PANEL 5
Epidemie und Rassismus / Antisemitismus
Chair: Dirk Rupnow (Innsbruck)
14.30-16.00
Pest und Judenmorde. Der Schwarze Tod um die Mitte des 14. Jahrhunderts und seine gesellschaftlichen Folgen
Jörg Schwarz (Innsbruck)
Von 1347-1350 zog eine verheerende Seuche von Sizilien bis nach Norwegen über Europa hinweg, die unter der Bezeichnung „Pest“ oder besser: „Schwarzer Tod“, in die Geschichte eingegangen ist. Sie erreichte 1348/49 ihren Höhepunkt. Sie führte so gut wie überall zu einem dramatischen Rückgang der Bevölkerung um etwa 20-50 Prozent. Die Folgen waren einschneidend. Sie betrafen nahezu alle Teile der Wirtschafts- und Sozialordnung. Der Vortrag will besonders den Zusammenhang der Epidemie mit den zahlreichen Judenmorden in der damaligen Zeit beleuchten – der schlimmsten Pogromwelle, die es im Mittelalter bis dahin gegeben hat.
Jörg Schwarz ist seit März 2020 Professor für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Innsbruck. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören die Geschichte des römisch-deutschen Reiches und die Geschichte Englands im Hoch- und Spätmittelalter sowie die mittelalterliche Stadtgeschichte und die Geschichte der mittelalterlichen Historiographie.
Der kranke Chinese: Die dritte Pest-Pandemie in San Francisco und Wladiwostok
Sören Urbansky (Washington, DC/Berkeley)
Ab der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts emigrierten Millionen Chinesen nach Südostasien und in Gebiete im Indischen und Pazifischen Ozean. Hafenstädte waren wichtige Ankerpunkte für diese Auswanderer. Die „gelbe Gefahr“ war in vielen pazifischen Küstenstädten deshalb kein abstraktes Phänomen der Medien, sondern ein Diskurs, der den Alltag der Menschen beeinflusste. Durch die Segregation von anderen Stadtbewohnern und prekäre Wohnverhältnisse der Chinesen galten ihre ethnischen Ghettos schnell als Bedrohung für moralische und physische Unversehrtheit der europäischen Mehrheitsbevölkerung. Sie galten als Brutstätte von Pest und Cholera. Dreck und Gestank wurden den eigentümlichen rassischen Besonderheiten der Chinesen zugeschrieben und fein säuberlich vom sozialen und politischen Kontext der Einwanderung getrennt.
Als die dritte Pest-Pandemie, die Ende des neunzehnten Jahrhunderts in China ihren Ursprung hatte und weltweit rund zwölf Millionen Menschenleben forderte, auf San Francisco übergriff und auf Wladiwostok überzugreifen drohte, wurden die Chinesen in beiden Städten rasch als medizinische Sündenböcke stigmatisiert. Mediziner und Gesundheitsbeamte hatten schon in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts sinophobe Überzeugungen mit der Aura akademischer Wahrheit durch Studien unterfüttert, in denen sie Kriterien ethnischer Zugehörigkeit als einen zentralen Faktor bei der Erkennung, Behandlung und Eindämmung von Epidemien und Krankheiten ausmachten.
Die Chinesen von San Francisco und Wladiwostok lebten noch lange nach Aufhebung der Quarantäne mit dem Stigma des Krankheitsüberträgers. Ärzte, Politiker und Wirtschaftsvertreter forderten die Verbannung aller Chinesen aus den Stadtzentren. Nur wenige hingegen fragten, wer die Chinesen zwang, in bestimmten von den Behörden und Eigentümern vernachlässigten Ghettos zu leben.
Sören Urbansky ist Research Fellow am Deutschen Historischen Institut in Washington, D.C. Er ist Autor von Kolonialer Wettstreit. Russland, China, Japan und die Ostchinesische Eisenbahn (Frankfurt: Campus, 2008), Beyond the Steppe Frontier. A History of the Sino-Russian Border (Princeton: Princeton University Press 2020) und An den Ufern des Amur. Die vergessene Welt zwischen China und Russland (München: C.H.Beck 2021).
