PANEL 1

Pandemiegeschichte I: Narrative der Seuche

Chair: Elisabeth Dietrich-Daum (Innsbruck)

09.30-11.00

Globalization strikes back. Seuchen und Pandemien in den Alten Welten

Robert Rollinger (Innsbruck)

Der Vortrag bietet einen Überblick über Seuchen und Pandemien in den antiken Welten Afro-Eurasiens. Er reicht von dem frühesten Nachweis des Pesterregers Yersinia pestis im 3. Jahrtausend v. Chr. bis zu der am besten dokumentierten Pandemie der Antike, der sogenannten „Justinianischen Pest“, die sich in mehreren Wellen vom 6. bis zum 8. Jh. n. Chr. in zahlreichen Regionen Afro-Eurasiens nachweisen lässt. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf den Zusammenhang zwischen dem Phänomen der Pandemie und einer zusehends vernetzten protoglobalisierten Welt gelegt, die seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. immer deutlichere Konturen annahm und die einzelnen „Kulturräume“ Afro-Eurasiens immer stärker aneinander band.

Robert Rollinger (Jg. 1964), seit 2005 Professur an der Universität Innsbruck. Forschungsschwerpunkte: Antike Universal- und Vernetzungsgeschichte, Antike Historiographie, Vorderer Orient und Iran, Imperiengeschichte.

Die „Brechruhr-Epidemie“ und ihre (diskursiven) Folgen. Cholerapredigten, „Haupt-Unrathskanäle“ und kaiserliche Wasserleitungsbauten

Andreas Weigl (Wien)

Als im Sommer 1831 die erste Cholera-Pandemie die Habsburgermonarchie erreichte, firmierte sie unter Medizinern und Sanitätsbehörden nicht ganz zufällig als „Brechruhr“. Sie schien sich damit in die Reihe jener epidemischen auftretenden Krankheiten wie „Nervenfieber“ (Typhus) oder Ruhr einzureihen, für deren Bekämpfung ein an der Pest entwickeltes Instrumentarium an Grenzschließungen und Quarantänemaßnahmen ausreichend schien. Doch mehr und mehr setzte sich die Erkenntnis durch, dass es sich um eine aus Asien eingeschleppte, in Europa bisher unbekannte Krankheit handelte, für die sich die Bezeichnung „Cholera asiatica“ durchsetzte. Ihre Zuordnung zu den weitverbreiteten gastro-intestinalen Erkrankungen spiegelte allerdings die „kleine Schwester“ der Cholera asiatica, Cholera infans, welche für Durchfallerkrankungen von Säuglingen stand. Mit der Fremdartigkeit der Seuche, den raschen Krankheitsverlauf und der weitgehenden Wirkungslosigkeiten der gegen ihre Ausbreitung ergriffenen Maßnahmen eroberte sie rasch einen diskursiven „Sonderstatus“. Dieser zeigte sich einerseits in der besonderen Angst vor ihrer Verbreitung auch in Teilen der Monarchie die kaum betroffen waren, andererseits in der Abwendung von Allopathie und Hinwendung zur Alternativmedizin. So hielt etwa der Weltpriester und Anhänger der Homöopathie Johann Emanuel Veith (1787-1876) im Wiener Stephansdom vielbesuchte Cholerapredigten. Auf der Regierungsebene sah man zumindest einen Zusammenhang mit den sanitären Defiziten was immerhin trotz aller Unzulänglichkeiten den Bau von „Cholera-Kanälen“ und einer zentralen Wasserleitung in der „Haupt- und Residenzstadt“ beförderte. Ihre etwa vier Jahrzehnte anhaltende Bedrohung verschaffte der Cholera eine dauernde Präsenz in der „Assanierungsfrage“ trug nicht unwesentlich dazu bei, dass nicht nur in Wien ab den 1870er Jahren eine erste Phase der „sanitary revolution“ eingeleitet wurde.

Andreas Weigl, PD am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Forschungsschwerpunkte: Bevölkerungs-, Stadt- und Konsumgeschichte, Sozialgeschichte der Medizin.

„Ach wie schön war dagegen das Kranksein“. Die mediale Wahrnehmung von Infektionskrankheiten am Beispiel der Spanischen Grippe

Manuel Schmidinger (Innsbruck)

Medien prägten seit dem 19. Jahrhundert das Bild von Infektionskrankheiten als ein sich rasend schnell verbreitendes Übel und sorgten damals, wie auch heute, vielerorts für ein starkes Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung. Die Corona-Krise wird auch gerne mit den Ereignissen rund um das Grassieren der Spanischen Grippe vor etwas mehr als 100 Jahren in Verbindung gebracht. Ziel des Vortrages ist die Darstellung einer thematischen Kontinuität zwischen der gegenwärtigen Berichterstattung über Infektionskrankheiten wie COVID -19 und jener über die Spanische Grippe aus den Jahren 1918 und 1919. Folgende Beobachtung sticht dabei ins Auge: der Mensch vergisst entweder gerne oder sehr schnell und findet in kürzester Zeit noch größere Übel, die das Bisherige in den Schatten stellen. Die mediale Wahrnehmung der Spanischen Grippe ist ein Paradebeispiel dafür. 

