PANEL 4
Gefährliches Gottvertrauen? Religionsgemeinschaften in Zeiten von Corona
Chair: Dirk Rupnow (Innsbruck)
11.30-13.00
Virtuelle Körperlichkeit? „(Die Heilige) Corona“ als Krisenbeschleunigerin
Roman Siebenrock (Innsbruck)
Die „Corona-Zeit“ war für die (römisch-)katholische Kirche einzigartig, und zwar (mindestens) aus folgenden Gründen:
- Niemals zuvor gab es einen so umfassenden und langdauernden liturgischen Lockdown nicht nur in Rom, sondern fast weltweit;
- Kaum zuvor wurde in den Erklärungen zur Situation so klar, dass mit dem Wort „Gott“ die Situation nicht direkt kausal (Strafe, zulassen, …) zu erklären sei; ein wichtiger Verzicht, der zu einer gewissen Sprachlosigkeit führte (siehe: Segen „urbi et orbi“ am 27.3.2020);
- Und (das ist meine Einschätzung) die Situation verschärfte, was an Ansätzen, Schwierigkeiten und Optionen latent in dieser Weltgemeinschaft (schon davor) vorhanden war.
Weil die r-k Kirche auf Sakramentalität (Gemeinschaft und Ritus) wert legt, und Sakramentalität ohne körperliche Begegnung nur in absoluten Ausnahmefällen in der Eheschließung denkbar ist, ist noch unklar, was diese Zeit auf Dauer bewirkt uns also bedeutet. Ich bin skeptisch gegenüber Schnellerklärungen. Die hl. Corona wie alle „Nothelfer“ waren ehemals Kulturtechniken radikaler Kontingenz zu begegnen (zu bewältigen gibt es hier nichts). Wie radikaler (d.h. grundlegender und nicht eliminierbarer) Kontingenz zu begegnen sei, bleibt für mich die Schlüsselfrage aus dieser Zeit. Einsperren geht auf die Dauer gewiss nicht. Aber viele haben die Erfahrung gemacht: es geht auch familiär, und ohne den scheinbar notwendigen Klerus (als Amtsträger, nicht bei persönlicher geistlicher Kompetenz).
Der Vorwurf, dass die Kirchen (warum im Plural) versagt hätten, steht im Raum. Woran das festzumachen ist und welche Gründe dafür wirklich bei uns ausschlaggebend sein könnten, wird theologisch auf die alles bewegende Frage hin ausgerichtet werden müssen: Wie in einer Welt von Gott zu sprechen sei, „etsi deus non daretur“ (D. Bonhoeffer)? Und wo hätten die Kirchen (und ihre verantwortlichen Akteure) den „Lockdown“ unterlaufen müssen, weil sie „Gott“ mehr zu gehorchen haben als den Menschen; und zwar um der Menschen willen, wird offen diskutiert werden müssen? In Italien sind viele Priester in ihrem Dienst gestorben (wie auch ÄrztInnen und Pflegende, bzw. Angehörige).
Dazu sind aber Erfahrungen aus aller Welt zu hören und abzuwägen. Mir scheint, dass eine künftige Bischofssynode in ökumenischer Verantwortung einberufen werden müsste.
Die Enzyklika „Fratelli tutti“ (vom 3.10.2020) plädiert für eine weltweite Geschwisterlichkeit, sagt aber zur Corona-Pandemie wenig und hat (so die Kritik, die sonst sehr positive reagiert) die Frauenkompetenz nicht wirklich im Blick.
Roman A. Siebenrock, geb. 1957, Professor für Dogmatik (mit Fundamentaltheologie und Religionswissenschaften); Koordinator des theologischen Forschungszentrums „Religion-Gewalt-Kommunikation-Weltordnung“ (RGKW), im Beirat des Forschungsschwerpunktes „Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte“ der Universität Innsbruck.
„In Zeiten wie diesen…“. Die Israelitische Kultusgemeinde während der Corona-Krise
Thomas Lipschütz (Innsbruck
In Zeiten wie diesen ändert sich fast alles, im privaten wie im öffentlichen Leben. Was als „normal“ galt, ist nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt möglich. Das gilt auch für die Israelitische Kultusgemeinde. Zwar betrifft uns die Coronakrise als kleine Gemeinde nicht so empfindlich wie z.B. die große Wiener Gemeinde, aber sie ist spürbar.
