PANEL 6

Corona sound(s): Pandemische Geräuschkulissen zwischen Kakophonie(n) und (lautem) Schweigen

Chair: Marina Hilber (Innsbruck)

14.30-16.00

Wi(e)der die Rhetorik von Alarm und Krieg? Pandemische Lärm- und Geräuschkulissen in Albert Camus‘ La Peste: Bestandsaufnahmen – Funktionen – aktuelle Bezüge

Julia Pröll (Innsbruck)

"Nous sommes en guerre." "Wir sind im Krieg." Gleich sechs Mal wiederholt Frankreichs Staatspräsident E. Macron in seiner ‚Rede an die Nation‘ am 16. März 2020 diesen Satz, der von Alarmismus angesichts der Coronapandemie zeugt und die Etymologie des Begriffs 'Lärm' vom Italienischen all'arme, 'zu den Waffen', in Erinnerung ruft. Auch schon in Albert Camus‘ Klassiker La Peste findet sich eine derart 'donnernde' und lärmende Rhetorik, vergleicht doch der Pater Paneloux die von ihm als Strafe Gottes angesehene Pest mit einem erbarmungslos pfeifenden Dreschflegel, der das menschliche Korn schlägt, bis sich die Spreu vom Weizen trennt (cf. Camus 1988, 64). Der Roman kennt aber nicht nur diese lärmende Rhetorik, sondern auch leisere, ambivalentere 'Zwischentöne' sowie das Schweigen. Diese Vielgestaltigkeit unterschiedlichster Schallereignisse lässt in dem von den Sound Studies (cf. z.B. Morat/Ziemer 2018; Mieszkowski/Nieberle 2017) inspirierten Beitrag nach der Ästhetik, den Formen, Funktionen und (gegendiskursiven) Potentialen literarisch inszenierter pandemischer Lärm- und Geräuschkulissen sowie ihrem Aktualitätsbezug fragen.

Julia Pröll, assoz.-Prof. am Institut für Romanistik der Universität Innsbruck (Bereich Französische Literatur- und Kulturwissenschaft); Dissertation über Michel Houellebecq; Habilitation zu Krankheits- und Medizinkonzepten bei Autor*innen asiatischer Herkunft, die in Frankreich leben und auf Französisch schreiben. 

Arbeitsschwerpunkte: Französische und frankophone Literaturen des 20. und 21. Jahrhunderts mit besonderem Augenmerk auf Migrationsliteraturen, postkoloniale Theorie; Interaktionen zwischen Literatur und Medizin, insbesondere zeitgenössische Schriftstellerärzt*innen. 

Ausgewählte Publikationen: als Mitherausgeberin (gem. mit Eva Binder et al): Opfernarrative in transnationalen Kontexten. Berlin: de Gruyter 2020; gem. mit Ursula Mathis-Moser: Transkulturelle Begegnungsräume. Ästhetische Strategien der Überlagerung, Pluralisierung, Simultaneität in den zeitgenössischen romanischen Literaturen. Würzburg: Königshausen & Neumann 2020; gem. mit Hans-Jürgen Lüsebrink und Henning Madry: Médecins-écrivains français et francophones. Imaginaires – poétiques – perspectives interculturelles et transdisciplinaires. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2018.

„Schreckenslaute für die Menschheit“. Geräuschkulissen von Cholera-Epidemien im Spiegel von Selbstzeugnissen des 19. Jahrhunderts

Maria Heidegger (Innsbruck)

„… aber es ist doch sehr störsam, wenn einem beständig das Sichelwetzen des Todes allzu vernehmbar ans Ohr klingt“, schreibt Heinrich Heine Mitte Mai 1832 nach einer durchwachten Nacht in seinem Pariser Exil. Er berichtet vom monotonen Zählen der Leichenbestatter, wo er kurz zuvor noch heitere Stimmen hörte. Der Klang von Heines Zufluchtsstadt war gerade ein anderer geworden. Ausgehend von rezenten Studien zur Stadt als historischem Sinnesraum (Payer 2018) und mit Blick auf aktuelle Pandemie-Erfahrungen diskutiert der Beitrag Sinneseindrücke anlässlich von Cholera-Epidemien des 19. Jahrhunderts im Spiegel ausgewählter autobiografischer Texte (vgl. Aselmeyer 2015).

Maria Heidegger ist Senior Scientist am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie (Fachbereich Wirtschafts- und Sozialgeschichte). Derzeit ist sie Projektmitarbeiterin und Projektleiterin des FWF-FWO Joint Projekts „Patients and Passions. Catholic Views on Pain in 19th Century Austria“. Ihre Forschungsschwerpunkte im weiten interdisziplinären Feld der Medical Humanities sind Psychiatriegeschichte, Schmerz und Religion, Musik und Medizin, Biographie- und Autobiographieforschung.

