Exposé Dissertation Mag.a phil. Marina Unterberger
Das literarische Feld in Österreich während der ÖVP-FPÖ Koalition von 2000 bis 2006. Literatur und AutorInnenschaft im Spannungsverhältnis von Politik und Öffentlichkeit.
1. Ausgangslage: 1986 und die Folgen
Das Jahr 1986 stellt in der österreichischen Aufarbeitung der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit eine Zäsur dar. Die durch die Sozialdemokratische Partei Österreichs evozierte Affäre um den Bundespräsidentschaftskandidaten der Österreichischen Volkspartei, Kurt Waldheim, veränderte den öffentlichen Diskurs nachhaltig. Österreich war nicht mehr länger das erste Opfer des NS-Regimes in Deutschland, sondern (Mit-)Täter. Gleichzeitig aber schaffte in diesem Jahr ein noch junger Funktionär der Freiheitlichen Partei Österreichs den Aufstieg zum Obmann seiner Partei. Durch Jörg Haider und seine in den folgenden zwei Jahrzehnten betriebene Politik konnte sich die FPÖ als die Partei des rechten Lagers in Österreich etablieren.
Im einleitenden Teil der Arbeit werden die Folgen der Waldheim-Affäre für das österreichische Selbst-Verständnis dargestellt. Der Rekurs auf die österreichische Vergangenheitsbewältigung ist nötig, um die heftigen Reaktionen in den Feuilletons des Landes auf die Angelobung der schwarz-blauen Regierung zu verstehen. Denn nur in Hinblick auf die gesellschaftspolitischen Prozesse, die ab 1986 immer stärker an die Oberfläche drängen, kann der Sturm der Entrüstung, der 2000 bei der Angelobung des ersten Kabinetts unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel losbrach, erklärt und verstanden werden. Auch soll eine Darstellung der Debatte um die Positionierung namhafter AutorInnen in der Causa Waldheim skizziert und so auf das eigentliche Thema hingeleitet werden.
2. Methodik der Arbeit
Zentrale Methode der Arbeit ist die literaturwissenschaftliche Rezeptionsforschung (in ihrer empirischen, literatursoziologischen Ausprägung). Es wird gefragt, wie Literatur gesellschaftliche, im engeren Sinn politische Vorgänge reflektiert und einarbeitet und wie die Gesellschaft Literatur rezipiert, es geht also – an einem Beispiel, einem historischen Einschnitt – um die Wechselwirkung von literarischen und gesellschaftlichen Prozessen, man könnte auch sagen: um den Prozess der Verarbeitung von Literatur in der Gesellschaft.
Da es sich um eine interdisziplinäre Arbeit handelt, sind auch politikwissenschaftliche Methoden einzusetzen. Der Begriff der Wende in Hinblick auf die beiden Kabinette unter Wolfgang Schüssel ist äußerst umstritten. So gilt es zuallererst zu klären, wer die schwarz-blaue Regierung als Projekt der Wende verkaufte und wer sich des Begriffes hauptsächlich bediente. Nicht nur PolitologInnen und SoziologInnen machten sich über die Begriffszuschreibung der „schwarz-blauen Wende“ Gedanken, auch PolitikerInnen selbst hielten es für nötig, sich zu diesem Begriff in Form eines Buches zu bekennen oder auch nicht, so etwa Heinz Fischer mit „Wende-Zeiten“[i] oder Andreas Khol mit „Die Wende ist geglückt. Der schwarz-blaue Marsch durch die Wüste Gobi.“[ii] Die positiv konnotierten Zuschreibungen, die dem Begriff der Wende in der Politik zugedacht werden, werden der schwarz-blauen Regierung als Wende-Regierung häufig abgesprochen, sodass in politischer Hinsicht von einer Wende gesprochen wird, „die (k)eine war“[iii]. Um zu einem adäquaten und vor allem operationalisierbaren Begriff für die beiden Regierungen unter Wolfgang Schüssel zu gelangen, ist vor allem eine kurze politikwissenschaftliche Darstellung des Wende-Begriffes und seiner Geschichte wichtig, denn die Begriffsdefinition, welche aus dieser Analyse hervorgeht, wird im weiteren Verlauf der Arbeit eingesetzt. Auch wird versucht, einen systemtheoretischen Zugang zum Begriff der Wende zu finden und ein kleiner Überblick über den historischen Begriff der politischen Wende zu geben.
