Das Widderopfer in Ötting
1. Vorbemerkung
„Man muss einmal dabeigewesen und selbst in den mystischen Zauber uralter Riten eingetaucht sein,“ mit diesen Worten weist ein den „Besonderheiten und Raritäten “ sowie „magischen Geheimnisse [n] “ Oberkärntens gewidmeter Werbetext auf der Homepage des interregionalen Tourismusprojekts „Via Iulia Augusta“ auf das „in ganz Kärnten einzigartige ’Widderopfer’ zu Ötting“ (Gemeinde Oberdrauburg) hin [1].
Wie das zum Nationalpark Hohe Tauern gehörende Virgental in Osttirol wirbt auch Oberdrauburg, „wo Kultur natürlich ist“ [2] , mit der Dialektik von „Kultur“ und „Natur“ um Feriengäste; und die Bezugnahme auf Bräuche, beispielsweise auf die in beiden genannten Regionen jährlich durchgeführten Widderopfer, scheint ideal in den Zusammenhang einer solchen Präsentation zu passen: der „Sehnsucht nach Archaik “ [3] – nach dem „Uralten“ und „bis auf den heutigen Tag“ Unveränderten – kommen die Promotoren des „sanften“ Tourismus mit gezielten Formulierungen, wie jenen des einleitenden Zitats, entgegen.
Olaf Bockhorn hat 1982 auf die im Zusammenhang mit den Widderprozessionen und -opfern überwiegend übliche Tradierung des „Mythos vom heidnischen Ursprung“ hingewiesen und deren Problematik aufgezeigt [4]. Weil sich, dessen ungeachtet, die meisten der seitdem erschienenen Beiträge zum Thema aber erneut auf die Wiedergabe der altbekannten Kontinuitätsvermutungen beschränken, und nachdem die entsprechende Natur-Kultur-Archaik in jüngster Zeit auch durch filmische Beiträge weiter popularisiert wurde, lohnt es sich, bei einem Widderopfer wie jenem 2002 in Ötting „dabei zu sein“ : dann nämlich ist es weniger der Hauch des „Uralten“, der sich bemerkbar macht, als vielmehr die Frage nach Gründen, warum eine über mehrere Jahrhunderte nachvollziehbare Tradition in den verstreuten Huben des Ortes in seiner Gegenwart noch „aktuell“ bzw. „modern“ ist.
Abgesehen davon erscheint mir besonders eine Beschäftigung mit den auf das Widder-Verlöbnis in der Pestzeit Bezug nehmenden Erzählmotiven aus der mündlichen Überlieferung lohnend, weil z.B. die Aufzeichnungen in der „Flaschberger Chronik“ [5 des Altbürgermeisters Peter Krieghofer aus Oberpirkach einige interessante Parallelen zur Virgentaler Widdersage aufweisen: etwa das Lebendig-Eingraben als Gegenmaßnahme, das Zurückstoßen des Todes durch einen (in diesem Fall schwarzen [6]) Widder oder der erneute Ausbruch der verheerenden Seuche aufgrund zeitweiligen Unterlassens des Gelöbnisses, was zu dessen erneuter Bekräftigung geführt haben soll.
Dieser Artikel beschränkt sich aber im folgenden auf eine kurze Beschreibung des Brauchs.
2. Zum Widderopfer.
Wie die Virgener „Hofmann-Chronik “ [7] nennt auch die Öttinger Pfarrchronik 1635 als Jahr des Widder-Verlöbnisses; dass dieses anfangs in Form einer Prozession in die Pfarre Lavant (der Ötting bis um 1600 unterstellt war) erfolgt und erst später in die Öttinger Filialkirche St. Georg verlegt worden wäre, wie öfters vermutet [8] und auch mündlich berichtet wird [9], können archivalische Forschungen zur Chronik der Wallfahrt Maria Lavant (meines Wissens) bisher nicht belegen, erwähnt wird dort aber z.B. ein Termin zu Ostern, bei dem die „ganz öttingerische Gmein mit dem Creuz zuerscheinen “ [10] hatte, sowie Bittprozessionen der Öttinger am Kreuzmontag im Mai [11]. Auf die kirchliche Verbundenheit Öttings mit Lavant führen Jochum/Strutzmann in ihrem Oberdrauburg-Buch den Widder-Brauch zurück [12].
Kreuzgänge nach Lavant wurden auch noch im 20. Jahrhundert – „bis vor kurzer Zeit“ , berichtet Georg Graber 1949 [13] – unternommen, v.a. zum ersten Hauptfest der Wallfahrt, dem „Weißen Sonntag“, an dem bis 1920 die Opferwidder-Prozession der Virgener und Prägrater auf dem dortigen Kirchbichl ankam. An diesem Tag führten u.a. auch ausgedehnte Kreuzgänge aus dem Oberen Mölltal über den Iselsberg nach Lavant, so z.B. bis 1958 einer mit Teilnehmern aus Sagritz und Mörtschach [14].
