhalten. Spekulative Argumente, auch wenn sie sich auf Bibelzitate und theologische Überlegungen stützen, erscheinen sehr häufig als machtlos oder bedürfen mindestens noch zusätzlich eines Ausweises von Seiten der Empirie. Der Seelsorger, besonders wenn er im Schulunterricht oder in der öffentlichen Bildungsarbeit steht, kann sich dann leicht durch Fachleute in empirischen Wissenschaften in Frage gestellt oder in den Augen der Öffentlichkeit widerlegt sehen.

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Soviel zur Situation, wie sie wohl jeder Seelsorger heute immer wieder erfährt und empfindet, mindestens wenn er sich dem Gespräch in der Öffentlichkeit stellt. Aber wie soll es weitergehen? In welche Richtung kann und muss sich die kirchliche Sexuallehre entwickeln, um von der Öffentlichkeit, besonders den Katholiken als Hilfe und als befreiend erfahren zu werden?

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Insgesamt zeigt die Erfahrung des Seelsorgers, dass gerade auch gläubige Katholiken, für die das sogar spezifisch sein soll, in vielfältiger Weise unter Skrupeln und Schuldgefühlen im allgemeinen - und besonders im Bereich der Sexualität - leiden. Ihre Religiosität wirkt hier angeblich oft nicht befreiend, sondern bedrückend, einengend und krankmachend. Der Unterschied zu den Nicht-Katholiken liegt nicht darin, dass sie sich in sexueller Hinsicht signifikant anders verhalten, sondern "dieses Sosein ist nur für Katholiken schädlicher, weil es für sie vermehrte Gewissensangst und in ihrer Folge vermehrte Aggressivität, Depression, neurotische Symptombildungen, Unehrlichkeit und Heuchelei mit sich bringt. Der Christ hat seinen durchschnittlich schlechten Charakter mit etwas schlechterem Gewissen als der Nichtchrist."(3)

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Muss das wirklich so sein? Natürlich ist es möglich, dass ein sensibler, verantwortungsbewusster Mensch stärkere Schuldgefühle entwickelt und darunter mehr leidet, als jemand mit einem ungenügend gebildeten Gewissen. Aber es gibt eben auch ein skrupulöses oder irriges Gewissen, das einem christlichen Ethos hinderlich ist und einer Korrektur bedarf. Es muss auch die Botschaft des Glaubens so dargestellt werden, dass sie nicht ohne Not Ängste und Skrupeln hervorruft. Es stellt sich also doch die Frage: Wie müsste eine "gesunde" Sexualmoral aussehen? Sie müsste die Weisungen Jesu unverkürzt darstellen, aber auch Abweichungen kritisch prüfen, eventuell ausschalten.

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Zunächst muss ein zu materialistischer Naturbegriff überwunden werden. Man hat besonders in der Neuscholastik, Natur etwa im Sinne der Naturwissenschaften verstanden. Man geht aus von der materiellen, bzw. biologischen Natur und ist der Meinung, dass man diese umso besser versteht, je mehr man ins Detail geht, wie man eben eine Maschine versteht, wenn man alle ihre Teile richtig erfasst. Die Geschlechtlichkeit des Menschen suchte man geradezu im Studium der Sexualorgane zu erfassen. So klangen dann manche Ausführungen der Sexualmoral oft schamlos und peinlich und wurden deshalb bevorzugt lateinisch behandelt.

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An die Stelle einer objektiv-atomistisch verstandenen Natur trat in neueren kirchlichen Dokumenten wie in "Gaudium et spes", "Humanae vitae" oder "Familiaris consortio" der Begriff der Person. Jetzt setzt die Frage nicht mehr da an, worum es bei einem Detail der menschlichen Natur, sondern worum es im ganzen des Menschseins geht. So definiert man jetzt Sexualität als das, was den Mann zum Mann und die Frau zur Frau macht und sieht das primäre biologische Sexualorgan im Gehirn, durch das die geschlechtliche Ausformung des ganzen Menschen gesteuert wird. Man versteht den Umgang von Mann und Frau miteinander als "Sprache der Sexualität"(4).

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Sexualität hat natürlich viele Aspekte, von der Befriedigung biologisch-psychischer Bedürfnisse, über Erotik und Lust bis hin zur Zeugung von Nachkommenschaft. Die Geschlechtlichkeit gehört zur schöpfungsmässigen Grundausstattung des Menschen und hat deshalb an sich nichts Böses, muss aber sinnvoll in das Gesamt des menschlichen Lebens eingeordnet werden. Dabei sind auch die objektiven Gegebenheiten zu berücksichtigen. Aber dort, wo eine objektive Norm der Liebe widerspricht, kann ihre Befolgung auch christlich nicht richtig sein.