3. Die politische AutorInnenschaft in der medialen Öffentlichkeit von 2000-2006
Um erst einmal eine Festlegung auf AutorInnen zu erreichen, ist es nötig, zumindest die Tages-, Wochen- und Monatszeitungen sowie unterschiedlichste Zeitschriften der Monate Februar bis August 2000 einer empirischen Erhebung nach zweierlei Gesichtspunkten zu unterziehen, um zu einer Auswahl zu gelangen: Da unmöglich alle Publikationen von AutorInnen in die Untersuchung miteinbezogen werden können, muss eine Festlegung hinsichtlich der zu analysierenden Medien sowie der in Frage kommenden AutorInnen geschehen. Ist diese erfolgt, gilt es der Frage nach zu gehen, welche Strategien die AutorInnen entwickeln, um sich zu positionieren. Die Wahl der Textsorte spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Wahl des Mediums: Schreibt der/die AutorIn in essayistischer Form, oder wählt er/sie die Form des Kommentars oder LeserInnenbriefes? Lassen sich in dieser Hinsicht Tendenzen erkennen und entsteht eventuell eine Art intellektuelle Korrespondenz innerhalb der Medien? Kommt es zu einer Solidarisierung unter den AutorInnen und lassen sich bestimmte Gruppendynamiken bzw. –positionen ausmachen? Wie hoch ist der Kanonisierungsgrad der veröffentlichten Texte und lässt sich ein Text oder lassen sich mehrere Texte als eine Art Referenzpunkt in der Kritik an der ÖVP-FPÖ-Regierung feststellen?
3.1. Die Methodik
Die Erkenntnisse aus der quantitativen Auswertung der untersuchten Printmedien tragen dazu bei, ein literarisches Feld festzumachen und zu sehen, wer innerhalb dieses Feldes agiert und reagiert. Keineswegs blieben die heftigen Reaktionen so mancher AutorInnen von KollegInnen unkommentiert und spätestens seit Norbert Gstreins „Wem gehört eine Geschichte?“[iv], eine Abrechnung mit einem Teil der österreichischen AutorInnenszene, wird klar, dass der scharfe Protest nicht von allen Intellektuellen gut geheißen wurde. Hierbei kommen also den sozialen Bedingungen, unter welchen Literaturproduktion geschieht, eine wichtige Rolle zu. Pierre Bourdieu schreibt in „Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes“[v]:
Tatsächlich scheint der Hang, sich den riskanten Positionen zuzuwenden, und vor allem die Fähigkeit, sie dauerhaft einzunehmen, obwohl sie auf kurze Sicht keinerlei wirtschaftlichen Gewinn abwerfen, zum Großteil von der Verfügung über ein bedeutendes ökonomisches und symbolisches Kapital abzuhängen.[vi]
In Anlehnung an Bourdieus Soziologie der Literatur- und Kulturproduktion wird den Fragen nachgegangen, welche Felder auf die AutorInnen wirken, ob sich ein Ausschlussverfahren über eine definierte political correctness entwickelt und welche AutorInnen diese Definitionsmacht, wenn es sie gibt, haben. Weiters muss hinterfragt werden, inwiefern die Kritik an der Wende zum must-have eines/einer österreichischen Intellektuellen wird. Thematisiert werden soll hier mitunter die Stigmatisierung Rudolf Burgers zum Intellektuellen der politischen Rechten, aber auch Elfriede Jelineks „Nestbeschmutzerin-Image“. Diese Fragestellungen sollen nicht nur innerhalb der österreichischen Grenzen gedacht werden, es soll im Anschluss ein Ausblick ins deutsche und eventuell auch ins schweizerische Feuilleton folgen, sodass das Bild ein möglichst allumfassendes, sowohl die Innen- als auch die Außenperspektive repräsentierendes ist.