Unser „Normalbetrieb“ musste so gut wie ganz eingestellt werden: Daher gab es keine religiösen Feiern, geplante kulturelle Veranstaltungen mussten abgesagt, bzw. auf unbestimmte Zeit verschoben werden, Führungen und interreligiöse Begegnungen konnten nicht stattfinden u.s.w.
Dergleichen sind auch die Planungen für das neue Jahr, das im September beginnt, nur von Woche zu Woche möglich. Das macht das Leben selbst für eine kleine Gemeinde schwer…
Geboren 1956 in Berlin; Studium: Latein, Französisch und Theologie; Beruf: Referent für Bildungsarbeit und Religionslehrer der IKG; Seit 1986 in Innsbruck
„Betet in euren Häusern". Reaktionen der Islamischen Glaubensgemeinschaft auf die Corona-Krise
Zekirija Sejdini (Innsbruck/Wien)
Wie für jeden von uns, stellte der plötzliche Einbruch der Pandemie die religiösen Institutionen und damit auch die Islamische Gemeinschaft vor großen Herausforderungen. Zum Schutz der Gesundheit waren Einschnitte in das religiöse Leben notwendig geworden, die davor weder vorstellbar noch durchsetzbar gewesen wären. Die muslimische Community in Österreich reagierte erstaunlich schnell und konsequent, sodass nicht nur die Gebetshäuser geschlossen wurden, sondern auch eine theologische Legitimation dieses Schrittes, ohne nennenswerten Widerstand, durchgesetzt werden konnte. Welche weiteren Maßnahmen getroffen und wie diese legitimiert wurden, soll in diesem Zusammenhang kurz erläutert werden.
Zekirija Sejdini, geb. 1972 in Vrapčište, Mazedonien; Studium der Islamischen Theologie und der Philosophie; seit 2014 Professor für Islamische Religionspädagogik und seit 2017 Gründer sowie Leiter des Instituts für Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Innsbruck; seit 2019 Professor für Islam in der Gegenwartsgesellschaft und Leiter des Instituts für Islamisch-Theologische Studien an der Universität Wien.
Digitaler Aufbruch oder seelsorgliches Versagen? Die Evangelischen Kirchen im „Corona-Lockdown“
Olivier Dantine (Innsbruck)
Ausgangsbeschränkungen und Kontakteinschränkungen waren für Kirchen und Religionsgemeinschaften eine besondere Herausforderung. Das galt selbstverständlich auch für die Evangelischen Kirchen. Die Mitwirkung an der Eindämmung der Pandemie, vor allem im Sinne des Schutzes für vulnerable Menschen, und damit im Sinne der christlichen Nächstenliebe, stand Gemeinschaft und Seelsorge im persönlichen Gespräch als wesentliche Lebensäußerung einer Kirche gerade in Krisenzeiten gegenüber.
Diese Herausforderung brachte den Evangelischen Kirchen einen regelrechten Schub an Digitalisierung. Online-Angebote in unterschiedlichen Formen wurden initiiert, diese Form der Verkündigung wurde von vielen Gemeindegliedern dankbar angenommen. Für die Seelsorge bedienten sich viele Pfarrerinnen und Pfarrer herkömmlicher Medien wie Brief, E-Mail und Telefon. Groß war das Bemühen, den Kontakt zu den Gemeindegliedern in der Zeit des „Lockdowns“ aufrecht zu erhalten.
Was aber war mit den Menschen, die auf diesen unterschiedlichen Wegen nicht erreichbar waren? Was war mit den Alten- und Seniorenheimen, die für Besuche, auch von Seelsorgerinnen und Seelsorgern geschlossen waren? Für Deutschland konstatierte die frühere Thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, selbst früher Pfarrerin, die Kirchen hätten in der Krise versagt, weil sie nicht ausreichend für Alte, Kranke und Sterbende da waren. Eine berechtigte Kritik? Wie sollen Kirchen zukünftig in ähnlichen Situationen mit diesem Dilemma umgehen?
Olivier Dantine, geboren 1973 in Wien, Studium der Evangelischen Theologie in Wien, Berlin und Jerusalem, von 2002 bis 2012 Pfarrer in Großpetersdorf (Burgenland), seit 2012 Superintendent für Salzburg und Tirol.