In Sagritz versteigern die Bauern aus 15 verstreuten Weilern der ausgedehnten Gemeinde Großkirchheim ihre „Haplen“ am „Jörgensonntag“ (Ende April), an dem das Patrozinium der dortigen St. Georgskirche gefeiert wird [15]. Wie in Sagritz ist auch die Kirche in Ötting dem hl. Georg geweiht, der u.a. als Patron der Hirten und Schafe gilt; in Ötting wird zudem (wie im nicht weit entfernten Osttiroler Chrysanthen bei Nikolsdorf) der hl. Chrysant als Viehpatron verehrt.
Der Termin des Öttinger Widderopfers ist der (dem Gedächtnis der sieben Schmerzen Mariä gewidmete) Schmerzensfreitag vor dem Palmsonntag. U.a. an diesem Termin (öfters aber auch am Palmsonntag oder 1. Mai) wird auch in Kals am Großglockner, wo sich ebenfalls eine Georgskirche befindet, ein Widder versteigert; ein Pest-Kreuzgang wird in einem dortigen Rechnungsbuch bereits 1601 erwähnt [16], was auf ein früheres Wüten der Seuche hinweist. Für Virgen fehlen dazu leider die entsprechenden Sterbezahlen aus früheren Matrikelbüchern.
Insgesamt gilt, wie in Kals oder Virgen und trotz fehlender archivalischer Belege, dass auch in Ötting die Vermutung eines früheren Verlöbnisses nicht ganz von der Hand zu weisen ist, nachdem der „Schwarze Tod“ seit dem 14. Jahrhundert in der Region sein Unwesen trieb.
Darüber hinaus aber den vielbeschworenen „Ursprung“ des Brauchs im „heidnischen Kult“ zu suchen, ist problematisch: selbst mögliche Konvergenzen mit vorchristlichen Tieropfern ergeben sich viel eher aus ähnlichen Lebensbedingungen, als dass sie im „statischen“ Sinne dazu herangezogen werden könnten, geschichtliche Kontinuitäten zu belegen.
Gepflegt wird der Öttinger Widder, der das Vorrecht hat, gratis auf der Hochstadelalm zu weiden, von Einzelpersonen oder Personengemeinschaften: Entweder stellt der Besitzer einer Hube einen Widder, oder mehrere Teilhubner (½ oder ¼ Hube), deren Besitz zusammen eine Hube ausmacht, spenden zusammen ein Tier. Die beteiligten Ortschaften sind Oberpirkach (zuletzt 3 Mal 1983-1985), Pflügen (zuletzt 2 Mal 1986-1987), Gailberg (zuletzt 1 Mal 1987), Ötting (zuletzt (6 Mal 1988-1993), Flaschberg (zuletzt 1 Mal 1992 und 4 Mal 1994-1997) und Unterpirkach (5 Mal 1998-2002). Der Rhythmus, wonach alle zwölf Jahre das Widderopfer auf den gleichen Bauern fällt [17], hat sich in den letzten Jahrzehnten verzögert: Der heurige Widderhalter war zuletzt 1982, also vor genau 20 Jahren, an der Reihe [18]: „Wenn wir ehrlich sind, machen wir das hauptsächlich wegen der Tradition, alle zwanzig Jahre tut keinem weh.“ [19]
Zum verlobten Gottesdienst wird der Widder um 9 Uhr in die Kirche und dort ein Mal um den Hauptaltar geführt. Nach einer Segnung durch den Pfarrer hält er sich für den Rest der Messe unter der Orgelempore, auf einer ausgebreiteten Folie, auf. Öfters wird die Meinung vertreten, dass es viele Todesfälle im kommenden Jahr geben wird, wenn der Widder während der Messe unruhig ist [20].
Nach der Messe folgt die Versteigerung: Großer Wert wird dabei auf den gepflegten Zustand des Widders gelegt; er ist darum in der vergangenen Tagen sorgfältig und in mehreren „Waschgängen“ gesäubert, dann gestriegelt und abschließend mit Schleifen und Blumen aus Krepppapier geschmückt worden.
Mit dem Virgener Widder vergleichbare Gewichtsausmaße (der wog 2001 z.B. 120 Kilo – und 2002, als er aus Preisgründen nochmals zum Einsatz kam, 130 Kilo!) erreicht er allerdings nicht.
Betont wurde heuer in Ötting, sogar aufs Jahr genau, der mit 1635 angesetzte Anfang der Tradition: „Zum 367. Mal erfüllen wir heuer unser Gelöbnis,“ mit diesen Worten wurde die Versteigerung durch den vom Kirchenrat bestellten Leiter eröffnet [21], – wobei es heuer eine kleine Änderung zu verkünden gab: Bisher läutete der Mesner jedes Mal, wenn wieder 1000 Schilling mehr geboten wurden, die Kirchenglocken; nun wurden 100 Euro als neues Läutintervall beschlossen. Der Erlös der Versteigerung fließt kirchlichen Zwecken zu: in diesem Jahr wird das Geld zur Errichtung eines neuen Zauns an der Kirche verwendet.
