Projekte
Kontinuität und Wandel - ländliche Siedlungsstrukturen an der oberen Drau von der Eisenzeit bis zur Spätantike
Forschungen auf dem Burgbichl in Irschen
Seit 2016 werden Grabungskampagnen auf dem Burgbichl in Irschen (Oberkärnten) von der Universität Innsbruck durchgeführt, die zwischen 2017 und 2021 auch von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften unterstützt wurden. Durch finanzielle Förderungen der Gemeinde Irschen, des Bundesdenkmalamtes, der LAG Großglockner/Mölltal-Obedrautal sowie dem Land Kärnten sind umfangreiche Untersuchungen möglich geworden. Weiteren Impuls erfuhr das Unternehmen durch das Erasmus+-Projekt IRSCHEN, in dessen Rahmen 2021 und 2022 jeweils ein scientific camp mit internationaler Beteiligung von Studierenden aus Innsbruck, Slowenien, Italien und Griechenland organisiert wurde.
Die Gemeinde Irschen liegt im oberen Drautal, die meisten Ortsteile befinden sich im Norden des Tales an den Abhängen der Kreuzeckgruppe. Der Burgbichl erhebt sich jedoch an der Südseite der Drau circa 170 m über dem Talboden (Abb. 1). Ein Zugang ist nur von Norden kommend möglich, die anderen Seiten sind sehr steil und schwer bezwingbar. Auf der Kuppe erstreckt sich ein trapezförmiges Areal von einem knappen Hektar, das als Siedlungsplatz zur Verfügung steht. Diese topographischen Charakteristika wiesen auf eine Siedlung der Spätantike hin, was durch die Forschungen bald bestätigt wurde.
Diese Siedlung ist im Norden durch eine massive Mauer geschützt, die eine Breite von 1,4 m und eine erhaltene Höhe von max. 1,2 m (in sechs bis neun Steinlagen) aufweist. An diese war ein Gebäude angebaut, in dem auch ein Herd aufgedeckt wurde. Durch die Nähe zum Tor wird seine Funktion auch in diesem Zusammenhang gesehen werden müssen. Die Tordurchfahrt ist circa 3 m breit und sie liegt zwischen der West-Ost-führenden Mauer im Westen und der von Südosten nach Nordwesten verlaufenden Mauer im Osten, die ein Stück weiter in Richtung Norden vorspringt. Dazwischen ist ein zweiflügeliges Tor zu rekonstruieren. Zur Toranlage gehören zwei entdeckte flache Auflagesteine, die als Pfostenunterlage angesprochen werden (ein dritter ist im Osten zu ergänzen).
Auf einer Terrasse im Nordwesten der Siedlung wurden Fundamente eines Baukomplexes entdeckt, der im weiteren Sinn als Werkstatt angesprochen wird. Der gesamte Grundriss des Gebäudes kann auf Grund im Moment nicht erschlossen werden. Es zeichnet sich jedenfalls ein mehrräumiges Gebäude ab, in dem sich nirgendwo ein Estrichboden zeigte. Zu diesem Komplex zählt auch eine Mauerflucht im Süden, die auf einer Länge von 3 m freigelegt wurde. Davor erstreckt sich eine rechteckige Herdstelle, die aus sorgfältig gesetzten flachen Schieferplatten gebildet und von vertikal gesetzten Schiefersteinen eingefasst wird. Der zentrale Bereich des Herds ist durch Hitzeeinwirkung rötlich verfärbt. In unmittelbarer Nähe dazu befindet sich auch ein durch eine verziegelte Lehmplatte gekennzeichnete Werkplatz. Für einen handwerklich genutzten Bereich sprechen zahlreiche Fragmente von Schlackenfunden und einzelnen Werkzeugen (wie z.B. ein Meißel).
