PANEL 9
Objekte und Sammlungen
Chair: Wolfgang Meixner (Innsbruck)
08.30-10.00
Wie sammelt man eine Pandemie? Das Projekt „Corona in Wien“ im Wien Museum
Martina Nußbaumer (Wien)
In Form eines Sammlungsaufrufs, aber auch mit ergänzenden Strategien versuchte das Wien Museum, rasch auf die Corona-Krise zu reagieren und zu dokumentieren, wie diese seit März 2020 den Alltag der StadtbewohnerInnen verändert(e). Die Präsentation gibt Einblicke in die bislang entstandene Sammlung und diskutiert die Potenziale und Grenzen des objekthaften Sammelns der Pandemie.
Martina Nußbaumer, Dr. phil., Historikerin und Kulturwissenschaftlerin, ist seit 2008 Kuratorin im Wien Museum. Ausstellungen, Publikationen und Radiosendungen (Ö1) zu Stadt- und Kulturgeschichte, Geschlechtergeschichte sowie zu Geschichts- und Identitätspolitik.
Nur ein halbes Jahr später und schon zu spät? Spuren der Covid-19-Pandemie auf Papier in den Tiroler Landesmuseen
Karl Berger / Roland Sila (Innsbruck)
Die Tiroler Landesmuseen entschlossen sich zu Beginn der Pandemie ganz bewusst, keinen Sammelaufruf an die Medien zu geben. Trotzdem wurde das bestehende Netzwerk aufgefordert, aktiv analoge Objekte an die Bibliothek zu übermitteln. Zeitgleich wurde während des Lockdown in Innsbruck fotografiert, um die Stadt soweit als möglich in diesem Ausnahmezustand abbilden zu können. Ob dies zu wenig für eine spätere Betrachtung des Jahres 2020 war, lässt sich noch nicht sagen. Sicher ist aber, dass die individuelle persönliche Sicht auf die eigenen Erfahrungen aus dem Frühjahr bereits die objektive Sicht der Bevölkerung verstellt.
Berger: Karl C. Berger, Mag. Dr., geb. 1976 in Lienz; aufgewachsen in Matrei in Osttirol; lebt in Flirsch am Arlberg; Studium der Volkskunde/Europäischen Ethnologie und Politikwissenschaft in Innsbruck; seit 2008 im Tiroler Volkskunstmuseum, seit 2015 dessen Leiter.
Sila: Er studierte Germanistik in Innsbruck. Seit 2000 ist er Mitarbeiter der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, seit 2007 Kustos der Bibliothek. Arbeitet zusätzlich als Ausstellungskurator. Zahlreiche Publikationen zu vorwiegend regionalgeschichtlichen Themen, Katalogbeiträge für Museen im In- und Ausland. In den letzten Jahren führte er in Kooperation mit anderen Museen und Wissenschaftsinstitutionen zahlreiche Forschungsprojekte durch.
#behindyourmask – Ein Sammlungsaufruf des DMMI zu einem Alltagsobjekt der Covid-19-Pandemie
Alois Unterkircher (Ingolstadt)
Museen bietet sich selten die Gelegenheit, in Echtzeit eine Welt im Ausnahmezustand mitzuverfolgen und mit maßgeschneiderten Aufrufen zentrale Objekte dieser Krise für die eigene Sammlung zu sichern. Die Covid-19- Pandemie und die Menschen, die diese durchlebten, generierten dabei eine besonders hohe Dichte an Objekten: Der simple Handzettel zur Nachbarschaftshilfe oder das Plakat für die Hygienedemo, ja selbst die letzte ergatterte Klopapierrolle wurden zu auratischen Objekten der Pandemie. Doch welchen Stellenwert nehmen all diese Dinge in der späteren Erinnerungskultur ein, und in welcher Form soll Corona überhaupt ins Museum?
Wie in vielen Museen weltweit begann man auch im Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt recht früh mit Überlegungen zum „Sammeln von Corona“. Die spezifische Ausrichtung als medizinhistorisches Fachmuseum gab dabei zwei Schwerpunkte vor: Zum einen sollten aktiv Dinge aus dem medizinischen Bereich gesammelt werden, etwa Spezialgeräte oder Sachzeugnisse des neuen Hygienebewusstseins. Zum anderen sollten aber auch die persönlichen Geschichten der Menschen und deren individueller Umgang mit dieser neuartigen Krankheit dokumentiert werden. Die Schutzmaske als genuin medizinisches Objekt und sichtbarstes Symbol der Krise erschien dabei als zentrales Objekt, in dem sich die vielen Facetten von Covid-19 wie in einem Brennglas bündelten.
Daher startete das Museum Ende April einen Aufruf zum Sammeln von „Corona-Schutzmasken“. Interessierte konnten „Masken-Selfies“ einzuschicken und die Geschichte hinter ihrer Maske erzählen. Woher stammte sie, wie ging man im Alltag damit um? Ausgewählte Masken, deren Geschichte repräsentativ für den Umgang mit der Krise erschien, sollten später in die Sammlung übernommen werden. Der Vortrag fasst die konzeptionellen Überlegungen hinter diesem Maskensammelaufruf zusammen und gibt einen ersten Zwischenbericht über dieses Sammlungsprojekt in Zeiten von Covid-19.
Alois Unterkircher, Dr. phil.; Studium der Europäischen Ethnologie/Volkskunde, Germanistik und Sozialgeschichte an der Universität Innsbruck; wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Innsbruck und Zürich; seit 2017 Sammlungsleiter am Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt; Forschungsschwerpunkte: Sozialgeschichte der Medizin, medizinische Museologie, Materialisierungen der medikalen Kultur.