Der Widderhalter aus Unterpirkach mit seinem geschmückten Tier,
vor Beginn der Messe.
Fotos: E. Bodner.
Der Widderhalter aus Unterpirkach
mit seinem geschmückten Tier,
vor Beginn der Messe.
Fotos: E. Bodner.
Die nur wenige Kilometer von der Tiroler Grenze entfernte Filialkirche St. Georg in Ötting, südwestlich von Oberdrauburg (1329 als Wehrkirche ausgebaut), erlangte als nördlichster Stützpunkt der Patriarchen von Aquileia Bedeutung (zit. n. Ortsführer, wie Anm 13., S. 56.).
Foto: R. Bodner.
[1] http://www.iulia-augusta.com/rarita_t.html , gelesen am 8.1. 2002.
[2] Marktgemeinde Oberdrauburg und Multi Art (Hg.): Oberdrauburg. Kulturführer. Wo Kultur natürlich ist. Aktueller Prospekt, Oberdrauburg/Wien, in Verwendung seit 1990, Titelseite.
[3] Konrad Köstlin , Alpen-Bräuche. Ein Vor-Wort, in: Hans und Gerlinde Haid (Hg.), Alpenbräuche. Riten und Traditionen, Bad Sauerbrunn 1994, S. 7-11, hier S. 8.
[4] Olaf Bockhorn , Opferwidder und Widderopfer. Widderprozessionen und Widderversteigerungen in Osttirol und Oberkärnten, in: Olaf Bockhorn und Helmut P. Fielhauer (Hg.), Kulturelles Erbe und Aneignung. Festschrift für Richard Wolfram zum 80. Geburtstag, Wien (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ethnologie/Volkskunde) 1982, S. 23-54 (mit Bildanhang: S. 291-294).
[5] Peter Krieghofer : Ortschronik Flaschberg, maschingeschriebenes Vorwort (Oberpirkach, am 13. März 1951) – handschriftliche Widmung an den Großneffen (Oberpirkach, am 13. März 1957). Ich bedanke mich bei Herrn Prof. hon.c. Franz Jochum aus Oberdrauburg für seine freundliche Auskunft und Unterstützung.
[6] Für den Hinweis, der auch in der erwähnten Chronik zu finden ist, bedanke ich mich bei Herrn Alfred Kalser vlg. Kratzer in Unterpirkach, dem diesjährigen Widderhalter.
[7] Joseph Andreas Hofmann : Kolligenda oder Beschreibung der Pfarre Virgen sammt allen auf Kirchen, Widum und Gemeinde Bezug habenden Verhaeltnissen. Neu verfasset und zusammengeschrieben im Jahre 1826, S. 35. Pfarrarchiv Virgen, Transkription von Otfried Pawlin , Veröffentlichung des auf das Pestjahr 1635 Bezug nehmenden Zitats u.a. im Artikel Aus der Dorfchronik, in: Virger Zeitung, Frühjahr 1992, S. 24.
[8] Matthias Maierbrugger , Lebendiges Brauchtum in Kärnten, Klagenfurt 1978, S. 30; Ders ., Das Widderopfer in Ötting, in: Die Kärntner Landsmannschaft. Mitteilungsblatt der Heimatverbände Kärntens, Jahrgang 1974, Klagenfurt 1974, Heft 3, S. 1-2, hier S. 2; Bartl Petrei , ‚Osterstecken trag, Winter ich verjag’, Vorostern in Kärnten: Von Altem, Neuem, Traditionen und Wiederbelebung. Die heimatliche Brauchlandschaft ist in dauerhafter Bewegung, Kleine Zeitung Kärnten vom Sonntag 27. März 1994.
[10] Heinz Moser , Chronik von Lavant (=Ortschroniken, herausgegeben vom Tiroler Landesarchiv, Nr. 26), Innsbruck 1976, S. 36
[12] Franz Jochum und Helmut Strutzmann , Oberdrauburg. Bausteine zur Geschichte, Wien 1990, S. 98 f; Dieselben, Oberdrauburg. Von der Gegenwart zu den Anfängen, Ortsführer, Wien 1990, S. 57 (Kurzfassung).
[13] Georg Graber , Volksleben in Kärnten , 5. durchgesehene und ergänzte Auflage, Graz 1949, S. 253.
[14] Bockhorn , a.a.O., S. 31 f. Interview mit Hannes Suntinger , Mesner in Döllach, Gemeinde Großkirchheim, am 6.3. 2000.
[16] Anton Dörrer , Alter und Sinn der Widderprozessionen, in: Schlern, 26. Jhg., Bozen 1952, S. 138-140, hier S. 139.