Abb. 5: Werkplatz
Für die Wasserversorgung absolut notwendig – weil der Burgbichl über keine natürliche Quelle verfügt – ist die Zisterne, die unterhalb der frühchristlichen Kirche auf der Hügelkuppe errichtet wurde. Sie weist eine rechteckige Form und eine Mauerstärke von drei Steinreihen auf, was ein Maß bis zu 0,85 m ergibt. Das Innenmaß der Kalkmörtelmauer beträgt circa 6,5 x 4 m und das Außenmaß etwa 7,5 x 5,5 m. Die Höhenentwicklung vom inneren Bodenniveau bis zur höchsten erhaltenen Stelle der Zisternenaußenmauer erstreckt sich über circa 3 m, woraus sich ein Fassungsvermögen von 70.000 Liter ergibt. Die Zisterne ist mit wasserdichtem Verputz (opus signinum) ausgekleidet. Der Verputz mit Ziegelzuschlag ist durchschnittlich 7 cm stark und setzt sich aus einer Grobputzschicht und einer darüber aufgebrachten und glänzend polierten Feinputzschicht zusammen. Der Grobputz wurde vor dem Auftrag des Feinputzes mit einer Zahnspachtel zick-zack-förmig aufgeraut, um die Haftung des Feinputzes zu erhöhen. Die Kanten zwischen den Seitenwänden und auch zum Zisternenboden sind viertelkreisförmig rund ausgestrichen um die Reinigung zu erleichtern und somit eine gute Wasserqualität sicherzustellen.
Der Burgbichl ist durch mehrere Terrassen gegliedert, die wohl künstlich geschaffen wurden, um geeignete Areale für die Bebauung zu bieten. An einzelnen Punkten auf diesen Terrassen wurden in den vergangenen Jahren Grabungsflächen untersucht, um der Frage nach der Wohnbebauung (Dichte, Größe der Häuser, Ausstattung etc.) nachzugehen. Es zeigt sich eindeutig, dass die Hänge des Hügels dicht bebaut waren. Die Häuser waren aus Holz errichtet, sitzen aber auf steinernen Fundamenten auf. Diese sind zwischen drei und vier Steinlagen hoch gemauert. Immer wieder weisen einzelne Räume einen festen Estrichboden auf. Bei zwei Gebäude wurde im Außenbereich je eine Herdstelle entdeckt, die in ihrer Konstruktion jenem bei der Werkstatt entsprechen.
Abb. 7: Luftaufnahme eines der Gebäude mit Herdstelle
Von besonderem Interesse stellt sich der Grabungsplatz auf Grund der Existenz von zwei frühchristlichen Kirchen dar. Schon am Beginn der Forschungen wurde eine Kirche auf der Hügelkuppe nachgewiesen. Dabei handelt es sich um ein von Westen nach Osten orientiertes Gebäude, das in einer Apsis im Osten abschließt. Die Form des Hauptraums ist kreuzförmig, im Norden und Süden schließt je ein schmaler Raum an. Der Zugang zur Kirche befindet sich im Westen, der durch eine Vorhalle (narthex) gestaltet ist. Die westlichste Mauer ist auf Grund des starken Gefälles an dieser Stelle nicht erhalten. Der Eingang in den Hauptraum ist durch eine Schwelle aus zwei Marmorblöcken gebildet. Innerhalb der Apsis befindet sich der abgeschrankte Bereich für die Priester (presbyterium), der durch die halbrunde Priesterbank gekennzeichnet ist. Direkt davor stand einst der Altar, unter dem die Reliquie in einer aus Steinen gesetzten Grube aufbewahrt war. Vom Altar selbst sind keine Spuren erhalten geblieben. Von der Abschrankung dürfte ein hier gefundenes Säulenfragment mit Kapitell stammen.
Für das frühe Christentum typisch sind Gräber im unmittelbaren Umfeld oder innerhalb der Kirche. Priestern und verdienten Personen war es möglich, sich nahe am Heiligen bestatten zu lassen. In der Vorhalle der Kirche und knapp davor wurden sechs Gräber aufgedeckt, von denen eines ein Kindergrab ist. Die Menschen wurden nordsüd-orientiert in gestreckter Rückenlage mit dem Kopf im Norden ohne Beigaben bestattet.