Gerade im Zusammenhang mit der Literatur-Nobelpreisträgerin von 2004, Elfriede Jelinek, werden Skandalisierungsprozesse um Literatur und ihre ErzeugerInnen offensichtlich. Spätestens seit der deutschen Uraufführung ihres Stückes „Burgtheater“ im Jahr 1985, in welchem Jelinek „die ausbleibende Entnazifizierung der österreichischen Kulturelite“[vii] thematisierte, ist sie als „Nestbeschmutzerin“ allseits bekannt. Doch gerade wenn es um die österreichische Literaturnobelpreisträgerin geht, scheint die Skandalisierung dem Skandal meist zuvor zu kommen, denn ein Skandal erregt die Gemüter, auch diejenigen, die ansonsten nicht so leicht Zugang zu Literatur finden. Und ein Skandal ist gut für die Verkaufszahlen. Doch soll hier vor allem in Zusammenhang mit einer politischen Positionierung den Dynamiken der Skandalisierung mit Fokus auf die Jahre 2000-2006 auf den Grund gegangen werden. Literatur erscheint hier in einem Spannungsfeld von Öffentlichkeit, Politik und Skandal, es gilt heraus zu finden, welche Rollen sie spielen kann und welche Auswirkungen die schwarz-blaue Regierung letzten Endes auf das Schaffen der AutorInnen selbst hatte. In diesem Zusammenhang sei vor allem auf den „Gründungsskandal der modernen Literatur“[viii], den offenen Brief Emile Zolas an den Präsidenten der Republik, in welchem er sich über die Deportation des jüdischen Offiziers Dreyfus beschwerte, verwiesen. Auch werden die Reaktionen der von Kritik betroffenen Personen, sofern vorhanden, Erwähnung finden.
Zum Schluss bleibt noch zu analysieren, ab wann und warum die Kritik nachließ bzw. ob sich eine Art Gewöhnungsfaktor einstellte.
4. Die österreichische Literatur von 2000-2006
Bruno Rossmann[ix] bezeichnet in einem Aufsatz die schwarz-blaue Wende als neoliberale Wende. In Hinblick auf die sozio-ökonomischen Lebensrealitäten eines Großteils der Bevölkerung und die Zuspitzung der Verhältnisse verstärkt durch die derzeitige Finanzkrise ist die Frage an die Literatur, wie sie mit diesen Verhältnissen umzugehen vermag. Doch in der Analyse sollen nicht nur die in den Werken reflektierten Lebensrealitäten, die einen Rekurs auf die politische und soziale Situation zulassen, beschrieben werden, sondern auch, was oder vielmehr ob diesen Verhältnissen ein (politischer) Gegenentwurf entgegengesetzt wird. Im Speziellen werden die in den Texten beschriebenen Lebensbedingungen und ihre Gemeinsamkeiten in der Darstellung zu dieser Analyse herangezogen. Doch nicht nur die Lebensbedingungen, auch die Zeichnungen der Figuren selbst gilt es einer Analyse zu unterziehen, denn die Probleme der postmodernen Identitätsstiftungen verschärfen sich zumeist in prekären Lebenslagen. Natürlich ist in diesem Zusammenhang der Frage nachzugehen, inwiefern die Figuren in den Texten der AutorInnen einander ähneln, sollte dies der Fall sein, kann auf eine Typisierung des Personals rückgeschlossen werden, welche es wiederum zu untersuchen gilt. Eine weitere Analyse betrifft die Problemlagen, mit welchen die Figuren konfrontiert werden und inwiefern die Literatur Lösungsansätze liefern kann bzw. ob sich bei den vorgeschlagenen Lösungsansätzen Tendenzen erkennen lassen.