Von Läusen, Eindringlingen und anderen Unreinheiten. Fleckfieberprävention im Kontext der NS-Zwangsarbeit
Eva Hallama (Wien)
Der Vortrag thematisiert die seuchenpräventiven Maßnahmen, die das NS-Regime für die Deportationen der osteuropäischen Zwangsarbeiter*innen nach Deutschland vorgesehen hat. In eigens dafür eingerichteten Lagern wurden medizinische Untersuchungen durchgeführt, um Infektionsfreiheit und Arbeitsfähigkeit der zukünftigen Arbeitskräfte festzustellen. Die obligatorischen Entlausungen, Entwesungen und Desinfektionen galten der Prävention des über Läuse übertragbaren Fleckfiebers. Ich argumentiere, die Untersuchungs- und Entlausungsmethoden als Techniken der Beschämung und Unterwerfung zu betrachten, die der Etablierung der nationalsozialistischen Ordnung dienten. Der zeitgenössische Fokus auf die Vernichtung der Laus als Krankheitsüberträgerin des Fleckfiebers erlaubt zudem die Frage, wofür die Laus und das Fleckfieber symbolisch standen und ermöglicht es so, die nationalsozialistischen Reinheits- und Unreinheitsvorstellungen des Entlausungsprozederes mit dem NS-Rassismus und Antisemitismus in Zusammenhang zu bringen.
Nicht zuletzt soll die Frage aufgeworfen werden, welchen Platz die Entlausungsmaßnahmen und die medizinisch begründeten Dehumanisierungspraktiken innerhalb des Spannungsfelds zwischen NS-Utopie und NS-Ökonomie einnehmen. Denn wenn die seuchenpräventiven Maßnahmen durch Stigmatisierung und Unterwerfung der Ausbeutung der Arbeitskräfte zuarbeiteten, stünden sie nicht nur im Widerspruch zur ökonomischen Ausbeutung der Zwangsarbeitenden. Gleichzeitig zeigen die zeitgenössischen Debatten um die medizinischen Untersuchungen und die Rückstellungen nicht arbeitsfähiger Personen Widersprüche der ökonomischen Ausbeutung auf: die schlechte Behandlung von Menschen war der Seuchenprävention nicht zuträglich – und letztlich auch nicht der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft.
Eva Hallama studierte Geschichte in Wien und Sankt Petersburg. Für ihr Dissertationsprojekt über nationalsozialistische „Grenzentlausungslager“ erhielt sie das DOC-Stipendium der ÖAW, war IFK Junior Fellow in Wien und Marietta-Blau-Stipendiatin in Warschau und Berlin.
Challenge Vaccine Studies in the Perspective of WW2 Concentration Camp Research
Paul Weindling (Oxford)
A vaccine is held to be the ultimate solution for Covid-19. How can this be produced ethically, and rapidly? A recurrent proposal is that of “human challenge studies”: these intentionally infect participants to infection, in order to test vaccines. People are invited to sign up. Such studies have been done with low virulence coronavirus strains.
The argument is made that challenge studies could potentially saving millions of lives. This is similar to the justification for Fleckfieber (in English “typhus”) vaccine experiments made concerning experiments at concentration camps. Medical ethicists have overlooked any Nazi precedent for these experiments, because of the clear contrast in terms of voluntary challenge studies and Nazi coercion. Perpetrators at the Nuremberg Trials said that systematic tests of different vaccines and therapies would save lives, for example of Soviet prisoners of war.
There were a series of large scale infectious disease tests. The largest involved ca. 1200 persons at Dachau to develop a method of inducing resistance. For Fleckfieber (typhus in English), the Wehrmacht, SS, Robert Koch Institute and IG-Farben tested different types of vaccines at Buchenwald, although these were originally developed in France, Poland and the United States. One approach has been to rely on numbers tested, as given by the “Ding Diary”. This is a highly problematic source as a retrospective compilation by the prisoner clerk (and celebrated author of “Der SS-Staat”) Eugen Kogon. The “Ding Diary” was designed to shift guilt away from Ding for whom Kogon worked, and historians have ignored other original diaries, providing some additional insight into prisoner vaccine production team involving Ludwik Fleck. My approach is to identify the prisoner research subjects, so providing experiential accounts of the experience of being deliberately infected. This victim oriented approach reconstructing life histories has been developed using a comprehensive database on the victims of coerced research.
Paul Weindling recently edited: Fleckfieberforschung im Nationalsozialismus. Joachim Mrugowskys Fleckfieber-Abhandlung und seine Tätigkeit als Hygieniker der Waffen-SS in: Acta historica Leopoldina (in press). He is currently researching the brain specimens of Polish Jews who died from Fleckfieber, and how these were held by the Kaiser Wilhelm Institut für Hirnforschung, and then by the Max Planck Gesellschaft.