Bei der Analyse von Zeitungsartikeln aus den Jahren 1918/19 kristallisierten sich dabei vor allem die wiederkehrende Thematisierung der scheinbaren Gewöhnung an die Grippe und deren Verharmlosung als Routineerkrankung heraus. Allerdings schlägt dieses allgemeine Wohlgefühl sehr schnell in Ungewissheit und panikartige Unsicherheit um, sobald das „gewöhnliche“ Schreckgespenst Influenza wieder außerhalb der Norm grassiert und auch Todesfälle in das nahe Umfeld rücken. Aber so plötzlich dieses Gefühl eintritt, so schnell verschwindet es in der Regel auch wieder. Im Wesentlichen zeigt der Vortrag, dass die Spanische Grippe in der medialen Berichterstattung während den Jahren 1918 und 1919, trotz der Allgegenwärtigkeit der hochansteckenden Infektionskrankheit, nur eine sekundäre Rolle spielte. Der politische Umbruch und insbesondere der Hunger am Ende des Ersten Weltkrieges sind die dominierenden Themen im Herbst 1918 und Winter 1919. Diese waren für die Bevölkerung die unmittelbarsten, größten Lebensbedrohungen und Ursachen für sämtliches Elend dieser Zeit, so auch für die verheerenden Auswirkungen der Spanischen Grippe.

Manuel Schmidinger ist Master-Student der Geschichte an der Universität Innsbruck. Er befasste sich im Zuge seiner Bachelorarbeit mit dem Thema der medialen Berichterstattung über die Spanische Grippe im Kronland Tirol 1918.

Von der New Homosexual Disorder zu AIDS. Der mediale Diskurs zu HIV/AIDS im Zeitraum von 1982 bis 1986

Lukas Stelzhammer (Innsbruck)

Die New York Times ist eine der führenden Morgenzeitungen weltweit, die ihren Fokus auf „editorial excellence“ bis heute halten konnte. Neben politischen Ereignissen und gesellschaftlichen Themen schrieb die „Times“ seit ihrer Gründung 1851 auch immer wieder über gesundheitspolitische Herausforderungen. Eine solche war der Beginn der Corona-Krise 2020, aber auch der Beginn der HIV-Pandemie in den 1980er Jahren. Die Zeitung griff das Thema bereits sehr früh auf und behandelte es aus den verschiedensten Blickwinkeln, sei es politisch, gesellschaftlich oder religiös. Mit dem ursprünglichen Fokus der Berichterstattung auf der Gruppe der Homosexuellen, Haitianer, Hämophilen und der Drogenkonsument*innen breitete sich die Diskussion nach dem zentralen Artikel von Lawrence K. Altmann „Heterosexuals and AIDS: New Data Examined“ vom 22. Januar 1985 zunehmend auch auf die Gesamtbevölkerung aus. Mit dem zunehmenden Auftreten von HIV-Infektionen bei nicht-homosexuellen Menschen musste auch spätestens ab 1985 das Vorurteil, dass vor allem homo- und bisexuelle Männer sich mit dem Virus anstecken könnten, verworfen werden. Die diesem Vortrag zugrunde liegende Arbeit beschäftigt sich mit diesem Diskussionsverlauf zwischen 1982 und 1986 und versucht, die zentralen Gruppen, die durch die Berichterstattung der New York Times erfasst werden, näher in den Fokus zu rücken. Dadurch konnte festgestellt werden, dass die im Fokus stehenden gesellschaftlichen Gruppen von 1982 bis 1985 (homo- und bisexuelle Männer, Drogenkonsument*innen etc.) andere waren als jene von 1985 bis 1986. Vor allem deswegen, weil nach anhaltender Forschung 1985 schließlich bewiesen werden konnte, dass auch heterosexuelle Menschen sich mit dem Virus infizieren können.

Lukas Stelzhammer, geb. 1998, stammt aus Oberösterreich und schloss kurz vor dem Beginn der Corona-Krise im März 2020 seinen BA in Geschichte ab. Zurzeit studiert er im MA-Studiengang Geschichte und macht eine Ausbildung zum Psychotherapeuten an der Universität Innsbruck. 

 

Zum Programm

Nach oben scrollen