Kosaken
Die Kosaken in Osttirol am Ende des Zweiten Weltkriegs
Bericht zur Exkursion nach Lienz am 3.11.2021
TeilnehmerInnen: Studierende im Bachelor-, Master- und Doktoratsstudium der Universität Innsbruck (Fächer: Slawistik, Geschichte und Soziologie)
Exkursionsleiter: Univ.-Prof. Dr. Harald Stadler; Co-Leiterin: Univ.-Prof. Dr. Andrea Zink
1. Station ist der Amlacher Friedhof. Hier finden sich Beispiele des Gedenkens an gefallene Dorfbewohner im Zweiten Weltkrieg. Die Tafeln für die Verstorbenen sind an der Außenwand der Kirche und zwar an ihrer (besseren) Südseite angebracht. Deutlich erkennen lassen sich unterschiedliche, individuelle Erinnerungspraktiken: manche Familien kümmern sich um das Gedenken an ihre gefallenen Familienmitglieder (restaurierte Tafeln, Schriftzüge in Gold), anderen hingegen nicht (Schriftzüge verblasst, ohne weiteren Schmuck). In jedem Fall unterscheidet sich das Andenken an die österreichischen Soldaten von dem Andenken an die Kosaken.
Schon die kurze Fahrt von Lienz nach Amlach (flach, ohne Steigung) gibt einen Eindruck von der Größe und Breite des Lienzer Talbodens. Für die Niederlassung eines Flüchtlingstrecks, wie dies im Mai/Juni 1945 der Fall war, scheint die Gegend prädestiniert zu sein.
2. Station: Amlacher Hof. In dem ehemaligen Hotel Amlacher Hof, waren im Juni 1945 die höher gestellten Kosaken, darunter General Krasnov und seine Familie untergebracht; das Gebäude ist renovations- und restaurationsbedürftig; es demonstriert, dass sich die Besitzer an die damalige Zeit lieber nicht erinnern wollen.
3. Station: Lavanter Kirchbichl. An der (schlechten) Nordseite der Kirche wurden Gräber von Kosakenkindern entdeckt. Auf einem Plan lässt sich die Positionierung der Gräber erkennen. Offenbar wurden die toten Kinder möglichst unsichtbar für die lokale Bevölkerung, aber eben doch in unmittelbarer Nähe einer Kirche beerdigt.
4. Station: Schloss Lengberg: Von hier aus ergibt sich ein panoramatischer Blick auf den Lienzer Talboden und die Lagerungsstätten der Kosaken im Mai/Juni 1945, deren präzise Lokalisierung sich zeitgenössischen, amerikanischen Luftaufnahmen verdankt. Mit Hilfe der Bilder lassen sich potenzielle Ausgrabungsstätten identifizieren. Die große Anzahl der Flüchtlinge, die ihr gesamtes Hab und Gut auf Wagen mitgezogen hatten, lässt sich von unserem erhöhten Blickpunkt aus sehr gut vorstellen. Deutlich wird auch die Menge der Gegenstände, Schrift-, und Kleidungsstücke, Schmuck und Waffen, die die Flüchtlinge zurückgelassen haben mussten, und nicht zuletzt die schwierige Aufgabe der ArchäologInnen, die verbliebenen Dinge, die sich zu einem großen Teil (bewusst oder unbewusst) in privatem Besitz befinden dürften, ausfindig zu machen.
Ganz nebenbei zeigt Schloss Lengberg, wie der sinnvolle Umbau eines Schlosses für einen sozialen Zweck (betreutes Wohnen und Berufsausbildung) auch unter Einhaltung von denkmalschützerischen Vorgaben aussehen kann.
5. Station: Kosakenfriedhof; der Friedhof befindet sich in der Peggetz, einem nicht gerade privilegierten Stadtteil von Lienz. Der Friedhof mit einer neu erbauten, russisch-orthodoxen Kirche wirkt auf den ersten Blick klein. Mit dem Erinnerungsort verbinden sich, wie wir erfahren, kontroverse Interessen und Auslegungen, die z. T. auch in der Auswahl der Ikonen (Anlehnungen an kanonische Ikonen aus Novgorod und dem Sinai) und den einfachen Glasfenstern zum Ausdruck kommen. Frau Erika Pätzold, die zwar den Schlüssel zur Kapelle verwahrt, sperrt zwar letztere auf, ein Gespräch mit ihr kommt aber nicht zustande.
6. Station: Peggetz: Reste einer Brücke über die Drau: Es handelt sich um den Ort, von dem aus sich Kosaken bzw. Kosakenfrauen in die Drau gestürzt haben; wenn wenig Wasser fließt, lassen sich die Brückenpfeiler noch erkennen; das Projekt, an dieser Stelle eine „bridge of memory“ als Erinnerungsort an die Kosakentragödie entstehen zu lassen, konnte H. Stadler bislang nicht umsetzen.
7. Station: Stadtfriedhof Lienz, St. Andrä: H. Stadler führt uns zu einigen Kosaken-Gräbern, die sich vereinzelt zwischen den Gräbern der lokalen, österreichischen Bevölkerung befinden. Auffallend sind die russischen bzw. ukrainischen Namen, aber auch die Tatsache, dass sich die Verstorbenen offenbar mit ihrer Herkunft identifizierten und dieser Wunsch auf den Grabsteinen verschriftlicht wurde (z.B. „Iwan Tschongow, Donkosak“). Harald Stadler, der Iwan Tschongow noch gekannt hat, unterstreicht, dass die in Osttirol zurückgelassenen „Kosakenkinder“ in den lokalen Schulen keinen leichten Stand hatten. Sie wurden als „Russen“ behandelt und galten zur Zeit des Kalten Kriegs als politische Gegner, unabhängig davon, welcher militärisch-politischen Seite die Loyalität ihrer in die Sowjetunion zwangsrepatriierten Eltern im Krieg gegolten hatte.
Während der gesamten Exkursion wird deutlich, dass jede Form von Erinnerung ein komplexer Prozess ist, zumal im Falle eines historischen Ereignisses wie der Kosakentragödie. Politische Interessen durchkreuzen die Arbeit der HistorikerInnen und ArchäologInnen ebenso wie die Erinnerungspraktiken der lokalen Bevölkerung, die sich mit den Kosaken offenbar auf sehr unterschiedliche Weisen auseinandergesetzt hat oder dieser Auseinandersetzung auch gänzlich ausgewichen ist.
Für den Bericht: Alina Kröll, Yana Lyapova, Christoph Rabl, Ramona Rakić, Andrea Zink