PANEL 3

Pandemiegeschichte II: Der Seuche begegnen

Chair: Maria Heidegger (Innsbruck)

11.30-13.00

Aspekte von indirektem Impfzwang im Rahmen der Pockenschutzimpfungen im Kronland Tirol

Elena Taddei (Innsbruck)

Das Impulsreferat soll am Beispiel der historischen Anfänge der Schutzimpfungen im regionalen Kontext des Kronlandes Tirol die Konflikte und Diskurse um die Pockenschutzimpfung im 19. Jahrhundert beleuchten. Aspekte dieser Konfliktgeschichte sollen anhand verschiedener Quellen angesprochen werden, die die einzelnen Maßnahmen „indirekten Zwangs“ (Quellenbegriff) zur Impfung zeigen. Dieser „indirekte Zwang“, der in den Medien im Rahmen der durch Corona neu aufgeworfenen Impf-Debatte als „sanfter Druck“ umdefiniert wurde, betrifft (damals wie heute) zumeist ökonomische oder soziale Vor- zw. Nachteile (Universitätszugang, Kindergartenbetreuung).

Elena Taddei, assoz. Prof. Mag. Dr., wiss. Mitarbeiterin in Lehre und Forschung im Kernfach Neuzeit des Instituts für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck.

Heilmittelforschung. Tuberkulinversuche in Tirol 1913-1915

Elisabeth Dietrich-Daum (Innsbruck)

1913 initiierte der ranghöchste Sanitätsbeamte des Kronlandes Tirol und Vorarlberg eine von der Öffentlichkeit wenig bemerkte Versuchsreihe mit Tuberkulin, um dessen Tauglichkeit für eine breitere Anwendung im Kampf gegen die Tuberkulose zu prüfen. Er wählte dazu eine geschlossene und kontrollierbare Probandinnengruppe aus, nämlich die Frauen der Ordensgemeinschaften der „Barmherzigen Schwestern“ in Tirol, die – in zwei Mutterhäusern in Innsbruck und Zams organisiert und über das gesamte Kronland verstreut – in zahlreichen Filialen im Einsatz waren. Das aufwendig vorbereitete Experiment ging, den sanitären „Erfordernissen“ des Ersten Weltkrieges geschuldet, zwei Jahre später sang- und klanglos unter. Als medizinisches Massenexperiment blieb es wissenschaftlich ertraglos. Auch das ursprünglich von Robert Koch 1890 entwickelte Tuberkulin, das der Sanitätsbeamte in diesem Massenversuch in modifizierter Form anwenden ließ, geriet nach dem Ersten Weltkrieg in Vergessenheit. Lediglich als Diagnosemittel fand das als Präventiv- und Heilmittel am medizinischen Markt angepriesene Präparat weiter Anwendung. Das unter dem Druck konkurrierender Labore entwickelte Tuberkulin mit geheimer Rezeptur hätte Koch um ein Haar seine Karriere gekostet. Es war ein glatter Fehlschlag, man sprach von Schwindel, andere von Skandal, die Presse war schlecht. „Das Publikum“ sei zu „ungeduldig“ gewesen, meinten seine deutschen Standeskollegen damals, zu schnell, zu wenig reflektiert, zu intransparent und zu geldgierig, meinen die HistorikerInnen heute. 

Der Vortrag wird ausgehend von diesem lokalen historischen Beispiel den aktuellen Wettlauf um die Entwicklung eines Sars-CoV-2 Impfstoffs kommentieren und auf strukturelle Parallelen hinweisen.

Elisabeth Dietrich-Daum, Medizinhistorikerin, ao. Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck.

Aktive und passive Immunisierungsstrategien im Kampf gegen Polio – das Beispiel Österreich

Marina Hilber (Innsbruck)

Der Beitrag beleuchtet die Geschichte der Präventionsmaßnahmen gegen die gefürchtete Kinderlähmung (Poliomyelitis anterior acuta) im Zeitraum von ca. 1940 bis Anfang der 1960er Jahre. Auch in Österreich forderte die Poliomyelitis jährlich zahlreiche Opfer, vor allem unter Kindern und Jugendlichen. Dabei war die Sterblichkeit zwar relativ gering, gefürchtet waren aber die teils schwerwiegenden Lähmungserscheinungen unter denen die Betroffenen in der Folge litten. Im Zentrum des Vortrags stehen die medizinischen Immunisierungsstrategien, die zwischen 1940 und 1960 einem rasanten Wandel unterworfen waren. Während noch zur Zeit des Nationalsozialismus die passive Immunisierung nur in akuten Infektionsverdachtsfällen mittels Injektion von Rekonvaleszentenserum veranlasst wurde, sind bereits Ende der 1940er Jahre erste Versuche mit einem aktiven Impfstoff in Österreich belegt. Die Geschichte der Polio-Prävention zeigt aber auch deutlich die zunehmende Internationalisierung der medizinischen Forschung v.a. in der Zeit des Kalten Krieges. So startete der österreichische Staat basierend auf einem engen Austausch mit anderen europäischen Staaten, auch über den Eisernen Vorhang hinweg, Ende der 1950er Jahre großangelegte Impfkampagnen, bei denen die Bevölkerung zunächst mit dem Salk-Vakzin (1958), später mit der oralen Schutzimpfung nach Albert Sabin (1961) einen aktiven Impfschutz erhielt. Obwohl die Polio-Schutzimpfung in Österreich nicht den Status einer Pflichtimpfung erhielt, war sie doch ein durchschlagender Erfolg. Innerhalb kürzester Zeit reduzierten sich die Infektionsfälle seit dem Beginn der 1960er Jahre auf ein Minimum. Seit 1980 gilt Österreich als poliofrei.

Marina Hilber, Medizinhistorikerin, Post-Doc am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck sowie Hertha-Firnberg-Stipendiatin des FWF.

Impfen ja oder nein. Eine individuelle Entscheidung?

Jürgen Brunner (Innsbruck)

Impfen „ja oder nein?“ ist keine rein individuelle Entscheidung. Gesellschaftliche, medizinische, juristische und philosophische Aspekte werden im Vortag dargestellt, die die Antwort erklären.

Jürgen Brunner, Studium der Medizin, Gesundheitswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre. Wissenschaftlicher und klinischer Schwerpunkt ist die Pädiatrische Rheumatologie und Immunologie sowie Bioethik.

 

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