Ein spezielles Grab ist eine aus Steinen gesetzte Kiste, in der zwei Tote zum zweiten Mal bestattet wurden. Ihre ursprünglichen Gräber wurden wohl gebraucht, um „neue“ Tote aufzunehmen. Dafür wurden die älteren Knochen geborgen und in der Steinkiste geordnet deponiert (ossuarium).
Der Erhaltungszustand der Skelette ist unterschiedlich, abhängig von der Lage im Hang und der Tiefe im Boden. Die anthropologische Analyse der Skelette hat vielfältige Ergebnisse zu Krankheiten und durch Verletzungen hervorgerufene Veränderungen am Knochenmaterial erbracht, die auf ein arbeitsreiches Leben und Mangelernährung in der Spätantike hinweisen.
Mit einem Grab sticht sich die Kirche auf dem Burgbichl im Vergleich zu anderen frühchristlichen Kirchen hervor. Im Süden an die Apsis wurde schon 2017 ein Kammergrab entdeckt, das durch die prominente Lage (in der Nähe der Reliquie des Heiligen) und durch die gemeinsame Errichtung mit dem Kultbau wohl dem Stifter zuzuschreiben ist. Im Grab wurden drei Skelette von jugendlichen bzw. erwachsenen Personen geborgen, die miteinander verwandt waren. Dafür spricht eine epigenetische Veränderung an einem der Halswirbel, die alle drei Bestatteten aufweisen. Zusätzlich zu diesen fanden sich Knochen von 4 Neugeborenen.
Die zweite Kirche der Siedlung befindet sich im Nordosten des Hügels, nahe der Befestigungsmauer. Bereits im Jahr 2017 wurden hier die erste Fläche untersucht und die aufgedeckten Mauerzüge einem großen Wohngebäude zugeschrieben. 2022 hat sich nun herausgestellt, dass es sich bei diesem Gebäude ebenfalls um eine frühchristliche Kirche handelt. Diese ist mit 22 m Länge um einiges größer als die obere Kirche und sie verfügt über interessante Details in der Ausstattung.
Wieder befindet sich der Eingang im Westen, die Vorhalle ist in diesem Fall durch einen schmalrechteckigen Raum gebildet. Von dort aus gelangt man in den Hauptraum, wo im Osten eine halbrunde Priesterbank liegt. Auch hier wurden von der Abschrankung oder vom Altar Fragmente aus Marmor entdeckt. Der Hauptraum schließt hier in einem geraden Abschluss, dahinter ist ein Raum angebaut, der mit einer Fußbodenheizung ausgestattet ist. Diesen Raum kann man als Sakristei oder als Schreibstube (scriptorium) ansprechen.
Abb. 12: Priesterbank im Hauptschiff
Abb. 13: Altarplatte aus Marmor
Im Süden befindet sich eine Kapelle, die ebenfalls von der Vorhalle aus betretbar war. In einer ersten Phase diente sie als Taufkapelle. 2023 wurde ein sternförmiges Taufbecken aufgedeckt, das innen mit einem wasserfesten Verputz ausgekleidet war. Die Form des sechseckigen Sterns kann als absolute Rarität im Alpenraum für diese Zeit bezeichnet werden.