Die schwarz-blaue Regierung brachte vor allem die Themen Migration, Integration und in diesem Zusammenhang öffentliche Sicherheit vermehrt in den öffentlichen Diskurs ein. Deshalb ist in der Analyse der Prosa und der Dramatik zu fragen, welchen Eingang diese Themen in die literarische Inszenierung finden und wie gesellschaftliche Veränderungen, die auf diesen Prozessen beruhen, bewertet werden. Welchen Platz nehmen andere Minderheiten und gesellschaftliche Randgruppen in den Geschichten ein?
In einem weiteren Schritt soll die Darstellung der politischen Landschaften mit der außerliterarischen Realität verglichen werden. Dadurch nähert sich die Arbeit an ihre Kernfragen an: Was sind die Kennzeichen politischer Literatur und wo sind diese in den analysierten Texten auszumachen? Wie ist der Umgang mit der realpolitischen Situation und wird offensichtliche Kritik an konkreten politischen Institutionen und Persönlichkeiten geübt? Gibt es ein von der Literatur entworfenes Gegenprogramm zur realpolitischen Situation? Was wird an den vom Neoliberalismus (diesen Begriff gilt es zu erörtern) oktroyierten Lebensmodellen beanstandet? Welche Lebensentwürfe werden dargestellt (Patch-work-Lebensläufe, Prekariat, etc.)? Welche Auswirkungen haben diese Lebensmodelle auf die ProtagonistInnen?
Das Ziel der Arbeit ist es, die Spannungsfelder, in welchen sich österreichische AutorInnen in der Zeit von 2000 bis 2006 befanden, darzustellen und zu zeigen, welches Bild des Autors/der Autorin in der Öffentlichkeit evoziert wurde. Dazu gehört der Umgang der AutorInnen mit der aktuellen Politik sowie die literarische Darstellung der vermeintlich neuen Kräfteverhältnisse. In der Analyse wird sich herausstellen, ob es eine konkrete Hinwendung zu Themenschwerpunkten gibt, die von der schwarz-blauen Regierung vermehrt in den öffentlichen Diskurs eingebracht worden sind (z.B. Migration und Integration, Sicherheit).Lässt sich eine durch diese Themen motivierte spezifische politische Literatur für die Jahre 2000 bis 2006 ausmachen?
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[i] Heinz Fischer: Wendezeiten. Wien: Kremayr & Scheriau 2003.
[ii] Andreas Khol: Die Wende ist geglückt. Der schwarz-blaue Marsch durch die Wüste Gobi. Wien: Molden 2001.
[iii] Nikolaus Dimmel, Josef Schmee: Politische Kultur in Österreich 2000-2005. In: Nikolaus Dimmel und Josef Schmee (Hrsg.): Politische Kultur in Österreich 2000-2005. Wien: Promedia 2005. S. 19.
[iv] Norbert Gstrein: Wem gehört eine Geschichte? Fakten, Fiktionen und ein Beweismittel gegen alle Wahrscheinlichkeit des wirklichen Lebens. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004.
[v] Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001.
[vi] Ebda. S. 413.
[vii] Artur Pelka: Jelineks „Raststätte“. (K)ein Theater-Porno oder: Wie die Skandalisierung zum Skandal wird. In: Johann Holzner und Stefan Neuhaus (Hrsg.): Literatur als Skandal. Fälle – Funktionen – Folgen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. S. 524.
[viii] Michael Braun: „J’accuse“. Literarische Skandalisierung in Offenen Briefen am Beispiel der Grass- und der Walser-Debatte. In: Johann Holzner und Stefan Neuhaus (Hrsg.): Literatur als Skandal. Fälle – Funktionen – Folgen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. S. 588.
[ix] Bruno Rossmann: Neoliberale Wende. Mit Rasenmäher und dem Diktat der leeren Kassen zum schlanken Staat. In: Nikolaus Dimmel und Josef Schmee (Hrsg.): Politische Kultur in Österreich 2000-2005. Wien: Promedia 2005. S. 59 – 68.
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