„Hören Sie die Welt“ oder „Killnoise“. Wie klingt Risiko? Translationssoziologische (Sound)Perspektivierungen von Interkulturalität in der Krisenkommunikation

Cornelia Feyrer (Innsbruck)

Public Health Kommunikation ist per se stark interdisziplinär ausgerichtet, sie vereint neben fachlichen auch intermediale und transkulturelle Aspekte. Muss im Kontext einer Pandemie über Sprach- und Kulturgrenzen hinaus Risikokommunikation geleistet werden, potenzieren sich die interaktiven Anforderungen, Kommunikation findet dann verstärkt synergetisch über sprachliche und außersprachliche kulturgeprägte Kanäle der Wahrnehmung statt. Pandemien wiederum machen nicht Halt vor Sprach- und Kulturgrenzen, Warnungen müssen hörbar gemacht und gehört werden, Betroffenen muss eine Stimme gegeben werden. Geräuschen und Auditivem als kulturellen Markern, Elementen von Handlungsmustern, Rhythmusgebern, metaphorischen Strukturelementen und identitätsstiftenden Orientierungsmustern kommt damit in Alltagsroutine, fachkulturellen Settings und Krisenszenarien besondere Bedeutung zu und auch der Begriff der ‚Translation‘ wird damit polysem. Im geplanten Beitrag soll daher – auch mit Blick auf Internationalisierung und Kulturtransfer – anhand von Diskurs- und Medienformen von Risikokommuni¬kation der Pandemie im Bereich Public Health aufgezeigt werden, inwieweit in der modernen Krisenkommunikation eine zweckbedingte Symbiose von Sprachlichem, Auditivem und Audiovisuellem Textgenres integrativ erweitern und damit zu gelungener (interkultureller) Krisenkommunikation beitragen kann.

Cornelia Feyrer ist seit 1994 am Institut für Translationswissenschaft der Universität Innsbruck tätig. Sie begann nach einem Übersetzer- und Lehramtsstudium ihre berufliche Laufbahn in der Pharmaindustrie, von wo aus sie an die Universität Innsbruck zurückkehrte, wo sie heute auch im Rahmen der Universitären Weiterbildung wie auch an der Medizinischen Universität Innsbruck unterrichtet. Die Forschungsthemen von Cornelia Feyrer spannen den Bogen von linguistisch-kulturwissenschaftlichen Fragestellungen über translationsrelevantes Informations- und Wissensmanagement, Interaktionsforschung und Translationssoziologie bis in den Bereich der medizinischen (Fach)Kommunikation. Die Fokussierung auf Diskursformen der Medizin ist – gestützt auf die Berufserfahrung in der Pharmaindustrie – durch die Auseinandersetzung mit Interaktionsformen und Settings der (interkulturellen) Gesundheitskommunikation entstanden. Aktuell liegt der Forschungsschwerpunkt von C. Feyrer mit Fokus auf Medical Humanities und Public Health Kommunikation in multikultureller Umgebung im Bereich der Risikokommunikation in der Medizin

„The Sound of Silence“. Von Balkonkonzerten und Applausgeräuschen für Pflegekräfte zu gespenstischer Stille in Metropolen, von hörbarer Isolation und dem Schweigen in digitalen Räumen

Johanna F. Schwarz (Innsbruck)

„Die Stille in den Hochhausschluchten [New Yorks] ist gespenstisch!“ So beginnt eine Reportage von Max Böhnel und Andreas Robertz in Ö1 zur Pandemiesituation in New York , in der Stadt, die niemals schläft und die besonders schwer von der Pandemie getroffen ist. Weltweit aber sind Menschen überall gezwungen, zuhause zu bleiben, sich sozial zu distanzieren und allein digitale zu kommunizieren. Dies stellt gewohnte zeitliche, räumliche, leibliche und relationale Erfahrungen auf den Kopf. Dieser Beitrag erörtert aus einer phänomenologischen Perspektive und mit Bezug zum Bildungsbereich, welche (wahrscheinliche) Wirkmächtigkeit die zeitliche Ambivalenz und Unsicherheit von Einschränkungen etwa, die räumliche Enge in Homeoffice und durch Reiseverbote, leibliche Artikulationen digitaler (Nicht-)Begegnung oder relationale Bezüge zwischen Menschen, pandemischen Erscheinungsformen sowie Stille und Lärm auf Studierende haben. Illustriert wird dies anhand eines empirischen Beispiels aus dem Bildungsbereich.

Priv. Doz. Dr. Johanna F. Schwarz, MA ist als Senior Scientist am Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung (ILS) an der Fakultät für LehrerInnenbildung der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck beschäftigt. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in phänomenologischer und pädagogischer Erforschung von Phänomenen des Lehrens und Lernens in den unterschiedlichsten Bildungskontexten.

Anm.: Alle vier Panelists organisieren gemeinsam die internationale Tagung „The Noise of Medicine. Transdisziplinäre Perspektiven auf akustische Phänomene in der Medizin“, die am neuen Termin vom 10.-12. Juni 2021 stattfinden wird.

 

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