In einer zweiten Bauphase wurde das Becken, das ursprünglich höher gemauert und vielleicht von einem Baldachin umgeben war, abgetragen und darüber ein neuer Estrichboden verlegt. Mit dieser Aktivität ist der Einbau eines Altars im Osten der Kapelle verbunden und damit ist der Funktionswechsel der Kapelle als memoria festzumachen. Zunächst war es ein Tischaltar mit einer dicken Marmorplatte, die nahezu vollständig geborgen wurde. Dieser wurde zu einem späteren Zeitpunkt mit Tuffsteinen zu einem Blockaltar umgestaltet und wiederum mit derselben Altarplatte abgedeckt. Schon zur ersten Altarphase gehört die ebenfalls aus Tuffblöcken gebaute Reliquienkammer, die durch einen einzelnen Stein verschlossen und unberührt aufgefunden wurde. Als echte Sensation kann die Auffindung des Reliquienbehälters bezeichnet werden, da im Normalfall die Reliquien als wichtigster Teil der Kirche und der Kirchengemeinde gelten und beim Verlassen der Siedlung mitgenommen wurden. Der Schrein verblieb in diesem Fall aber vor Ort. Er selbst ist eine Marmorkiste von 30 x 20 cm Grundfläche und mit einem gesonderten Deckel, auf dem zentral ein Kreuz eingearbeitet ist. Innerhalb liegen die Fragmente des eigentlichen Reliquienbehälters, der aus Elfenbein gefertigt ist. Zunächst wurde vermutet, dass sie durch die lange Lagerung im Boden und diverse Erschütterungen zu Bruch gegangen ist und noch die Reliquie enthielt. Nach Entnahme und sorgfältiger Konservierung der einzelnen Fragmente, die von Ulrike Töchterle, Leiterin der Restaurierungswerkstatt des Instituts für Archäologien, durchgeführt wurde, konnte jedoch festgestellt werden, dass der Reliquienbehälter schon in der Antike fragmentiert war und die wertvollen Teile wieder sehr behutsam im Schrein und in der Kammer deponiert wurden. Somit ist das Objekt – das ja ursprünglich mit der Reliquie in Kontakt war – als Berührungsreliquie zu interpretieren.
Nun können auch Aussagen über die Darstellungen auf der pyxis getroffen werden, obwohl nicht alle Figuren eindeutig anzusprechen sind: unterhalb des Feldes für das Schloss sind Blätter, ein Berg sowie eine Quelle dargestellt, darauf folgt die Figur des Moses, der den Blick abwendet und von der Hand aus dem Himmel die Gesetze überreicht bekommt. Damit ist der Beginn des Bundes zwischen Gott und den Menschen aus dem Alten Testament gemeint, der am Berg Sinai stattfand. Weitere biblische Gestalten reihen sich dahinter. Das Ende wird durch einen Wagen, vor den zwei Pferde gespannt sind und in dem sich eine männliche Figur befindet, gebildet. Auch diese wird von einer aus der Wolke ragenden Hand in den Himmel gezogen. Vermutlich liegt hier eine Darstellung der Himmelfahrt Christi, die Vollendung des Bundes mit Gott, vor. Allerdings ist die Kombination von Wagen und Gotteshand bisher einzigartig.
Abb. 16: Reliquienschrein bei der Auffindung
Abb. 17: Reliquienschrein mit Deckel
Abb. 18: Reliquienschrein ohne Deckel
Abb. 19: Elfenbeinpyxis: Moses bei der Gesetzesübergabe
Abb. 20: Elfenbeinpyxis: Himmelfahrt
Mit der Umgestaltung des Altares geht auch die Umgestaltung des Ostabschlusses einher. Hier wurde innen zwei Nischen eingebaut, die die Ostseite nun gliederten und auch ein neuer Estrichboden wurde verlegt.
Analog zur südlichen Kapelle erstreckt sich auch im Norden ein entsprechender Anbau. Weil hier das heutige Terrain ein markantes Gefälle aufweist, sind die Spuren der antiken Bebauung wesentlich schlechter erhalten. Trotzdem lassen sich sowohl die nördliche Kapelle als auch weitere Räume, die vor allem im Osten ansetzen, nachweisen. Hier sind noch weitere Grabungen notwendig um die gesamte Ausdehnung der Kirche zu ermitteln.
Bemerkenswert ist weiters ein Gebäude, das im Westen direkt an die Kirche anschließt und folglich in einem funktionalen Zusammenhang mit ihr steht. Vielleicht darf in diesem kirchlichen Gebäude das Wohnhaus des Priesters oder eine Pilgerunterkunft vermutet werden. Es verfügt über drei Räume und ist im Gegensatz zu den anderen Wohngebäuden im Erdgeschoß zur Gänze aus Stein errichtet. Für das Obergeschoß ist ein hölzerner Aufbau anzunehmen. Dem gesamten Komplex dürfte eine besondere Bedeutung zukommen, die wohl mit der Verehrung von den zwei Heiligen und dem Pilgerwesen in Zusammenhang steht.
Kontakt: gerald.grabherr@uibk.ac.at, barbara.kainrath@uibk.ac.at