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In einem solchen personalen Verständnis ist dann die Gleichheit von Mann und Frau ein ethisches Grundanliegen. Man kann nicht die Achtung der menschlichen Person fordern, wenn man die Frau als ein Wesen zweiter Ordnung behandelt. Hier ist an viele Anliegen der modernen Frauenbewegung zu denken bis hin zu einer inklusiven Sprache. Man muss bedenken, dass die Frau in unserer Abendländischen Geschichte vielfach unterdrückt und benachteiligt wurde. Man hat in ihr einen missglückten Mann gesehen, eine Verführerin, eine Hexe, ein Wesen ohne Rationalität usw. Das war natürlich weithin das Ergebnis einer verdrängten männlichen Sexualität. Deshalb geht es heute auch darum, dass der Mann das rechte Verhältnis zu seiner Geschlechtlichkeit und zu sich selbst findet.

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Eines der schwersten Vergehen in diesem Bereich ist die Anwendung von Gewalt und das Nicht-Respektieren der Freiheit des Partners. In der traditionellen Ehelehre meinte man, dass die Gatten durch die Eheschließung ein Anrecht auf den Leib des Partners bekommen im Hinblick auf Geschlechtsakte. Deshalb bedeutete z.B. eine Vergewaltigung innerhalb der Ehe, dass man sich einfach das nimmt, worauf man ein Recht hat. Man gab zwar zu, dass man dabei gegen die Liebe verstoße. Aber darin sah man ethisch nichts besonders Schlimmes.

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In der Tradition zeigte man zu wenig Verständnis für psychische Zusammenhänge in unserer Thematik. Auch der sexuelle Missbrauch von Kindern wurde deshalb in seinen Auswirkungen nicht verstanden. Man sah zwar ganz allgemein das große Unrecht darin, dass auch in einem solchen Fall Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe erfolgte, obwohl er ja nur innerhalb der Ehe erlaubt ist. Aber das spezifische Unrecht einer solchen Handlung verstand man offenbar nicht. Man beurteilte eben sexuelle Handlungen mehr materialistisch, mechanistisch und nicht personal von ihrer Funktion für eine liebende Beziehung her.

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Positiv gewendet geht es in der Sexualethik um eine Kultur menschlicher Liebe, in der dann ein Abglanz der Liebe Gottes zum Menschen aufscheint. Hier ist das Thema der Kultur der Begegnung, der Zärtlichkeit, der rechten Intimität und der rechten Distanz in dieser Beziehung zu behandeln. Die Frage der Unauflöslichkeit der Ehe wird hier konkret gesehen als die Aufgabe, eine eheliche Beziehung so zu gestalten, dass man darin Sinn und Erfüllung findet und dann auch in Treue zueinander stehen kann. Wenn sich das Problem einer Scheidung stellt, ist es ja oft, wenn nicht meistens schon zu spät, die Ehe zu retten. Dann kann es besser sein, auseinanderzugehen. Insofern geht es in der Sexualmoral ganz vordringlich um die Frage: Wie kann und soll man eine partnerschaftliche Beziehung gestalten, damit man darin glücklich sein kann. Das Gebot der Unauflöslichkeit der Ehe besagt demnach ganz wesentlich, dass man alles tun soll, um in einer Ehe glücklich zu sein und den Partner glücklich zu machen.

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In der Sexualmoral zeigt sich insgesamt ein weitreichender Paradigmenwechsel. Er ließe sich in seinen Auswirkungen auch in den kirchlichen Dokumenten aufweisen etwa beim Thema Homosexualität, wo der Gedanke der Personwürde in der Ablehnung jeder Diskriminierung angesprochen wird, oder beim Thema Empfängnisregelung, wo seit dem Konzil auf die "verantwortete Elternschaft" hingewiesen wird. Derartige Entwicklungen signalisieren nicht nur eine zufällige Änderungen in kasuistischen Einzelfragen, sondern zeigen eine Veränderung im christlichen Menschenbild in Richtung einer stärkeren Betonung der Person, der Freiheit und Menschenwürde. Hier ist auch in päpstlichen Enzykliken mehr in Bewegung gekommen, als der Laie auf den ersten Blick wahrnimmt. Es wird darum gehen, die Leitlinien einer erneuerten Moraltheologie noch mehr herauszuarbeiten, um deutlich zu machen, dass die Botschaft der Kirche auch in der Sexualethik eine befreiende, frohmachende Botschaft ist, die den Menschen nicht einengt, sondern ihn frei macht. Aber gewiss bleibt hier noch viel zu tun.

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Anmerkungen:  

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 1. Zum folgenden vgl. auch die umfangreiche, bis heute gültige Studie von Albert Görres, "Pathologie des katholischen Christentums" in: Handbuch der Pastoraltheologie II/1 1966, 277-343 mit reichen Literaturangaben! </>

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2. Zur Kontrolle durch die Glaubenskongregation vgl. L. Örsy, Gerechtigkeit in der Kirche und die Rechtskultur unserer Zeit. In: StdZ 1998, 363-374, hier bes. 368. </>

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3. A. Görres, ebd. 288f. </>

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4. Vgl. Kurt Loewit, Die Sprache der Sexualität, Frankfurt a.M. 1992  </>

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