Im Fokus dieses Dissertationsprojekts steht die Untersuchung der höchstgerichtlichen Strafrechtspraxis der Obersten Justizstelle für Tirol und Vorarlberg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Quellengrundlage bildet ein geschlossener Bestand von Gerichtsakten, der aus der archivalischen Hinterlassenschaft der Obersten Justizstelle in Wien als ehemalige oberste gerichtliche Instanz der Habsburgermonarchie stammt und im Wesentlichen die Jahre 1814 bis 1844 umfasst.
Da sich der Forschungsstand in Bezug auf die österreichische Strafrechtsgeschichte und -praxis im Vormärz als äußerst dürftig erweist und überdies das vorhandene Quellenmaterial bislang unerforscht ist, erscheint eine umfassende Bearbeitung des Aktenbestandes umso erstrebenswerter. Dieser enthält neben Ratsprotokollen der Obersten Justizstelle auch zahlreiche weitere Quellentypen wie Supplikationen, Auslieferungsansuchen, Gutachten für andere Hofstellen und sonstige zwischenbehördliche Korrespondenzen, sodass die Auswertung dieses Quellenkorpus in Anbetracht seiner Heterogenität äußerst vielversprechend erscheint und sich in besonderer Weise dazu eignet, den Untersuchungszeitraum auf verschiedenste Art zu erhellen.
Vor dem Hintergrund der methodisch-theoretischen Zugänge der neueren historischen Kriminalitätsforschung wird die Untersuchung der Strafakten sowohl aus einer geschichtswissenschaftlichen als auch aus einer rechtshistorischen Perspektive angestrebt und das Quellenmaterial mittels einer Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden ausgewertet. Dieser an einer Schnittstelle von Sozial-, Kultur- und Strafrechtsgeschichte angesiedelte interdisziplinäre Zugang verspricht eine Vielzahl neuer Erkenntnisse, beispielsweise was die Art der verübten Delikte betrifft, die soziobiografischen Hintergründe der Angeklagten und deren Beweggründe, aber auch die Reaktion der Justiz auf deviantes Verhalten, die dabei aufscheinenden Argumentationsstrategien der für die Justizstelle tätigen Hofräte sowie die dadurch bewirkte Konstruktion von Kriminellen bzw. Kriminalität. Ziel soll letztlich sein, ein differenzierteres Bild der vormärzlichen Strafrechtspraxis entstehen zu lassen und dabei gleichzeitig Einblicke in die Alltagswelt Tirols zu eröffnen.